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Heimlichthuerei verrät schon das schlechte Gewissen der Beteiligten; der Landgraf, hatte Buzer vorgeschlagen, sollte sich so verhalten, als ob ihm die ganze Angelegenheit und der Entwurf nicht bekannt wäre.

Inwieweit Melanchthon Nachricht von dem Geheimgespräch erhalten hat, läßt sich kaum mit Sicherheit feststellen. Daß ihm die Umtriebe nicht verborgen blieben, wird man um so eher annehmen dürfen, als außer den Teilnehmern des Gesprächs manche andere, z. B. Jakob Sturm, darum wußten. Auch äußerte Buzer die Absicht, „er wolle die fug finden, daß Philippus die conclusiones, wes sie, die viere machen wurden, doch unwissentlich, von weme die kämen, auch sehen solte". Ob er diese Absicht ausgeführt hat, ist ungewiß; jedenfalls aber hat Melanchthon von der Angelegenheit erfahren, wobei man freilich darüber zweifelhaft sein kann, was ihm davon bekannt geworden ist; sicheren Aufschluß über den ganzen Plan erhielt er erst, als er Ende Januar 1541 wieder in Wittenberg angekommen war, und er hatte die Absicht, gegen alle damit zusammenhängenden Bestrebungen entschieden aufzutreten: „Zu Worms,“ sagte er kurz nach dem Abschlusse des Gesprächs, ,,habe ich die Sinnesart einiger der Unsern kennen gelernt; sollte ich es daher für nötig halten, so werde ich -wenn auch allein öffentlich die Treulosigkeit der Unsern anklagen und am richtigen Orte sagen, was ich denke.“

Die Haltung Melanchthons war eine so würdige und feste, daß man sich schon oft die Frage vorgelegt hat, wie dieses kräftige Auftreten mit seiner bisher bewährten Friedensliebe und Neigung zur Vermittlung sich vereinigen läßt. Man hat wohl gemeint, daß es der Einfluß Calvins gewesen sei, der ihn gestärkt und seiner ganzen Haltung die Richtung gewiesen habe. Richtig ist, daß gerade in Worms die Freundschaft Calvins und Melanchthons zustande gekommen ist, nachdem die Zusammenkunft in Frankfurt (vgl. S. 373) den ersten Grund dazu gelegt hatte. In Worms hatte Melanchthon erst Gelegenheit, Calvin nach Sinnesweise und Begabung völlig kennen zu lernen; der Dekan von Passau Mosham, der Calvin schon vordem angegriffen hatte, forderte ihn hier zu einem Gespräch über das Abendmahl heraus, und bei diesen Auseinandersezungen legte Calvin soviel natürlichen Scharfsinn, Kenntnisse, Umsicht und Feinheit an den Tag, daß der zuhörende Melanchthon von höchster Bewunderung ergriffen wurde und Calvin den Ehrennamen der Theologe" erteilte. Daß Calvin nun in Gesprächen auf Melanchthon ermutigend ein

gewirkt hat, wird man wohl annehmen dürfen; ebenso daß es Melanchthon nach der Anlage seiner Natur erwünscht war, sich durch den Verkehr mit einer entschiedner gearteten Persönlichkeit in seinen Entschlüssen zu stärken. Darauf deutet auch die Thatsache hin, daß Melanchthon kurz darauf bei dem Regensburger Religionsgespräch den Straßburgern den ausdrücklichen Wunsch aussprach, Calvin mitzubringen, der dann selbst erklärte, er sei „wider seinen Willen mit dorthin geschleppt" worden. Aber wenn man auch die Richtigkeit der Beobachtung zugeben wird, daß es Melanchthon angenehm war, einen Rückhalt an einer thatkräftigen, ihr Ziel mit Sicherheit verfolgenden Natur zu haben, und wenn auch Calvin selbst ein ähnliches Verhältnis andeutete, so hat man doch den Hauptgrund für sein Verhalten sicherlich nicht in Calvins Einwirkung zu suchen. Man wird vielmehr nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß der unglückselige Ehehandel des Landgrafen seine Stimmung durchgreifend verändert hat. Hatte ihm hier seine Nachgiebigkeit, die zum Teil unzweifelhaft auf politische Gründe zurückzuführen war, die schwerste seelische und körperliche Erschütterung gebracht, hatte er mit dem tiefsten Schmerze erkennen müssen, wie groß und unheilbar die Wunde war, die dieses Ärgernis der evangelischen Sache geschlagen hatte, so lag der Vorsat nahe, von nun an durch Nachgiebigkeit sich und der Sache nichts mehr zu vergeben. Melanchthons in dieser Zeit wiederholt ausgesprochener Entschluß, er werde keine Rücksicht mehr auf die Wünsche der Fürsten nehmen, ebenso seine scharfen Urteile über die Fürsten, die unter dem Vorwande der Religion ihre persönlichen Wünsche durchzusehen suchten, lassen darauf schließen, daß es gerade die Eheangelegenheit des Hessen gewesen ist, die in ihm die Neigung zu vermittelnder Nachgiebigkeit erstickt hat. Diese freilich sehr von seinem Auftreten in Augsburg abstechende Haltung sollte auch Morone kennen lernen. Vor seiner Abreise beschied der Nuntius Melanchthon mit Buzer und Capito zu sich, legte ihnen die Förderung des kirchlichen Friedens ans Herz und forderte sie auf, von weiteren Beleidigungen des h. Stuhls abzustehen. Melanchthon wies mit ruhiger Festigkeit die Ermahnungen Morones zurück; er suchte die Ursache der Zwistig= keiten in dem feindseligen Verhalten der Gegner aufzuzeigen, verteidigte die evangelische Lehre als echt christlich und betonte die Notwendigkeit der um der Wahrheit willen gegen den Bischof von Rom

