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Humanismus die natürliche Rede auszubilden; ungehindert von Formeln, von technischen Ausdrücken und Schlußfiguren sollte der menschliche Geist sich entfalten und seinen Gedanken einen möglichst angemessenen, aber zugleich auch möglichst eindrucksvollen, daher schmuckreichen Eindruck verleihen. Die „Wohlredenheit“ (eloquentia; wir würden, zumal es sich mehr um schriftliche als mündliche Arbeiten handelt, die Fähigkeit geschmackvoller Darstellung sagen) wurde das Ideal der Humanisten; in ihren Reden, vor allen Dingen aber in ihren Briefen suchten sie es ins Leben treten zu lassen, und wenn dabei auch viel Hohles, Unwahres, Angelerntes mit unterläuft, so ist doch hier der ungeheure Abstand von dem die Scholastik beherrschenden Grundgedanken unverkennbar. Nicht minder in der neuen Art des Wissenbetriebes, in der philologischen Arbeit, die an den alten Schriftstellern geübt wird, der Berücksichtigung der Inschriften und Altertümer, der Betonung des Wertes der Geschichte. Auch die Philosophie gewinnt wieder eine unmittelbarere Berührung mit dem Leben, wenn sie auch dabei von ihrer Höhe zunächst etwas herabsteigen muß; vor allen Dingen aber macht sich das Streben nach der Rückkehr zum Ursprünglichen, Einfachen, Naturgemäßen in der Erziehungslehre geltend: die im Menschen liegenden Anlagen zu entwickeln, sie durch das ihnen am meisten Entsprechende zu wecken, zu nähren und zu stählen das sind in der Hauptsache die der Renaissancepädagogik vorschwebenden Grundgedanken, wenn sie auch nicht überall mit der gleichen Klarheit zu Tage treten. Aber auch in den übrigen Geistesbethätigungen dieser litterarischen Renaissance, so wunderlich auch häufig die den Kern verhüllende Schale von Selbstgefälligkeit, Eigennuß, Neid, geistiger Raufsucht ist, tritt als Grundzug die Rückkehr zur „Lehrerin aller Geschöpfe, der Natur" auf das deutlichste hervor. Die Keime einer zukünftigen großen Entwickelung sind überall zu erkennen, nirgends sind sie allseitiger, schärfer und verheißungsvoller vorgebildet als bei einem der glänzendsten Geister der italienischen Renaissance, bei Lorenzo Valla. Ist die treibende Kraft bei ihm auch keineswegs das reine, von Nebenabsichten freie Streben nach der Wahrheit und kann man auch an den sein Schaffen leitenden Beweggründen nicht allzugroße Freude haben, so kündigt sich bei ihm deutlicher als bei irgend einem anderen Vertreter der Renaissance eine Welt zukünftigen Lebens an: die Scheidung der Welt des Gemütes von der des Verstandes, die unbefangene

Würdigung jeder Lebensanschauung, die Begründung der religiösen Gesinnung auf das Innere, und daneben ein Tiefblick für die großen und kleinen Vorwürfe wissenschaftlicher Arbeit, der ausschließlich dem wahrhaft Wissenswürdigen zugewendet ist.

Der Gegensatz zwischen den Bestrebungen des neuaufkommenden Geschlechtes und den Idealen der Scholastik war so handgreiflich, daß er in irgend einer Weise zu Tage treten mußte. Nun fehlte es bereits in Italien nicht an Zusammenstößen zwischen der alten und neuen Richtung; und namentlich hat Valla mit Theologen und Juristen manchen Strauß ausgefochten. Aber die eigentliche Entscheidung in dem großen Geisterkampfe sollte doch nicht hier, sondern in Deutschland fallen. Dem Vater des Humanismus, Petrarca, mochte freilich, wenn er nach Deutschland kam, der Vergleich mit skytischer Barbarei nahe liegen, dennoch begannen schon zu seiner Zeit die Fäden der geistigen Bewegung sich von Italien nach Deutschland hinüberzuspinnen.. Aber zu einer Macht wuchs die Strömung erst im fünfzehnten Jahrhundert an; nach Deutschland verschlagene Italiener wie Enea Silvio oder in Italien studierende Deutsche brachten die Erzeugnisse einer neuen Bildung nach Deutschland. Wie nun in dieser Frühzeit des Humanismus das Übernommene bewundert, sklavisch nachgeahmt, auch durch Übertragung ins Deutsche angeeignet wurde, wie Grundbestandteile der italienischen Renaissance auf dem deutschen, ihrem Wesen nicht entsprechenden Boden wieder verkümmerten, teils sich bei= nahe unsichtbar erhielten und unter günstigeren Bedingungen wieder auflebten, ist hier nicht zu schildern. Jedenfalls zeigte sich, sobald die erste Zeit der staunenden Überraschung, des bedingungslos aufnehmenden Genusses vorüber war, daß der deutsche Humanismus mehr als ein Absenker des italienischen, daß er eine selbständige Geistesentwickelung mit eigenartigen Zügen darstellte. Zunächst trat das durch die starke Betonung des Vaterländischen in die Erscheinung; bedienten sich auch die Humanisten einer fremden Sprache, so war doch die Empfindung für das deutsche Volkstum bei ihnen keineswegs unterdrückt; sie suchten vielmehr den stolzen Italienern darzuthun, daß auch sie auf eine Vergangenheit voll kriegerischen Ruhms und geistigen Strebens hinweisen konnten. Daher wurden nicht bloß unbekannte Zeugen der germanischen Vorzeit wieder ans Licht gebracht, so Vellejus Paterculus durch Beatus Rhenanus, auch die Geschichtsschreiber der Völker

