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liebsten Philippchens“ mit besonderer Herzlichkeit. In gleicher Weise schwanden bei Melanchthon unter dem Eindrucke von Luthers Krankheit die Nachwehen der Verstimmung. Mit der innigsten Freude begrüßte er die Nachricht von Luthers Besserung. Auch nach einer ganz bestimmten Richtung hin scheint Luthers Krankheit seinen Geist beeinflußt zu haben.

Bei der Stellung, die die Protestanten dem Papst und seiner Stellung als Kirchenhaupt und Konzilsberufer gegenüber eingenommen. hatten, mußte es ihnen daran liegen, ihre ablehnende Stellung zum Papste grundsäglich festzustellen, zumal die Augsburgische Konfession aus naheliegenden Gründen diesen Gegenstand nicht berührt hatte. Die Abfassung einer die wesentlichsten Punkte zusammenfassenden Arbeit war Luther übertragen worden; infolge seiner Erkrankung wurde Melanchthon mit dieser Aufgabe betraut, und er erledigte sich ihrer in einer Art, die dem gerade damals von ihm vertretenen Standpunkte nicht ganz entspricht. Seine Schrift zeigt zunächst an der Hand von Schriftzeugnissen und geschichtlichen Thatsachen der kirchlichen Entwickelung, daß dem Papst die von ihm in Anspruch genommene oberste Stellung in der Christenheit nicht zukommt; sie weist in ähnlicher Weise seine Ansprüche auf die weltliche Macht zurück und schildert, wie er seine geistliche Gewalt mißbraucht hat, um irrige Lehren in die Kirche einzuführen. Und sie thut an der Vorstellung des Papstes von der Hoheit seiner Stellung sowie an der Unmöglichkeit jedes kirchlichen Besserungsversuches die Notwendigkeit dar, sich von dem Papste zu trennen und wider ihn zu erheben. Ganz verleugnet sich Melanchthon auch in diesem Schriftstücke nicht; das Schreckbild einer großen Kirchentrennung und die als Folge derselben befürchtete Verwilderung von Sitte und Bildung tauchen gelegentlich auf; aber auch diese Gefahr kann nach seiner Meinung die Protestanten nicht abhalten, dem Papste den Gehorsam zu verweigern. „Wer es mit dem Papste hält, seine Lehre und falschen Gottesdienst verteidigt, der befleckt sich mit Aberglauben und Irrlehre, wird an dem Blute der Frommen mitschuldig und tritt Gottes Ehre wie der Rettung der Kirche hindernd entgegen." In ähnlicher Weise, aber weniger ausführlich, widerlegt dann Melanchthon die Hoheitsansprüche der Bischöfe durch den Nachweis, daß die von ihnen in Anspruch genommenen Rechte allen Geistlichen zukommen. Der Eindruck der Schrift wird dadurch

erhöht, daß Melanchthon die scharfen Säße in völlig ruhiger, leiden= schaftsloser Weise vorträgt, woran selbst der gelegentliche Vergleich des Papstes mit dem Antichrist nichts ändert. Troß dieser ganz Melanchthons Art ensprechenden Darstellung nimmt doch das Schriftstück in seiner Beurteilung des Papstes so entschieden Stellung, daß man sich die Frage vorlegen muß, was Melanchthon veranlaßt hat, seine bei den Beratungen (vgl. S. 341) vorgetragene Ansicht zu ändern. Die Thatsache, daß er im Auftrage der Stände schrieb, hat ihn in seiner Auffassung wohl kaum erschüttert; denn er wußte in solchen Fällen leicht eine Formel zu finden, die die fremde Ansicht zum Ausdruck brachte und doch daneben seine eigene durchschimmern ließ. Auch daß er von der auf dem Schmalkaldener Tage herrschenden antipäpstlichen Stimmung mit fortgerissen worden sei, wird man kaum annehmen dürfen, wenn man sein ganzes Verhalten auf dem Tage in Rücksicht zieht. Vielmehr wird anzunehmen sein, daß auch hier Luthers Erkrankung mitgewirkt hat. Wie bei Luther unter dem Vorgefühl des nahen Todes die ganze Liebe für den Freund wieder mit aller Stärke aufwachte, so werden in Melanchthon bei dem Anblicke des scheinbar dem Tode Geweihten alle Gefühle der ersten Freundschaftszeit wieder lebendig geworden sein. Man kann es nachempfinden, daß er sich dadurch verpflichtet fühlte, ganz Luthers Stellung zu vertreten, und da Luther während der lezten Tage seines Schmalkaldener Aufenthaltes es an deutlicher Bezeichnung seiner Meinung über das Papsttum nicht fehlen ließ, wie er denn auch den ersten Brief an Melanchthon (vgl. S. 344) mit einer scharfen antipäpstlichen Wendung schloß, so wird Melanchthon dadurch zu der Auffassung gekommen sein, die er in dem Schreiben vertrat nnd die sich nicht mit der unmittelbar vorher ausgesprochenen Meinung deckte.

