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Ebensowenig wie die Bemühungen Franz I. waren die Unterhandlungen von reinen Gesichtspunkten geleitet, die Heinrich VIII. von England ungefähr zu der gleichen Zeit mit den deutschen Protestanten und Reformatoren anknüpfte. Der wüste Mensch, in dem sich dünkelhafte Willkür, Bigotterie, Sinnlichkeit, Rohheit und Grausamkeit zu einem widerlichen Zerrbilde vereinigten, war be= kanntlich vordem selbst als ein mit erborgter Gelehrsamkeit prunkender Verteidiger der katholischen Sakramentslehre aufgetreten und von Luther mit ungeschlachter, aber wohlverdienter Grobheit abgefertigt worden. Was ihn jezt den Protestanten näher brachte, war eine Angelegenheit, die mit nichts weniger als mit der Religion zu thun hatte. Allbekannt ist der schmußige Handel, den Heinrich VIII. damals vor der ganzen Welt aufdeckte. Um das verschmißte Hoffräulein Anna Boleyn sein eigen nennen zu können, suchte er vom Papste die Trennung von seiner Gemahlin Katharina von Arragonien zu erwirken, und mit echt englischer Heuchelei schämte er sich nicht, noch angebliche Gewissensbedenken für die Notwendigkeit dieser Scheidung ins Treffen zu führen. Denn Katharina war, bevor er sie geheiratet hatte, die Frau seines Bruders Arthur gewesen, und Heinrich VIII. erklärte, daß er wegen dieses nahen Verwandtschaftsgrades die Ehe nicht nach göttlichem Rechte für zulässig halten könnte. Da die in das Getriebe der päpstlichen Politik verstrickte Angelegenheit sich schließlich doch bei Clemens VII. unter dem Einflusse der augenblicklichen Machtverhält= nisse und dem Drucke der öffentlichen Meinung zu Ungunsten Heinrichs zu entscheiden begann, fühlte der englische König das Bedürfnis, sich die Berechtigung seines Schrittes von religiösen Autoritäten ausdrücklich verbürgen zu lassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach in seinem Auftrage ersuchte ein aus England seines Glaubens wegen geflüchteter Doktor Robert Barnes, der unter dem Namen Antonius in Wittenberg lebte, • Luther und Melanchthon um ein Gutachten über diese Frage. Die Art, wie beide Reformatoren diese Sache angriffen, ist wiederum für die verschiedene Art ihres Wesens bezeichnend. Einig waren sie beide darin, daß durch die von Heinrich VIII. aus dem alten Testament angezogenen Schriftstellen keineswegs die Unrechtmäßigkeit seiner Ehe bewiesen werde, zu einer Scheidung daher nicht der geringste Grund vorliege. Daneben aber vertritt Melanchthon einen bemerkenswerten Standpunkt, welcher durchaus der Art entspricht, in der wir ihn bisher

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thätig gesehen haben; er sucht einen Ausweg durch einen politischvermittelnden Vorschlag zu finden. Da Heinrich VIII. außer jenen angeblichen Gewissensbedenken als Grund der Scheidung auch den Mangel eines männlichen Erben angegeben hatte, schlug Melanchthon für den Fall, daß das „öffentliche Wohl“, „der Nußen des Staates" es verlange, neben der bereits bestehenden die Eingehung einer zweiten Ehe vor und belegte die Zulässigkeit dieser Maßregel durch Beispiele aus der Geschichte des alten Bundes. Falls der Papst diese Lösung der Frage nicht zugestehen wolle, sei man berechtigt, sie durch Schaffung eines Staatsgesetzes herbeizuführen. Dieser eigentümliche Vorschlag, der leider Melanchthon noch in die schwersten Seelenqualen verstricken sollte, findet seine Erklärung in der merkwürdigen Unsicherheit, mit der die Reformatoren der Frage nach der Berechtigung der Polygamie gegenüberstanden. Da in der Schrift ein Verbot der Polygamie sich nicht vorfand, diese vielmehr bei frommen Männern des alten Bundes ausdrücklich bezeugt war, so hatte Luther die Doppelehe an sich nicht für religiös verwerflich halten können und sich schon früher mehrfach in dem Sinne ausgesprochen, ohne damit irgend welchen nennenswerten Anstoß zu erregen. Jetzt war es nun Melanchthon, der auf diese Ansicht seinen Vermittelungsvorschlag aufbaute, und er beeinflußte damit auch Luther, der in seinem ersten für den König abgegebenen Gutachten einen ähnlichen Gedanken überhaupt nicht vorbrachte und erst in einem zweiten vom 6. September offenbar unter der Einwirkung von Melanchthons Erwägungen ganz gelegentlich die Doppelehe nach dem Beispiel der Väter und Könige" man sieht hier deutlich die Beziehung auf Melanchthons Auseinanderseßungen gegenüber als das kleinere Übel empfiehlt.

