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Synode riet er ab; sollte es doch dazu kommen, so hielt er im Falle einer Nichteinigung die Herbeiführung von Mehrheitsbeschlüssen für die richtigste Lösung.

Auf dem Frankfurter Reichstage, auf dem Ferdinand zum Kaiser ausgerufen wurde, traten außer den dort von Amtswegen anwesenden Kurfürsten August von Sachsen, Joachim II. und Ottheinrich von der Pfalz, Herzog Christoph, Landgraf Philipp und Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken zur Beratung zusammen. Auf Grund von Melanchthons Gutachten einigten sie sich zu dem sogenannten Frankfurter Rezeß (Abschied), der von den sechs Fürsten am 18. März 1558 unterzeichnet wurde. Ausdrücklich nimmt der Abschied zunächst auf die Vorgänge während des Wormser Religionsgespräches Bezug. Die Unterstellungen der Gegner über tiefgehende Spaltungen im evangelischen Lager werden zurückgewiesen; da die Berufung einer evangelischen Generalfynode zunächst nicht ins Auge gefaßt werden könne, habe man sich über eine Erklärung geeinigt, aus der man die Unhaltbarkeit der von den Katholiken erhobenen Vorwürfe ersehen fönne. Dann wurde in feierlichster Weise noch einmal das Bekenntnis zur Schrift, den drei kirchlichen Hauptsymbolen, der Konfession und Apologie erklärt und hierauf erst auf vier Einzelfragen eingegangen. Auch diese standen im engsten Zusammenhang mit dem Wormser Verhandlungen; denn es handelte sich gerade um jene Punkte, welche die Flacianer in ihrem zu Worms abgegebenen Protest besonders betont hatten. Zuerst gab man eine Erklärung über die Rechtfertigung ab; an der Rechtfertigung „allein durch den Glauben“ wurde festgehalten; Osianders Anschauungen wurden, ohne daß ihr Urheber genannt wurde, zurückgewiesen, da nur der Glaube, nicht die durch den Glauben hervorgerufene Erneuerung die Rechtfertigung herbeiführe. Ein zweiter Punkt beschäftigte sich mit dem sogenannten neuen Gehorsam oder den guten Werken. Diese, die jedoch nicht etwa als äußerliche Leistungen, sondern als der Gesamtinhalt des sittlichen Thuns aufgefaßt werden dürften, wurden für unumgänglich notwendig erklärt, teils als Probe auf die innere Kraft der Rechtfertigung, teils wegen Gottes Gebot; doch verwarf man die Bestimmung, daß sie zur Seligkeit nötig seien, um die Mißdeutung auszuschließen, daß man sich dadurch die Erlösung verdienen könne. Betreffs des Abendmahls blieb man bei der wahrhaftigen Anwesenheit Christi, der „mit Brot und Wein seinen Leib

und sein Blut zu essen und zu trinken giebt"; Meßopfer und Wandlungslehre sowie die rein sinnbildliche Auslegung der Einseßungsworte (doch ohne Nennung Zwinglis) wurden verworfen. Vernünftig war die Erklärung über die Mitteldinge (Adiaphora); im Falle der Hochhaltung der reinen Lehre wurde ihr Gebrauch oder ihre Verwerfung freigestellt; in Zeiten der Verfolgung werden sie dagegen ihres Charakters als Mitteldinge entkleidet, und es muß ihnen gegenüber eine dementsprechende Stellung eingenommen werden. Dieser Erklärung schloß sich noch eine Reihe von Vorschriften an, welche dazu bestimmt waren, den Wiederausbruch von Zänkereien zu unterdrücken und die Einigkeit zu befestigen.

Melanchthon erkannte die gute Absicht der Fürsten an, aber er sezte von vornherein keine Hoffnungen auf diese Bestrebungen. Und er sollte Recht behalten. Denn obgleich eine Anzahl von Ständen sich dem Abschied anschloß, wurden doch an manchen Stellen die Bestimmungen mit Mißtrauen aufgenommen. Am schärfsten erhob sich natürlich der Widerspruch im Herzogtum Sachsen. Der alte Eiferer Amsdorf trat in einer besonderen Schrift dagegen auf; Flacius sezte zu demselben Zwecke zwei Streitschriften handschriftlich in Umlauf. Auch eine amtliche Widerlegungsschrift, die Konfutation, ließen die sächsischen Herzöge ausgehen, die zwar nicht von Flacius abgefaßt, aber von seinen Freunden nach seinen Angaben und Zusammenstellungen entworfen und von ihm selbst durchgesehen war. Melanchthon hoffte nichts mehr. Von der Teilnahme an einer von den sächsischen Herzögen geplanten, aber schließlich doch nicht zustande gekommenen Synode zu Magdeburg hatte er seinem Fürsten abgeraten, ebenso von anderen Vergleichsversuchen, wie sie zuerst durch Herzog Christoph und Landgraf Philipp, dann durch Ottheinrich angestrebt, aber nicht verwirklicht wurden. Über die von den herzoglich-sächsischen Theologen ausgehenden Angriffe mußte er sich jedoch äußern, zuerst über Amsdorfs Kritik, die Johann Friedrich den Unterzeichnern des Rezesses hatte zugehen lassen. Er that das mit verhältnismäßiger Ruhe. Schärfer nahm er zu der Konfutation Stellung, die im Herzogtum Sachsen selbst zu einem mit roher Gewalt unterdrückten Widerspruch einzelner Theologen geführt hatte. In seinem Bedenken hat er die Gründe für seine Lehrabweichungen zusammengestellt, bei der Abendmahlsfrage nicht glücklich und auch mit wenig Klarheit; dagegen ist die Auseinander

