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ist die Äußerung des tragischen Dichters, man könne Gott kein angenehmeres Opfer schlachten als einen Tyrannen! Möchte doch Gott irgend einem tapferen Mann diese Gesinnung einpflanzen!“

Die Wittenberger Ronkordie und der Tag zu Schmalkalden.

Die Erfahrungen, die Melanchthon während der englischen und französischen Verhandlungen hatte machen müssen, waren für ihn nicht ermutigend. Die große Thätigkeit, die er zur Verwirklichung seiner religionspolitischen Pläne zu entfalten gehofft hatte, war kurzerhand vereitelt worden. Dazu hatte er die unzweideutigsten Beweise für die Thatsache erhalten, daß man ihm am Hofe nicht traute, und diese Meinung war ihm in der verlegendsten Weise kundgethan worden. Bei seiner Neigung zur Schwarzseherei ist es selbstverständlich, daß er auch fürchten mußte, unter seinen Wittenberger Mitarbeitern Gegner und Neider zu haben. Hatte er doch schon in der Mitte der zwanziger Jahre über Anfeindungen geklagt, und auch wenn man seine Empfindlichkeit in Betracht zieht, wird man doch annehmen müssen, daß derartige Wahrnehmungen schon damals nicht ohne sachlichen Untergrund gewesen sein können. Sie traten schärfer hervor, als sich Melanchthons Lehrweise in einigen Punkten von Luthers Auffassungen trennte. Diese Abweichungen zeigten sich zunächst in der Abendmahlslehre.

Melanchthons frühere Haltung im Adendmahlsstreit entsprach, wie gezeigt wurde, durchaus der Luthers, ja Melanchthon kehrte seinen Standpunkt in dieser Frage noch schroffer hervor als Luther. Von Buzers unermüdlichen, durch Unfreundlichkeit nicht entmutigten Versuchen während des Augsburger Reichstages eine Einigung herbeizuführen, wurde schon berichtet; sie trafen bei Melanchthon auf entschiedenen Widerwillen. Dieser Standpunkt änderte sich plötzlich und ziemlich unvermittelt unmittelbar nach dem Reichstage. Es waren verschiedene Gründe, die diese Umänderung hervorriefen. Zunächst die gänzlich veränderte politische Lage. Sobald Melanchthon sich davon überzeugt hatte, daß eine Verständigung mit der päpstlichen Partei in absehbarer Zeit nicht zu erreichen sei, schwand für ihn der Hauptgrund, aus dem er bisher jede Annäherung der Oberdeutschen und Schweizer hartnäckig zurückgewiesen hatte. Indessen so stark unzweifelhaft bei seinen religiösen Maßnahmen politische Rücksichten mitspielten,

so reichen sie doch nicht allein aus, sein Verhalten zu erklären. Die Grundlage desselben ist vielmehr darin zu finden, daß seine Überzeugung von der wörtlichen Auffassung der Einsetzungsworte in der alten Kirche erschüttert wurde. Während des Augsburger Reichstages erhielt er den Dialog Dekolampads über das Abendmahl (vgl. S. 258); in dieser Schrift hatte der alte Tübinger Freund nachzuweisen gesucht, daß thatsächlich die sinnbildliche Bedeutung der Einsetzungsworte von zahlreichen Kirchenvätern vertreten worden war. Schon bei flüchtiger Durchsicht des Buches erkannte Melanchthon die Sorgfalt der Arbeit an; bei genauerer Durcharbeitung muß er sich in der That davon überzeugt haben, daß Oekolampads Beobachtung zutreffe. Dieses Ergebnis war für ihn von größter Wichtigkeit. Liefen schon in der ältesten Zeit der christlichen Entwickelung in dieser Frage zwei Strömungen nebeneinander, eine gebundenere und eine mehr den geistigen Gehalt erfassende, so ergab sich auch für den Späteren keine Veranlassung, starr an einer der beiden Auffassungen festzuhalten. Die Möglichkeit einer beide Anschauungen vermittelnden Formel erwies sich demnach durch den Verlauf der geschichtlichen Entwickelung als durchaus berechtigt. So gewann er innerlich die Möglichkeit, seine Haltung den geänderten politischen Verhältnissen anzubequemen. Nun war es Buzer im Januar 1531 gelungen, für eine von ihm aufgestellte Formel über das Abendmahl freundliche Anerkennung bei Luther zu finden; nur daß auch die Gottlosen im Abendmahl den Leib des Herrn empfangen, konnte und wollte Buzer nicht zugestehen. Indessen stand Luther doch der von Buzer geäußerten Ansicht, die im Frühling 1531 den Anschluß der oberdeutschen Städte an den schmalkaldischen Bund ermöglichte, freundlich gegenüber. In demselben Sinn äußert sich auch Melanchthon; schon im Januar sprach er die Hoffnung auf eine Einigung aus; noch bestimmter äußerte er sich für eine solche im April, wo er sogar Buzer gegenüber die Worte fallen ließ, die er später (1534) in ganz ähnlicher Weise dem Landgrafen gegenüber wiederholte: Dieses heftige Streiten zwischen Luther und Zwingli hat mir nie gefallen; es wäre besser für die ganze Sache, wenn wir diese tragischen Kämpfe nach und nach aufhören ließen." Eine in der That ganz unbegreifliche Äußerung, die wiederum sehr nahe an Unaufrichtigkeit grenzt, denn man kann unmöglich annehmen, daß Melanchthon schon damals vergessen haben sollte, wie gerade er es war, der sich nach

