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schriften seiner Schüler veröffentlicht worden sind. Hier treten die für Melanchthon maßgebebenden Gesichtspunkte deutlich hervor: aus der Lektüre der antiken Schriftsteller soll vor allen Dingen Wort= und Sachkenntnis gewonnen werden. Grammatisches Verständnis, Einsicht in den Gedankengang und den schriftstellerischen Aufbau einerseits, Aneignung der überlieferten sachlichen Kenntnisse und der sittlichen Lebensvorschriften andererseits. Diesen Zwecken dient die ganze Erklärung; nicht den lezten Plaz nimmt die Darstellung des sittlichen Ertrages der Lektüre ein; mit Zuhilfenahme von vergleichenden Stellen (vor allem aus der Bibel), mit den Mitteln, die Dialektik und Rhetorik an die Hand geben, weiß Melanchthon derartige Gedanken herauszuheben und scharf zu fassen; um sie einzuprägen bedient er sich auch vielfach kleiner erzählender Züge und scherzhafter Anekdoten, getreu nach seinem Grundsaße, daß beim Lehren ein Beispiel immer besser als die nackte Lehre wirkt. Auch die von unserer Beurteilung doch recht verschiedene Abschätzung des Wertes der einzelnen klassischen Schriftsteller, infolge deren z. B. von den griechischen Tragikern namentlich Euripides in den Vordergrund geschoben wird, findet durch dieses Endziel des Unterrichts ihre Erklärung.

Melanchthons Bildungsideal und seine Verwirklichung.

So waren die wissenschaftlichen Mittel beschaffen, durch welche Melanchthon sein Bildungsideal zu verwirklichen suchte. Er stellt kein neues Ziel des Unterrichts auf, sondern er übernimmt das von den italienischen Humanisten aufgestellte, von Agricola und Erasmus umgestaltete und nach Deutschland verpflanzte, das freilich im lezten Grunde wieder auf das Altertum, namentlich auf Quintilian zurückzuführen ist. Danach ist der Zweck aller Unterweisung, in den Schülern die Darstellungsfähigkeit (eloquentia) zu entwickeln. Die Bedeutung dieses Unterrichtszieles tritt dadurch noch deutlicher hervor, daß es nicht selten auch als Bildung (eruditio) bezeichnet wird, ein Wort, das Melanchthon zuweilen allerdings auch im engeren Sinne verwendet. Bildung besteht in Sach- und Wortkenntnis einerseits und andererseits in der Fähigkeit, das Gelernte in klarer, angemessener Weise ausdrücken zu können. Alle Bestandteile, aus denen sich dieser Begriff zusammenseßt, sind von einander untrennbar. Wer aus den Quellen schöpfen will, muß

sie erst verstehen, daher ist grammatische Einsicht zunächst notwendig; daran schließt sich die Kenntnis der thatsächlichen Unterlagen, die teils aus den Quellen gewonnen wird, teils zu ihrem Verständnis notwendig ist. Aber damit ist nur die eine Seite des Bildungsideales bezeichnet; die Kenntnis von Worten und Sachen bleibt unfruchtbar, wenn das Gelernte nicht deutlich, klar und möglichst auch schmuckreich wiedergegeben werden kann. Eigene Zusammenfassung des Aufgenommenen bildet daher den Schlußstein des Gebäudes; und es ist durchaus zutreffend, wenn davon das ganze Unterrichtsziel den Namen der Darstellungsfähigkeit erhält, wodurch die Aufnahme des zu verarbeitenden Stoffes als ganz selbstverständlich vorausgesezt wird. Durch die Aneignung des Quelleninhaltes wird der Gesichtskreis erweitert, durch die Denkarbeit bei der angemessenen Wiedergabe der Geist geschärft; so führt die Darstellungsfähigkeit zur Einsicht (prudentia) und ermöglicht die allseitige Entfaltung der menschlichen Anlagen und die feine Geistesbildung (humanitas).

