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geschlagenen Formel nicht unzufrieden und teilte Ende Januar 1535 dem Landgrafen seine Geneigtheit zu einer Aussöhnung mit. Seine persönlichen Verhandlungen mit zwei Abgesandten Augsburgs (Sommer 1535), denen auch Melanchthon ein die Einigungsbestrebungen durchaus empfehlendes Gutachten mitgab, bestärkten ihn in dieser friedlichen Stimmung. Unterdessen hatte Melanchthon in Luthers Auftrage Buzers Formel an die hervorragendsten Vertreter der lutherischen Auffassung, Amsdorf, Rhegius, Link, Brenz, Osiander und Agricola, gesendet und sie um ihre Meinung befragt, die bei der Mehrzahl zustimmend ausgefallen war; eine ähnliche Thätigkeit entwickelte Buzer in Süddeutschland. Daher konnte man nach einiger Zeit daran denken, Tag und Ort für die Verhandlungen festzusehen, und Luther schlug im März als Versammlungsplaß Eisenach, als Zeitpunkt den 14. Mai (1536) vor.

So war denn Melanchthons Wunsch nach einer Einigung der Verwirklichung nahe gebracht; aber als die Entscheidung in dieser großen Frage immer näher heranrückte, fing er wieder an bedenklich zu werden. Eine ausschließlich aus Theologen zusammengesezte Versammlung schien ihm nicht wünschenswert; „ich hab allzeit Sorg ge= habt,“ schrieb er an den Landgrafen, „es würden etlich harte Leut dazu kommen, und zu besorgen, daß viel mehr Uneinigkeit und Ärgernis folgen möcht, denn Besserung." Er fürchtete also, daß die Starrheit einzelner Anhänger Luthers, vielleicht auch die Schroffheit Luthers selbst bei einem Religionsgespräch die Einigung verhindern möchte; auch dachte er wohl an die schwierige Lage, in die er bei seiner jezigen Gesinnung innerhalb derartiger scharfer Gegenfäße gebracht werden würde. Deshalb sprach er den Wunsch aus, daß die Angelegenheit ihre Erledigung auf einer großen Versammlung von Fürsten, Ständen und Geistlichen finden sollte, wo man sich über die religiösen Grundsäge einigen könnte, zu deren Verteidigung man das Schwert zu ziehen habe. Sein Gedanke war offenbar der, daß bei einer derartigen Versammlung das Gefühl der gemeinsamen Sache Rom gegenüber die Einzelmeinungen leichter zurückdrängen würde; auch sezte er sicherlich auf den dann doch mit anwesenden Landgrafen seine Hoffnungen. Von diesen Gesichtspunkten aus suchte Melanchthon die Angelegenheit zu verzögern und bat wiederholt den Landgrafen, für eine Hinausschiebung der geplanten Versammlung zu sorgen. Und

in Briefen an seine vertrauten Freunde zermarterte er sich in Sorge über die möglichen unheilvollen Folgen einer Zusammenkunft zwischen Luther und Buzer.

Noch im lezten Augenblicke schien es, als ob sich die ganze Sache zerschlagen würde. Luther erhielt gerade damals Zwinglis nachgelassene Schrift, die „Auseinandersetzung des Glaubens" sowie den Briefwechsel zwischen Zwingli und Dekolampad, in dem die Abendmahlsfrage mehrfach zur Sprache kam, und die Ansichten, die er hier zu lesen bekam, ließen ihm doch die Möglichkeit einer Einigung wieder zweifelhaft erscheinen. Dazu erkrankte er so schwer, daß die Versammlung von Eisenach nach dem nahegelegenen Grimma verlegt wurde und schließlich die süddeutschen Abgesandten nach Wittenberg selbst eingeladen werden mußten.

Auch Melanchthon war die Durchführung seines Lieblingswunsches nicht mehr wahrscheinlich. Als er am 9. Mai sich vorübergehend in Leipzig aufhielt, wurde ihm ein Schreiben von den Augsburgern zugestellt, aus dem er entnehmen zu müssen glaubte, daß sie ihrerseits den Sachsen in der Abendmahlsfrage nicht im geringsten entgegenzukommen geneigt wären. Unter diesen Umständen erschien ihm die ohnehin schon gefürchtete Zusammenkunft doppelt gefährlich, und mit trüben Gedanken machte er sich in Begleitung von Cruciger nach Grimma auf, um die Oberdeutschen nach Wittenberg einzuladen. Diese waren indes auf Luthers Schreiben hin schon abgereist; Melanchthon und Cruciger kamen nur bis Torgau, von wo sie wieder nach Wittenberg zurückkehrten. Hier trafen am 21. Mai die Abgesandten der Oberdeutschen ein.

