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eigenen Hand getreulich beschrieben, gefolgt von andern Lebensbeschreibungen und unedierten Briefen, gesammelt, herausgegeben und dem Rath und der Bürgerschaft von Rotterdam gewidmet von Paulus Merula, Leiden 1607 (bei Basson)".')

Er berichtet in einem Brief an Otto Werckmann, der hinter der Widmung an die fürsichtigen Herren von Rotterdam abgedruckt ist, dass er von demselben den lang gehüteten und von Vielen sehnlichst begehrten Schatz, die Autobiographie des Erasmus, erhalten habe, welche dieser im Jahre 1523 geschrieben und an seinen Freund Goclenius, Professor in Löwen, gesandt hatte.

Schon einige Jahre früher hatte der Leidener Professor Merula wohl bei seinem Freunde Peter Scriverius 2) und den Brüdern Lydius einige Abschriften (exscripta) dieser Schrift gesehen; aber es war ihm ein Genuss, nunmehr das Autograph zu betrachten.

Nach einer Abschweifung auf seinen Plan zurückgekommen, behauptet Merula die kurze Lebensbeschreibung haben drucken zu lassen, wie sie ihm durch Werckmann war zugestellt worden: so wurde denn, auf den Wunsch seines Freundes, in den Besitz Vieler gebracht, was viele Jahre lang in der Bibliothek eines einzigen Mannes gelegen hatte. Um nun ein richtiges Buch daraus zu machen, fügte er einige unedierte Briefe des Erasmus hinzu, unter diesen einige aus seiner eigenen Bibliothek. „Denn noch in diesem Alter", fährt er fort, leide ich an der Manie, wenn sie diesen Namen verdient dass ich, wie ich eine grosse Menge Autographen von Kaisern, Königen und Fürsten besitze, so auch diejenigen von Koryphäen der wissenschaftlichen Welt zu sammeln bemüht bin."

Er that diess zu seiner eigenen Ergötzung und Erfrischung, zur Anspornung für seine Söhne u. s. w. Jeder vermag wohl zu ergänzen, was ich hier weglasse.

1) Die Stadtbibliothek von Rotterdam besitzt ein Exemplar dieses Buches. Der Leser sieht, dass diese und andere Anführungen aus dem Lateinischen übersetzt sind. 2) Scriverius steht am Rande der Editio princeps hatte eine Abschrift, die von Theodorus Poelmann nach dem Autograph gemacht war, das seiner Anmerkung zufolge sich bei Henricus Coracopetra befand. Pulmann oder Poelmann, ein Gelehrter aus Kranenburg, der in der Mitte des XVI. Jahrhunderts lebte, ist bekannt; aber Coracopetra (womit gewiss ein Ravesteijn gemeint ist) weiss ich nicht unterzubringen. Wer klärt mich auf?

Dass Merula sich selbst und die Welt

nicht betrog, wenn er so sehr von Sammeleifer erfüllt war, geht zum Ueberfluss noch aus der im Jahr 1607 zu Rostock durch Prof. Joh. Kirchmann gehaltenen Leichenrede hervor, worin er seinen frühern Leidener Collegen nicht nur eine lebende (wandelnde) Bibliothek nennt, sondern auch aus seinem eigenen Munde gehört zu haben versichert, dass er über den Zustand der Niederlande und den spanischen Krieg ungefähr 36,000 Schriftstücke und Dokumente, zum Theil gedruckt, zum Theil in Handschrift, gesammelt habe. 3)

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Es verräth vielleicht wenig Ehrerbietung für einen Leidener Professor, wenn ich eine Schöpfung von Klikspaans witzigem Kopfe neben ihn stelle, aber neben ihn stelle, aber das profane Wort muss heraus Chrisje aus dem 7. Kapitel der Studententypen steht mir stets vor Augen: denn der Unterschied zwischen diesem Liebhaber und Sammler von Autographen (es trifft sich hübsch, dass sich darunter auch solche von Scriverius befinden) und unserm Merula wird nur darin bestanden haben, dass Chrisje die Briefe selbst verbrannte und nur die Namensunterschriften aufbewahrte, während Merula, der auch geprellt wurde, das Ganze nicht allein bewahrte, sondern sogar herausgab.

