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bereits Gedanken, die einer fernen Zukunft vorarbeiteten. Er betonte nämlich, daß der Geschichtsschreiber überall auf die ursprünglichsten Quellen, nämlich auf Inschriften und Urkunden zurückgehen müsse.

Melanchthon hat es freilich, soweit die politische Geschichte in Betracht kommt, bei diesen Anregungen bewenden lassen, die allerdings bald wirksam werden sollten. Während z. B. sein Zeitgenosse und Bekannter Aventin bereits versuchte, diese unmittelbaren Quellen für seine geschichtlichen Arbeiten nußbar zu machen, hat Melanchthon als die eigentlichen Quellen seiner Darstellung die Geschichtsschreiber, die alten und mittelalterlichen, betrachtet, wie er denn auch manche derselben, z. B. die Annalen Lamberts von Hersfeld, zuerst aufgefunden, in ihrem Werte erkannt und zugänglich gemacht hat. Seine Hauptarbeit auf dem Gebiete der politischen Geschichte war die Umarbeitung der Chronik des brandenburgischen Professors und Hofastrologen Carion, an deren erster Gestalt Melanchthon ebenfalls schon mitgearbeitet hatte. (1532.) Die von Melanchthon vorgenommene völlige Umgestaltung reicht bis zu Karl dem Großen; als er an diesem Zeitpunkte angelangt war, nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand. Die beiden vorliegenden Bände zeigen nun freilich, daß für eine Darstellung der Weltgeschichte damals noch alle Voraussetzungen fehlten. Sobald im zweiten Bande kirchliche Verhältnisse in Betracht kommen, läßt es der Verfasser allerdings häufig nicht an eindringender kritischer Schärfe fehlen, aber im ganzen kommt er doch über eine lose Aneinanderreihung des Thatsächlichen nicht hinaus. Der Einteilungsgrundsaß von Geseß und Evangelium soll auch hier durchgeführt werden; aber schon, daß er beiden Weltaltern eine ebenso lange Vorstufe, „den leeren Weltraum“, voran= schicken muß, zeigt, daß das gewählte Schema nicht paßt, zumal es auch, wenn es wie hier rein als Zeitfolge gefaßt wird, mit Melanchthons sonstigen Ansichten nicht vereinbar ist. Dazu kommt, daß der moralisierende Maßstab, der fast immer an Ereignisse und an Persönlichkeiten gelegt wird, meist von der eigentlichen Bedeutung des behandelten Gegenstandes abführt, so verständlich er auch bei dem Endzweck ist, den Melanchthon bei seiner ganzen wissenschaftlichen Arbeit im Auge hat.

Obgleich die Zeitgenossen auch diesem Versuch einer welt= geschichtlichen Darstellung gegenüber mit ihrem Lobe nicht kargten,

läßt sich Melanchthons Bedeutung als Geschichtsschreiber doch aus ihm nicht erkennen; ebensowenig aus kleineren geschichtlichen Darstellungen, wie sie sich hier und da bei ihm finden. Sie gründet sich vielmehr durchaus auf eine Gattung von geschichtlichen Werken, die in ihrem Werte bisher entweder gar nicht oder doch nicht genügend erkannt worden ist. Es sind das die geschichtsphilosophischen und litteraturgeschichtlichen Arbeiten, vor allem seine Rede auf Luther, das Lebensbild Luthers und zahlreiche Deklamationen kirchengeschichtlichen und litterarhistorischen Inhaltes. (vgl. S. 492.) Die Anregungen, die er schon in seiner Jugend durch Politian erhalten hat, wirken noch immer fort, aber sie sind mit selbständigem Geiste aufgenommen und verarbeitet worden, so daß nach vielen Seiten hin der Schüler über den Lehrer hinauswächst. In der Aufzeigung der inneren Entwickelung seiner Helden, in dem scharfen Erfassen und der richtigen Wiedergabe der bezeichnendsten Züge ihres Lebenswerkes zeigt Melanchthon eine sichere Kraft, wie sie in ähnlich gearteten Versuchen des sechzehnten Jahrhunderts sich sonst nicht nachweisen läßt. Auch die Art, in der er einzelne Gestalten, z. B. Luther, in einen großen weltgeschichtlichen Zusammenhang zu rücken weiß, ist im Zeitalter der Reformation sonst kaum, jedenfalls nicht in dieser Vollendung zu belegen. Im einzelnen finden sich natürlich wie bei allen Geschichtsschreibern der Zeit sachliche Irrtümer, Auslassungen und ähnliches; auch an der Art, in der er etwa in der Rede auf Erasmus die Gegenfäße zwischen Luther und dem humanistischen Meister verwischt, mag man Anstoß nehmen. Allein in der Hauptsache, in der Vergegenwärtigung des Lebenswerkes, in der Vermeidung alles bloß Zufälligen und der Hervorhebung des wahrhaft Bleibenden und Lebendigen verfehlt er selten den Weg; und aus diesem Grunde sind die Deklamationen über Augustin, Ambrosius (dessen Zurückgreifen auf ciceronianische Ideen Melanchthon mit besonderer Wärme geschildert hat), R. Agricola, Erasmus und andere als wichtige Denkmäler innerhalb der Entwickelung der deutschen Ge= schichtsschreibung zu bezeichnen, während z. B. die rein geschichtlichen Lebensabrisse, etwa über Otto I., Heinrich IV. und Barbarossa uns zwar durch die Wärme und Lebhaftigkeit der Darstellung erfreuen, aber ein tieferes Ergreifen der darin behandelten Fragen nicht verraten.