Melanchthon, der ihnen seine geringe Hoffnung auf das Zustandekommen des Friedens offen gestand, schöpfte wieder einigen Mut, als er mit den zugleich angekommenen lutherischen Predigern Menius und Mykonius Rücksprache nahm. Diese waren von Gotha und Eisenach aus mit den Überdeutschen zusammen gereist und hatten sich im eifrigen Austausch der Meinungen über die wichtigsten Fragen gut verständigt. Daher hielt Melanchthon gerade sie für die geeignetsten Persönlichkeiten, Luther über die wirklichen Anschauungen der Oberdeutschen aufzuklären und ihn von neuem für ein versöhnliches Auftreten zu gewinnen. In der That versuchten die Beiden noch an dem gleichen Tage auf Melanchthons Veranlassung Luther

in diesem Sinne zu beeinflussen, ohne daß es ihnen doch gelungen wäre, sein Mißtrauen völlig zu zerstreuen.

Am nächsten Morgen erschienen Buzer und Capito bei Luther, der sie nach Empfangnahme ihrer Briefe zur Verhandlung auf denselben Nachmittag einlud. Bei dieser kam es zu lebhaften Auseinandersehungen. Luther machte aus seinen durch die neuen Veröffentlichungen geweckten Bedenken kein Hehl; Buzer suchte ihm in gewandter Rede entgegenzukommen; da aber die Oberdeutschen nicht zugestehen wollten, daß auch die völlig Gottlosen den wahrhaftigen Leib des Herrn empfingen, so kam es vorläufig zu keiner Einigung, und die Verhandlung wurde auf den nächsten Nachmittag vertagt. Melanchthon war dieser ersten Zusammenkunft fern geblieben. Er wollte wohl erst abwarten, wie sich das ganze Gespräch anließ; auch mochte er annehmen, daß er veranlaßt werden würde, mit in die Auseinandersetzungen einzugreifen, und bei seiner augenblicklichen Stellung die Furcht haben, dadurch der Sache mehr zu schaden als zu nüßen. Dagegen darf man doch wohl annehmen, daß Buzer und Capito nach dem Abbruch der Verhandlungen mit Melanchthon Rücksprache genommen haben, und die Antwort, die Buzer am folgenden Nachmittag gab, wird man zum Teil als ein Ergebnis der mit Melanchthon gepflogenen Unterhandlungen zu betrachten haben. Thatsächlich kam Buzer bei der zweiten Besprechung, der nunmehr auch Melanchthon beiwohnte, Luther bedeutend entgegen; obgleich er seine Bedenken betreffs der strittigen Frage nicht aufgab, bekannte er sich doch zu Luthers Grundanschauung, daß die Thatsache der wahrhaftigen Gegenwart Christi im Abendmahl von dem Glauben und den Gedanken der Genießenden nicht abhängig gemacht werden dürfe. Damit gab sich Luther nach einer Besprechung mit seinen Anhängern zufrieden, und in gehobener. Stimmung fündigte er den tiefbewegten Oberdeutschen Frieden und Freundschaft an.

Die Aufgabe, eine die wesentlichen Ergebnisse der Übereinkunft zusammenfassende Formel aufzustellen, fiel Melanchthon zu. Dieser hätte mit dem Verlaufe des Gespräches zufrieden sein können, zumal man sich über die anderen zu behandelnden Fragen, Taufe und Beichte, ohne jede Schwierigkeit einigte. Troßdem blieb seine Bedenklichkeit vorherrschend; auch nachdem Luther so herzlich die Oberdeutschen als Freunde und Brüder aufgenommen hatte, schien ihm die ganze An

Ellinger, Melanchthon.