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Doch ich fühle, dass es anderer und besserer Gründe bedarf, um diese gewagte Behauptung wenn nicht zu beweisen doch wenigstens wahrscheinlich zu machen. Die erste Frage betrifft natürlich die Handschrift, welche Werckmann, als von Erasmus stammend, an Merula abtrat. Wo ist sie geblieben? Ich habe trotz aller hier und anderswo angewendeten Mühe ihre Spur nicht weiter verfolgen können, als bis 1649. In der Vorrede nämlich, welche vor des Scriverius Sammlung von Berichten über Erasmus' Leben (Leiden, Johannes Maire) steht, findet man folgende Worte von Á. Thysius: „Ja auch das Autograph selbst von Erasmus, damit über sein Leben kein Zweifel bestehe, existirt noch vollständig in der Bibliothek des Vorstehers der Waisenkammer, Hieronymus de Backere."

So lange Niemand glücklicher ist als ich, kann also von einer Vergleichung der Handschrift mit Autographen von Erasmus keine Rede sein und muss man ihre Echtheit an andern Gründen prüfen.

Höchst befremdend ist es ohne Zweifel, dass diese im Jahre 1523 verfasste Auto

3) Die Rede, welche Oldenbarneveld gewidmet ist, findet sich hinter der vorerwähnten Ausgabe.

biographie erst 1607 durch den Druck verbreitet wurde.

Wiewohl man nun nicht weiss, was aus der Handschrift geworden, und wiewohl man aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr wird ausmachen können, wie sie in Werckmann's Besitz gelangte, so erwartet doch Jeder, der einigermassen nachdenkt, Antwort auf folgende Frage: Warum wurde dieselbe bei dem heftigen Streit, der auch nach Erasmus' Tode fortwährend über seine Person geführt wurde, nicht früher herausgegeben? Man wird geneigt sein zu antworten, dass über dem Brief an C. Goclenius, den Professor des Griechischen in Löwen, die Ermahnung stehe, ihn allein und insgeheim zu lesen (avayiyvwoxe μovos xai hapa), und dass diess Geheimniss sich auch auf die Autobiographie erstreckte, welche als Beilage dem Schreiben beigefügt war; aber das Gegentheil ist wahr: richtet ja doch Erasmus folgende Worte an seinen Busenfreund:

Da ich hie und da in Lebensgefahr schwebe, so erübrigt noch, dass ich dir, meinem aufrichtigsten Freunde, das Theuerste, was ich besitze, anbefehle, mein Andenken, das, wie ich vermuthe, vielen Verleumdungen ausgesetzt sein wird. Darum sende ich dir eine kurze Beschreibung meines Lebens" u. s. w. 4)

Lese ich recht, so erstreckt sich das Geheimniss des Briefes durchaus nicht auf die Handschrift, die dabei war; ihr Zweck war vielmehr, des Erasmus' Éhre gegen die Feinde zu vertheidigen, die ihm auch nach seinem Tode, wie er wohl voraussah, noch keine Ruhe gönnen würden.

Wie erklärt man denn die Worte: „Geheime Biographie" (ô Bios lá90a), die in Merula's Ausgabe unter dem Titel: Compendium vitæ Erasmi Roterodami cuius ipse in Epistola præcedente facit mentionem, gedruckt stehen? Schon spätere Herausgeber haben das Thörichte dieser Worte eingesehen und sie darum einfach weggelassen; meines Erachtens hat ein Compilator, der wenig Griechisch verstand, diese zwei Worte ohne viel Nachdenken von der dem Briefe vorangestellten Ermahnung entlehnt.

