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sich dieses Vertrauens durchaus würdig zeigte. Nicht bloß die ersten wissenschaftlichen Kenntnisse verdankte Philipp dem vortrefflichen . Manne, sondern dieser hat auch das bildsame Gemüt des Knaben wesentlich zu beeinflussen verstanden. Mag er von Georg Schwarzerd dazu veranlaßt worden sein oder mag er es aus eignem Antriebe gethan haben genug Johannes Unger scheint danach gestrebt zu haben, den Charakter des Knaben, der ohnehin in seinen sittlichen Anlagen dem Vater wesensverwandt war, dem Georg Schwarzerds anzugleichen. Jedenfalls hat er fortgesezt daran gearbeitet, in dem etwas zum Jähzorn neigenden Philipp dasselbe ruhige Gleichmaß zu entwickeln, wie der Vater es aufwies. Wiederholt ermahnte er ihn, sich nicht hinreißen zu lassen und willig nachzugeben, und daß er es verstanden hat, nach dieser Richtung geschickt auf den Knaben einzuwirken, beweist die Thatsache, daß diese Mahnung des Lehrers zeitlebens im Gemüte Philipps haften blieb. Daneben aber legte Unger den Grund zu dem sicheren und umfassenden Wissen Philipps; das große Lehrgeschick, mit dem er dem Knaben die Elemente der lateinischen Grammatik beizubringen wußte, wird jedenfalls durch nichts besser erläutert, als durch die Thatsache, daß auch der spätere praeceptor Germaniae für den gleichen Unterricht kein besseres Verfahren zu empfehlen wußte, als jenes, das einst Johannes Unger bei ihm selbst angewendet hatte.

Unter diesen Verhältnissen wuchs Philipp zu einem stillen Knaben auf; die anmutige Umgebung der kleinen Stadt, die von fruchtbaren Hügeln umkränzt ist, hat wohl in seiner Seele die Liebe zur Natur erweckt; und die fast ländliche Abgeschiedenheit, die den Knaben umgab, schüßte seinen Geist vor Zerstreuung durch zu mannigfaltige, wechselnde Eindrücke und leitete ihn dazu an, beim Einzelnen sinnend zu verweilen und auch am Kleinen mit stiller Behaglichkeit sich zu erfreuen. Eine Art künstlerischen Nachahmungstriebes, der von einer solchen Richtung des Gemüts Zeugnis ablegt, regte sich in kindlicher Weise frühzeitig bei dem Knaben, der die in der Kirche ge= sehenen Bräuche zu Hause mit Unterstüßung seiner Mutter nachzubilden suchte. Die Sammlung, die dem Knaben zu teil wurde, kam vor allen Dingen seiner geistigen Entwicklung zu Gute; er lernte außerordentlich leicht und verfügte mit Sicherheit über die gewonnenen Kenntnisse; mit freudigem Stolze erfüllte es den Großvater, wenn

der Knabe sich regelmäßig im Wissen den zufällig durch die Stadt ziehenden fahrenden Schülern überlegen zeigte.

Indessen nicht allzulange war dem wackeren Manne diese Freude gegönnt, er starb schon am 16. Oftober 1507. Wahrscheinlich sind seine letzten Lebensjahre durch das traurige Geschick seines Schwiegersohnes Georg Schwarzerd verdüstert worden, der im Jahre 1505 aus einem vergifteten Brunnen getrunken hatte und seitdem langsam hinsiechte, bis er ein Jahr nach Reuters Tode diesem in das Grab nach= folgte. Reuters Gattin siedelte nun mit Philipp, dessen Bruder Georg und einem dritten Enkel nach ihrer Vaterstadt Pforzheim über. Man darf diese Veränderung des Wohnortes troß des traurigen Ereignisses, durch das sie herbeigeführt wurde, als eine Gunst des Schicksals betrachten, da der Knabe dadurch Gelegenheit erhielt, seine Schulbildung planmäßiger und einheitlicher auszugestalten, als es in Bretten möglich gewesen wäre. An der Spiße der Pforzheimer Lateinschule, die Philipp von nun an besuchte, stand der Humanist Georg Simler aus Wimpfen, dem der kenntnisreiche Johann Hiltebrant aus Schwezingen als Gehilfe beigegeben war. Georg Simler war fast mit allen bedeutenden Humanisten bekannt und hatte sich durch seine Charaktereigenschaften, sein ausgebreitetes Wissen, seine wissenschaftlichen und pädagogischen Leistungen bei fast allen Vertretern der Richtung hohe Anerkennung erworben; auch die besten Anhänger des Humanismus, so Konrad Peutinger, hielten mit ihrem begeisterten Lobe dem vortrefflichen Gelehrten gegenüber nicht zurück; und wenn man auch von derartigen Lobpreisungen manches abziehen muß, so giebt doch des Übrigbleibende noch ein vollgültiges Zeugnis für die Achtung, die Simler von seinen humanistischen Genossen gezollt wurde. Noch begeisterter sind übrigens die Worte gehalten, mit denen Simlers Schüler seiner gedenken. Daß er das Wissenswerte aus den Schulkenntnissen sorgfältig und gründlich einzuprägen verstand, steht fest; seine pädagogischen Leistungen sind aber damit wohl nur zum kleinsten Teile erschöpft, denn wir dürfen vermuten, daß er es verstanden hat, die besonderen Anlagen des einzelnen Schülers zu erkennen und ihn auf die seiner eigentümlichen Begabung entsprechende wissenschaftliche Laufbahn hinzuweisen. Augenscheinlich ist sein Einfluß auf Philipp; er erteilte dem Knaben Privatunterricht im Griechischen, das in der Lateinschule kein Unterrichtsfach bildete;