Nachdem Melanchthon noch eine an alle christlichen Fürsten gerichtete Erklärung aufgesezt hatte, in welcher die Ablehnung des Konzils mit der ausgesprochenen Absicht des Papstes, die Keßerei zu unterdrücken, gerechtfertigt wurde, reiste er nach Weimar, wo er am 6. März Luther traf, mit dem er über Altenburg nach Grimma weiterreiste. Innig erfreut darüber, den Freund, von dessen verhältnismäßig gutem Befinden er auch aus Grimma Spalatin Nachricht gab, am Leben zu sehen, wurde Melanchthon von heiterer Stimmung erfüllt, so daß er gerade in diesen Tagen einen kleinen

Unfall Spalatins benußte, um vergnügte und wißige humanistische Scherzreden daran zu knüpfen. Am 14. März langten die Freunde in Wittenberg an.

Innere Wirren und äußere Lockungen.

Als Luther in Schmalkalden dem Tode unrettbar verfallen schien, hatte er dem Kurfürsten mitgeteilt, wie schwer die Sorge um die Zukunft seiner Lehre auf ihm lastete. Er fürchtete, daß nach seinem Tode unter den Anhängern der Reformation Zwist und Hader ausbrechen würden; vor allen Dingen war es ihm fraglich, wie es später mit der Einigkeit und Festigkeit seiner Wittenberger Kollegen stehen würde. Was ihn zu diesen Besorgnissen veranlaßte, war ein Vorfall, der sich kurze Zeit vorher während Melanchthons Reise nach Süddeutschland (vgl. S. 340) zugetragen hatte. Er hängt wiederum aufs engste mit der Weiterentwickelung einzelner religiöser Grundanschauungen Melanchthons zusammen.

Melanchthon war in dem seit 1527 zum erstenmale deutlich erkenn= baren, seit 1523/24 jedoch bereits vorbereiteten Umschwung in seiner Auffassung der sittlichen Leistungsfähigkeit des Menschen weiter fortgeschritten; obgleich er Gott als Ursache der Bekehrung betrachtete, begann er doch dem eigenen Thun des Menschen einen immer größeren Wert beizulegen. So hatte er schon in den Grundbegriffen von 1535 (vgl. Kap. 8) eine Mitwirkung des menschlichen Willens bei der inneren. Umwandlung gelehrt. Um diese Aufstellungen richtig zu würdigen, muß man stets im Auge behalten, wie stark für Melanchthon lehrhafte Gesichtspunkte maßgebend waren; seit 1527 sehen wir ihn unablässig bemüht, jedem Mißverständnis, dem der Grundsay der Rechtfertigung durch den Glauben so leicht ausgesetzt war, entgegenzuarbeiten und vor allem den Gedanken einzuprägen, daß es der Mensch einerseits nicht an eigener Arbeit fehlen lassen dürfe und daß man zum anderen an seinem Verhalten (Melanchthon nennt dies gelegentlich gute Werke, obgleich er selbstverständlich nicht äußere Werke damit meint, sondern unter dem Begriff das gesamte Thun des befehrten Menschen zusammenfaßt) die Echtheit des Glaubens erkennen müsse. An diese Anschauungen Melanchthons knüpfte die erste größere Irrung in Wittenberg an. Melanchthons Freund

Kaspar Cruciger erklärte 1536 unter Benuzung Melanchthonscher Aufzeichnungen das Evangelium nach Johannes und trug dabei den Sah vor, daß Christus zwar die Ursache unserer Rechtfertigung sei, daß aber diese nicht eintreten könne, wenn der Mensch nicht durch seine Buße und sein Bestreben ihre Bedingungen erfüllt habe. Man sieht, daß es im wesentlichen der gleiche Standpunkt ist, wie er bereits in den Visitationsartikeln sich geltend machte; nur erscheint die eigene Thätigkeit des Menschen stärker betont. Als Cruciger diese Säße vortrug, wohnte zufällig der Pfarrer Konrad Cordatus der Vorlesung bei. Dieser hatte sich als treuer Anhänger Luthers bewiesen und um seines Glaubens willen Verbannung und Mühsal willig auf sich ge= nommen. Aber diese standhafte Gesinnung war mit manchen weniger angenehmen Eigenschaften verbunden; er zeigte einen unverträglichen, hochfahrenden und anmaßenden Sinn und hielt mit der Zähigkeit eines eng begrenzten Kopfes bestimmte theologische Grundsäße fest, ohne für darüber hinausgehende Anschauungen irgend welches Verständnis zu zeigen. In den von Cruciger vorgetragenen Säßen witterte er eine Keßerei; er meinte, daß Melanchthon und seine Anhänger eine Beeinflussung des Vorganges der Rechtfertigung durch Willen und Leistungen des Menschen lehrten. Obgleich Cruciger ihn über die lehrhaften Absichten, die der gewählten Fassung der Säße zu Grunde lagen, aufzuklären suchte, brachte Cordatus die Angelegenheit doch zur Kenntnis Luthers, der gerade damals Dekan der theologischen Fakultät war.