wanderung machte man wieder zugänglich, den Helden jener großen germanischen Heerzüge, wie Theodorich dem Großen, wandte sich wieder erneute Teilnahme zu; in Augsburg versammelte sich um den vortrefflichen Konrad Peutinger ein ganzer Kreis, der nach den verschiedensten Seiten hin das deutsche Altertum zu erforschen versuchte; auch die Zeugen einer unverächtlichen dichterischen Bewältigung der lateinischen Sprache durch Deutsche des Mittelalters, der Ligurinus und die Werke der anziehendsten deutschen Schriftstellerin, der Nonne Hrotsvith, wurden der Vergessenheit entrissen. Mit der Aufdeckung geschichtlicher und litterarischer Denkmäler ging der Wunsch nach einer genauen Erkenntnis des deutschen Landes Hand in Hand; und die Versuche zu Gesamtbeschreibungen oder Darstellungen einzelner Teile zeigen deutlich, wie schnell sich das Auge an die Beobachtung, Schäzung und Untersuchung des Wirklichen und Naheliegenden ge= wöhnte.

Dieses Hervortreten des Vaterlandsgefühles war keineswegs der einzige Zug, der den deutschen Humanismns als eine selbständige Richtung zeichnete. Wohl konnte es nicht anders sein, als daß sich der Humanismus in vielen Punkten mit der Renaissance deckte. Auch der deutsche Humanismus strebte von jener bei der Scholastik herrschenden Überschätzung der Form zur Betonung des Inhaltes zurück; auch er suchte wie die Renaissance überall Beziehungen zum wirklichen Leben und zeigt oft mitten in den fernliegendsten Fragen eine herzliche Freude an der Natur. In seinem „Lehrbuch der Briefkunst“ sagt Heinrich Bebel: „Denn Abwechselung ergözt, und wie eine Wiese durch Mannigfaltigkeit der Blumen anzieht, so muß auch dein Brief wirken.“ Und in einem Briefe Heinrich Urbans über die Erziehung finden sich folgende Worte: „Die Knaben sollen nicht schleichen wie die Schnecke, sie sollen springen wie das Reh. Die Rose möge den freien Himmel genießen." Auch fehlte es in Deutschland keineswegs an Versuchen, die freie Lebensführung der italienischen Humanisten nachzuahmen, wenn auch dabei der Abstand der heiteren Anmut des Romanen und der offenherzigen deutschen Derbheit in sonderbarer Weise sich offenbarte. Allein von vornherein trat der Gegensatz zwischen den beiden so nah verwandten Richtungen vor allem in einem Punkte hervor. Auch in Italien war die Erziehung der Jugend, wie wir sahen, in Humanistenkreisen lebhaft erwogen und ihre Verbesserung angeregt worden; ebenso hatten auch

