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drucke der Sache sich festseßendes Urteil wird nie ganz unrichtig sein, und darum fann man gewiß sagen, daß der Brief nicht gerade zu Melanchthons Ruhme gereicht. Aber wenn man den Mann aus seiner Natur heraus zu verstehen sucht, stellt sich doch die Beurteilung etwas anders. Gewiß ist der Ausspruch: „Alles erklären, heißt alles entschuldigen“ ein falsches, schlechtes und feiges Wort. Aber es trifft hier zum Teil zu, denn durch eine Erklärung der Voraussetzungen des Briefes wird man wenigstens dazu gelangen, Melanchthon mildernde Umstände zu billigen. In dem Briefe haben wir thatsächlich den Ausdruck einer Stimmung vor uns, deren Ausbruch er mehr als jahrzehnt= lang mit der größten Sorgfalt und Mäßigung zu verhüten gesucht hatte. Vergegenwärtigen wir uns die Verhältnisse, innerhalb deren Melanchthon etwa seit 1536 gelebt hatte. Er leistete der evangelischen Sache unschäzbare Dienste, Dienste, in denen ihn kein anderer ersetzen. fonnte. Nicht bloß seine Arbeitskraft wurde in Anspruch genommen, die schwersten Gemütserschütterungen, die ihn bis an den Rand des Grabes führten, mußte er durchkämpfen. Nun fehlte es ihm zwar nach außen nicht an Anerkennung, aber was wollte sie bedeuten gegen die traurige Lage, in der er sich in Wittenberg befand. Der Kurfürst ohne rechte Vorstellung von den wahren Verdiensten Melanchthons, mißtrauisch, bei der geringsten Gelegenheit zu rohen Kränkungen bereit; Luther bei aller tiefen Herzensgüte doch von einer furchtbaren Heftigfeit, der sich Melanchthon nicht aussehen mochte, und daneben die kleinen. Geister, die den Riß zwischen Melanchthon einerseits, Luther und dem Kurfürsten andererseits nach Kräften zu erweitern suchten. Es läßt sich ermessen, was Melanchthon an Verdruß und Bitterkeit zu erdulden hatte, wobei die Thatsache, daß manche von den Leiden nur eingebildete waren, nichts ändert. Nun fam zu all dem, noch die schwierige Lage, in der er sich jezt befand, der Zorn des Kaisers, die Verantwortung, die auf ihm lag, die Thatsache, daß ein ablehnender Bescheid von ihm vielleicht einen neuen Krieg entfesseln könnte. Menschen wie Melanchthon pflegen nun allen Groll und alle Pein lange mit äußerer Mäßigung zu ertragen und innerlich in sich zu verarbeiten; dann aber bricht gewöhnlich in einem unbewachten und meist sehr ungeeigneten Augenblicke das lange Angesammelte mit elementarer Gewalt los. So war es auch hier. Unwillkürlich fam zu Tage, was ihn jahrelang geplagt, und wenn man namentlich

durch seine Äußerungen über den noch nicht lange dahingegangenen Freund peinlich berührt wird, so kann man doch wohl in Anbetracht der eben geschilderten Verhältnisse eine mildere Beurteilung walten lassen, zumal fast eine jede der in dem Briefe vorkommenden Äußerungen sich aus dem vertraulichen Briefwechsel der vorausgehenden beiden Jahrzehnte belegen läßt. Allerdings sind die Äußerungen über Luther und den Kurfürsten nicht das einzig Unerfreuliche in dem Briefe. Die Gründe, die er aus seiner Sinnesart und den Erinnerungen seiner Kindheit beibringt, um seine Nachgiebigkeit zu rechtfertigen, beruhen doch zum mindesten auf Selbsttäuschung; die Ratschläge, die er über die Art giebt, in der man die Geistlichen gewinnen könne, sind ebenfalls von einer kleinlichen Schlauheit nicht frei. Doch fehlt es auch andererseits wieder nicht ganz an erfreulichen Zügen; so sind ihm sicherlich die schönen Worte von Herzen gekommen: „Nichts ist so zart und wird leichter getrübt als die Verehrung Gottes in den Herzen des Menschen; und es giebt kein größeres Übel und keinen empfindlicheren Schmerz als wenn diese Verehrung erschüttert wird.“

