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LITERATUR - ZEITUNG

VOM JAHRE

1846.

LIBRARY

ERSTER BAND.
JANUAR bis JUNI

HALLE,

in der Expedition dieser Zeitung
bei C. A. Schwetschke und Sohn,

und LEIPZIG,

in der Königl. Sachs. privil Zeitungs-Expedition.

1846.

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ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Monat Januar.

Christkatholicismus.

Erster Artikel.

1846.

Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutsch-katholischen Kirche von Dr. Eduin Bauer, deutsch-kathol. Geistlicher. 8. 288 S. Meissen, Klinkicht u. S. 1845. (20 Sgr.)

Ein Jahr und einige Wochen erst sind verflossen, seit Ronge seinen Brief an den Bischof Arnoldi schrieb und in Schneidemühl mit Czerski eine kleine Anzahl Katholiken sich von Rom trennten, und welche überraschenden Früchte sind gleichwohl bereits aus diesen äusserlich so unscheinbaren Keimen hervorgegangen, welch' ein Bild des Kampfes und der Zerrissenheit bietet uns jetzt die katholische Kirche dar im Gegensatz zu jener grossartigen Trier'schen Manifestation ihrer Macht, Herrlichkeit und Einheit, wie sind jene hierarchischen Bestrebungen und Gelüste nach Repristinirung mittelalterlicher Herrschaft und Grösse so völlig durch kreuzt und vereitelt worden durch eine neue reformatorische Bewegung, welche sich fast über alle deutschen Gaue verbreitet und den Austritt von Tausenden aus der Römischen Kirche, sowie die Gründung zahlreicher christkatholischer Gemeinden hervorgerufen hat und immer noch hervorruft! Ein neuer glänzender Sieg des evangelischen Prinzip's der Glaubens- und Gewissensfreiheit, ein tiefes religiöses Bewusstseyn, ein frisches kirchliches Gemeindeleben, entsprechende freie Verfassungsfordiess sind die Resultate der bisherigen Entwicklung des Christkatholizismus, welcher, obwohl dem innersten Grunde nach protestantisch, dennoch seine eigenen selbstständigen Bahnen durch läuft.

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Die hochwichtige Bedeutung dieser Bewegung für den Staat wie für die übrigen Konfessionen, für Wissenschaft und Leben hat eine zahllose Menge von Schriften hervorgerufen, in welchen jene im Ganzen und Einzelnen von den verschiedensten Standpunkten aus behandelt, hier vertheidigt, ja vergöttert, dort verhöhnt und in den Staub

Halle, in der Expedition der Allg. Lit. Zeitung.

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Schon

gezogen wird. Mit besonderer Spannung nahm Ref. vorliegendes Werk zur Hand, welches sich als eine Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutsch-katholischen Kirche ankündigt. Es könnte gewagt erscheinen, schon jetzt, wo jener geistige Kampf noch in voller Bewegung ist und neue Formen und Einrichtungen schafft, ein Urtheil zu fallen, allein der bisherige Entwicklungsprozess bictet doch bereits eine Reihe von Momenten und Erscheinungen das, welche eine Charakteristik und Würdigung der gegenwärtigen christkatholischen Zustände und ihrer Entstehung verstattet. die Vorrede der Bauer chen Schrift zeigte jedoch dem Ref., dass es hier nicht abgesehen sey auf eine wahrhaft historische Behandlung des Stoffs, auf ein,,historisches Kunstwerk", wie der Vf. es nennt, sondern nur auf eine für das deutsche Volk bestimmte, aus authentischen Quellen geschöpfte Erzählung der Ursachen, des Anfangs und Fortgangs der gegenwärtigen Kirchenreformation, nebst Mittheilung der wichtigsten und interessantesten betreffenden Urkunden und Aktenstücke, sowie kurzer Biographieen der Männer, welche sich um die Reform besonders verdient gemacht haben. Diese wenn gleich nur äusserlich zusammenhängende Darstellung ist dennoch alles Dankes werth und wird auch das Ihrige zur Förderung der guten Sache, wie der Vf. es wünscht, beitragen. Nicht uninteressant ist der Abschnitt über die für Völker und Staaten unheilbringenden und gefährlichen hierarchischen und jesuitischen Umtriebe". Der Vf. schildert die fast in allen Ländern Europa's besonders seit einem Dezennium wahrnehmbaren Bestrebungen der Hierarchie,,, welche gleich einer Verschwörung gegen die bestehende Ordnung der Gesellschaft sich kund gaben, und nach einem Ziele hin, nach einem Plane von einer geheimen Propaganda geleitet wurden". Ihr Ziel, sagt der Vf. mit allem Recht, war und ist kein Anderes, als die Vormundschaft über Regierungen und Völker wieder zu erlangen, welche die römische Hierarchie in Folge des Sieges des protestantischen Princip's, in

