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und dunklen Nacht ein neues Licht der Lehre aufzugehen. Hier wies er den Unterschied des Gesetzes und des Evangeliums nach; hier widerlegte er den in den Kirchen und Universitäten herrschenden Irrtum, daß die Menschen mit eigenen Werfen Vergebung der Sünden verdienen und durch äußerliche Frömmigkeit vor Gott gerecht werden könnten, wie die Pharisäer einst gelehrt haben. Er rief die Menschen zum Sohne Gottes zurück; er wies sie wie der Täufer Johannes auf das Lamm Gottes, welches unsere Missethat trägt, er zeigte, daß die Sünden allein um des Sohnes willen vergeben werden und daß man sich dieser Wohlthat durch den Glauben teilhaftig machen müsse." In aller Kürze behandelt er dann den Ablaßstreit, erwähnt kurz die Leipziger Disputation und geht hierauf zum Augsburger Bekenntnis als der Zusammenfassung des von Luther Gepredigten über. Schon in diesem ersten Teile hat er wiederholt die Vorwürfe gegen Luther entkräftet; jezt wendet er sich namentlich gegen die, welche ihm die Erregung von Zwietracht und Uneinigkeit vorgeworfen haben. Diesen Tadel weiß er für das geistliche Gebiet dadurch zu entkräften, daß er zeigt, wie unbedingt notwendig es war, gegen die Mißbräuche Stellung zu nehmen. Auf weltlichem Gebiete hat Luther, wie Melanchthon darthut, die Bedeutung einer geseßmäßigen Obrigkeit und Ordnung nicht allein verteidigt, sondern auch im Volksbewußtsein gestärkt und aller Predigt des Aufruhrs entgegengewirkt.

Wie Melanchthon in der Rede auf Luther zweimal absichtlich das Zeugnis des Erasmus herbeigezogen hat, so führt er ihn auch hier zweimal ein. Bei der Schilderung der Jahre, die dem Ablaßstreit vorhergingen, hebt er die Bedeutung der Thätigkeit des Erasmus, vor allem seiner philologischen Arbeiten, für die Vorbereitung der Reformation hervor. Und als Friedrichs des Weisen Stellung zu Luther — wiederum in einigen kurzen, aber klassischen Worten — gezeichnet wird, erinnert er an die Zusammenkunft zwischen Friedrich d. W. und Erasmus zu Köln und den ausschlaggebenden Rat des großen Humanisten. (vgl. S. 120.)

Es ist nicht bloß die richtige Beobachtung des Einzelnen, die uns anzieht. Auch an großen, weittragenden Gedanken fehlt es dem Lebensbilde nicht. Schön weiß Melanchthon seinen Gedanken von der wahren Kirche auszuführen, die sich immer, wenn auch nur durch wenige Gläubige vertreten, innerhalb der Finsternis und Abgötterei erhält. Und bevor er am Schlusse noch einmal übersichtlich

die ganze Bedeutung des gewaltigen Mannes zusammenfaßt, giebt er einen tief eindringenden, gedankenreichen Überblick über die Entwickelung der christlichen Kirche, die er ziemlich genau in seiner Deklamation: Über Luther und die vier Zeitalter der Kirche (1547) wiederholt hat. Vier Perioden nimmt er an. Die erste war die Zeit Christi und der Apostel; die zweite das Zeitalter des Origenes, in welchem die Reinheit des ursprünglichen Christentums zuerst durch das Einströmen neuplatonischer Elemente getrübt wurde; die dritte die Epoche des Augustin, der wieder eine Erneuerung und Vertiefung herbeiführte; die vierte endlich die Herrschaft der Scholastik und die Verweltlichung der Kirche, ein Zeitalter, welches in den lauteren Quell des Evangeliums nicht nur Kot, sondern auch Gift geschüttet hat.

