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so wurde doch immer noch seine Seele von der Furcht vor drohenden kriegerischen Umwälzungen gepeinigt. Schon in Regensburg hatten ihn ähnliche Sorgen gequält; in den Gestirnen glaubte er schrecklichen Krieg zu lesen. In der That sollten sich seine Befürchtungen erfüllen; nach einer Zeit des Aufsteigens der protestantischen Sache begann mit dem Abfall Philipps und einer scheinbar geringfügigen Fehde der Niedergang, der bald zum völligen Fall führen sollte.

Die letzten Jahre an Luthers Seite.

Noch während Melanchthon in Regensburg war, starb am 6. Januar 1541 der Bischof von Naumburg Pfalzgraf Philipp. Das Domkapitel wählte als Nachfolger den reformfreundlichen Dompropst Julius von Pflug, der nach einigen Bedenken auch die Wahl annahm. Die Schußherrschaft über das Stift stand Johann Friedrich zu, und er leitete daraus für sich ein Bestätigungsrecht jeder Wahl ab, das ihm aber schwerlich zustand. Da ihm indessen auch derartige sehr zweifelhafte Ansprüche zu einer felsenharten Überzeugung wurden, beschloß er die Wahl Pflugs zu verhindern und überhaupt im Stifte Naumburg-Zeit keinen katholischen Bischof mehr zuzulassen, sondern das Bistum dem unverheirateten Amsdorf zu übertragen. Die Wittenberger Theologen, die er um Rat befragte, rieten zur Vorsicht und zur Einigung mit dem Kapitel; für den Fall, daß dies geneigt wäre, auf des Kurfürsten Wünsche einzugehen, schlugen sie den vortrefflichen, ruhigen und edlen Fürsten Georg von Anhalt vor, wobei sie das Mißtrauen des Kurfürsten, als ob etwa Georg zur Nachgiebigkeit gegen die katholische Partei geneigt wäre, möglichst zu entkräften suchten. Aber den Kurfürsten von einer einmal gefaßten Idee abzubringen, war vergeblich. Die Theologen wurden nach Torgau geladen, und mit trüben Ahnungen folgte Melanchthon dem Rufe. Das „centaurische“ Geschäft war ihm widerwärtig; lieber wäre er daheim bei seinen Schülern und Büchern geblieben. „Ach könnte ich doch", rief er bei dieser Gelegenheit aus, „beständig an unserer Universität sein, in der jezt durch Gottes Gnade die guten Wissenschaften in ausreichendem Maße gelehrt werden und die Studien in Blüte stehen." In Torgau gelang es nun in der That dem Kurfürsten, Melanchthon und die übrigen Theologen (Luther war wegen

eines Unwohlseins ferngeblieben) umzustimmen; sie gaben ein Gutachten ab, worin sie die Ablehnung Pflugs sowie die Übergehung des Domkapitels billigten, dagegen eine Einigung über die Wahl mit dem Adel und den Städten empfahlen. Troß ernster Warnungen des Kaisers seßte der Kurfürst nunmehr seinen Willen durch; er bestimmte zum Bischof Amsdorf, der denn auch am 20. Januar 1542 zu Naumburg von Luther feierlich geweiht wurde.

Melanchthon, der ebenfalls nach Naumburg gekommen war, wird schwerlich mit leichtem Herzen der Feier beigewohnt haben. Denn wenn er sich auch den Wünschen des Kurfürsten gefügt hatte, flößte ihm doch dessen Vorgehen schweres Vedenken ein. „Ich wünschte," schrieb er nach der Beratung in Torgau, „daß unsre Fürsten das Wort des Hektor beherzigen möchten: Ein einfaches Wort genügt bei den Feinden, um ihnen die Waffen in die Hand zu drücken.“ Er fürchtete offenbar, daß die ganze Angelegenheit zu kriegerischen Verwickelungen führen könnte, daß der Kaiser diese Vergewaltigung der höchsten geistlichen Fürstentümer als eine schwere Beleidigung empfinden und nie vergessen würde, wie denn auch die kurfürstlichen Räte derartige Besorgnisse hegten. Aber noch etwas anderes hat ihn unzweifelhaft niedergedrückt: das Gefühl der Verantwortung für eine Angelegenheit, zu deren Befürwortung er gegen seine bessere Überzeugung gedrängt worden war. Es ist wie ein Vorspiel der späteren Leiden, die ihm ebenfalls aus dem zu geringen Widerstand gegen den drängenden Landesherrn erwachsen sollten. Unter diesem Gesichtspunkte gewinnt diese ganze Angelegenheit für Melanchthons Leben eine besondere Bedeutung; und es ist gewiß kein Zufall, daß er kurze Zeit vor seinem Aufbruche zu der Naumburger Feier ausruft: „Aber immer mehr ist an den Höfen die Tyrannei gewachsen, und Aristoteles sagt, daß diese Art von Gewaltherrschaft der Wahrheit am feindlichsten sei“ (12. Jan.). Man muß alles berücksichtigen, was vorhergegangen, um das schmerzliche, von Selbstvorwürfen sicher nicht freie Gefühl zu würdigen, dem dieser bittere Ausruf entsprungen ist.