seßung über den freien Willen und die guten Werke einsichtig und so, daß seine Absichten bei den Änderungen überall deutlich hervortreten. Seine Haltung betr. der Mitteldinge suchte er aus der Lage der Verhältnisse zur Interimszeit zu erklären und zugleich durch die Thatsache zu rechtfertigen, daß er nur unter der Bedingung der Reinhaltung der Lehre die Wiederannahme der geforderten Kirchenbräuche empfohlen habe.

Unterdessen gingen die Streitigkeiten über das Abendmahl weiter. Zunächst wurden die Ausländergemeinden, wie sie sich in Wesel und Frankfurt namentlich aus französischen Vertriebenen gebildet hatten, davon betroffen. Wie Melanchthon zu den französischen Calvinisten stand, hatte er auf dem Wormser Religionsgespräch bewiesen, wo eine durch Beza angeführte Gesandtschaft der Reformierten erschienen war und die deutschen Stände um Verwendung bei Heinrich II. gebeten hatte, der gegen sie eingeschritten war. Melanchthon, der hier mit Beza Freundschaft schloß, war ihnen freundlich entgegengekommen und hatte sie veranlaßt, sich in ihrer Zugehörigkeit zu dem Protestantismus durch das Bekenntnis zur Konfession und Apologie auszuweisen und nur die streitige Abendmahlsfrage auszunehmen, über die sie eine, die Theologen im wesentlichen zufriedenstellende, wohl von Melanchthon beeinflußte Erklärung abgaben. Melanchthon war es dann auch, der im Namen der Fürsten das freilich wenig erfolgreiche Empfehlungsschreiben an Heinrich II. richtete. Die gleiche Gesinnung zeigte er bei seiner Verwendung für die fremden Gemeinden, die von den Lutherischen Predigern der betreffenden Städte wegen ihrer Haltung im Abendmahl beunruhigt wurden. Auf Rat und Prediger suchte er einzuwirken, allein vergeblich; sowohl in Wesel als in Frankfurt mußten schließlich die fremden Gemeinden den Lutheranern weichen. Schwieriger noch war der Abendmahlsstreit, der in Heidelberg ent= brannte. Hier war der von Melanchthon selbst empfohlene, von wildem Eifer beseelte Tileman Heßhus mit seinem Diakonus Klebig über das Abendmahl in Streit geraten. Dem Nachfolger Ottheinrichs Friedrich III. blieb nichts weiter übrig, als beide Männer abzusehen. Melanchthon, den der Kurfürst um Rat fragte, ließ sich ungern auf die Angelegenheit ein, auch wäre ihm die Zuziehung anderer Gelehrten erwünscht gewesen. Doch riet er zum Frieden, warnte vor allen unnüßen Zänkereien und empfahl, mehr auf die heilbringende Wirkung des Sakramentes als auf haarspaltende und dem kirchlichen

Ellinger, Melanchthon.

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Altertum unbekannte Untersuchungen über die Art der Gegenwart Christi zu sehen. Der Kurfürst folgte Melanchthons Kat; er seßte für die pfälzische Kirche die Formel fest, daß Leib und Blut mit Brot und Wein empfangen werden. Innerlich aber kam er dem Calvinismus immer näher, was auch in seiner Auswahl der Geistlichen zu Tage trat. Allgemein wurde er daher als heimlicher Calvinist angesehen.

