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schreckliche Lage kennt, der wird in Fenelons Darstellung nichts Uebertriebenes finden. Aber welche Freimüthigkeit, dem eitlen, stolzen, überall vergöt terten Ludwig solche bittere Wahrheiten und so derb zu sagen! In seinem Testament wiederholt er, daß er der allgemeinen (katholischen) Kirche und dem heiligen Stuhl alle seine Schriften unterwerfe und Alles verdamme, was ihm über die wahren Grenzen entgangen seyn sollte. Nur sey er es seinem bischöflichen Charakter schuldig, darauf zu bestehen, daß man ihm keinen Irrthum gegen den wahren Glauben und keinen Theil an einer verdächtigen Schrift vorwerfen könne. Ruhig, mit beständigem Blick auf Gott, wie er gea lebt hatte, starb er auch, nachdem er, in jedem Sinne des Worts, fein Haus bestellt hatte.

Von Allem, dessen man die Mystiker beschuldigte und beschuldigt, war der so häufig (des: Mysticis mus beschuldigte Fenelon das gerade Gegentheil. Man wirft ihnen vor, daß fie unthätig Alles nur von der Gnade erwarteten; und Niemand war thätiger als er. Keine Stunde feines Lebens, wo er wachte, war er müßig. Selbst seine Effenszeit und seine Spaziergänge machte er lehrreich. Man tadelt an ihnen einen gewissen Stolz und Eigenfinn. Aber wer war demüthiger, nachgebender, kindlicher als Fenelon, der von der Kanzel öf

fentlich seine eigene Schrift verdammte, weil sie von dem påpstlichen Stuhl verdammt worden war, dem er als guter Katholik sich unterwerfen zu müssen glaubte? Man beschuldigt sie, daß sie sich zu sehr auf ihr sogenanntes inneres Leben beschränkten und darüber das äußere hintanseßten. Aber wer hat mehr nach außen hin gewirkt als Fenelon in seinem Berufe, als Priester, als Erzbischof, als Erzieher eines talentvollen Prinzen, als Schriftsteller, als Beichtvater und als Freund seiner Freunde? Man sagt von ihnen, fie ziehen den Menschen zu sehr von der Welt ab, in der er doch leben, wirken und gebildet werden sollte.

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Aber

wer war mehr in Weltgeschäfte verwickelt, mehr in die verwickeltsten gezogen, ohne Etwas von seiner kindlichen Einfalt zu verlieren, als Fenelon? Man wirft ihnen vor, daß ihre Liebe sehr finnlicher Natur sey, ob sie gleich nach ihrem allgemeinen Bekenntniß von der Liebe zu Goft ausgeht, die ihrer Natur nach nicht sinnlich seyn kann. Aber wo und wann hat sich je Etwas von finnlicher Liebe in Fenelons Leben gezeigt? Und verråth man wahre christliche Liebe, wenn man Jemand ohne allen Grund des Hanges zu finnlicher Liebe beschuldigt? Es wäre die årgste Låsterung, wenn man der Freundschaft Fenelons zu der Guyon eine finnliche Tendenz geben wollte, da die såmmtlichen

zu Saint Germain-en-Laye versammelten Bis schöfe, nachdem sie das Leben der Guyon auf das strengste untersucht hatten, ihr das Zeugniß gaben, daß ihre Sitten rein seyen, und dabei erklärten, daß von den Abscheulichkeiten, die man als Folge ihrer Grundsätze ansah, nie die Rede war, sons dern daß sie immer ihren Abscheu dagegen bezeugte. Auch stellen sich alle die selbst an den Pranger, die es merken lassen, daß es keine Freundschaft zwi schen einem männlichen und weiblichen Wesen ohne Sinnlichkeit gebe.

Die Freundschaft, die Fenelon kannte, beschreibt er in einem Briefe an den Herzog von Bourgogne: "Die göttliche Freundschaft," sagt er, ist nicht immer gefühlvoll und leidenschaftlich, aber sie ist wahr, traulich, treu, beständig und kräftig. Sie hat auch ihre Zärtlichkeiten und Entzückungen. Eine Seele, die Gott angehörte, würde nicht mehr ausgetrocknet und eingeengt seyn durch die falschen Delicatessen und wunderlichen Verirrungen der Eigenliebe. Die Liebe würde Alles tragen, Alles dulden, Alles hoffen für den Freund. Die Liebe würde alle Schwierigkeiten überwinden. Aus dem Innern des Herzens würde sie sich in den Sinnen verbreiten. (Und wie?) Sie würde gerührt wer= den von Anderer Leiden und für Nichts rechnen die ihrigen? Sie würde trösten, sich gleich machen,

klein machen mit den Kleinen, sich aber erhe ben mit den Großen. Sie würde weinen mit den Weinenden und froh seyn mit den Frohen. Sie würde Allen allerlei seyn, nicht durch einen gezwungenen Schein und eine trockene Demonstration, sondern durch die Fülle des Herzens, in dem die göttliche Liebe eine lebendige Quelle seyn wür-de für die zårtlichsten, stärksten, angenehmsten Gefühle. Nichts ist so trocken, so kalt, so eng als ein Herz, das sich allein in allen Dingen liebt. Nichts ist so zärtlich, so offen, so lebendig, so sanft, so liebenswürdig und liebend als ein Herz, das die göttliche Liebe besißt und liebt."

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Fragen Sie sich nun selbst, ob eine solche Liebe Etwas gemein mit finnlicher Liebe habe. Dann wåre Paulus der årgste Lüstling gewesen; doch, Sie fragen nicht.

Ein und zwanzigster Brief.

A n denselben.

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Erlauben Sie mir, daß ich Sie heute mit einer Mystikerin bekannt mache, die der treffliche Fenes Ion, so lange er sie kannte, seiner Freundschaft gewürdigt hat, und die ihrer auch würdig war. Sie können aus ihr den Geist der wahren Mystik sehen, besser als ich ihn darstellen könnte. Zugleich haben Sie den Vortheil, daß Sie mit eige= nen Augen sehen, mit eigenem Kopfe prüfen können. Ein Stück aus ihrer Lebensgeschichte kann Ihnen zugleich zeigen, wie sich ihr Sinn und Glaube in Thaten gezeigt hat.

Jeanne Marie Bouviére, vermählte de la Motte Guyon, war sehr reich geboren, sehr jung verheirathet und im acht und zwanzigsten Jahre Wittwe. Sie zeichnete sich nun vor andern Damen ihres Standes durch ihre Eingezogenheit, ihre

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