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der Scheidung

Infolge der Wendung, die die Dinge in England gegen den Papst und scheinbar zu Gunsten einer freieren kirchlichen Richtung nahmen, konnte Barnes sein Vaterland wieder aufsuchen und wurde als geeignetste, mit den deutschen Verhältnissen vertraute Mittelsperson zu neuen Anknüpfungen mit Wittenberg 1535 dorthin entsandt. Schon vorher war Melanchthon zweimal von Heinrich VIII. nach England eingeladen worden; obgleich einer Reise dorthin nicht abgeneigt, zögerte er. Jezt schrieb er auf Barnes Veranlassung an Heinrich, dem er die Förderung der Wissenschaften, die Abschaffung

religiöser Mißbräuche und die Beseitigung des kirchlichen Zwiespaltes ans Herz legte. Im Juli erhielt der Kurfürst ein Schreiben des Königs, in welchem dieser um Melanchthons Entsendung nach England bat. Melanchthon, der sich gerade wegen der in Wittenberg herrschenden Pest mit der Universität in Jena aufhielt, wurde von Barnes aufs neue zu der Fahrt aufgefordert und erklärte sich dazu bereit. Auf Barnes Rat widmete er dem Könige die neue Ausgabe seiner „Grundbegriffe" mit einer Vorrede, die wieder in ähnlicher Weise wie der an Heinrich gesandte Brief Ermahnungen aussprach, den König über das wahre Wesen der Reformation aufklärte und Anwendung von Gewalt gegen ihre Bekenner zu verhüten suchte. Melanchthons Entsendung nach England hing von Johann Friedrich ab; dieser aber scheint von vornherein entschlossen gewesen zu sein, auch diesmal die Reise nicht zuzugeben. Wiederum griff Luther ein. Er wußte wohl, wie tief das schroffe Benehmen des Kurfürsten bei den Verhandlungen über die Einladung nach Frankreich Melanchthon niedergedrückt hatte und suchte daher seinem Freunde die Wiederkehr ähnlicher Erfahrungen zu ersparen. Mit Bugenhagen, Cruciger und Jonas zusammen befürwortete er dringend beim Kurfürsten Melanchthons Reise; und unter deutlicher Bezugnahme auf den Eindruck, den die frühere Demütigung auf Melanchthons Gemüt ausgeübt hatte, sagt er: „So wollt auch M. Philippo, so nun so stattlich ge= ruffen wird, auf seine Zusage sein Ausbleiben viel schwerer Gedanken machen, so er ohn das sonst mit Arbeit, Traurigkeit und Anfechtungen überladen ist, und fast allezeit gewesen." Zugleich mit dieser Gesamteingabe sandte Luther einen Brief an den Kanzler Brück, um durch diesen auf den Kurfürsten zu wirken. Auch in diesem Schreiben, aus dem man übrigens erkennt, daß Luther die Unterhandlungen ebenfalls für aussichtsreich hielt, weist er auf die Folgen hin, die eine abschlägige Antwort auf Melanchthons Gemüt haben mußte: „Er hat viel gethan und gearbeitet," schreibt er, wie wir alle wissen. Solt man denn auch widderums nichts im gut lassen sein, oder in ein wenig tragen, das were allzustrenge, und sein verdienst mit traurigkeit be= lohnet . . . Solchs schreibe ich, das der gute mensch nicht mit bösen gedancken sich zu uberladen gedrungen werde." Doch hatten weder die Vorstellungen der Theologen noch Luthers Worte Erfolg; der Kurfürst benutte die damals unternommene Reise au den Hof König

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Ferdinands, um die Sache durch Hinausschieben zu Melanchthons Ungunsten zu entscheiden.