Diese Entwickelung in der Pfalz rief eine Rückströmung in dem benachbarten Württemberg hervor. Herzog Christoph fürchtete eine Weiterverbreitung des Calvinismus, und da sein Land einer derartigen Bewegung zunächst ausgesetzt war, so trieb ihn die Besorgnis zu abwehrenden Maßregeln. Diese richteten sich naturgemäß gegen Melanchthon, von dessen Gutachten der Herzog die gefährliche Richtung in der Pfalz herleitete; unter Beziehung auf Melanchthon schlug Christoph dem Kurfürsten August wieder die Zusammenberufung einer Synode zur Herstellung der Einheit vor. Eine vorbereitende württembergische Synode nahm unter Brenz' Leitung die Lehre von der Allgegenwart Christi (Ubiquität) als kirchlichen Glaubenssaß an; durch dieses Dogma glaubte man am sichersten die lutherische Abendmahlslehre vor allen Verflüchtigungen schüßen zu können. Melanchthon, dessen Freundschaft mit Brenz bisher alle Proben, auch den Osiandrischen Streit, überdauert hatte, war in der unangenehmsten Weise überrascht, als der Kurfürst über die ihm von Christoph zugesandte Entscheidung der Synode ein Urteil verlangte; sie erschien ihm abgeschmackt, „Hechinger Latein“, wie er ironisch sagte. Dem Kurfürsten gab er die Antwort, daß die Ubiquität keine altkirchliche Lehre sei. Den Württembergern machte er Vorstellungen, die indessen vergeblich blieben.

Auch der unterdes nach Bremen berufene Tilman Heßhus ruhte nicht. Er verwickelte Hardenberg, (vgl. S. 560) der seit dem Frankfurter Rezeß in Bremen zur Ruhe gekommen war, in neue Streitigkeiten wegen des Abendmahls. Melanchthon riet zum Frieden; auch an einem vom Bremer Rat angeseßten, aber nicht zustande gekommenen öffentlichen Gespräch hatte er die Absicht sich zu be= teiligen. Die Erledigung der Angelegenheit, die mit der Absehung Hardenbergs endete, erlebte er nicht.

Eine Hoffnung auf Ausgleichung aller dieser Gegenfäße hatte Melanchthon nicht mehr. Wie vordem, so hielt er auch jezt jeden Versuch der Einigung für aussichtslos. Als daher nach dem Augs

burger Reichstage von 1559, auf welchem der Religionsfriede bestätigt, aber auch der geistliche Vorbehalt erneuert wurde, mehrere Fürsten, darunter der alte Landgraf Philipp, aufs neue den Plan betrieben, sprach sich Melanchthon mit Entschiedenheit dagegen aus. Da die Fürsten nicht einig seien, würde eine Synode den Zwiespalt nur verschlimmern, zumal einer Stellungnahme in der Abendmahlsfrage nicht ausgewichen werden könne. Die Aufstellung einer einheitlichen Lehrschrift hielt er an sich für wünschenswert, warnte aber vor allen Paradoxieen, wie sie namentlich von Amsdorf und Flacius in den synergistischen Streitigkeiten zu Tage gefördert waren. Ausschließlich nüßliche Lehre, die zur Erbauung dient, darf nach seiner Meinung dem Volk und der Jugend vorgetragen werden, und nicht ohne Stolz erinnerte er daran, wie er selbst sein ganzes Leben der Einprägung eines der= artigen Unterrichtsstoffes gewidmet habe und bei dieser Arbeit zu bleiben gedenke. Die Erwägungen machten auf Kurfürst August Eindruck, und da er es ablehnte, sich an den Einigungsbestrebungen weiter zu beteiligen, so verliefen diese zunächst im Sande.

Eine Lehrschrift, wie er sie in dem soeben erwähnten Gutachten im Auge hatte, hat Melanchthon im Jahre 1559 auf Veranlassung des Leipziger Konsistoriums zusammengestellt. Es ist das der sog. Lehrinbegriff (Corpus doctrinae), auch der philippische genannt, der als einheitliche Lehrschrift in Kursachsen, wie auch in anderen Ländern eingeführt wurde, in denen Melanchthons Ansehen noch nicht durch die Eiferer geschwächt worden war. Außer den drei altkirchlichen Symbolen enthielt es nur Melanchthonsche Arbeiten, die Konfession in der Fassung von 1540, Apologie, sächsische Konfession, lezte Bearbeitung der Grundbegriffe und einige Streitschriften, die geeignet waren, über die Lehrauffassungen der evangelischen Kirche im Sinne Melanchthons Aufschlüsse zu geben. In der Vorrede rief er den Schmähungen seiner Feinde gegenüber das Urteil der Kirche an, d. h. der Kirche, in der viele Glieder sind, „die den Lügen und dem unnötigen Gezänk feind sind und christlich richten,“ und faßte die Summe seiner Lebensarbeit gut und mit berechtigtem Selbstgefühl zusammen:

So viel mir Gott Gnad gegeben hat, hab ich Fleiß gethan, die Summe christlicher Lehr ordentlich und klar zu fassen, und habe unnöthige, verwirrte Disputationen übergangen, denn das Disputiren muß auch ein Maß haben."

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