Luther war einen Augenblick tief erregt, und da er von der Angelegenheit, die Cordatus mit Absicht überall verkündet hatte, schon durch Amsdorf unterrichtet war, so wird man annehmen dürfen, daß dieser ihn bei der Mitteilung gegen Melanchthon und seine Schüler eingenommen hatte. Die von Cordatus aufgestochenen Säße schienen Luther nur die ihm so verhaßten erasmischen Anschauungen zu wiederholen; er flagte über die Hinterhaltigkeit der Anhänger Melanchthons, und schon hier drängte sich ihm die Sorge um den Zustand der Kirche nach seinem Tode auf. Aber zunächst wollte er ihnen zeigen, daß er noch lebe, und unter Hinweis auf eine im 16. Jahrhundert viel erzählte Geschichte von einem Fechtmeister, der einen ihn herausfordernden Schüler mit einem den Schülern vorenthaltenen Fechterstreiche tötet, rief er aus: „Ich gestehe Magister Philipp gern die Kenntnis der

Wissenschaften und der Philosophie zu, allein weiter nichts. Aber ich muß der Philosophie einmal den Kopf hinweghauen, dazu soll mir Gott helfen. Denn sie wollen es so.“

Sind diese nur in Cordatus Aufzeichnungen bekannten Äußerungen, die allerdings nach Form und Inhalt den Stempel der inneren Wahrheit tragen, wirklich so gefallen, so wird man freilich zunächst berücksichtigen müssen, daß Luther die Worte im ersten Unmute und in der Meinung gesprochen hat, daß wirklich die Reinheit des im Mittelpunkte seines Glaubenslebens stehenden Grundsages ernstlich angetastet worden wäre. Man wird daher schon um deswillen gut thun, von der durch die augenblickliche Stimmung erzeugten Äußerung manches abzuziehen, weil das Urteil über Melanchthons theologische Befähigung oder besser Unfähigkeit keineswegs Luthers sonstigen Anschauungen entsprach. Andererseits muß man aber doch in Rücksicht ziehen, daß derartige leidenschaftliche Ausbrüche auf Melanchthon nicht ohne Wirkung bleiben konnten. Denn es wird gewiß gelegentlich auch zwischen Luther und Melanchthon zu ähnlichen Auseinanderseßungen gekommen sein, oder wenigstens kann man mit Sicherheit annehmen, daß derartige Unmutsäußerungen Luthers vergrößert auch zu Melanchthons Ohren gebracht wurden.

Melanchthon erhielt auf seiner Reise von Cordatus' Angriffen Kenntnis und rechtfertigte sich durch ein an die Wittenberger Professoren gerichtetes Schreiben, in welchem er seine völlige Übereinstimmung mit Luthers Lehre betonte. In der That gab sich auch Luther zufrieden, nur Cordatus, der schon vorher die ganze Angelegen= heit in der leidenschaftlichsten Weise betrieben hatte, war nicht zur Ruhe zu bringen und verlangte in immer stürmischerem Tone von Luther, daß Crucigers Vorgehen gerügt werde und Melanchthon die lezte Ausgabe der „Grundbegriffe" widerrufe, „da diese Erasmus geschrieben haben könnte." Er beschwerte sich bei Jonas, der damals Rektor der Universität war, und als ihn dieser einen Augenblick beruhigt hatte, erschien er nach dem Schmalkaldener Tage wiederum bei ihm. Jest wies ihn Jonas scharf ab. Auch Luther ließ sich nicht gegen den Freund aufbringen, zumal Melanchthon mit ihm Rücksprache genommen und ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, was es für ein trauriger Anblick sein würde, wenn sie wie die beiden Söhne des Oedipus zum Bruderkampfe schreiten würden (eine Lieblings

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