Beide Werke sind bleibende Zeugnisse für Luther und Melanchthon; der Held, der geschildert wird, der Meister, der das Bild entwirft, treten uns mit gleicher Deutlichkeit entgegen. Und man kann nicht ohne tiefes Mitgefühl die Worte lesen, mit denen Melanchthon in der Rede die hohe Wonne schildert, die nun dem allem Erdenleid entrückten Freunde zu teil geworden ist. Wohl ist es kein neuer Gedanke, dem er hier Ausdruck verleiht. Wiederholt taucht in den Jahren vor Luthers Tode die lebendige Vergegenwärtigung des geistigen Glückes in den himmlischen Gefilden bei Melanchthon auf, der sehnsüchtige Blick, den der Mühsalbeladene und Kranke hinauf nach oben richtet. So schreibt er im Herbst 1545 an den Herzensfreund Camerarius, dem sein Bruder durch den Tod entrissen war: „Er lebt bei dem Sohne Gottes, unter den Glaubenshelden Abraham, Joseph, David, Johannes dem Täufer, Paulus; jezt schaut er von Angesicht die Richter unserer Zwistigkeit, er erfreut sich an den Gesprächen mit seinen geliebten Eltern und seinem ihm vorangegangenen Bruder; auch ich hoffe viel früher als du zu jener Versammlung zu kommen und scheue so wenig vor der Wanderung aus diesem Gefängnis und diesem irdischen Leben zurück, daß ich immer, wenn ich an unsere Schule denke, von unbeschreiblicher Sehnsucht nach jener himmlischen Akademie entzündet werde" (vgl. S. 426). Und in ganz ähnlicher Weise, durch die das inbrünstige Verlangen nach dem ewigen Leben hindurchzittert, schildert er die Seligkeit des erhöhten Luther: „Wir wollen freudig dafür danken, daß er jeßt der innigen und süßen Gemeinschaft mit Gott und dem Gottessohn Jesus Christus, den

Propheten und Aposteln teilhaftig geworden, die er im Vertrauen auf Christus immer begehrt und erstrebt hat; dort hört er nicht allein, wie seine Arbeit für die Ausbreitung des Evangeliums von Gott und der ganzen himmlischen Kirche anerkannt wird, sondern er, der aus diesem irdischen Körper wie aus einem Gefängnis erlöst und in eine weit höhere Schule eingetreten ist, vermag jezt das Wesen Gottes, die Vereinigung beider Naturen im Sohne und den ganzen Ratschluß der Gründung und Erlösung der Kirche unmittelbar zu erkennen.“

Ach, die Sehnsucht Melanchthons, dem Freunde in diese Gefilde zu folgen, wo die Qual endet und die Freude im Anschauen der göttlichen Majestät ewig währt, sollte sich nicht so bald erfüllen, wie er hoffen mochte. Was er auch Schmerzliches, Niederdrückendes erduldet hatte, das Schwerste stand ihm noch bevor; er mußte den Kelch des Leidens bis auf den Grund leeren, ehe ihm die Erlösung zu teil wurde.

Achtes Rapitel.

Der Lehrer Deutschlands.

Allgemeine Grundlegung.

Bevor die Darstellung Melanchthon in die schmerzlichste Zeit seines Erdenwallens folgt, verlohnt es sich anzuhalten und in raschem Überblick sich zu vergegenwärtigen, was er als Erzieher, als Lehrer dem deutschen Volke geworden ist. Die nachfolgenden Ausführungen müssen dabei den bisher erreichten Zeitpunkt nicht selten überschreiten; sie wollen die gesamte Lebensthätigkeit zusammenfassen und werden daher auch die noch zu schildernden Jahre berücksichtigen.

