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Reinheit, das Gott in ein solches Wesen eingedrückt hat. Gemeine Christen nahmen es für falsche Demuth, die es auf einer niedrigen Stufe auch seyn kann, weil dann die Menschen einzelne Fehler nicht bekennen wollen, sondern sich mit dem allgemeinen, oft übertriebenen Bekenntniß ihrer Sündhaftigkeit begnügen. Auf einer höhern Stufe ist es aber Wahrheit. Die Menschen verachten ein solches Wesen, nicht, als ob sie ei

nen Fehler an ihm sähen, sondern weil es nicht mehr wirkt um sich her wie sonst. Daher denn der Vorwurf von Müßiggang, Hånde in den Schooß legen, Quietisinus c.

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S. 84. Die entblößende Gnade greift hauptfächlich die allergeheimsten und verborgensten Schäden an, gewisse Lieblingseigénheiten, welche die Natur sorgsam nährt und pflegt, welche den Leuten nicht als Fehler vorkommen, sondern viel mehr als Tugenden, so daß, wenn man sie verliert, man zu verlieren scheint an der Tugend.“ (Wie wahr von der Werkheiligkeit, Selbstbespiege lung, von dem Zutrauen auf eigenes Verdienst, überhaupt von dem feinen Pharisäismus unserer Zeit!)

S. 88. Nachdem die Seele Alles verloren, soll sie auch nun noch sich selbst verlieren, indem fie gänzlich verzagt an den Geschöpfen und an sich selber, (deutlicher, das Beste, was sie noch in sich

hatte, die Nähe Gottes, wie das Folgende zeigt.) Das Gebet ist während dieses Standes sehr peinlich. Da die Seele den Gebrauch ihrer Kräfte verloren, da überdies ein gewisser innerer, in den Tiefen ihres Grundes verborgener, unaussprechlich süßer Friede, der ihr zur letzten Stüße diente, ihr von Gott entnommen worden, so irrt sie umher gleich verwaisten Kindlein u. s. w." (War nicht unser Herr in ähnlicher Lage, als er am Kreuz rief: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen ?)

S. 98. Nachdem der Strom sich endlich in das Meer ergossen, unterscheidet er sich noch eine Zeit lang von dem Meere auf eine wahrnehmbare Weise. Die Farbe seiner Gewässer ist eine andere;. die Bewegung seiner Wellen eine andere. Also behält auch die Seele, nachdem sie in Gott aufge= nommen worden, zu Anfang noch eine gewisse Eigenthümlichkeit; allmählig aber verliert sie Alles, was sie Eigenes hat, und wird nur Eins mit Gott. Gleichwie der in das Meer ausgeflossene Strom das eigene Seyn verliert, um das Seyn des Meeres anzunehmen; also verliert auch die Seele das Menschliche, um sich in das Göttliche zu verlieren, welches von nun an ihr Seyn und Bestehen wird, nicht auf wesentliche, sondern auf mystische Weise." (,,Ich lebe, aber nicht ich, sondern

Christus lebt in mir" u. f. w. Gal. 2, 19. 20.) Die Vollendung des Christen, der mit Gott durch Jesus zusammengeflossen ist, beschreibt sie S. 113. ,,Der Strom ist zu seinem Ziel gelangt. Er ist zurückgeflossen in das heimathliche Meer. Er schlägt keine Wellen mehr, kennt keine Ufer mehr. Er breitet sich aus nach seinem Wohlgefallen, zwanglos und fessellos, in des Meeres schrankenlosen Weiten. Er steigt mit dem Meere und sinkt mit ihm. Er wogt mit dem Meere und ruht mit ihm. Er theilt des Meeres Tiefe und Fülle. Er theilt seine Unergründlichkeit und Unermeßlichkeit und Unerfchöpflichkeit. Glückseliger Strom! Dich selbst verlorest du und gewannst Alles. Du gabst auf das eitle Streben nach dem Selbstbestehen und nach der Selbstgenügsamkeit, kehrtest zurück zu deinem Urgrunde und wurdest der Urgrund selber.“ (Sie sehen, die Ausdrücke sind nicht abgemessen, sondern aus der wärmsten Empfindung geflossen.) ,,Sie kannte nicht genug den theologischen Werth ihrer Ausdrücke, (sagt Fenelon), noch die Strenge, womit man in der Folge die Sprache der Mystiker prüfen würde, nach Erfahrung des Mißbrauchs, den manche Heuchler davon machten. Man sagt unaufhörlich, daß auch die bewährtesten Mystiker übertrieben gesprochen hätten; man behauptet sogar, daß der heilige Clemens und mehrere der vor