Kräften bemüht hatte, den Riß zwischen den beiden Parteien zu verschärfen und zu vertiefen.

In den drei nachfolgenden Jahren hat sich nun die durchgreifende Änderung in Melanchthons Anschauungen über diese Frage vollzogen. Zwar Zwinglis Auffassung blieb er stets fern, aber allmählich bildete sich in ihm eine Überzeugung aus, die zwischen der rein geistigen Auffassung der Frage und der wörtlichen Luthers mitten inne stand. Wiederum waren es wohl Gründe innerer und äußerer Natur, welche die Entwickelung in ihm zur Reife brachten. Nach der ganzen, auf flare, jedes Mißverständnis ausschließende Begriffsbestimmung gerichteten Anlage seines Geistes scheute Melanchthon vor jenen Paradorieen zurück, die einen so ganz dem Ewigen, Unbegreiflichen zugewandten Geist wie Luther in seiner Meinung viel eher bestärkten als erschütterten. Demnach war es erklärlich, daß jezt, wo ihn das Zeugnis der älteren kirchlichen Entwickelung nicht mehr in seinem Gewissen band, er sich immer mehr in einer Auffassung befestigte, die einerseits dem allgemeinen Verständnis durch ihre leichte Faßlichkeit entgegenkam, andererseits doch den religiösen Grundgehalt des Sakraments nicht antastete. Neben dieser rein inneren Entwickelung liefen nun offenbar auch bei der allmählichen Befestigung dieser Auffassung in Melanchthons Geist noch Gründe äußerer, politischer Art her. Daß es ihm bei der weiteren Ausdehnung des schmalkaldischen Bundes wünschenswert erscheinen mußte, über diese wichtige Frage eine einigende, gemeinsame Lehrform aufzustellen, wird man für wahrscheinlich halten müssen. Sicher ist jedenfalls, daß die Rücksicht auf die außer= deutsche Entwickelung der kirchlichen Verhältnisse bei der Befestigung seiner nunmehrigen Ansicht von großer Bedeutung war. Jemehr die reformatorischen Grundanschauungen bei dem scheinbaren Entgegen= kommen Franz I. und Heinrichs VIII. Aussicht hatte, auch in Frankreich und England vorzudringen, desto anstößiger wurde ihm die Uneinigkeit über die Abendmahlsfrage bei den deutschen Protestanten; „alle frommen Christen in Frankreich und England," schrieb er 1534, „sind dieses Artikels halber hoch bekümmert"; mit anderen Worten: er fürchtete, daß gerade die Uneinigkeit über eine der wichtigsten Fragen den französischen und englischen Freunden der Reformation Zweifel an der Berechtigung der gesamten Lehre erwecken und dergestalt das weitere Vordringen der Reformation hindern würde. Immer mehr setzte sich daher

bei ihm der Wunsch fest, „daß das ungeheure Ärgernis des Zwiespaltes, das den Lauf des Evangeliums so sichtbar hemmt, weggeräumt würde.“