4) Goclenius war sicherlich hochbetagt, als Erasmus starb; denn nach Saxe (Onom. IIII. p. 39) starb er 1539 in einem Alter von 80 Jahren. Er hatte Blutsverwandte, die sich in Deutschland niederliessen. Zwischen seinen Erben und denen des Erasmus wurde über die Auszahlung von 1900 Ducaten ein Prozess geführt, den jene auf Grund eines Schreibens von Erasmus gewannen. Nach Jöcher (Gelehrtenlex.) starb Goclenius i. J. 1535.

Gerade die kurze Anweisung, die Erasmus in diesem Schreiben giebt, enthielt eine Aufmunterung zu einem frommen Betrug. Den grossen Humanisten, der auch nach seinem Tode von verschiedenen Seiten angegriffen und geschmäht wurde, zu vertheidigen, das war eine schöne Aufgabe, und die Aufgabe war um so leichter, weil es Quellen genug gab, aus denen man Einzelheiten über sein Leben schöpfen konnte. Wie verführerisch war es nicht, ein Leben des Erasmus aus einem oder mehrern seiner Briefe zusammen zu stellen und das für das Compendium vitæ auszugeben! Und wer einen solchen Betrug ausführte, gehörte darum nicht zu den Betrügern, welchen die anständigen Leute den Rücken zukehren. Weit entfernt! Jeder, der in der Geschichte der Literatur kein Fremdling ist, weiss, wie oft Autoren zweiten oder niedrigern Ranges ganz unbedenklich und ohne zu erröthen ihren Werken auf diesem Wege Leser zu verschaffen suchten; es war bereits in der alten Welt so sehr Gewohnheit geworden, berühmte Namen auf den Titel zu setzen, dass man durchaus keinen Betrug mehr darin sah.

Merula halte ich aber in diesem Falle nicht für den Betrüger, sondern für den Betrogenen. Seine leidenschaftliche Liebhaberei machte ihn zu dem geeigneten Manne, der auch gerade durch das Ansehen seines Namens berufen war, der Schrift Eingang zu verschaffen.

Der Schreiber, wer es denn auch gewesen sein möge, ergänzte aus geschriebenen und ungeschriebenen Quellen, was Beatus Rhenanus nicht wusste, und Baudius verstand es zu ergänzen, was zur Abrundung der Erzählung noch fehlte.

Schon Merula scheint bemerkt zu haben diess ergiebt sich aus seinem Briefe an Werckmann dass der Brief des Erasmus an den apostolischen Secretär Lambertus Grunnius eine weitere Auslegung und Entwicklung dieser kurzgefassten Skizze enthält.

Unter dem Namen Florentius ) beschreibt Erasmus sich selbst so, legt er so sein Schicksal dar, schildert er so seine Abneigung gegen das Mönchsleben, dass es unmöglich deutlicher geschehen kann."

Merula versichert sogar, dass unter Antonius, dem Bruder des Florentius, der da

5) Hier folgt in der frühesten Ausgabe und in der von Leclerc omine haud falso, während Scriverius omne hoc falso hat.

als drei Jahre älter vorkommt, Petrus, der Bruder des Erasmus, zu verstehen sei. Dieser Brief hat in erster Linie den Stoff zu einem Schriftstück geliefert, das bei einer genauen Untersuchung zu viele Bedenken erregt, um noch länger als das Werk des grossen Humanisten gelten zu können. Schon Bayle fällte darüber ein ungünstiges Urtheil. Man lese nur aufmerksam seinen prächtigen Artikel „Erasme", insbesondere die überaus reichen Anmerkungen. Für diejenigen, welche sein grosses Dictionnaire critique et historique nicht zur Hand haben, schreibe ich einige Zeilen aus:

Voilà ce qu'on trouve dans une vie d'Erasme composée par lui-même, à ce qu'on prétend, et publiée par Merula l'an 1607 sur l'original qu'Erasme avoit laissé en dépôt à Conrad Goclenius. C'est un écrit composé avec la dernière négligence et où l'on ne trouve qu'une grande simplicité, sans aucun détail étendu. On vous y apprend naïvement pour toutes particularitez touchant la mère d'Erasme, qu'elle s'appellait Elizabeth et qu'elle étoit de Sevenbergue et fille d'un certain Médecin nomPierre (filia medici cuiusdam Petri). A l'égard du père on n'y sauroit voir d'où il étoit, ni où il demeuroit. Ainsi le lecteur ne fera pas mal de recourir à une Lettre de Baudius où l'on trouve etc."