Auch mit der äußeren Gestaltung des neuen Bistums war Melanchthon nicht zufrieden. Unmittelbar nach der Torgauer Verhandlung hatte er dahin zu wirken gesucht, daß die jezt frei gewordenen Einkünfte den Kirchen und Schulen von Naumburg und Zittau zu gute kämen; aber einen wesentlichen Erfolg scheinen diese

Mahnungen nicht gehabt zu haben, da noch nach mehr als einem Jahre Melanchthon sich bitter über die Zustände im Naumburger Bistum beklagt.

Großen Anstoß hatte Johann Friedrichs Vorgehen im Herzogtume Sachsen erregt, wo zahlreiche Verwandte, Freunde und Gesinnungsgenossen Pflugs saken. Seit dem Tode Herzog Heinrichs (Sommer 1541) waren hier ohnehin jene Kräfte wieder emporgekommen, die die Regierung des Landes in die Bahnen der von Georg dem Bärtigen verfolgten Politik zurückzulenken und die religiösen Angelegenheiten ganz im Sinne Pflugs durch eine, etwa den Tendenzen des Regensburger Buches entsprechende allgemeine Religionsvergleichung zu schlichten wünschten. Der eigentliche Vertreter dieser Anschauungen war Georg von Carlowih, der bald nach Heinrichs Tode wieder an die Spize der Staatsleitung trat und mit großer Klugheit den zwanzigjährigen Herzog Moritz seinen Gedanken gefügig zu machen wußte. Dieser selbst war ein heißblütiger, ruhmbegieriger, selbst= bewußter Jüngling, von natürlichem scharfen Verstand, aber ohne jede geistige Bildung, wodurch es ihm erschwert wurde, die zum Teil einander widerstrebenden Kräfte zu berechnen, auf welche seine Regierung Rücksicht zu nehmen hatte. Was etwa von Gemüt und Empfindung in ihm gewesen war, wurde durch die schmerzlichen Erfahrungen seiner Jugend ausgetilgt; das Verhältnis seiner herrschsüchtigen Mutter zu seinem stumpfsinnigen, geistesträgen Vater, die Ränke, die seine Mutter gegen ihn, den eignen Sohn, schmiedete, hatten ihn frühzeitig ernüchtert; und auch der Glaube vermochte diese Leere seines Gemütes nicht auszufüllen, da er allzufrüh im väterlichen Hause gelernt hatte, die Religionsangelegenheiten als Machtfragen uud politische Hebel zu be= trachten. Auch ein zweijähriger Aufenthalt an Johann Friedrichs Hofe war nicht geeignet, ihn aus seiner kühlen religiösen Haltung zu erheben, zumal sich zwischen Luther und ihm, wie es scheint, frühzeitig eine gegenseitige Abneigung herausbildete. So waren alle Anlagen zu einem falten, berechnenden und doch zugleich derb zugreifenden Herrscher in ihm vorhanden, wenn auch vorläufig noch bei seiner Unerfahrenheit die Räte großen Einfluß auf ihn ausübten, der nur in Fällen, wo er persönlich verlegt wurde, durch sein rasches Zufahren durchkreuzt wurde. Seinem Vetter Johann Friedrich stand der junge Herzog seit seinem Regierungsantritt kühl und mißtrauisch gegenüber;

Morigens Schwiegervater Philipp von Hessen war dagegen nicht ohne Einfluß auf ihn, wenn auch Carlowiß seinen Herrn möglichst dieser Einwirkung zu entziehen suchte.