erhobenen Anklagen. Der Nuntius war offenbar unangenehm überrascht; er mochte eine derartige Antwort gerade von Melanchthon am wenigsten erwartet haben.

Nach seiner Wiederankunft in Wittenberg befestigte sich Melanch= thon immer mehr in der aus jener Antwort an Morone sprechenden Gesinnung. Am 20. Januar 1541 berief der Kaiser den angekündigten Reichstag zur Beilegung des religiösen Zwistes und zur Besprechung des Türkenkrieges nach Regensburg. Anfang Februar erhielt Luther durch Joachim II. den in Worms geschmiedeten Vergleichsvorschlag. Er erkannte die wohlmeinende, friedliche Absicht der Urheber an, erklärte jedoch die ganze Vorlage für verfehlt, da beide Teile sie nicht annehmen könnten. Ganz ebenso urteilte Melanchthon; er hielt eine Vereinigung auf Grund dieses Vorschlages für ausgeschlossen und erklärte nur auf Grund des Augsburgischen Bekenntnisses in eine Verföhnung willigen zu können. Auch fürchtete er die Ränke der gegnerischen Theologen; vor allen Dingen aber war ihm der Landgraf unheimlich; er glaubte, daß dieser geneigt sei, die Ränke und den Trug der Gegner zu fördern, und meinte eine „an Alcibiades mahnende Verderbtheit des Gemütes“ bei ihm wahrzunehmen. Auch öffentlich wollte er sein Zeugnis abgeben und die Gemüter derartigen Bestrebungen gegenüber zur Wachsamkeit und Vorsicht ermahnen. Er schrieb für ein damals erschienenes Buch eine Vorrede, die zwar von dem Verfasser der Schrift unterzeichnet ist, aber in jedem Zuge das Gepräge von Melanchthons Geist verrät und darum sicher auch wohl schon von den Zeitgenossen als melanchthonsches Gut erkannt ist. In ihr warnt er vor dem jezt auftretenden neuen Geschlecht von Skeptikern", er weist aus der Konzilsgeschichte das Gefährliche solcher Versuche nach, unüberbrückbare Gegensäße auszugleichen; auch der Friede darf nach seiner Meinung nicht durch innerlich unwahre Vermittlungsvorschläge erkauft werden. „Es irren die," sagt Melanchthon, ,welche meinen, daß durch derartige unechte Einigungsbestrebungen sich ein dauerhafter Friede herstellen läßt, und hassenswürdig sind die Menschen, wenn sie mit der Unterdrückung der Wahrheit ihre eigene Ruhe zu erkaufen suchen. Denn zweideutige Reden verschütten und vertilgen die Wahrheit." Und mit mahnenden Worten wendet er sich an alle Gesinnungsgenossen: „Es mögen aber die Frommen, die wahrhaft Gottesfürchtigen darauf sehen, daß sie nicht nur gegen die

Grausamkeit, sondern auch gegen den Trug und die Lockungen der Feinde des Evangeliums ihre Herzen schirmen. Ich weiß es wohl, daß die Friedensliebe eine große Zier ist; ich weiß, daß es eine Tugend ist, manche Irrtümer der Fürsten, wie der Eltern und Freunde zu übersehen. Aber all diesen lobenswerten Eigenschaften ist die Sorge um die Erhaltung der Wahrheit und der wahren Religion vorzuziehen." In dieser tiefen Abneigung gegen die geplanten Vergleichsvorschläge und ihre Begünstiger machte er sich Mitte März mit Cruciger nach Altenburg auf, von wo beide zusammen mit den kurfürstlichen Gesandten nach Regensburg aufbrechen sollten. Wiederum stand Melanchthon eine schwere und diesmal durch nichts verdiente Kränkung bevor. Obgleich Johann Friedrich die bedeutende Thätigkeit Melanch= thons ihrem Werte nach anerkannte, fürchtete er bei den Absichten des Landgrafen doch, daß Melanchthon sich durch seine Neigung zur Nachgiebigkeit irgendwie zu einer Unvorsichtigkeit oder zu einer Unterstüßung der Pläne Philipps verleiten lassen könnte. Er ordnete deshalb für Regensburg eine förmliche Überwachung Melanchthons an.

