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schreckte den päpstlichen Hof nicht vollständig ab. Unter Clemens VII. Nachfolger Paul III. wurden die Bemühungen wieder lebhaft aufgenommen, und diesmal drangen die päpstlichen Unterhändler bis in den Mittelpunkt der Kezereien, bis nach Wittenberg vor. Ein gewandter Italiener Don Michael Bracetto erschien Ende 1537 mit einer Empfehlung von Veit Dietrich bei Melanchthon. Dieser lernte ihn wegen seiner feinen klassischen Bildung schäßen; er erfreute sich an den anmutigen Versen des Italieners, aber neben den klassischen Studien sind in den Gesprächen der beiden Männer auch die kirchlichen Angelegenheiten berührt worden, und Melanchthon mag nach seiner Art sich auch über das ausgesprochen haben, was ihn an seiner eigenen Partei unangenehm und schmerzlich berührte. Wie weit Bracetto in diesen Gesprächen seine eigensten Gedanken offenbart, läßt sich nicht ersehen; das Wahrscheinlichste ist doch wohl, daß er die Maske eines Gesinnungsgenossen angenommen, d. h. sich etwa auf den Standpunkt jener Friedensbestrebungen Melanchthons gestellt hat (vgl. S. 310 ff.). Als Bracetto wieder nach Italien zurückkehrte, berichtete er den hohen Würdenträgern von Melanchthons guter Gesinnung gegen den apostolischen Stuhl und entwickelte angeblich im Einverständnis mit Melanchthon einen ganz abenteuerlichen Plan, auf welche Weise der Reformator dem Einflusse und den (im Falle eines Abfalles drohenden) Nachstellungen seiner Partei entzogen und für Italien sowie für die Sache Roms gewonnen werden könnte. Die wunderlichen Vorschläge, die einen offenen Abfall Melanchthons als möglich, im anderen Falle seine Flucht über Nürnberg nach Italien als aussichtsvoll ins Auge fassen, sind innerlich und äußerlich im höchsten Maße unwahrscheinlich. Jedenfalls ist so viel mit unumstößlicher Sicherheit anzunehmen, daß Melanchthon von diesen Plänen nicht das Geringste gewußt hat, sondern seine angebliche Geneigtheit zur Ausführung derartiger Entwürfe nur in Bracettos Kopfe ihr Dasein führte. Auf der römischen Seite war man jedoch von der Richtigkeit der Angaben überzeugt; nicht allein Bracettos Landsmann und Gönner, der spätere Nuntius Rorario, sondern auch Aleander empfahlen eifrig die Weiterverfolgung der dargelegten Entwürfe; der Papst war über die sich eröffnende günstige Aussicht erfreut und erklärte sich bereit, falls Melanchthon nach Italien käme, nicht bloß reichlich für seinen und seiner Familie Unterhalt zu

sorgen, sondern auch ihn zu ehren und zu erhöhen.“ Auf seinen Wunsch sollte sich Bracetto mit den beiden Nuntien zu Wien über die Ausführung des Anschlags beraten; Bracetto traf auch wirklich in Wien ein, und obgleich die Nuntien mit seiner Haltung keineswegs ganz zufrieden waren, ging er doch offenbar mit ihrer Billigung zur Verwirklichung seiner Absichten nach Sachsen. In Leipzig, wo er im Januar 1539 anlangte, traf er Melanchthon, der dort zu dem von Herzog Georg veranstalteten Religionsgespräch (vgl. S. 374) erschienen war; auch mit Buzer scheint er verkehrt und sich ihm bei der Heimreise angeschlossen zu haben. Ein halbes Jahr nach der erneuten Begegnung mit Melanchthon teilte Bracetto in Venedig dem Rorario mit, seine Pläne seien in Sachsen ruchbar geworden, und Melanchthon sei deshalb sehr über ihn erzürnt. Offenbar wollte er dadurch seinen Rückzug verdecken; denn auch in Leipzig hat er sicherlich von seinen Anerbietungen nichts verlauten lassen, sondern er hat wohl wie früher den Anhänger von Melanchthons Einheitsbestrebungen gespielt. Es scheint, daß Melanchthon sogar in jenen Leipziger Tagen eine schriftliche Darstellung der notwendigen Grundlagen einer derartigen Einigung der christlichen Kirche für ihn entworfen hat. in diesem Schriftstück suchte er wie immer das Wesentliche der neuen religiösen Errungenschaften als die Lehre der alten Kirche nachzuweisen. Diese Aufzeichnung benußte Bracetto zu einer Fälschung; er gestaltete es zu einem Briefe Melanchthons an den Senat von Venedig um und übergab diesen nach seiner Rückkehr als Ausweis seiner Beziehungen zu dem deutschen Reformator; vielleicht verfolgte er damit auch die Absicht, die böse Nachricht schonend vorzubereiten, daß von Melanchthon keine Umkehr zu erwarten sei.