Es ist wirklich unbegreiflich, warum ein Stylist von so feinem Geschmack wie unser Mitbürger, sein Leben für einen vertrauten Freund wie Conr. Goclenius war, in solch thörichten, kurzen, halben und dunkeln Sätzchen zu beschreiben unternimmt. Wer unter uns wird das z. B. so machen? (Ich übersetze wörtlich): Erasmus wurde geboren zu Rotterdam am Abend vor Simon und Judas. Er zählt ungefähr 57 Jahre. Seine Mutter hiess Margaretha und war die Tochter eines gewissen Arztes Petrus. Sie war aus Zevenberge, er sah zwei Brüder von ihr, die beinahe 90 Jahre alt waren.) Sein Vater hiess Gerard u. s. w.

Der Schreiber weiss oder meldet nicht, was für ein Landsmann sein Vater war, obschon diess doch gewiss von grösserem Gewicht sein musste als die Bemerkung, dass seine Mutter zu Zevenberge zuerst das Licht der Welt erblickte.

Nach einigen andern Einzelheiten aus dem Leben seiner Familie von väterlicher

6) Der Zeitpunkt seiner Geburt wird um einen Tag früher gesetzt als z. B. bei Beatus Rhenanus, und der Besuch bei diesen zwei Oheimen ist sicher ebenso schwer chronologisch zu bestimmen, als derjenige Solon's bei Croesus.

Seite folgt der Grund, warum Gerard, der jüngste aus einer zahlreichen Kinderschaar, Priester werden musste. Es war der Wunsch seines Vaters, der alt war, und auch seine Brüder wollten nicht, dass ihr Vermögen verringert werde; lieber war ihnen jemand, bei dem sie selbst Mahlzeit halten konnten. Gerard ergriff heimlich die Flucht und liess das Mädchen, dem er Treue versprochen hatte, in gesegneten Umständen zurück. „Das Kind wurde bei seiner Grossmutter (?) erzogen. Gerard begab sich nach Rom. Da erwarb er sich durch Schreiben (denn es gab damals noch keine Buchdruckerkunst 7) reichlich seinen Lebensunterhalt."

Ganz unverständlich ist, was nun folgt: „Er besass eine sehr flinke Hand (Erat autem manu felicissima). Und er lebte wie ein junger Mann (iuveniliter). Bald verlegte er sich auf die Wissenschaften (studia honesta). Griechisch und lateinisch verstand er gut. Ja er machte sogar ungewöhnliche Fortschritte in der Rechtsgelehrtheit. Denn Rom besass damals ausserordentlich viele Gelehrte. Er hörte den Guarinus. Alle Autoren schrieb er eigenhändig ab." Allein ich mag nicht länger übersetzen. Um kurz zu sein auf den (falschen) Bericht von Margarethas Tod wird er Priester, reist nach Hause und entdeckt den Betrug. Das Band bleibt zerrissen; doch dem Knaben lässt er eine gute Erziehung geben, und er schickt ihn in einem Alter von kaum vier Jahren zur Schule.

Auf einzelne Punkte komme ich später zurück, aber schon jetzt darf ich die Frage stellen, ob solch eine Autobiographie von einem Manne wie Erasmus herstammen könne. 3)

Wie viele Schwierigkeiten bereiten nicht die thörichten, kurzen Sätzchen mit ihrem gemachten Streben nach Objectivität man denke an die dritte Person; kein Mann von Geschmack wird seinem Busenfreund in solch einer Form sein Leben beschreiben und ihn zugleich vor so viele Räthsel stellen.