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Folge der Gewissens- und Denkfreiheit, in Folge der Volksaufklärung, zumal in Deutschland, verloren hat". Solche Intriguen weist er nach in Frankreich, Belgien, Oestreich, Preussen, Baiern, der Schweiz, besonders ausführlich in Sachsen an der bekannten Annaberger Angelegenheit, in Beziehung auf welche die wichtigsten Aktenstücke und Verhandlungen mitgetheilt werden. ,,Kein Wunder, schliesst der Vf. diesen Abschnitt, wenn das deutsche Volk, welches die verhasste Jesuitenschaar in immer unverschämterer Weise auftreten sah, die muthigen Schritte gegen das Umsichgreifen jesuitischer und papistischer Macht mit freudigem Beifallsrufe begrüsste! Kein Wunder, dass sich die vernünftigen Katholiken gern und schnell von einem Oberhaupte lossagten, welches ein Bündniss mit den Jesuiten, den Unterdrückern der Volksfreiheit, den Aposteln der Valksverdummung geschlossen hat!" Auch in Schresie, der Wiege und dem Mittelpunkt der. kirchlichen Reform der Gegenwart, sind dergleichen Intriguen und Bestrebungen unzweideutig hervorgetreten, und ihnen namentlich ist es zu verdanken, dass der Ronge'sche Brief grade hier einen so überaus empfänglichen Boden gefunden hat. Ref., unter dessen Augen die Breslauer Bewegung entstand, hat dieselbe auch in ihrem weiteren Verlaufe mit Aufmerksamkeit begleitet, und kann es sich nicht versagen, scine Wahrnehmungen und die Eindrücke, welche die Reform von ihren ersten Keimen bis zu ihrer gegenwärtigen innern und äussern Gestaltung auf ihn gemacht hat, in den Hauptzügen zu skizziren, mit besonderer Rücksichtnahme auf die einflussreichern literarischen Erscheinungen. Mögen Andere die Geschichte der Bewegung in andern Provinzen und Ländern einer gleichen genauen Betrachtung unterwerfen und auf diese Weise bearbeiten und Materialien liefern zu einer spätern umfassenden geschichtlichen Würdigung der Reform!

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Es ist vor Kurzem die Ansicht aufgestellt worden, dass das Trierer Ereigniss und die durch den Ronge'schen Brief Luft und Nahrung bekommene (sic) Entrüstung über dasselbe binnen wenigen Jahren vergessen worden und verraucht wäre ohne einen weitern Erfolg, als etwa den Uebertritt einiger hundert oder tausend freisinniger Katholiken zum Protestantismus zu Wege gebracht zu haben, dass man jenseits der deutschen Berge über das Rasseln mit den römischen Ketten nur gelächelt und gespöttelt, und das deutsche Volk immer enger