und wiederholt hat der dankbare Schüler Simlers verehrungsvoll auch bei Gelegenheiten gedacht, bei denen man es nicht erwarten sollte. Wenn er später seiner Beziehungen zur Universität Köln gedenkt (1543), so unterläßt er nicht, in erster Linie darauf hinzuweisen, daß auch sein Lehrer Georg Simler dort seine Bildung empfangen habe.

In Pforzheim kam der Knabe auch zum erstenmale mit seinem Großoheim Reuchlin in Berührung, der wiederholt von Stuttgart aus seine Vaterstadt besuchte, um hier mit seinen Verwandten und Freunden, zu denen außer Simler auch Hiltebrant und der Drucker Anshelm gehörten, zu verkehren. Reuchlin freute sich über den aufgeweckten Knaben; sicher wird ihm Simler von den glücklichen Fortschritten des reichbegabten Großneffen berichtet haben, und Reuchlin versäumte nicht, sich durch eigne Fragen noch von dem Stande der Kenntnisse Philipps zu überzeugen und den Fleiß des Knaben durch litterarische Geschenke, so die einer griechischen Grammatik und eines griechischen Lexikons, zu belohnen. Es versteht sich von selbst, daß diese gelegentlichen Besuche Reuchlins von hoher Bedeutung für die Entwickelung des Knaben waren. Wenn dieser sah_mit_welch kindlicher Ehrerbietung selbst ein Mann wie der von ihm so hochverehrte Simler Reuchlin gegenübertrat, dann mußte ihm der Großoheim als ein leuchtendes Vorbild erscheinen, dem er nachzustreben habe. Kinder suchen einem Manne, in dessen Fußtapfen sie gern treten möchten, zunächst dadurch ähnlich zu werden, daß sie ihn in Haltung und leicht bemerkbaren äußeren Gewohnheiten nachahmen. Aus Philipps späterem Leben ist ein Zug bekannt, der uns darauf schließen läßt, daß auch bei ihm die kindliche Art sich nicht verleugnet hat. Reuchlin pflegte auch am Tage eine weiße Müße zu tragen, das hat ihm der Knabe wahrscheinlich damals nachzumachen begonnen, und noch an seinem Todestage erinnerte er sich daran, daß er diese Gewohnheit von Reuchlin angenommen hatte. Aber auch auf andere Weise suchte er seine Verehrung für den Großoheim Ausdruck zu geben; er studierte (wahrscheinlich unter Simlers Leitung) eine lateinische Komödie Reuchlins ein und überraschte den Alten, als dieser in Pforzheim einem Fest= essen beiwohnte, mit der Vorführung des Stückes. Wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit, sicher um diese Zeit, hat Reuchlin den Familiennamen seines Neffen nach humanistischem Brauche ins Griechische über

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seßt und ihm damit den Namen gegeben, unter dem er unsterblich werden sollte. Die etymologische Wissenschaft, die die Wörter auf ihre ursprünglichen Bestandteile zurückführt und ihre Verwandtschaft feststellt, war im 16. Jahrhundert noch wenig entwickelt; man ging fast durchweg sehr unmethodisch vor, indem man die Wörter nach dem Klange und der Ähnlichkeit der Laute mit einander verglich Verfahren, das bei etymologischen Untersuchungen fast immer von dem richtigen Wege abführt. Das zeigt sich auch in diesem Falle. Reuchlin überseßte die beiden Silben, aus denen der Name Schwarzerd besteht, wörtlich ins Griechische und gewann so den Namen Melanchthon; mit dem Worte: Erde, das er in der lezten Silbe vermutete, hat aber der Name Schwarzerd offenbar nichts zu thun; er ist vielmehr in ähnlicher Weise gebildet wie die häufig vorkommenden Familiennamen Weißert, Gelbert, Grunert, Grauert und lautete wohl ursprünglich auch Schwarzert. Seit 1531 hat Melanchthon selbst wohl des Wohlklangs halber meist die Form: Melanthon gebraucht, die aber den einmal populär gewordenen Namen: Melanchthon nicht mehr hat verdrängen können.

