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,,wohin die Glücklichen sich wenden sollen, welche anfangen, im frommen Gemüth zu ahnen, daß es außer der Weltweisheit und Pflichtenlehre wohl noch Etwas geben müsse, durch dessen Macht Speculation und Moral in Verbindung gebracht" (oder vielmehr aus dem Innern des Gemüths entwickelt) werden können; dies Alles durchschaut nur der Geist des Universums, und er wird auch_Rath_schaffen.“ Sicher wird er das, und hat es zum Theil schon gethan. Jede Verirrung muß erst ihren höchsten Grad erreicht haben; man mußte zu der Behauptung kommen, zur Religion sey ein Gott nicht erfor derlich; man mußte Wunder erst auf eine Art natürlich erklären, die noch größere Wunder voraussetzt, ehe sich die Religion von den Fesseln einer hyperspe= culativen Philosophie losriß und sich einfältig an die Bibel als Gottesoffenbarung hielt,

Allerdings ist auch das Christenthum in einem gewissen Sinn perfectibel. Aber die Perfectibilität geht nicht im Aeußeren vor, daß wir etwa Mehr als unsere Offenbarung, oder gar eine andere håtten und gutmüthig lächelnd auf die Bibeloffenbarungen wie auf Kinderfabeln hinsehen könnten. Sie geht im Innern und bei einzelnen Menschen vor. Die echten, weitgekommenen Mystiker und Christen beweisen die hohe Perfectibilitåt des Christenthums; subjective Erkenntniß des

Christenthums und die objective Erfahrung selbst sind sehr verschieden; die Erstere ist sehr perfectibel, aber die Lehtere nicht; es verhält sich mit ihr gerade wie mit der Natur; fie bleibt, was sie ist; aber ihre Erkenntniß hat keine Grenzen, wenigstens bis jeht nicht gefunden; denn wir entdecken mit jedem Jahre noch Neues in `ihr;~ je mehr sie der Mensch studirt, desto Mehr findet er in ihr und hat er an ihr. Der einfachste, ungebildetste Mensch kann sie nußen, sich ihrer freuen, erkennt Manches von ihrem Gang und ihrer Natur; sie gibt aber auch dem tiefsten Forscher Gegenstände zum Nachdenken; er entdeckt immer mehr Dinge, Verhältnisse, Tiefen, die er nicht geahnet hatte, und auch sie behält für ihn Geheimnisse, die er nicht durchschauen kann. Wenn Sie in Ihren Naturbeobachtungen fortfahren, so werden Sie es sicherer finden, als ich es Ihnen darlegen kann. Herzlich freue ich mich, daß Ihnen Treviranus Biologie zugeschickt worden ist. Neben allem Klaren, Entwickelten, was sie hat, zeigt sie uns doch die Mystik der sichtbaren Natur, die eine Mystik der unsichtbaren wahrscheinlich macht. Ich hoffe Ihnen mehr darüber sagen zu können.

Lassen Sie es sich übrigens bei der Lecture des lehrreichen Buchs wohl seyn.

Zwei und dreißigster Brief.

A n denselben.

Sie fragen mich, ob denn die Myftiker. Nichts über das höchste Gut bestimmen, was sie dafür halten, und ob es mit dem höchsten Gut der Griechen übereinstimme, oder worin es davon ver schieden sey. Sie meinen, das Idealisiren eines höchsten Guts liege so ganz in dem Bezirk der Mystik, daß es von ihren Verehrern wohl nicht übergangen werden könne. Ob es denn nicht idealischer als das griechische sey? Viele Fragen auf einmal, auf die verschieden geantwortet wêrden muß.

Sie wissen vielleicht aus Ihren früheren philologischen Uebungen, daß die Alten gar verschiedene Meinungen über das höchste Gut hatten. Sie wissen auch, daß in späteren Zeiten darüber gespottet wurde, wenn man nur von einem höchsten

Gute redete. „Le souverain bien n'existe pas plus, que le souverain carré, ou le souverain cramoisi," sagt Voltaire, unter dessen Feder Alles, was sich dem Religiösen nahete, Gegenstand des Spottes ward. Aristipp erklärte Lust in Bewe= gung, freies Ueberlassen seinen Lüsten, Epikur bleibende, ruhige, mit Besonnenheit und Mäßigung ausgeübte Lust, jede Art von Genuß umfassende Wollust, die Stoiker Weisheit und Tugend, und in Beiden den höchsten, allein des Menschen würdigen Genuß für das höchste Gut. Die Lehteren sprechen in gar erhabenen Ausdrücken von sich und ihrer Lehre. Der Weise (das ist der Stoiker) ist ihnen ein Gott, über das Schicksal und über Alles erhaben. Er kann durch Nichts beunruhigt werden, weil Weisheit und Tugend ganz und allein von ihm abhångt, und weil diese die einzigen Güter find, die diesen Namen verdienen. Daß Aristipp und Epikur die Menschheit erniedrigen, indem der Erstere siè zu Thieren, der Andere zu besonnenen, aber ganz egoistischen, blys Genuß berechnenden Roués macht, sehen Sie leicht. Wie brauchte ich Ihnen das zu beweisen? Aber daß auch die Stoiker, trok ihrer übererhabenen Sprache, das höchste Gut nicht gefunden haben, ist leicht zu zeigen. Ich will Ihnen die Worte Boost's abschreiben, der eine treffliche kleine Schrift über das höchste Gut geschrieben

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hat, von der dieser Brief zum Theil ein Auszug ist.,,Indem der Stoiker Alles, was von Affecten herrührt und mit Affecten zusammenhångt, von seinem höchsten Gut ausscheidet, ja so weit geht, die Freuden der Tugend selbst nicht zugleich als Bestandtheile desselben gelten zu lassen, vergißt er, daß nicht die Menschheit in der Tugend, sondern die Tugend in der Menschheit aufgehe, in ihr wurzele. Sein Wesen ist ein Gott, aber ein Gott, über den sich die Menschheit erbarmen möge. Er fürchtet nicht, weil er nicht hofft; er haßt nicht, weil er nicht liebt; er trauert nicht, weil er sich nicht freuet; er hat Alles, weil er Nichts verlangt. Er ist Feldherr, König, reich, schön, weil ihm Alles gleichgültig ist." Sollte man glauben, daß ein Mensch so wenig Mensch seyn könne, um mit Epictet zu sagen:,,Was klagst du über einen verstorbenen Freund? Suche dir einen andern. Wer wird über einen alten Topf klagen, wenn er zerbricht? -Man geht auf den Markt und kauft sich einen neuen." Oder gar:,,Krieg und Pest sind unbedeutend; denn wer wird sich Etwas daraus machen, wenn Tausende von Ochsen und Schafen fallen, oder tausend Schwalbennester zerstört werden?" Mit Recht sagt Boost: Wie in der Kälte des cyrenaischen und attischen Weisen alle Tugend, so muß in der stoischen alle Liebe absterben.“

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