und fester durch dieselben einzuschnüren versucht hätte, wenn nicht zu derselben Zeit ein zweites Wittenberg sich aufthat.” Hier habe eine geringe Zahl wenig bemittelter Personen, die nur oberflächlich durch Zeitungsnachrichten von dem Trierer Rock etwas wussten, dem mächtigen Rom den Gehorsam aufgekündigt und den Weg gezeigt, um die Entrüstung zur That werden zu lassen, der Ronge'sche Brief sey durch die von ihm hervorgerufene allgemeine Entrüstung nur ein Mittel gewesen, dem Schneidemühler Ereigniss Leben und Kraft zu verleihen. (Romberg, Konsistorialrath und evangel. Pfarrer in Bromberg, die neuesten Bewegungen in der katholischen Kirche, Berlin, Posse, Bromberg 1845. S. 19 ff.) Wir sind ebenso weit entfernt, die Bedeutung jenes Ereignisses zu verkennen, als die des Ronge'schen Briefes zu überschätzen, wir müssen aber entschieden bestreiten, dass Czerski's Abfall irgend ein Impuls für die Breslauer Bewegung gewesen sey, wie ja auch sein Verhalten und sein Standpunkt in keiner Weise einen Einfluss auf die Richtung und Entwicklung dieser ausgeübt hat, deren Quellen und Ursachen lediglich in eigenthümlich Schlesischen und Breslauer Verhältnissen zu suchen sind.

In Schlesien war schon durch Theiner's,,Katholische Kirche Schlesiens" im J. 1826 eine Reihe von Uebelständen und Missbräuchen aufgedeckt worden, welche die Nothwendigkeit durchgreifender kirchlicher Reformen jeden Unbefangenen erkenuen liessen. In Folge dessen wandten sich mehrere Pfarrer, unter ihnen der jetzige Domherr Neukirch, in einer Vorstellung an den Fürstbischof, in welcher sie namentlich um Einführung eines allgemeinen Diözesangesangbuches, um gänzliche Abschaffung der lateinischen Sprache bei den gottesdienstlichen Verrichtungen, um gänzliche Umarbeitung des Missals und völlige Umwandlung des Rituals baten. Unmittelbar darauf wurde diese Schrift unter dem Titel: Erster Sieg des Lichts über die Finsterniss in der kathol. Kirche Schlesiens" veröffentlicht und erweckte durch die Freimühigkeit und Anspruchslosigkeit in der Darstellung der Beschaffenheit des kathol. Kultus und der Bedürfnisse des kathol. Volks den allgemeinsten Anklang und die schönsten Hoffnungen. Das unter dem 18. Jan. 1827 dagegen erlassene bischöfliche Schreiben lieferte aber einen neuen Beleg für die Starrheit und Unverwüstlichkeit der römischen Hierarchie und ihrer egoistischen, jeder Konzession an die Be

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dürfnisse, den Geist und die Bildung der Zeit feindlichen Tendenzen. Obgleich der Kommentar, mit welchem dieser Erlass veröffentlicht wurde, in der Schrift:,,Merkwürdiges Umlaufsschreiben des Fürstbischof von Breslau u. s. w. Hannover 1827." die Blössen und Schwächen desselben klar aufdeckte und den reformatorischen Bestrebungen zahlreiche Anhänger gewann, so scheiterte doch der Fortgang und die Ausführung der Angelegenheit besonders an dem Schutze, welchen die Regierung dem Fürstbischof gegen die Neuerer bewilligen zu müssen glaubte. Eine Immediateingabe von katholischen Pfarrern und Laien bei Sr. Majestät dem Hochseel. Könige, worin dieser um Vermittlung und Einschreitung zu Gunsten der Reform gebeten wurde, blieb trotz der dringenden Verwendung und Bevorwortung des Oberpräsidenten v. Merkel ohne Erfolg und die kirchliche Bewegung wurde unterdrückt. Nachhaltig aber und dauernd war die Erkenntniss so mancher Gebrechen und Uebelstände in der kathol. Kirche, sowie der Nothwendigkeit ihrer Beseitigung, und je unabweislicher diese Erkenntniss war, in desto ungünstigerem Lichte musste die kirchliche Behörde erscheinen, nicht nicht blos bei einzelnen Geistlichen und Laien, sondern bei allen jenen Gemeinden, welche sich für zeitgemässe Reformen, namentlich für Einführung der Muttersprache bei allen gottesdientlichen Handlungen ausgesprochen hatten, und zwar um so dringender und entschiedener, als sie in Folge der vorläufigen Anordnungen ihrer Seelsorger der Segnungen eines verständlichen und wahrhaft erbauenden deutschen Gottesdienstes bereits theilhaftig geworden waren. Wurde hier die Unvereinbarkeit der Hierarchie mit der Zeit und ihren Bedürfnissen, und das Unwürdige jener Politik recht fühlbar, welche das geistige Leben in die Schranken eines starren Systems bannt und den Glauben des Einzelnen an ein unwandelbares Subordinationsgesetz bindet, so mussten die folgenden Ereignisse jener Verstimmung und dem Misstrauen in Beziehung auf das Beseligungsmonopol der katholischen Kirche reiche Nahrung und weitere Verbreitung verschaffen. Der Streit über die gemischten Ehen, die Starrheit und Konsequenz, womit die Hierarchie jetzt wieder an dem Dogma von der alleinseligmachenden Kirche festhielt, welches längst schon durch die Bildung und Toleranz der Neuzeit seinen Stachel und seine praktische Bedeutung verloren hatte, die traurigen Konflikte, welche diese Politik in allen Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft bis