Melanchthon war wie Luther Nominalist. Der Nominalismus hatte den Glauben an die Zuverlässigkeit eines großen, Irdisches und Überirdisches verknüpfenden Zusammenhanges, wie er vor allem von Thomas angestrebt worden war, vernichtet. Von zwei verschiedenen Seiten aus hatten Duns und Occam das Wissenschaftsgebäude des Mittelalters in seinen Grundfesten erschüttert. Aber wurden somit auch die Leistungen der scholastischen Blütezeit zertrümmert, indem die Unhaltbarkeit ihrer Grundlagen deutlich zu Tage trat, so war es dem Nominalismus doch nicht gegeben, andere Grundgedanken an die Stelle der vernichteten zu sehen. Er blieb bei der Kritik stehen, und in dem Gefühl der Unfruchtbarkeit bloßer Verneinung flüchtete er sich zu der Vorstellung von der Allmacht der Kirche. Wollte man nun die verschiedenen, weit auseinanderstrebenden Teile der zu neuem Leben erwachten Wissenschaft zur Einheit zusammenfassen, so erwies sich die Schaffung einer neuen Grundlage als unumgänglich nötig. Luthers Anschauung von der Vorherbestimmung und der Notwendigkeit alles Geschehens gewährte eine derartige Grundlage nicht. Aber

noch während Melanchthon unbedingt diese Ansicht teilte, tauchten in seinem Geiste die von der Vorausbestimmungslehre allerdings immer wieder zurückgedrängten Keime eines neuen Unterbaues der Wissenschaften auf. Je mehr er sich von jenen Gedanken Luthers innerlich freimachte, desto stärker traten die Keime wieder hervor und wuchsen sich allmählich zu selbständigen Gebilden aus. Das geschah etwa in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre; anfangs der dreißiger Jahre erscheint die Entwickelung vollendet. Die Ausbildung dieser Grundgedanken der allgemeinen Wissenschaftslehre erfolgte im wesentlichen mit Hilfe des Rüstzeugs, das der wieder neu zu Ehren gekommene Aristoteles darbot. Seine Philosophie erschien dem Melanchthon als die einzige, der man sich fast unbedingt anschließen könne; ihre Klarheit, ihren Wahrheitssinn, die Fülle der in ihr verarbeiteten Kenntnisse, ihr streng-wissenschaftliches Lehrverfahren wird er nicht müde immer wieder hervorzuheben. Aber vollzieht sich auch Melanchthons weitere wissenschaftliche Entwickelung und ebenso seine Wirkung auf die Folgezeit ersichtlich unter dem Einflusse des Aristoteles, so verdankt er doch nicht diesem die Grundgedanken seines Unterbaues der Wissenschaften. Er greift mit ihnen vielmehr auf den Stand der griechisch-römischen Philosophie um die Zeit der Geburt Christi zurück. Der praktische Standpunkt jener Zeit entsprach durchaus den Bedürfnissen eines Geschlechtes, das im Gegensage zu einer jenseits der Erfahrung sich bewegenden Wissenschaft wieder festen Fuß auf der Erde zu fassen bestrebt war.

Melanchthon führt alles Wissen auf drei Quellen zurück, die zugleich die Möglichkeit gewähren, das Erkannte auf seine Richtigkeit hin zu prüfen. Als solche bezeichnet er die allgemeine Erfahrung, die angeborenen Ideen und das Schlußverfahren. Unter allgemeiner Erfahrung werden die Urteile über die Sinneswahrnehmungen verstanden, die sich durch die Übereinstimmung aller verständigen und zurechnungsfähigen Leute herausbilden. Derartige Sätze sind: Tod und Leben sind zwei verschiedene Dinge; das Feuer brennt; den beseelten Geschöpfen kommt Sinn und Bewegung zu; Wein und Pfeffer haben eine erwärmende Kraft. Ein Widerspruch gegen diese Urteile ist nicht möglich, weil das Gegenteil widersinnig wäre und eine Auflösung der Natur hervorrufen würde. Die Vorstellung von der allgemeinen Erfahrung ergab sich aus der Notwendigkeit, auch auf dem Gebiete der Wissenschaftslehre der Scholastik eine dem

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