Noch immer war unter den Fürsten vor allem bei Landgraf Philipp der Wunsch nach einer Einigung lebendig, während Kurfürst Johann Friedrich derartigen Bestrebungen mißtrauisch gegenüberstand. Nach dem Frieden zu Kadan nahm Philipp seine alten Bemühungen wieder auf und fragte deshalb bei Melanchthon an. Dieser erklärte sich mit Freuden dazu bereit, die Sache zu fördern. Eine von Buzer aufgestellte Einigungsformel fand bei Luther freundliche Aufnahme, worüber Melanchthon Buzer gegenüber die herzlichste Freude äußerte. „Wenn ich die Eintracht," schrieb er, mit meinem Tode erkaufen könnte, würde ich gern mein Leben hingeben" (September 1534). Als der Landgraf nunmehr auch an Luther schrieb, erklärte dieser seine Neigung zu einer Aussöhnung. Infolgedessen sette Philipp eine Besprechung zwischen Melanchthon und Buzer an; sie sollte am 27. Dezember 1534 in Kassel abgehalten werden. Luther gab auf Melanchthons Bitten diesem für das Gespräch eine ausführliche Weisung mit. In ihr hob er den bestehenden Gegensah scharf hervor und wies auf die Gefahren einer bloß halben, äußerlichen Einigung hin. Unter ausführlicher Angabe der seine eigene Ansicht stüßenden Zeugnisse erklärte er ausdrücklich, daß die beabsichtigte politische Einigung eine Übereinstimmung in den religiösen Fragen nicht unbedingt zur Voraussetzung zu haben brauche; er wollte offenbar verhindern, daß man aus Wunsch nach Erreichung weltlicher Ziele den bestehenden Gegensatz verschleiere, anstatt ihn wirklich auszutragen oder doch) wenigstens anzuerkennen. Seine Gesamtanschauung aber faßte er folgendermaßen zusammen: „Unsere Meinung ist aber, daß der Leib so mit oder in dem Brote ist, daß er wahrhaftig mit dem Brote gegessen wird und daß alles, was mit dem Brot geschieht, auch den Leib Christi betrifft, so daß man in Wahrheit sagen kann, der Leib Christi werden getragen, dargeboten, empfangen, gegessen, wenn das Brot getragen, dargeboten, empfangen, gegessen wird. So sind die Worte zu verstehen: das ist mein Leib." So wird der Schlußsay der Melanchthon mitgegebenen Weisung gelautet haben, während die bekannter gewordene krasse Fassung, daß der Leib „ausgeteilt, gessen und mit den Zähnen zubissen werde", doch wohl eine spätere, wenn

auch wahrscheinlich noch von Luther selbst herrührende Verschärfung des Gegensages ist.

Auch Melanchthon hatte dem Landgrafen eine Formel überreicht, welche die wahrhaftige Anwesenheit des Leibes im Brote betonte. Wenn aber Luther in seiner Weisung erklärte, daß sowohl der Wortlaut der Schrift als die Zeugnisse der Kirchenväter seine Ansicht bestätigten, so konnte dies Melanchthon namentlich für den lezten Punkt nach den Ergebnissen der Untersuchungen Dekolampads nicht mehr zugestehen. Er betrachtete sich daher in Kaffel als den „Überbringer einer fremden Ansicht". Wie sich die Verhandlungen auf dieser Kasseler Zusammenfunft im einzelnen gestaltet haben, läßt sich nicht mit Deutlichkeit ersehen. Sicher ist nur, daß Buzer seine eigene Meinung, die die Auffassung seiner süddeutschen Freunde und Gesinnungsgenossen wiedergab, genauer feststellte: auch er erklärte, daß in Brot und Wein Christus wahrhaft dargereicht werde, lehnte aber die Annahme einer wirklichen Verbindung der körperlichen Bestandteile von Brot und Wein mit Christus ab. Zugleich erklärte er in seinem und seiner Freunde Namen die unbedingte Zustimmung zur augsburgischen Konfession und Apologie.

Für Melanchthon war die Zusammenkunft in Kassel von größter Wichtigkeit; sie bildet den Abschluß der inneren Entwickelung, die sich seit 1531 bei ihm angebahnt hatte. Wenn er seit dem Erscheinen von Dekolampads Dialog bei den ältesten Zeugen der kirchlichen Entwickelung eine zwiefache Auffassung des Abendmahls zugegeben hatte, so ging er unter dem unmittelbaren Eindruck des Kasseler Gespräches noch weiter und bezeichnete die geistige Deutung der Einschungsworte als die Meinung, für die sich allein aus den Kirchenvätern unbedingt sichere Zeugnisse beibringen ließen. Diese durch die Gespräche mit Buzer zum Abschluß gebrachte Umwandlung konnte natürlich Luthers Scharfblick nicht entgehen, als Melanchthon am 9. Januar nach Wittenberg zurückkam und ihm über die Zusammenkunft Bericht erstattete. Er war aufs höchste betroffen über die Stellungnahme Melanchthons, welche aus den von diesem angeführten Gründen und aus der Art, in der er sie vorbrachte, deutlich zu erkennen war; und noch nach Jahren stand Luther der überraschende Eindruck dieser unmittelbar nach Melanchthons Rückkehr gemachten Wahrnehmung flar vor Augen. Trotzdem zeigte er sich mit der von Buzer vor-

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