Auch die Art, in der Melanchthon dieses Bildungsziel zu erreichen suchte, zeigt die gleiche Reihenfolge und weist ebenso wie die allgemeinen Gedanken auf Quintilian zurück. Nach Einprägung der notwendigsten grammatischen Kenntnisse sollen die Klassiker in sorgfältiger, nicht zu reichlicher Auswahl gelesen werden; dabei ist vor allem auf die Beobachtung des Sprachgebrauches Wert zu legen. Aber diese Kenntnisse bleiben ein totes Gut, wenn sie nicht durch regelmäßige schriftliche Übung angewendet und befestigt werden. Dabei sind immer die klassischen Vorbilder im Auge zu behalten und sorgfältig, jedoch nicht zu äußerlich, nachzuahmen; vor allen sollen dabei die Schriftsteller der ciceronianischen Zeit und Cicero selbst ausgeschöpft werden, dem Melanchthon mit hoher, wenn auch nicht kritikloser Bewunderung gegen= übersteht. So wurde der Schüler schließlich in den Stand gesezt, über jeden beliebigen Gegenstand in lateinischer Rede sich äußern zu können; den Stoff in gefälliger Form darstellen zu können, war also auch hier das Endziel des Unterrichts. Zu diesem Zwecke führte Melanchthon schon in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre in Wittenberg wieder die feierlichen Reden bei Universitätsfesten ein; er selbst hat deren eine außerordentlich große Anzahl für sich und andere verfaßt. (vgl. S. 492).

Neben diesen großen Gesichtspunkten fehlen naturgemäß auch die kleinen Mittel nicht, durch die der Schulmann den Weg zu dem

erstrebten Ziele zu beschleunigen sucht. Der Wert der Wiederholung, ferner einer weisen, wenn auch nicht zu ängstlichen Beschränkung des durchzuarbeitenden Stoffes wird wiederholt hervorgehoben, die Notwendigkeit der Quellenkunde betont, ein fester, wohlüberlegter Plan für die regelmäßige Arbeit gefordert. Der grammatische Stoff soll durch Verwendung von Beispielen, namentlich durch Behandlung von anziehenden, die Jugend fesselnden Tierfabeln schmackhafter und mundgerechter gemacht werden; doch ist darüber die selbständige Pflege der Grammatik nicht zu vernachlässigen. Bei der Lektüre sollen zunächst die wichtigsten stehenden Ausdrücke der Schriftsteller gesammelt, dann der formelle und inhaltliche innere Aufbau der klassischen Schriftwerke, vor allem Ciceros, beobachtet und nachgeahmt werden. Es kam nun freilich erst darauf an, die der Erreichung dieser Ziele dienenden Unterrichtsanstalten zu schaffen oder neuzugestalten.

Unermüdlich ist daher Melanchthon in der Empfehlung von Schulgründungen. Fürsten und Magistrate haben nach ihm die unumgängliche Pflicht, für die Gründung und Erhaltung von Schulen zu sorgen. Denn diese sind nötiger als das Licht der Sonne und die Früchte der Erde. Ohne Schulen, ohne Wissenschaften würde der Mensch in ein cyklopisches Leben versinken und wie die Tiere leben. Denn das, was den Menschen erst wirklich zum Menschen macht und eine staatliche Gemeinschaft ermöglicht, sind die Schulen. Mit einem Worte: sie sind die Grundlage dessen, was Melanchthon Gesez nennt, der bürgerlichen Zucht, auf der das ganze Gemeinwesen sich aufbaut. Aber nicht allein für das Gesez, sondern auch für das Evangelium sind die Schulen von höchster Wichtigkeit. Der Nachweis ergiebt sich von selbst aus der ganzen vorbereitenden Stellung, welche die Wissenschaften in Melanchthons Vorstellung für die Theologie besaßen. Grammatik, Dialektik, Ethik und Physik, Geographie und Geschichte dienen der Theologie; und es muß daher auch Schulen geben, die diese Gegenstände unterrichten und fortpflanzen. Diese aber können nur gedeihen, wenn sich Männer finden, die ihr Bestes der Erziehung der Jugend widmen. Die Schwierigkeiten dieses Berufes verkennt Melanchthon nicht, ja er malt sie sogar mit den düstersten Farben aus. Andererseits hat er aber doch auch die Freuden hervorgehoben, die das erfolgreiche Lehren gewährt; ja er hat das Schulleben mit dem goldenen Zeitalter, dem unschuldsvollen Ur

stande im Paradiese verglichen, wobei allerdings einschränkend zu bemerken ist, daß er im ersten Falle den Schulmeister (Gymnasiallehrer), im zweiten den Universitätslehrer im Auge hat.