Heinrich VIII. gab indessen die Annäherungsversuche nicht auf; er sandte zwei seiner Geistlichen, den Bischof von Canterbury Eduard For und den Archidiakonus Nicolas Heyth, die auf der Bundesversammlung zu Schmalkalden (j. o. S. 323f.) des Königs Antrag um Aufnahme in den Bund vorbrachten, worauf die Versammlung dem Könige Anschluß an die Augsburger Konfession und gleiche Stellung zu einem Konzil und den gemeinsamen Feinden zur Vorbedingung machte. Aber weder dieser Antrag Heinrichs VIII. noch die darauf zu Wittenberg (Januar und Februar 1536) zwischen den englischen Geistlichen einerseits, Luther und Melanchthon andererseits über die wichtigsten Glaubensfäße und die Ehescheidung des Königs gepflogenen langwierigen Unterhandlungen führten zu einem nennenswerten Ergebnis; in der Scheidungsfrage wollten die Reformatoren merkwürdigerweise die Bestimmung des alten Testaments über das Verbot der Ehe mit der verwitweten Schwägerin aufrecht erhalten wissen, ohne jedoch über die Berechtigung von Heinrichs Verfahren ein Urteil abzugeben. Ein Anschluß des Königs erfolgte nicht; auch war ein solcher kaum ernsthaft beabsichtigt, sondern dem Könige kam es augenscheinlich nur darauf an, eine theologische Rechtfertigung für seine inzwischen erfolgte Ehescheidung zu erhalten, die Aussöhnung der Protestanten mit dem Papst zu verhüten, damit er diesem mit seiner neubegründeten Kirche nicht allein gegenüberstehe; auch einen Rückhalt dem Kaiser gegenüber hatte er an dem Bunde zu finden geglaubt, doch sahen seine Gesandten schon auf dem Bundestage zu Frankfurt (April 1537) das Irrige dieser Hoffnung ein.

Melanchthon hatte auch das unbestimmte Gefühl, daß dem Könige nicht zu trauen sei. Als Heinrich auch Anna Boleyn hinrichten ließ, erkannte er sehr wohl, daß die angebliche Schuld der Königin keineswegs als erwiesen zu betrachten sei. Trotzdem war er noch immer bereit, nach England zu gehen. Im Jahre 1538 erneuerte Heinrich die Verhandlungen und bat um Aufnahme in den Bund; vor allem aber verlangte er zweimal Melanchthons Anwesenheit. Doch der Kurfürst ließ diesen auch jezt nicht ziehen, sondern er gab den beiden Gesandtschaften, die ohne Erfolg nach England geschickt wurden, das erste Mal Fr. Mykonius, das zweite Mal überhaupt keinen Theologen. mit; die Mitglieder der zweiten Gesandtschaft überbrachten jedoch

Schreiben von Melanchthon an den König, Crammer und Heyth, in denen er zu einer gründlichen Reformation und zur Vermeidung alles bloßen Stückwerkes aufforderte und namentlich Crammer sehr dringend zur wahren Durchführung der evangelischen Gedanken aufforderte. Unterdessen aber schlug in England die Stimmung um. Die innerlich den alten kirchlichen Zuständen anhängende Partei gewann wieder Einfluß auf Heinrich VIII. und wußte den Erlaß des sogenannten blutigen Statuts zu erwirken, jener sechs Artikel, in denen die Beibehaltung der wichtigsten katholischen Lehren unter Androhung der Todesstrafe geboten wurde (1539) und die das Zeichen zu grausamen Verfolgungen gaben. Buzer sah darin nur eine Folge von Melanchthons Nichterscheinen und bat den Landgrafen, er möchte Melanchthons Absendung durchzusehen suchen, da dieser allein der Verwirrung in England steuern könne. Obgleich der Landgraf Buzers Ansicht nicht teilte und nur die Absendung eines Ermahnungsschreibens an den König empfahl, wandte er sich doch an Joh. Friedrich, der das Gutachten seiner Theologen einforderte. Es fiel diesmal durchaus ungünstig aus; Melanchthon selbst äußerte sich. unter dem Eindruck der lezten Vorgänge sehr scharf über den König und erhoffte keinen Erfolg von einer Unterhandlung mit ihm. Dagegen verfaßte er im Auftrage des Kurfürsten jenes von Philipp angeregte Schreiben an den König, das diesem in würdigster Weise sein grausames und unchristliches Verhalten vorhielt, ihn zum Ablassen von der Verfolgung ermahnte und scharf den Unterschied zwischen einer wahren Kirchenverbesserung und Heinrichs abergläubischen Vorschriften hervorhob. Auch jezt wurden die Beziehungen noch nicht ganz abgebrochen; aber die wieder aufgenommenen Verhandlungen (1540), für die Melanchthon zwei kleine Denkschriften über Priesterehe und Messe verfaßte, offenbarten nur aufs neue den unzuverlässigen, tyrannischen Sinn des Königs, so daß auch Melanchthon sich von der gänzlichen Unmöglichkeit weiterer Verhandlungen mit dem „englischen Nero“ überzeugte, wie er ihn unter dem Eindrucke neuer Blutthaten des Königs bezeichnete. Die Hinrichtung Thomas Cromwells, der als der eigentliche Verfechter der evangelischen Partei in England galt und jedenfalls bis zulezt für ein Zusammengehen mit den deutschen Protestanten gearbeitet hatte, überzeugte ihn von der wahren Gesinnung des Königs; die Größe seiner Erbitterung läßt sich aus folgender Äußerung erkennen: „Wie richtig.

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