Die Geburt grosser Männer ist, nach der Meinung aller Völker, mit aussergewöhnlichen Umständen verbunden. Des Erasmus Vater war darum auch sicherlich ein Wundermann. Was hat Gerard in einem Zeitraume von etwas mehr als vier Jahren nicht

7) Schon L. Knight (The life of Erasm.) stiess sich an diesem Ausdruck. Siehe Anmerk. f. pag. 4 der deutschen Ausgabe (1736).

8) Man lese z. B. den Schluss des Lebens, unter anderm die Worte: Augebo u. s. w.

alles ausgerichtet, und diess in einem Zeitalter, wo eine Reise nach Rom und von da zurück noch einige Beschwerden verursachte. Das allein lesen wir zwischen den kurzen Sätzchen, dass Jeder Unrecht thun würde, der meinte, Gerard sei bereits Priester gewesen, als er sich noch in Holland aufhielt. Mit diesem Zweck ist der erste Theil der Autobiographie zusammengesetzt, und die Stückchen, aus denen sie besteht, sind wahrscheinlich darum so klein ausgefallen, weil der Schreiber eine verkehrte Auffassung von dem Worte Compendium hatte, das seiner Meinung nach in der Bedeutung sich durchaus nicht unterschied von so manchem „Kurzen Begriff", der als Schulbuch durch seine unausstehlich trockene Form Geschlecht um Geschlecht verdrossen und verderbt hat. (Schluss folgt.)

Bibliothekserfahrungen.

(Fortsetzung.)

Mit der Frage über die Behandlung der Bücher hängt eng zusammen die über ihre Rückgabe. Auch in diesem Punkte wird der Leser schon im Privatverkehr unliebsame Erfahrungen gesammelt haben. Brave Leute, welche eine Geldsumme mit der grössten Pünktlichkeit am festgesetzten Tage zurückerstatten würden, finden gar nichts darin, ein entliehenes Buch, auch wenn sie es längst nicht mehr brauchen, monatelang zu Hause zu behalten und, wenn man sie schliesslich darum mahnt, sich zu geberden, als wollten sie einem die Freundschaft aufkündigen. In Geldsachen hört die Gemüthlichkeit sehr schnell auf, in Büchersachen soll sie womöglich eine unbegrenzte sein. Unsere Vorfahren suchten sich in erfinderischer Weise hier zu helfen. Auf Bibliotkekszeichen, wie sie Büchersammler in früheren Zeiten auf die Innenseite des Einbandes ihrer sämmtlichen Bücher zu kleben pflegten, findet man oft hübsche Sprüchlein, welche den Entleiher bei jedem Aufschlagen des Buches an die Rückgabe des selben mahnen sollten. Christoph Zobel, der bekannte Herausgeber des Sachsenspiegels im 16. Jahrhundert, führte auf sei

nem

riesigen Bibliothekszeichen in Folio, welches in der Mitte ein Todtengerippe zeigte, das zum Memento für ihn selber bestimmt war, für seine Freunde unten am Fusse den Spruch:

Cara mihi valde librorum cura meorum

Nec numero ex omni est, quo caruisse velim. His tamen et licet acceptis utantur amici, Restituant sumptos sed sine labe mihi