Die Art, in der Melanchthon als praktischer Organisator des Schulwesens seine Gedanken zu verwirklichen suchte, zeigt nichts von dem Wesen eines Stürmers und Drängers. Was ihm von der mittelalterlichen Schule, die allerdings schon mannigfache humanistische Umgestaltungen erfahren hatte, brauchbar erschien, behielt er unbedenklich bei, so die Einteilung in drei Klassen. Auch manche im Mittelalter gebrauchte Lehrbücher beseitigte er nicht, so z. B. den Donat und die Distichen des Cato; daß die von humanistischer Seite so vielfach und ingrimmig befehdete Grammatik des Alexander de Villedieu hier endgültig verschwunden ist, versteht sich von selbst. Wie Melanchthon sich die Gestaltung im einzelnen dachte, zeigt der dem Visitationsunterricht (vgl. S. 227) beigegebene Lehrplan, der durch andere von Melanchthon selbst entworfene oder doch durch ihn beeinflußte Schulordnungen sich noch ergänzen läßt. Es fällt dabei auf, wie eng sich Melanchthon hier die Grenzen zog; er hatte gewiß auch schon die Erfahrung gemacht, auf die Durchführung wie vieler Pläne der Lehrer verzichten, wie vieles er über Bord werfen muß, wenn er überhaupt etwas erreichen will. Deshalb beschränkt er sich auf eine Sprache, die lateinische; diese soll in der ersten Klasse zunächst in ihren Elementen erlernt, in der zweiten weiter selbständig getrieben und an der Lektüre geübt werden; daneben ist in dieser Klasse mit dem Lateinsprechen zu beginnen, denn offenbar dieser Absicht diente die Lektüre der Schülergespräche des Mosellanus und ausgewählter Stücke aus den Gesprächen des Erasmus. In der gleichen Richtung wurde der Unterricht in der dritten (wir würden sagen ersten) Klasse fortgesetzt; doch trat neben der Beherrschung des grammatischen Stoffes und der Fähigkeit des Sprechens jezt die Beobachtung des Stils stärker hervor; auch handelt es sich bei den Sprechübungen nicht mehr um bereits fertig vorliegende und nur auswendig zu lernende Gespräche, sondern der Stoff, der aus Ciceros Offizien und seinen Briefen gewählt wurde, mußte erst durch gemeinsame Arbeit von Lehrern und Schülern in die entsprechende Form gebracht werden. Außerdem sollte, wenn der grammatische Stoff erschöpft wäre, in den freiwerdenden Stunden Dialektik und Rhetorik getrieben werden, wozu

es aber wohl selten fam. Außer den bereits erwähnten Schriftstellern wurden meist mit grammatischer Absicht gelesen: Terenz, Plautus, Vergil und Ovid. Schriftliche Arbeiten in Prosa und Vers und die dazu notwendige Vorbereitung waren selbstverständlich vorgesehen. Neu war die Einführung des Religionsunterrichtes, für den Melanchthon in der zweiten Klasse eine für das in Betracht kommende Alter wenigstens ziemlich ausgedehnte Lektüre vorschreibt, die aber wohl kaum regelmäßig durchgeführt worden ist. Außerdem wird in der Musik unterrichtet (im wesentlichen als Vorübung für den Gottesdienst); gelegent= liche Unterweisungen geschichtlicher, geographischer, mythologischer Art sind sicher bei der Durchnahme der einzelnen Schriftsteller eingeflochten worden.

Das ist im wesentlichen die Form der Lateinschule, für deren Verbreitung Melanchthon eine nicht hoch genug zu veranschlagende Thätigkeit an den Tag legte. Für die Anlage des Ganzen und die Ausführung im einzelnen wurde sein Wort maßgebend, und unzählige Ratschläge an Regierende und Magistrate hat er im Interesse der Schulgründungen und ihrer weiteren Ausgestaltung erteilt. Wer die in Betracht kommenden Aktenstücke durchliest, dem muß sich die Überzeugung aufdrängen, daß diese rein praktische Arbeit schon allein genügt haben würde, um das Leben eines widerstandsfähigen Mannes auszufüllen.

Die Lateinschule war gedacht als Vorbereitung zur Universität; alles, was sie nicht gewährte, hatte die Artistenfakultät (vgl. S. 12) zu leisten. Diese Voraussetzung muß man immer im Auge haben, damit man die von Melanchthon getroffenen Maßnahmen nicht ungerecht beurteilt. Die Ausbildung der Schüler mußte naturgemäß zunächst sprachlich sein, weil ohne sichere Sprachkenntnis das ganze spätere Studium unmöglich war.

Allerdings hat nun neben dieser einfachen Form der Lateinschule Melanchthon bereits den Plan zu einer Anstalt entworfen, die auch die Kenntnisse, welche die artistische Fakultät zu vermitteln hatte, schon bieten sollte. Es ist das die Verwirklichung eines schon früh auftauchenden Gedankens, dessen Ausführung z. B. Wimpheling dem Rat von Straßburg empfohlen hatte. Da der Nürnberger Rat ge= neigt war, eine derartige Anstalt ins Leben zu rufen, so wurde auf Melanchthons Rat und unter seiner Beihilfe die sogenannte „obere Schule" gegründet und mit einer inhaltsreichen, die Notwendigkeit wissenschaftlicher Bildung darlegenden Rede Melanchthons eröffnet.

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