Unmittelbar im Zusammenhang mit der Geschichte erscheint bei Melanchthon die Erdkunde. Selbständige Leistungen hat er hier

Ellinger, Melanchthon.

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nicht aufzuweisen; seine Reden, die geographische Gegenstände behandeln, zeigen gute Beobachtungsgabe und Sinn für das Charakteristische; in seinen Vorlesungen, auch in den theologischen, hat er dafür zu wirken gesucht, daß immer die geographischen Verhältnisse seinen Zuhörern gegenwärtig wären.

In ähnlicher Weise wie bei der Erdkunde hat er bei der Mathematik mehr anregend als selbstthätig gewirkt, ohne indessen auch hier ganz auf Unterstüßung durch seine mächtige schriftstellerische Beihilfe zu verzichten. Stärker war sein Interesse bekanntlich an der Astronomie, bezw. Astrologie, obgleich er auch hier eigentlich selbständige Leistungen nicht aufzuweisen hat. Doch hat er vor allen Dingen dafür gekämpft, den naturwissenschaftlichen Fächern auf der Universität ihre Stellung zu sichern; (vgl. S. 467) daß er auch innerhalb des Bereiches dieser Wissensgebiete seinen Blick auf das Erreichbare und Mögliche richtete und z. B. bei der Mathematik sich die Grenzen ungemein eng steckte, zeigt ebenfalls den erfahrenen, nicht in das Weite schweifenden Schulmann.

Die Vorbedingung für alle diese wissenschaftliche Arbeit in Universität und Schule war natürlich die Kenntnis der Sprachen, in denen die Quellen geschrieben waren. Als unerläßliche Grundlage des Unterrichts stellte sich daher ein gründlicher Betrieb der klassischen Sprachen heraus, dessen Gestaltung Melanchthon auf Jahrhunderte hinaus bestimmt hat.

Melanchthons griechische Grammatik (1518) bietet im wesentlichen eine Formenlehre. Sie behandelt die Buchstaben, die Silbenbetonung, die Accente, die Deklination und Konjugation und die einzelnen Wortklassen. Bei einer Betrachtung des Buches ergiebt sich leicht, daß Melanchthon, was ja bei seiner Jugend selbstverständlich war, seine Arbeit nicht auf der eigenen Beobachtung des Sprachgebrauches aufbaut. Diese tritt vielmehr noch sehr zurück. Dagegen werden im wesentlichen die Aufstellungen der byzantinischen Grammatiker, ihrer italienischen Nachfolger, wohl auch Melanchthons deutscher Vorläufer übernommen, gesichtet und übersichtlich dargestellt. Und in dieser Aneignung des grammatischen Stoffes liegt Melanchthons Hauptverdienst. Wohl behält er nach unseren Begriffen noch manches Entbehrliche bei, was den Tifteleien der Byzantiner seinen Ursprung verdankt und mit der lebendigen Sprache wenig mehr zu thun hat; aber in der Hauptsache hat er doch das Notwendige herausgegriffen und es durch die klare, sich schnell dem Verständnis einprägende

Formgebung leicht faßlich gemacht. Daß es ihm an ursprünglicher Fähigkeit nicht fehlte, die grammatischen Probleme durch selbständige Arbeit oder doch wenigstens durch Weiterbildung fremder Entdeckungen zu fördern, zeigt sich freilich auch hier mehrfach, z. B. in der Beobachtung, daß die bei den Byzantinern als lange Vokale gesprochenen griechischen Laute ei und ai thatsächlich Diphthongen seien. Aber die Verfolgung derartiger Fragen liegt ihm eben wenig am Herzen; nicht als Gelehrter still an dem arbeiten, was in einer fernen Zukunft fruchtbar werden kann, sondern als Lehrer das unmittelbar Wissenswürdige, Nüßliche einzuprägen und dadurch den Übergang zu weiterer Bildung des Geistes und Gemütes vorzubereiten, ist sein Ziel. Das geht aus einer Bemerkung hervor, die Melanchthon einem als Übungsstück eingeschobenen Abschnitt aus der Ilias beifügt: nicht so sehr um der grammatischen Übung willen denn als sittliches Beispiel hat er das Lesestück ausgewählt; die richtige Benutzung des Dichters soll gelehrt werden. Denn ich stimme durchaus mit denen nicht überein, die bei dem Dichter nur auf den Klang der Worte sehen und ihm mehr ihre Ohren als ihr geistiges Urteil öffnen." Wie der Schüler möglichst schnell sich die nötigen sprachlichen Vorkenntnisse aneignen kann, um zu den Quellen und zu ihrem Inhalte vorzudringen, ist hier mit seltenem Lehrgeschick gezeigt worden; und gerade dieser Umstand war es, durch den das später von Camerarius umgearbeitete Buch den großen Erfolg errang und nicht bloß die fremden, sondern auch die deutschen Grammatiker endgültig aus dem Felde schlug.