Kurfürst Morig hatte das Interim nicht geradezu angenommen, aber er wollte doch versuchen, den Kaiser zufriedenzustellen. Andererseits hatte er allen Grund, die Gefühle seines Landes zu schonen. So wandte er sich denn von neuem an Melanchthon und verlangte von diesem ein Gutachten über das Interim. Melanchthon erstattete ein ausführliches Bedenken (Juni 1548), das die Abschnitte des Interims im einzelnen durchging und namentlich ausführlich darlegte, daß die Rechtfertigungslehre durchaus den Standpunkt der katholischen Lehre wiedergebe und darum in dieser Form unmöglich angenommen werden könne. Im übrigen erklärt er sich in den äußeren Fragen zu billigen Zugeständnissen bereit, wobei indessen Wiedereinführung von Heiligendienst, Fronleichnamsprozession, Still- und Seelenmessen sowie lezte Ölung ausgeschlossen werden. Am Schlusse legt er die Erhaltung der Lehre und ihrer Verkündigung dem Regenten dringend ans Herz; und indem er die politische Verantwortlichkeit für jede Widerseßlichkeit allein auf ihn abschiebt, nimmt er es für die Theologen als Recht und Pflicht in Anspruch, lediglich ihrem Gewissen zu folgen. Im wesentlichen in der gleichen würdigen Weise trat Melanchthon auf dem Landtage zu Meißen auf (Juli), wohin Moriß die weltlichen Stände und die Theologen zur Beratung der Angelegenheit beschieden hatte. Die Stände zeigten hier von vornherein wenig Neigung zur

Annahme des Interims; sie wurden in der Stimmung durch ein von Melanchthon vorgelegtes Gutachten bestärkt. Es behandelte das, was für Melanchthon im Mittelpunkte der ganzen Angelegenheit stand, nämlich die Lehre von der Rechtfertigung (und damit unmittelbar zusammenhängend des Glaubens und der guten Werke). Wieder werden, nur im Ausdruck schärfer, die im Interim niedergelegten Anschauungen als mit der evangelischen Lehre unverträglich zurückgewiesen. Die übrigen Teile des Gutachtens wurden von den anderen Theologen bearbeitet, die mit Melanchthon aber vollständig übereinstimmten, wenn sie sich in nicht den eigentlichen Kern der Lehre berührenden Dingen auch hier zu Zugeständnissen bereit erklärten. Von einem ursprünglich durch den Landtag in Aussicht genommenen Gegenbekenntnis gegen das Interim wurde abgesehen, troßdem Melanch= thon schon mit der Abfassung begonnen hatte. Man einigte sich nach längeren Verhandlungen dahin, sich an den Kurfürsten mit folgender Bitte zu wenden: er möge den Kaiser ersuchen, von der Einführung des Interims in Sachsen abzusehen. Da der Kurfürst nach der Lage der Dinge einem solchen Verlangen nicht nachgeben konnte, von dem Landtage und den Theologen aber bei der augenblicklichen Stimmung nichts weiter zu erreichen war, so hielt es Morih für das Beste, durch Aufschiebung der Verhandlungen Zeit zu gewinnen. Die Theologen hatten auf dem Meißner Tage zweimal den Versuch gemacht, ihre Sache von der des Kurfürsten zu trennen; der Kurfürst sollte thun, was er im Interesse des Landes für nötig halte und sie für ihr Privatbekenntnis leiden lassen. Das war durchaus Melanchthons Standpunkt, und man wird daher unzweifelhaft in Melanchthon den geistigen Urheber zu suchen haben. Allein Moritz war nicht geneigt, darauf einzugehen, er brauchte die Theologen, um den Kaiser durch eine dem Interim angenäherte und doch den Fortbestand der lutherischen Lehre ermöglichende Formel zu befriedigen; deshalb wollte er von einer Trennung des Staatlichen und Religiösen nichts wissen. Melanchthon war von dem bisherigen Verlaufe der Verhandlungen befriedigt; er sprach sich gerade in diesen Tagen wiederholt für festes Beharren und für entschiedene Ablehnung der „Augsburgischen Sphinx“ aus, wie er denn auch Abgesandte anderer Landschaften, die sich bei ihm Rats erholten, in ihrem Widerstande gegen das Interim bestärkte. Auch als der Markgraf Johann von Küstrin, der wegen seiner abweisenden

Stellung zum Interim beim Kaiser in Ungnade gefallen war, von Melanchthon einen Rat begehrte, empfahl ihm Melanchthon dringend, in den Nebendingen und äußeren Fragen nachzugeben, in der Hauptsache aber festzubleiben, mit der Antwort jedoch nicht zu eilig zu sein, da bei der Unsicherheit der Verhältnisse sich durch Verzögerung der Angelegenheit vielleicht eine glückliche Wendung geben lasse. Die Stimmung, die ihn selbst erfüllte, drücken die nachfolgenden Worte des Schreibens kräftig und entschieden aus: „Ich will auch durch Gottes Gnade für meine Person dies Buch, Interim genannt, nicht billigen, dazu ich viel großwichtige Ursache habe, und will mein elend Leben Gott befehlen, ich werde gleich gefangen oder verjagt."