ge

und im vorigen Jahrhundert hatte ein wisser F. L. Gerlach auf seine Bibliothekszeichen die Warnung stechen lassen: Mancipio meus est, usu hic liber, ut omnia mea, amicorum. Nisi tamen intra XIV dies commodatum reddiderint illaesum atque immaculatum, alio tempore: non habeo, dicam. Ob solche Sprüche etwas genützt haben, weiss ich nicht. Heutzutage hat man im Privatverkehr gegen säumige Entleiher kein anderes Mittel, als ungenirtes und unermüdliches Mahnen. Kleinere Broschüren und Zeitungsnummern werden bekanntlich unter deutschen Gelehrten mit einer Gewohnheit, die an Grundsätze streift, von dem Entleiher nicht zurückgegeben; wer also so thöricht ist, sie auszuleihen, verdient nichts Besseres, als dass er drumkommt. Oeffentliche Bibliotheken haben das Zwangsmittel der regelmässigen sogenannten „Revisionen", einer Massregel, die natürlich in erster Linie gegen jene Kunden gekehrt ist, welche von einer Revision bis zur andern sich immer nur dann auf der Bibliothek sehen lassen, wenn sie Bücher brauchen, aber nie, um eins zurückzubringen. Nach Ablauf des Revisionstermins findet sich dann regelmässig noch ein Päckchen Entleihscheine vor. Sieht man nach den Unterschriften, so bemerkt man, dass fast genau dieselbe edle Kompagnie sich wieder zusammengefunden hat, wie das letzte und vorletzte Mal. Es sind das diejenigen Herren, welche die allgemeine, öffentlich ergangene Aufforderung zur Rückgabe der Bücher stets übersehen" und sich dafür

"

wie die säumigen Steuerzahler - die Auszeichnung, persönlich durch einen besonderen Mahnzettel dazu aufgefordert zu werden, durch einige Reichspfennige erkaufen. Und unter diesen finden sich dann stets wieder zwei oder drei, die wie Mephisto verlangen, dass man es ihnen „dreimal sage", die nach dreimaliger schriftlicher Aufforderung die Bücher zurücknicht bringen, sondern schicken, dann die Geschäftsverbindung mit der Bibliothek auf einige Wochen tief beleidigt abbrechen, bis es sie endlich doch wieder zu des Lebens Quellen hinzieht.

Das sind Bibliothekserfahrungen", die man alle berücksichtigen muss, um die Berechtigung der am Anfang ausgesprochenen Anklage beurtheilen zu können. Etwas eingeschränkt nun lautet übrigens jene Anklage so: Bibliothekare behandelten ihr Publicum ungleich, den einen mehr, den andern weniger zuvorkommend. Dieser Vorwurf, wenn es anders einer ist, soll nicht in Abrede gestellt werden. Zwischen

dem Bibliothekar und jedem seiner Be- | nehmen; dass er auch in diesen Grenzgesucher bildet sich unausgesprochen bald bieten und ihrer Literatur so zu Hause ein bequemes, bald ein weniger bequemes sei, wie in dem Hauptgebiete seiner StuVerhältniss. Dies richtet sich aber sehr dien, ist nicht vorauszusetzen. Hier beginnt einfach nach den Anliegen des Einzelnen. nun die dankbarste und erfreulichste AufVon der Mannigfaltigkeit der Bitten und gabe des Bibliothekars. Er wird vermöge Wünsche, der Anliegen und Ansprüche, seiner allgemeineren, wenn auch oft nur der Forderungen und Zumuthungen, die sehr äusserlichen Bücherkenntniss in vielen vom Publicum auf Bibliotheken geäussert Fällen mit Winken und Rathschlägen an werden, hat der Einzelne aus der vielköpfi- die Hand gehen können, wird Dem, der gen Masse keine Vorstellung. Aber auch sich orientiren will, die geeignetsten Hilfssie muss man kennen, um beurtheilen zu mittel nachweisen nöthigenfalls unterkönnen, inwieweit. auch die zweite An- stützt durch den nicht alphabetisch, sonklage begründet ist oder nicht. dern systematisch geordneten „Fachkatalog". Aber auch auf seinem eigensten Gebiete kann der Arbeitende bisweilen in Bedrängnisse kommen, aus denen nur der Bibliothekar ihn retten kann. Man denke an ungenaue oder allzu abgekürzte und deshalb kaum verständliche oder womöglich gar falsche Citate. Diesem Ungeziefer gegenüber, das nun einmal in wissenschaftlichen Werken nicht auszurotten ist, bleibt die bibliothekarische Routine oft die einzige Zuflucht. Man kann z. B. ein sehr respectabler Philolog sein und doch durch Citate, wie „Cic. Arat." oder Her. . u. 2." die Fälle sind nicht erfunden in einige Verlegenheit gerathen. Der Bibliothekar wird vielleicht einiger Zeit dahinterkommen, dass das erstere sich auf die erhaltenen Fragmente von Cicero's Uebersetzung der Sternerscheinungen (Phaenomena) des Arators, das letztere sich auf die Schrift des alexandrischen Grammatikers Herodian, ɲɛì