Aus Melanchthons bisherigen Bestrebungen und Anschauungen sowie aus dem, was über sein Verhältnis zu den Wittenbergern in die Öffentlichkeit drang, läßt es sich wohl verstehen, daß bei den Vertretern Roms Hoffnungen auf seine Rückkehr zur katholischen Kirche wachgerufen werden konnten. Wenn freilich der Papst und seine Politiker nach ihrer Art meinten, Melanchthon durch Geld und Ehre ködern zu können, so tritt es doch auf das Deutlichste hervor, wie oberflächlich sie über sein Wesen unterrichtet waren, und ihr Vorgehen charakterisiert nur sie, nicht den Mann, den sie gewinnen wollten. Deutlich tritt aber in diesem Werben uns die Weltstellung des schlichten

Gelehrten vor Augen. Als der Mann, „dessen Ansehen ganz Deutschland folgt", erscheint er in den Berichten der päpstlichen Diplomaten. Und als einer der wichtigsten Faktoren wird er innerhalb der großen kirchenpolitischen Pläne Roms betrachtet. Wenn Paul III., allerdings mehr fremdem als dem eigenen Antriebe folgend, ein Konzil ins Auge faßte und Reformvorschläge ausarbeiten ließ, um durch die Besserung der kirchlichen Verhältnisse dem Protestantismus die Daseinsberechtigung zu entziehen, so hängt der Gedanke einer Gewinnung Melanchthons auf das Engste mit diesen allerdings bald wieder verschobenen Plänen zusammen.

Neben diese mittelbar und unmittelbar auf die Kurie zurückgehenden Bemühungen laufen noch andere her, die von der gleichen Absicht eingegeben wurden. So scheint Erzbischof Albrecht von Mainz den Versuch gemacht zu haben, Melanchthon durch dessen Schwiegersohn Georg Sabinus beeinflussen zu lassen. Wenigstens hatte dieser später die chnische Roheit, Melanchthon zu gestehen, er habe nicht aus eigenem Antriebe um dessen Tochter geworben, sondern auf den Rat eines anderen, und das eigentliche Ziel sei Melanchthons Trennung von Wittenberg gewesen. Es ist kaum zweifelhaft, daß der Auftraggeber des Sabinus Erzbischof Albrecht war.

Auch ein anderer der höchsten geistlichen Würdenträger, Jakob Sadolet, früher Bischof von Carpentras, seit 1536 Kardinal in Rom und Mitglied des von Paul III. zur Beratung einer Kirchenreform eingesetzten Ausschusses, suchte sich Melanchthon zu nähern. Er schrieb ihm am 19. Juni 1537 von Rom aus einen Brief, der ein Muster humanistischer Wohlredenheit und diplomatischer Feinheit ist. Er erzählt, wie er sich in der Stille seines Bischofssizes täglich mit Melanchthons Schriften beschäftigt und wie Bewunderung für sie ihm den Wunsch geweckt habe, des Verfassers Freundschaft zu gewinnen. Nachdem er dann die drückenden Lasten seines jezigen Amtes beklagt hat, bietet er Melanchthon als einer wissenschaftlich und moralisch gleichgestimmten Seele seine Freundschaft an und spricht zulezt die Hoffnung aus, Melanchthon möchte ihm Gelegenheit geben, ihm seine Liebe auch durch die That zu bezeugen. Der Brief war in jedem Zuge auf Melanchthons Eigenart berechnet und verfehlte auch thatsächlich seinen Eindruck nicht. Melanchthon teilte ihn seinen Freunden mit und gedachte ihn zu beantworten. Allein als der Brief von einzelnen