züglichsten Båter in Ausdrücken gesprochen haben, die vieler Verbesserung bedürfen. Warum will man denn, daß eine Frau allein nicht übertreiben dürfe? Warum soll Alles, was sie sagt, nur den Zweck haben, ein System zu gründen, das man verabscheuen muß?" Ich sehe hinzu: Wem ist es auch je eingefallen, einen Erguß der innigsten Liebe wie eine Dogmatik zu beurtheilen? Oder was sagt man zu dem Worte des heiligen Augustinus: „Der Mensch ist, was seine Liebe ist. Liebst du Erde, so bist du Erde. Liebst du aber Gott was foll ich sagen? so bist du Gott!" Darum hat Augustin alle Gottliebende zu so viel Personen der Gottheit erheben wollen? ! daß man eine Rafaelische Verklärung mit dem Lineal ausmessen will!

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S. 120.,,Die Seele kann in diesem Zustande die Tugend nicht als Tugend üben. Sie kann sie nicht einmal wahrnehmen und unterscheiden. Es find die Tugenden ihr, so zu reden, alltäglich und ganz natürlich geworden, so daß sie sie übt, wie fie die Geschäfte des leiblichen Lebens verrichtet, ohne daran zu denken, und ohne sich erst zu dem Ende zusammen zu nehmen." Wahre Beschreibung des eigentlich Wiedergebornen!,,Wer aus Gott geboren ist, der sündigt nicht. Er kann nicht fündigen, denn er ist aus Gott geboren!" Sein ganzer Sinn und Geschmack hat sich geån

dert. Jede Sünde ekelt ihn an. Gutes zu thun, ist ihm so natürlich worden wie das Athmen. Er würde durchaus nichts Böses thun, und wenn es auch Gott erlaubt; er würde nichts Gutes unterlassen, wenn es auch Gott nicht befohlen hätte. Denken Sie nur daran, was ein Weltmann, der bekannte Prinz von Ligne in einer gewissen Ahnung des moralischen Sinnes sagt:,,Wen es Et= was kostet, tugendhaft zu seyn, der ist übel ge= boren (mal né.) Ich verstehe nicht, daß es eine Tugend ist, tugendhaft zu seyn.“ Zu råthselhaft ausgedrückt, statt gut zu seyn. Aber sehr wahr!

S. 121.,,Diese Seelen" (aus dem apostolischen Stande, wie sie die Guyon nennt) find ganz gemein im Auswendigen und haben Nichts, was sie von Andern unterscheidet, es wäre denn dies, daß sie überaus harmlos und einfältig sind und keinem Menschen zu nahe treten. Ihr Aeußeres hat nichts Absonderliches; daher sie denn auch sehr wenig gekannt werden." (Also fern von allem schwärmerischen Wesen, von aller Frömmelei, Pietisterei, von allem geistlichen Stolz.),,Sie tragen in sich eine unermeßliche, jedoch unfühlbare Freude, welche daraus entspringt, daß sie Nichts fürchten, Nichts verlangen, Nichts wollen. Sie bes finden sich in einer immerwährenden Entzückung. Dies ist aber für sie kein gespannter oder peinlicher

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