Willkommene Gäste sind dem Bibliothekar natürlich die, die ein bestimmtes, wirklich in der Welt existirendes Buch fordern und diese Forderung, sei es mündlich oder schriftlich, so formuliren, dass sie an bibliographischer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt und jede Verwechselung ausschliesst. Das Buch ist dann, wie der Katalog ausweist, entweder "da" oder „nicht da", wenn es "da" ist, so ist es, wie wiederum der Standort ausweist, entweder zu Hause" oder verliehen". In zwei Minuten ist das Geschäft erledigt. Beweist der Suchende zum Ueberfluss einen so weiten Blick, dass er für den Fall, dass das gewünschte Buch nicht zu Hause" sein sollte, ein zweites und für dieses wieder ein drittes, in der Bibliothek vielleicht dicht neben dem ersten stehendes als eventuellen Ersatz bezeichnet und so dem Bibliothekar den wiederholten Weg durch vier, fünf Säle, treppauf treppab, ersparrt, so ist die Summe dessen erfüllt, was einen Bibliotheksbesucher in den Augen des Bibliothekars empfehlen kann. Der letztere wird natürlich, wo diese Weite des Blickes dem Besucher fehlt, selber stets von vornherein durch entsprechende Fragen und daran geknüpfte Vorschläge das Verfahren abzukürzen suchen, namentlich wenn es sich um Bücher handelt, die im Nothfalle leicht durch andere ersetzt werden können.

Und doch sind die eben geschilderten die liebsten Gäste noch nicht. Wenn der Bibliothekar mehr als ein gewöhnlicher Bibliotheksbeamter oder Expedient, wenn er ein wirklicher Bibliothekar ist, so gibt es andere Gäste für ihn, die ihm noch willkommener sind. Das sind die, welche zunächst gar kein bestimmtes Buch, sondern vor allen Dingen guten Rath suchen. Jedem, der wissenschaftlich arbeitet, begegnet es, dass er bei seinen Studien genöthigt ist, Streifzüge in die Grenzgebiete seiner speciellen Fachwissenschaft zu unter

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ovyoovs Lisews beziehen soll. Aefft einen noch dazu ein Druckfehler, so kann die Auflösung eines Citates geradezu auf Räthselrathen hinauslaufen; aber auch hierin erlangt der Bibliothekar durch die Uebung mit der Zeit vielleicht eine grössere Virtuosität sere Virtuosität, als andere Menschenkinder. Ein beseligendes Gefühl mag wohl jener Bibliothekar gehabt haben, der, als ihm ein hochberühmter Philolog in gelinder Verzweiflung das Citat brachte : „Christoph. Thesm. v. 473" und das ihm gänzlich unbekannte Buch zur Stelle zu schaffen bat, nach kurzem Besinnen antworten konnte: Ein toller Druckfehler! Die,Thesmophoriazusen' des Aristophanes sind gemeint!"

Zwischen denjenigen Bibliothekskunden, die einen einzelnen, bestimmt gefassten Wunsch haben, und denen, die bescheidentlich um Rath und Hilfe bitten, liegen aber nun eine ganze Reihe von Spielarten in der Mitte, die zu den minder willkommenen gehören. Eine mehr komische als

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