Geistlichen (z. B. von Osiander) benußt wurde, um Melanchthon zu verdächtigen, schlug seine Stimmung um; er äußerte sich scharf über den Brief und meinte die eigentliche Absicht des Kardinals wohl durchschauen zu können. Jener von Paul III. eingesetzte Ausschuß hatte unterdes ein, auch von Sadolet unterzeichnetes Gutachten: „Über die Kirchenreform" (de emendanda ecclesia) erstattet. Unter dem Eindruck seiner augenblicklichen Stimmung beurteilte Melanchthon diese doch immerhin bemerkenswerten Besserungsvorschläge ebenso ungünstig wie Luther; und namentlich brachte ihn eine Bemerkung über die Unbrauchbarkeit der Gespräche des Erasmus als Schullektüre in den Harnisch; er mochte daraus schließen, daß Sadolets zur Schau getragene Begeisterung für die humanistischen Studien nur eine Maste waren, hinter der sich rückschrittliche Gedanken verbargen. Sadolet war zwar über Melanchthons Schweigen verstimmt, aber er gab doch die Annäherungsversuche nicht ganz auf. Auf Veranlassung Buzers verfaßte im März 1538 der Humanist und berühmte Pädagoge Joh. Sturm eine einsichtige Beurteilung jenes Gutachtens der Kardinäle über die Kirchenreform. Dieser „Brief über die Kirchenverbesserung" fand allgemeinen Beifall; auch Melanchthon sandte schon unmittelbar nach dem Erscheinen ein Exemplar der Schrift an den Herzog Albrecht von Preußen; „hoff, sie werde Euer Fürstlichen Gnaden gefallen“, fügte er hinzu. Bei der Verbreitung, die die Schrift gefunden hatte, hielt Sadolet eine öffentliche Entgegnung für zweckmäßig, und in dieser im Sommer des gleichen Jahres erschienenen Antwort an Sturm gab er nochmals, wenn auch nicht mehr mit so warmen Worten, seinem Wohlwollen für Melanchthon Ausdruck mit der Erklärung, daß er sowohl ihm als Buzer und Sturm gern gefällig sein würde. Melanchthon scheint Sadolets erneute Liebesmühe wenig beachtet zu haben; geantwortet hat er ihm nicht; auch urteilte er in den nächsten Jahren fortwährend ungünstig über ihn und seine römischen Gesinnungsgenossen; und wenn er in seiner Schrift: Über die Autorität der Kirche (1539; vgl. Kap. 9) sich scharf wider die Gegner wendet, „die Mäßigung heuchelten, aber in Wahrheit nichts anderes betrieben, als daß sie uns ins Nez lockten, uns zum Schweigen brächten und unsere ganze Art der Lehre zerstörten“, so wird es wohl nicht zweifelhaft sein, daß er neben den Kardinälen Pole und Contarini vor allem Sadolet im Auge hat. Diesem selbst hatte sein Werben um

Melanchthons Freundschaft unterdessen bei seiner eigenen Partei ge= schadet; der Warner Cochläus erschien wieder auf dem Plaße und suchte Aleander zu bestimmen, daß dieser Sadolet von der Fortseyung ähnlicher Versuche abhalte; König Ferdinands Hofkaplan und Rat Fr. Nausea (vergl. S. 192) machte Sadolet in einem eigenen Schreiben Vorwürfe über seine Handlungsweise. In seiner Antwort an Nausea und einem Schreiben an Herzog Georg verteidigte Sadolet sein Vorgehen; und namentlich Herzog Georg gegenüber, in dessen Diensten damals Cochläus war, deckt er in bemerkenswerter Weise seine Ab= sichten auf. Gewaltsame Mittel hätten nichts gefruchtet; darum habe er den Versuch unternommen, die Gegner zur Mäßigung zu stimmen und ihre Zuneigung zu gewinnen. „Hätte ich das erreicht, dann, so hoffte ich, würde ich noch weit Größeres und Vorteilhafteres für die Hoffnung auf Eintracht und die Rücksicht auf das öffentliche Wohl schaffen können.“

Es konnte nicht anders sein, als daß dieses Liebeswerben Sadolets auch auf das Verhältnis Melanchthons zu Luther seinen Einflußz übte. Mit seinem Scharfblicke erkannte Luther wohl, daß auch diese scheinbar aus reiner Begeisterung für die Wissenschaft hervorgegangene Annäherung von der Absicht eingegeben war, Melanchthon wieder in das katholische Lager hinüberzuziehen. Ja er durchschaute sogar den Zusammenhang zwischen den Bestrebungen der geistlichen Berater Pauls III. und Sadolets Politik, wenn auch seine Meinung, daß Sadolet im Auftrage des Papstes gehandelt habe, nicht beweisbar ist. Daß von jener Seite aber überhaupt ähnliche Versuche unternommen werden konnten, erklärte er aus Melanchthons vermittelnd-zuvorkommendem Wesen. „Philippus," sagte er, ist zu bescheiden, durch seine Bescheidenheit werden die Papisten mir aufgeblasen, denn er möchte aus Liebe allen dienen. Kämen die Papisten mir also, ich wollte sie anders stöbern." Von seinem Standpunkte aus wird man das Urteil nicht unberechtigt finden; sicherlich würde er sich noch ungleich schärfer und zorniger ausgedrückt haben, wenn ihm die lehten Verhandlungen mit Cricius bekannt gewesen wären. (vgl. S. 358 f.)

Hatte Luther auf diese Weise manches an der Haltung Melanchthons auszusehen, so war dieser umgekehrt, keineswegs immer mit dem Vorgehen Luthers einverstanden. Er mißbilligte die furchtbare Heftigkeit, die Luther in jener, auch durch den Druck veröffentlichten Erklärung wider Albrecht von Mainz an den Tag gelegt hatte (vgl. S. 354). Auch

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