Die Naumburger Bischofsangelegenheit hatte das schon bei Moriz vorhandene Mißtrauen noch gesteigert; daß dieses Gefühl nicht ganz unberechtigt war, sollte sich bald zeigen. Offenbar durch den Naumburger Erfolg sicher gemacht, suchte Johann Friedrich in ähnlicher Weise im Bistum Meißen einzugreifen, über welches beide sächsische Linien die Schußherrschaft gemeinsam ausübten. Eine unbedeutende Angelegenheit, die Einziehung der Türfensteuer, gab ihm die Veranlassung, das abseits liegende Amt Wurzen zu besehen, wo er sofort mit der Durchführung der Reformation begann. Sowohl dem Bischof von Meißen als Herzog Moriz gegenüber befand sich Johann Friedrich durchaus im Unrecht, und Morih war um so weniger geneigt, diesen Eingriff ruhig hinzunehmen, als für ihn das Amt Wurzen als Paß und Durchgangsstraße von höchster Wichtigkeit war. Gegen den Willen seiner Räte, die ebenfalls ein scharfes, aber nicht übereiltes Vorgehen wünschten, brachte er schnell ein kleines Heer zusammen, das er nach Wurzen vorausschickte; er selbst rückte ihm bis Oschat nach; ein feindlicher Zusammenstoß schien nicht mehr zu vermeiden.

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Melanchthon war kurz zuvor von Moris um seine Beihilfe bei der Neuordnung der Universität Leipzig gebeten worden; der Kurfürst hatte dazu seine Genehmigung gegeben, aber bezeichnender Weise in einem der Genehmigung besonders beigelegten Zettel Melanchthon ermahnt, dieser möchte mit sonderem Fleiße darob halten, daß der christlichen Religion zuwider nichts vorgenommen werde“ ein Zeichen, wie mißtrauisch auch Johann Friedrich seinem Vetter und mehr noch dessen Räten gegenüberstand. Jezt, wo dieses gegenseitige Mißtrauen nahe daran war sich in blutige Auseinanderseßungen zu verwandeln, suchte Melanchthon alles zu thun, um den Frieden wieder herzustellen. Er schrieb sofort an den Landgrafen und bat diesen, durch sein persönliches Erscheinen den Streit zu schlichten. Philipp, der mit dem größten Schrecken von dem der ganzen protestantischen Sache so gefährlichen Zerwürfnis vernahm, machte sich sofort auf den Weg, und Melanchthon legte ihm brieflich noch zweimal dringend ans Herz, daß er sich um die Beilegung dieser „sorg

lichen und hässigen Unruhe“ bemühen möge. In der That scheinen Melanchthons Bemühungen zum Frieden diesmal förderlicher gewesen. zu sein, als Luthers an Moriz gerichtete ernste Ermahnung, während des Reformators Schreiben an Johann Friedrich die Friedensverhandlungen günstig beeinflußte. Zu gleicher Zeit hatte sich Luther allerdings in Privatbriefen sehr scharf über Morig und seine Räte ausgesprochen; einzelne dieser Äußerungen wurden Moriz bekannt und verlegten diesen auf das tiefste, wenn er sich auch nach außen den Schein nichtachtender Gleichgültigkeit gab.

Landgraf Philipp brachte einen Vergleich zwischen den streitenden Fürsten zustande, aber die Spannung zwischen ihnen blieb bestehen. Melanchthon selbst war über den Streit tief betrübt, vor allem deshalb, weil er daraus wieder kriegerische Verwickelungen für die Zukunft fürchtete. Den Zusammenhang mit der Naumburger Bischofsangelegen= heit erkannte er zwar, im übrigen aber lehnte er es zuerst ab, sein Urteil über die Schuld und Unschuld der beiden Parteien abzugeben. „Aber ich wünschte," fügt er hinzu, „daß unsere Fürsten lieber auch gerechte Ansprüche aufgeben könnten, als sie durch Brudermord und Bürgerblut verteidigen." Und die ganze Angelegenheit gab ihm von neuem Veranlassung, über die Leiden zu klagen, die er von den Fürsten zu erdulden hatte, wie er es namentlich seit der Naumburger Angelegenheit in immer steigendem Maße gethan hatte. Denn mich haben die Fürsten nun schon so lange gemartert, daß ich bei solcher Pein nicht länger leben möchte." Nach einigen Tagen scheint sich dann wohl unter Luthers Einfluß sein Urteil zu Ungunsten der Meißner entschieden zu haben; die Anstister sind ihm die Feinde des Evangeliums, die nur nach einer Gelegenheit suchten, die Evangelischen hinzumorden. Bei dieser Gelegenheit tritt auch die geringe Meinung deutlich hervor, die er ebenso wie Luther von Morigens Persönlichkeit hegte; dieser erscheint ihm im wesentlichen als eine Puppe in den Händen seiner Räte und des Adels; war das auch bei der Wurzener Fehde selbst nicht richtig, so wissen wir doch, daß Melanchthon im ganzen mit seinem Urteile über die geringe Selbständigkeit des jungen Herzogs das Richtige traf.

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Die kriegerischen Verwicklungen, die Melanchthon voraussah, sollten allerdings in der nächsten Zeit noch nicht eintreten; dagegen kam es bald zum Ausbruche des offenen Streites zwischen dem schmal

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