Drei Jahre blieb Melanchthon auf der Schule zu Pforzheim; dann bezog er die Universität. Die Wahl einer solchen konnte ihm nicht schwer fallen; war schon ohnehin der Pfälzer stolz auf seine Heimatsuniversität Heidelberg, so mußte diese Melanchthon durch die Erinnerung an Vater und Großvater doppelt anziehend sein; dazu kam, daß die Beziehungen zwischen Melanchthons Familie und dem pfälzischen Herrscherhause nie ganz abgebrochen waren. Am 14. Oktober 1509 wurde Melanchthon in Heidelberg immatrikuliert; auch für das sechszehnte Jahrhundert, in welchem ein großer Teil des vorbereitenden Unterrichtes, der heute dem Gymnasium zufällt, erst auf der Universität erledigt wurde, (vgl. S. 11 f.) erscheint das frühzeitige Alter, in dem er das akademische Studium begann, staunenswert. Man muß indessen erwägen, daß der zwölfjährige Knabe zu Pforzheim sich vielfach in der Gesellschaft älterer und geistig hochstehender Männer befunden hatte; bei seiner Fassungsgabe, seiner Aufmerksamkeit für jede hingeworfene Bemerkung kann es nicht wunder nehmen, wenn er weit über seine Jahre hinaus entwickelt war. Das muß sowohl den Universitätslehrern als auch den Freunden, die Philipp in Heidelberg gewann, bald aufgefallen sein. Leider wissen wir nichts von seinem Verkehr mit Peter Sturm, dem Bruder des späteren Stättemeisters Sturm

in Straßburg, mit Diebold Gerlach oder Billicanus, dem Dichter Johann Sorbillo sowie den späteren Reformatoren Brenz und Buzer; aber soviel läßt sich erkennen, daß sich Melanchthon durch seine Kenntnisse, namentlich im Griechischen, eine gewisse hervorragende Stellung unter seinen Freunden und Mitschülern erwarb, so daß diese es als selbstverständlich hinnahmen, wenn einmal der Universitätslehrer die Leitung des Unterrichtes vertretungsweise in die Hand des schüchternen Knaben legte. Überhaupt scheint seine große Lehrbefähigung schon damals stark hervorgetreten zu sein; wenigstens ließ Graf Ludwig von Löwenstein seine beiden damals (1511) in Heidelberg studierenden Söhne durch den erst vierzehnjährigen Knaben erziehen.

Melanchthon nahm seine Wohnung bei dem Professor der Theologie Pallas Spangel und traf damit eine glückliche Wahl. Zwar hat Pallas Spangel keine bedeutenden litterarischen Leistungen aufzuweisen, wohl aber zeichnete er sich durch seine persönlichen Eigenschaften aus. Seine reine, von keiner unedlen Leidenschaft verunzierte Natur und sein mildes, hilfreiches Wesen gewannen ihm allgemeine Achtung; und aus diesen Charakterzügen, wie aus seiner bedeutenden Lehrgabe erklärt sich auch das hohe Ansehen, welches er an der Heidelberger Hochschule genoß. Wenn es der Universität darauf ankam, sich durch eine würdige, bei allen gleich angesehene Persönlichkeit vertreten zu lassen, dann fiel die Wahl häufig auf Pallas Spangel, der in einem solchen Falle die Interessen der Körperschaft, die ihn zu ihrem Sprecher gemacht hatte, in nachdrücklicher Weise wahrzunehmen wußte. Mehr fällt für seine Beurteilung noch ins Gewicht, daß er mit Rudolf Agricola innig befreundet war; da beide Männer in ihren Lebensanschauungen und wissenschaftlichen Zielen wesentlich auseinandergingen, so kann es nur die Wertschäzung der Persönlichkeit gewesen sein, die sie zusammengeführt hat, und bei Agricolas Zurückhaltung, seinem feinen, zarten Empfinden und sicheren Takt schließt diese Thatsache für Pallas Spangel kein geringes Lob ein. Melanchthon hat jedenfalls Zeit seines Lebens Spangels dankbar gedacht; auch der Tod des wackeren Mannes, der im Jahre 1512 eintrat, war ihm unvergeßlich, und er wußte sich in späterer Zeit noch deutlich daran zu erinnern, wie damals ein Mönch bei dem Sterbenden gestanden und ihm die Worte vorgesungen hatte: „Maria, Mutter der Gnade, nimm uns in der Stunde des Todes auf“.

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