in die Familien hinab hervorrief, die Polemik der schlesischen Ultramontanen, das Schicksal des Fürstbischofs Sedlnitzki und die mit den Landesgesetzen unvereinbare Administration der kathol. Kirche Schlesiens während der Vacanz des bischöflichen Stuhls, der durch die Falk'sche Predigt angeregte Streit über das Seligkeitsdogma (siehe diese A. L. Z. Septb. 1845 Nr. 211, auch Juli 1845 Nr. 159 fg.), diess Alles schon hätte hingereicht, um der grossen Zahl humaner, toleranter und loyaler Katholiken über die Tendenzen und Zwecke der Hierarchie die Augen zu öffnen, auch wenn ihnen die übereinstimmenden Bestrebungen und Machinationer derselben in andern Provinzen und Ländern entgangen seyn sollten. So war auch in Schlesien ein gewaltiger Zündstoff angehäuft, als in Trier das Schauspiel der Rockfahrt aufgeführt wurde, jene grossartige Verhöhnung des gesunden Menschenverstandes, sowie der Sitte, Kultur und Aufklärung unserer Zeit. Da erschien Ronge's kräftige, kühne Epistel an Arnoldi und rief die allgemeinste Begeisterung hervor, nicht durch die Neuheit und den Reichthum der Gedanken, sondern als Ausdruck des allgemeinen Bewusstseyns. Diesem zuerst Worte verliehen zu haben, ist Ronge's unbestreitbares Verdienst, das ist ist seine That!

Die Verbreitung dieses Briefes in Hunderttausenden von Abdrücken, die Fluth von Adressen und Ehrengeschenken, welche dem muthigen Priester von allen Seiten her übersandt wurden, der stürmische Beifall und die immer mehr steigende Aufregung in allen deutschen Gauen, diess war das charakteristische Gegenbild zu dem Trierer Schauspiel, eine bedeutungsvolle Manifestation des freien, lebendigen Geistes und Bewusstseyns der Gegenwart gegen die mittelalterlichen Gelüste und den Despotismus der Hierarchie!

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In diesem ersten Stadium der Bewegung, dem der Adressen, war Ronge nothwendig der Mittelpunkt, der Held des Tages, daher wurden von römisch-katholischer Seite her, auf den Kanzeln, in Brochüren und Zeitschriften, alle Angriffe, alle Waffen gegen die Person des abtrünnigen Priesters gerichtet, und man kann besonders dem schlesischen,,Kirchenblatte" und den übrigen Organen der wahrhaft guten Presse das Zeugniss nicht versagen, in der Verdächtigung von Ronge's Charakter, Gesinnung und Sittlichkeit, in der Verunglimpfung seines bisherigen Lebens und Wirkens die unverdrossenste und angestrengteste Thätigkeit entwickelt zu haben. (Vergl. auch: Strzybuy, die

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