War schon diese ungerechte Maßregel dazu angethan, Melanchthon tief niederzudrücken, so wurde sein Gemüt in der nächsten Zeit auch durch einen äußeren Unfall verdüstert. Auf der Reise nach Regensburg stürzte der Wagen der Theologen, und Melanchthon zog sich eine schwere Verlegung des rechten Handgelenkes zu. Das Übel wurde durch falsche Behandlung noch verschlimmert, und erst als auf dem Reichstage Granvella seinen Leibarzt zu Melanchthon sandte, trat eine Besserung ein. Doch wurden die körperlichen Schmerzen nicht sogleich gehoben; Melanchthon hatte vielmehr noch während der Verhandlungen schwer unter ihnen zu leiden. Unwohlsein, das Mißtrauen des Kurfürsten, die Schmeicheleien und später die Vorwürfe und Drohungen Granvellas, die Unzuverlässigkeit Buzers alles das wirkte zusammen, um Melanchthon während der Verhandlungen in einen gespannten Seelenzustand zu versezen. Daß er troßdem der Flut der von allen Seiten auf ihn eindringenden Widerwärtigkeiten nicht erlag, sondern sich ihnen kraftvoll entgegenstemmte, muß ihm als hohes Verdienst angerechnet werden.

Als Melanchthon Ende März mit den sächsischen Gesandten in Regensburg ankam, war das Verfahren des Kaisers dort schon heiß umstritten worden. Der Wunsch Karls, eine friedliche Einigung mit

den Protestanten herbeizuführen, mußte selbstverständlich bei den streng katholischen Fürsten Erbitterung wachrufen; stärker noch fiel für die Haltung dieser Fürsten ins Gewicht, daß bei einer allenfalls zu erwartenden friedlichen Vereinbarung die Macht des Kaisers einen starken Zuwachs erhalten könnte. Aus diesem Grunde fochten namentdie Baiernherzöge die Politik des Kaisers aufs heftigste an; der später eintreffende Albrecht von Mainz unterstüßte diesen Widerstand, ebenso der übelbeleumundete Herzog Heinrich von Braunschweig. Sowohl auf die Vertreter des Papstes als auch auf den Kaiser selbst suchten sie in diesem Sinne zu wirken, und namentlich die Baiernherzöge forderten in fast drohender Sprache vom Kaiser ein gewaltsames Vorgehen gegen die Protestanten, während sie den Einigungsversuch durch ein Religionsgespräch weit von sich wiesen.

Aber Karl V. war nicht gemeint, sich durch solche Vorstellungen, deren Triebfedern er wohl durchschauen mochte, in seinen Absichten beirren zu lassen. Melanchthon hatte sicherlich Recht, wenn er das Streben des Kaisers nach Frieden diesmal für aufrichtig hielt. Allerdings sollte der Wunsch des Kaisers sich verwirklichen, so war vor allen Dingen ein Entgegenkommen der Kurie nötig. Allein diese ging nur scheinbar auf die Wünsche des Kaisers ein. Wohl hatte Paul III. zum Legaten einen Mann ernannt, dem die Freunde der Einigung Vertrauen und Hoffnung entgegenbrachten. Der Venetianer Gasparo Contarini gehörte zu den erfreulichsten Erscheinungen der damaligen italienischen Geistlichkeit; er schien auch der richtige Mann zu sein, um eine Beseitigung der eingerissenen Mißbräuche unter Beibehaltung der bewährten Einrichtungen zu ermöglichen. Tief durchdrungen von der Notwendigkeit einer Reinigung der Kirche, hatte Contarini seit längerer Zeit eine Wiederbelebung und Verinnerlichung des religiösen Lebens ins Werk zu sehen gesucht; bei seiner Auseinandersezung mit den bisher maßgebenden scholastischen Lehren hatten thatsächlich bei ihm gewisse Berührungen mit Luthers Rechtfertigungslehre stattgefunden; auch wenn er es gelegentlich tadelte, daß sein Freund Sadolet das Evangelium wie eine Summe von Lehren betrachte, dagegen die Thatsache zu wenig betone, daß wir nämlich in dem Blute Christi durch den Glauben der göttlichen Natur Christi teilhaftig geworden sind," so läßt sich wenigstens in der Fassung des Gegensages ein Anklang an die Anschauungen der Reformatoren nicht

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