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gelegenheit keineswegs im Hafen zu sein; noch zwei Tage nach der Einigung über die Abendmahlsfrage bezweifelte er die friedliche Neigung der Wittenberger. Mit dem gewohnten Geschick entwarf er die Vergleichsformel, welche die wesentlichen, nicht strittigen Punkte gut zusammenfaßte und die nicht völlig beigelegte Frage doch in einer so entgegenkommenden Fassung gab, daß sich auch die Oberdeutschen damit einverstanden erklären konnten. Denn obgleich der Genuß des wahren Leibes durch die Unwürdigen anerkannt und so der Sieg des lutherschen Standpunktes ausdrücklich bezeugt wurde, sezte er doch hinzu: „Die Unwürdigen genießen es aber zum Gericht (nach 1. Kor. 11,29), da sie das Sakrament mißbrauchen, indem sie es ohne Buße und Glauben nehmen; es ist darum eingesetzt, auf daß bezeugt werde, daß diejenigen, welche Buße thun und sich durch den Glauben an Christum trösten, der Wohlthat Christi teilhaftig, seine Glieder und durch sein Blut gereinigt werden." Man erkennt deutlich, wie durch diesen Zusaß den Oberdeutschen das Zugeständnis leicht gemacht werden soll. Als die Vergleichsformel von den Mitgliedern der Versammlung ohne weiteres angenommen und unterzeichnet wurde, begann Melanchthon zuversichtlicher zu werden (obgleich er später auf seine Befürchtungen wegen der Folgen der Zusammenkunft ge= legentlich wieder zurückgekommen ist) und teilte dem Landgrafen den guten Ausgang der Verhandlungen mit. Über unzufriedene Beurteilungen des Einigungswerkes durch schroffe Lutheraner, namentlich durch Amsdorf, sprach er sich sehr scharf aus. Für ihn war die Hauptsache erreicht, die Beendigung des theologischen Gezänkes; auch zeigte sich immerhin einige Hoffnung auf weitere Ausdehnung des Friedens, da auch zwischen den Schweizern und Luther sich in der nächsten Zeit eine gewisse Annäherung anbahnte, die allerdings zu einer Einigung nicht führte, wohl aber vorläufig den Streit zum Stillstand brachte. Melanchthon war auch darüber sehr erfreut, er sprach dem vortrefflichen Schweizer Vadian seinen Schmerz über die früheren Streitigkeiten, seine Freude über die jeßigen Friedenshoffnungen aus und bat ihn, am Friedenswerke eifrig mitzuarbeiten, „auf daß die Kirchen nicht durch gegenseitigen Haß und Streit noch mehr zer= splittert werden.“

Unterdessen war die Konzilsfrage wieder in Fluß gekommen. Karl V. hatte durch seinen glücklichen Zug gegen die Seeräuber in

Tunis sein Ansehn neu gemehrt; mit berechtigtem Stolze fühlte er sich als Vorkämpfer des Christentums, und von diesem Standpunkte aus wußte er den Papst Frühling 1536 zur Ausschreibung des Konzils zu bestimmen. Dieses wurde dann auch durch die Bulle vom 12. Juni für das nächste Jahr nach Mantua berufen. Johann Friedrich war weder zur Beschickung des Konziles, noch zum Empfang eines die Ladung überbringenden päpstlichen Gesandten geneigt und verlangte über diese Punkte den Rat seiner Theologen. Das Gutachten, das diese erstatteten, rührt offenbar von Melanchthon her. Es riet unter allen Umständen zur Beschickung des Konzils. Das Recht ein Konzil zu berufen, müsse dem Papst zugestanden werden, ohne daß daraus die Notwendigkeit folge, ihn als Richter anzuerkennen. Eine grundfäßliche Ablehnung des Konzils aber sei unter allen Umständen zu verwerfen; denn man gebe dadurch der Versammlung die Möglichkeit, die Protestanten ungehört zu verurteilen; zudem seze man sich be= rechtigten Vorwürfen des Kaisers und der fremden Völker aus. Aber auch wenn die Protestanten nicht eingeladen, sondern wie Angeklagte vorgefordert würden, solle man das Konzil nicht schlechthin verwerfen, sondern es unter dem Vorbehalt annehmen, daß man an ein freies christliches Konzil apelliert habe. Die Gründe für dieses Gutachten entsprechen durchaus den bisher von Melanchthon vorgetragenen Meinungen; er hielt noch immer die Möglichkeit einer Verständigung für nicht ganz ausgeschlossen, wenigstens wollte er sich einen Weg, der dazu hinführen konnte, nicht ganz verbauen lassen; vor allem aber sollten nach seiner Meinung die Protestanten vor dem Verdacht geschützt werden, als ob sie die ihnen zur Aussöhnung gereichte Hand mutwillig zurückgestoßen hätten.

Der Kurfürst war mit diesen Ansichten, die Melanchthon auch in mehreren kleineren Denkschriften vortrug, nicht einverstanden; er vermochte an ehrliche Absichten der Gegner nicht zu glauben. Auf seine Veranlassung mußte Melanchthon einen Protest gegen dieses Konzil auffezen, das nicht als das von den Protestanten verlangte freie Konzil zu betrachten sei. Er brachte sogar einen schon früher gelegentlich geäußerten sonderbaren Plan alles Ernstes wieder vor, Luther möge ein freies Konzil nach Augsburg berufen. Ferner ließ er durch den Kanzler Brück Luther um Aufzeichnung der unter allen Umständen festzuhaltenden Artikel sowie um Angabe

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