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Der Grammatik diente auch eine von Melanchthon hergestellte griechische Chrestomathie (zuerst 1525), die außer einigen Stellen aus dem Neuen Testament sorgfältig und weise ausgelesene Stellen aus mustergültigen Schriftstellern enthält, aber wenig gebraucht worden zu sein scheint. Neben die griechische Grammatik tritt seit 1525 auch eine, ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmte und ohne Melanchthons Wissen veröffentlichte lateinische Grammatik; ihr schloß sich 1526 eine Syntax an, während eine griechische Syntax von Melanchthon wohl vorbereitet worden, aber nie an die Öffentlichkeit getreten ist. Die beiden lateinischen Lehrbücher haben, zum Teil auch in späteren Umarbeitungen, die in der Hauptsache auf den trefflichen Micyllus zurückgehen, ebenfalls eine bedeutende Wirkung ausgeübt. Troßdem tritt in der allgemeinen Meinung der Wert der lateinischen Grammatik

hinter der griechischen weit zurück. Allein das Urteil ist nur halb richtig. Wohl griff die lateinische Grammatik nicht so tief in die Geschichte der Sprachstudien ein; sie wurde nicht in gleicher Weise von der ungewöhnlichen Lehrfähigkeit des Verfassers einerseits und der Gunst der Umstände andererseits unterstüßt. Aber in der Beherrschung des Stoffes steht die lateinische Grammatik unzweifelhaft ihrer älteren Schwester voran. Freilich schleppt auch sie noch manches Unnötige mit sich, was die spätere Zeit schnell über Bord geworfen hat; allein das erklärt sich hier wohl aus dem Streben nach mög= lichster Vollständigkeit. Und überall spürt man, wie die Regeln auf Beobachtung der Sprache beruhen; nicht fast ausschließlich wie beim Griechischen geschickte Wiedergabe fremder Beobachtungen, sondern der Ertrag einer selbständigen, dauernd geübten Untersuchung des Sprachgebrauchs der maßgebenden Schriftsteller.

Die gleichen Züge, die an den grammatischen Arbeiten Melanchthons zu beobachten sind, tragen seine übrigen philologischen Arbeiten. Er hat zahlreiche klassische Schriftsteller herausgegeben und erklärt, auch lateinische Übersetzungen griechischer Autoren zum Zwecke des Unterrichtes angefertigt. angefertigt. Bei seiner Thätigkeit Bei seiner Thätigkeit als Herausgeber arbeitete er mit ganz unzureichenden Hifsmitteln; troßdem sind sie überall, z. B. wenn man etwa die Ausgaben des Erasmus als Maßstab annimmt, mit Sauberkeit und Verständnis angefertigt. Auch fehlte es Melanchthon hier ebensowenig wie bei den grammatischen Fragen an der ursprünglichen Fähigkeit, wissenschaftliche Fortschritte (das Wort im engeren Sinne der heutigen Fachgelehrsamkeit genommen) herbeizuführen. Namentlich ergiebt es sich aus seinen lateinischen Übersetzungen, daß er es sehr wohl verstand, verderbte Stellen des griechischen Textes durch scharfsinnige Vermutungen und Verbesserungsvorschläge aufzuhellen. Aber das geschieht nur nebensächlich und ohne daß ein besonderer Wert darauf gelegt wird; so kommt es, daß Melanchthon auf diesem Gebiete der rein-philologischen Thätigkeit von anderen Zeitgenossen, so z. B. von seinem Freunde Joachim Camerarius, weit überflügelt wird. Aber ihm lag überhaupt bei der Erschließung der klassischen Schriftsteller etwas ganz anderes am Herzen, wodurch es leicht erklärlich wird, daß jene Seiten der reinen Gelehrsamkeit für ihn zurückzutreten hatten. Diese Absichten lernt man aus seinen Schriftstellererklärungen kennen, die teils durch ihn selbst, teils aus Nach

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