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Wahrheiten haben. Man kann nåmlich ein großer Gelehrter, Sprach- und Alterthumsgelehrter seyn, ohne darum ein philosophisches System übersehen und beurtheilen zu können. Man kann noch eher ein tiefer, scharfsinniger Philosoph seyn, ohne darum Shakspeares Philosophie zu verstehen, oder an Ossians Natur- und Heldengemålden Geschmack zu finden. Der größte Mathematiker mag vielleicht Gluk's Iphigenie oder Hendels Messias nicht hören. Sind nun solche einseitig organisirte oder gebildete Menschen bescheiden; kennen sie sich ge= nug, um zu wissen, wofür sie Sinn haben, und wofür ihnen der Sinn fehlt; so sagen sie offen: mir ist diese oder jene Ansicht, diese oder jene Schrift nichts; Musik, Malerei, Poesie ist meine Sache nicht, und Niemand hat etwas dagegen einzuwenden. Aber wenn sie wähnen, sie verstån= den den hohen Geist, oder das zart und tief Gemuthliche einer Schrift, weil sie den Buchstaben derselben vielleicht besser als hundert Andere verstehen; wenn sie über dies tief Gemüthliche, als über Schwärmerei oder Unsinn absprechen, weil sie keinen Sinn dafür haben; wenn sie innere und aus dem Innersten gegebene Erfahrungen leugnen, weil sie von diesen Erfahrungen nichts wissen; so sind sie nicht weiser, als jener Taubgeborne, der nicht begreifen konnte, daß vibrirte Saiten gewisse Töne von sich gåben,

und dem Tonkünstler sagte: Faites moi vos sons visible, ou je doute à leur existence." So gut Mangel des Gefichts bei dem zartesten Tonsinn bestehen kann, so gut man blind und ein Dülon seyn kann; so gut kann Gelehrsamkeit, philosophischer Scharffinn bei Stumpfheit des Gefühls bestehen; aber Dülon müßte sich nicht anmaßen, eine Madonna von Rafael zu beurtheilen. Und eben so wenig follten bloße Sprach- und Buch-= staben - Gelehrte über Aeußerungen des tiefsten Gemüths urtheilen oder sie gar verurtheilen, weil ihnen der Sinn dafür fehlt. Dies gilt von keinen Aeußerungen mehr, als von so vielen Aeußerungen der Bibel. Sie ist nicht für den Sprachforscher, den Philosophen, sondern für das Tiefste, Heiligste unseres Gemüths, für das Innerste, wo Denk und Gefühlvermögen noch. Eins ist, für den religiösen Sinn. Der Sprachgelehrte kann uns den buchstäblichen Sinn mancher Stelle verständlich machen; der Philosoph kann eine Theodicee aus den Aeußerungen der Bibel construiren, wenn er noch kindlich genug ist, das Gegebene wieder zu geben, also nicht Menschen und Gott-sehen will. Aber ohne religiösen Sinn wird er nie verstehen, was dem religiösen Sinn allein gegeben ist. Eine Zeitlang konnt' ich nicht begreifen, wie manche tiefgelehrte Exegeten

manche tiefe, heilige Stellen der Bibel so verdrehen, verwässern, zu einer Alltagsphrase herabdeuteln konnten, um nur irgend einen Sinn darin zu finden. Ich begriff's aber, so bald ich sie ge= sehen, persönlich kennen gelernt hatte. Trockene, eiskalte, zerstudirte Gesichter, grobsinnliche, mit Fleisch überwachsene Physiognomieen oder vielmehr Unphysiognomieen, von Stolz und Eitelkeit aufgeblasene Figuren, ohne Theilnahme, ohne eine Spur von feinem Sinn! Freilich diesen Gesichtern hått' ich auch nichts aus dem Innersten meines Wesens geben können, weil ich voraus gewußt hätte, daß sie es nicht verständen. So konnte sie auch Paulus und Johannes nicht an= sprechen. Sie hätten dem Laubgebornen oder Laubgewordenen Musik machen, dem Blinden eis nen Sonnenaufgang zeigen wollen. Ich verstand nun, wie weit die Eregese dieser Männer reichen konnte, daß es ihnen wie Luthern ging, wenn er all die reinen und unreinen Thiere jener Gegend vorführen, oder uns den Pußtisch einer israelitischen Kokette commentiren wollte. Er verstand selbst nichts von jenem Put. Wie oft fällt mir bei manchen unserer gelehrten Eregeten das Wort Scaligers ein: non omnibus datum est, habere

nasum!

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Dritter Brief.

An denselben.

Ich hab' Ihre Frage vorausgesehen, verehrter Mann, Sie sprechen mir so viel von Mystik und Mystikern, ohne mir bestimmt zu sagen, was denn eigentlich Mystik sey, die man, wie Sie selbst am Ende Ihres lehten Briefs bemerken, so verschieden ansieht und so sehr ungleich würdigt. Was ist denn eigentlich Mystik? Ich frage nåmlich nicht, wie sie der blos trockene Denker, und wie sie der enthusiastische Kopf beschreibe, sondern wofür Sie sie halten.

Vor allem erlauben Sie mir die Bemerkung, daß man gewisse Erscheinungen und Menschen am besten durch ihre Umgebungen und Aeußerungen kennen lernt, daß man am besten darauf achtet, wann, wo, und auf welche Art sie sich entwickeln, wie sie wirken, um zu erfahren, was

fie sind. Dies gilt am meisten von tiefen, verschlossenen Menschen, von sonderbaren, ausgezeich= neten Erscheinungen. In die innere Natur dringt man nicht leicht und bald; man muß auf Zeit, Ort, Personen oder Dinge, auf Art ih= rer Wirkungen achten, um Etwas von ihrer Natur zu verstehen. Wenn man darauf merkt, in welchen Gegenden starke Gewürze oder blühende Früchte wachsen, was ihr Genuß wirkt, und wie er wirkt; so ist man der Erkenntniß ihrer Natur schon nåher gekommen. Hat man entdeckt, daß Löffelkraut am häufigsten wächst, wo Klima und Lebensart viele scorbutische Säfte erzeugen, so versteht man schon Manches von dem Eigenthümlichen dieser wohlthätigen Pflanze. Ohne das Eigentliche, Tiefe der Mystik zu kennen das blieb wohl dem sonst so gelehrten Henke verborgen hat er sie doch schon gut charakterisirt durch die Bemerkung, daß zu einer gewissen Zeit nur in ihren Schriften noch Religion zu finden gewesen sey. Etwas Alltägliches, blos Phantastisches konnte sie also doch nicht seyn. Sie verstehen mich!

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Mystik, das sagt, wie Sie wissen, das Wort schon! bezieht sich auf etwas Verborgenes; ist Erkenntniß-Lehre von etwas Verborgenem. So Etwas findet sich in Allem, was uns umgibt.

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