Um eine Grundlage für die wiederaufzunehmenden Verhandlungen zu gewinnen, sezte Moriz ein Religionsgespräch zu Pegau an, dem außer den Theologen (neben Melanchthon Georg von Anhalt, Förster und Paul Eber, der den erkrankten und bald darauf verstorbenen Cruciger vertrat) die beiden katholischen Bischöfe Sachsens Pflug und Maltitz sowie einige Räte beiwohnten. Die Theologen erklärten in einer Eingabe ihren tiefen Widerwillen gegen weitere Zumutungen; troßdem begannen sie hier auf die schiefe Ebene zu kommen. Eine von Melanchthon vorgeschlagene Formel über die Rechtfertigung kam, obgleich sie in ihrem Grundgehalt unzweifelhaft evangelisch war, doch im Ausdruck der katholischen Lehre entgegen; sie wurde unter wesentlicher Beihilfe der Räte mit einem von Pflug beantragten Zusage angenommen und troy Melanchthons Widerspruch von den Bischöfen als dem Interim entsprechend bezeichnet. Dagegen lehnten die Bischöfe Unterhandlungen über die anderen Abschnitte ab, da die päpstliche Erlaubnis dazu noch nicht eingetroffen sei. In trüber Stimmung verließ Melanchthon Pegau, und was er in der nächsten Zeit erleben mußte, war nicht geeignet, ihn in bessere Stimmung zu versehen. Auf dem Landtage zu Torgau (Oktober) wurde den Theologen von einem aus Räten und Adligen bestehenden Ausschuß ein bereits aufgesetter Vergleichsentwurf vorgelegt, der neben der in Pegau zustandegekommenen Formel über die Rechtfertigung den Vorschlag einer Wiedereinführung fast aller katholischer Kirchenbräuche enthielt. Die Theologen suchten sich gegen die anstößigsten derselben zu verwahren, ohne daß man ihren Einwänden sonderliche Beachtung geschenkt hätte. Die Zwischenzeit zwischen den Torgauer Verhandlungen

und einem neu angesezten Gespräch in Celle benußte man von seiten des Hofes dazu, um Melanchthon vollends mürbe zu machen. Der ohne Melanchthons Zuthun erfolgte Druck seines Gutachtens über das Interim hatte schon vor dem Torgauer Tag dem Kaiser Veranlassung gegeben, sich bei Moriß über ihn zu beschweren und seine Ausweisung zu verlangen ; auch andere Nachrichten über die Ungnade des Kaisers wurden benutzt, um auf Melanchthon zu wirken, ebenso wurde ihm das Schreckbild eines neuen Krieges vorgeführt. Vergebens suchte er sich selbst durch Erinnerung an Luther zu stärken; am 10. November ermahnte er bei einer Doktorpromotion die jungen Theologen zur Standhaftigkeit; aber aus dem kraftvollen Ton fällt er dann unwillkürlich wieder in Sorge und Zaghaftigkeit und beklagt das Fehlen des großen Toten, der allein imstande gewesen wäre, der herrschenden Verwirrung zu steuern. So wirkt bei ihm Luthers Schatten nicht zur Belebung und Stärkung, sondern er wird zu einer Klage über die eigene Unsicherheit und Hilflosigkeit. Es war vorauszusehen, daß Melanchthon unter diesen Umständen den Zumutungen in Alt-Celle nicht zu großen Widerstand entgegensezen würde. Thatsächlich wurde auch hier, wo außer Melanchthon noch Georg v. Anhalt, Bugenhagen, Major, Camerarius und einige andere Theologen zugegen waren, der Torgauische Entwurf im wesentfichen angenommen. Doch hatte Melanchthon wenigstens dafür gesorgt, daß ein großer Teil der beibehaltenen katholischen Bräuche in einer Weise gerechtfertigt wurde, die Mißdeutungen ausschloß, auch sollte durch eine neu zu entwerfende Agende dafür gesorgt werden, diese Umdeutung des Beibehaltenen noch weiter durchzuführen. Nachdem Moritz noch auf einer Zusammenkunft zu Jüterbogk sich mit Joachim II. über ein gemeinsames Vorgehen betr. des Interims geeinigt hatten, wurde der Entwurf durch den Kurfürsten in Leipzig seinen Ständen vorgelegt, die sich lebhaft dagegen verwahrten und erst nach längeren Unterhandlungen und Bloßstellung der Theologen in die Einführung der Alt-Cellischen Beschlüsse, des nunmehr spottweise sogenannten „Leipziger Interims", willigten. Zunächst kam es jetzt darauf an, eine den gefaßten Beschlüssen entsprechende Kirchenordnung zu schaffen. Mit der Ausführung einer derartigen Arbeit wurde Georg von Anhalt betraut, der alsbald daranging, seine zur Einführung der Reformation in Sachsen verfaßte Agende (1539) den veränderten Verhältnissen anzupassen. Die neue Agende war im wesentlichen Georgs Werk, wenn

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