hier religiöse Fragen die Geister in Bewegung gesezt; es genügt auf jenen Kreis zu verweisen, den Lorenzo von Medici um sich versam= melte und dessen Bestreben dahin ging, von platonischen und neuplatonischen Grundvorstellungen aus eine Neubeseelung des Christentums herbeizuführen; der tief-innerlichen Empfindung, von welcher das Streben eines Ficino und namentlich eines Pico von Mirandula durchweht ist, wird auch der heutige nüchterne Beurteiler sich schwerlich verschließen können. Um so weniger eine Zeit, deren Grundstimmung tief religiös war und in der mystisch-schwärmerische Gedanken in tausend Herzen den lebhaftesten Widerhall weckten. Daher sehen wir denn auch die von Ficino und Pico vertretenen Gedanken alsbald nach Deutschland und England hinüberwirken. Allein wenn in der humanistischen Richtung Italiens auch die Religion und die Erziehung ins Auge gefaßt wurden, eine beherrschende Stellung nehmen beide Gegenstände keineswegs ein; und namentlich die Religion wurde im allgemeinen von den Gebildeten Italiens mit denselben Augen angesehen, mit denen sie etwa der Vertreter des ganz verweltlichten Papsttums Leo X. betrachtete; es betrachtete; es war noch viel, wenn sie als künstlerischer Genuß erfaßt und somit in den Kreis der ästhetischen Bedürfnisse dieses Geschlechtes gezogen wurde, eine Anschauung, der einmal Leon Battista Alberti in unnachahmlicher Weise Ausdruck verliehen hat.

Im Gegensaße zu Italien schlug der deutsche Humanismus schon frühzeitig eine praktisch-religiöse, sittlich-pädagogische Richtung ein. Namentlich dem Jugendunterricht galt von vornherein die Teilnahme der deutschen Humanisten. Wohl verlor die Strömung durch diese in Deutschland vollzogene Verengung an Glanz und Farbe, es wurde ihr sozusagen der Schmetterlingsstaub von den Flügeln gewischt; aber was ihr an äußerem Eindruck von nun an abging, wurde durch die gewissenhafte gemeinsame Arbeit doch bis zu einem gewissen Grade erseßt und gewann eben dadurch eine gesicherte, auf spätere Geschlechter fortwirkende Kraft. Bei diesen Absichten des Humanismus war es selbstverständlich, daß er versuchen mußte, sich auch die damaligen Unterrichtsanstalten Deutschlands zu gewinnen. Es handelte sich dabei in erster Linie um die Universitäten, in zweiter um die Trivialschulen. Jene hatten namentlich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts eine beträchtliche Vermehrung erfahren;

Ellinger, Melanchthon.

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in den rasch aufeinanderfolgenden Gründungen von Greifswald 1456, Basel 1460, Ingolstadt 1472, Trier 1473, Mainz 1476, Tübingen 1477 machten sich das Bildungsbedürfnis und die geistige Regsamkeit der Zeit in großartiger Weise geltend. Man pflegt nun von einem Verfall der deutschen Universitäten im Ausgange des Mittelalters zu reden. Diese Thatsache ist richtig und unrichtig, je nach dem Maßstab, den man anlegt. Unrichtig insofern, als zweifellos in jener Spätzeit der Scholastik an den Universitäten noch einmal die scholastische Wissenschaft mit Hochdruck und unter lebhafter, allgemeiner Teilnahme betrieben wurde (vgl. S. 18). Richtig ist die Thatsache, weil die Universitäten den durch den Humanismus völlig umgeschaffenen Bedürfnissen der vornehmsten Geister keine Befriedigung zu bieten imstande waren. Dazu kam die auf keinen Fall wegzuleugnende Alleinherrschaft der Dialektik, die allmählich die anderen Lehrfächer unterdrückt oder doch ganz durchsezt hatte. Darum verlangten die Humanisten stürmisch die Wiederherstellung aller in der Encyklopädie (vgl. S. 12) vertretenen Gegenstände; sie forderten ferner die Aufnahme der Poesie, die nicht zu den freien Künsten gehörte, in den Kreis der Studien (d. h. Lektüre der alten Klassiker und poetisch-rhetorische Nachahmungen derselben); sie suchten schließlich den Betrieb der Grammatik von Grund aus zu ändern. Denn gerade bei dem grammatischen Unterricht trat der Gegensatz zwischen Scholastik und Humanismus aufs deutlichste hervor; man muß sich daher hüten, den auf diesem Gebiete sich entspinnenden Kampf von schultechnischen Gesichtspunkten aus zu betrachten; es kommt ihm vielmehr eine allgemeine geistesgeschichtliche Bedeutung zu. Die von den Scholastikern verwendete, dem zwölften Jahrhundert entstammende Grammatik des Alexander von Ville-dieu war für ihre Zeit keine unebene Leistung; den Ansprüchen eines ganz anders gearteten Betriebes der lateinischen Sprache genügte sie nicht mehr. Dazu kam aber, daß die Schüler nicht bloß diese Grammatik selbst, sondern auch die weitschweifigen zu ihr angefertigten Erklärungen durchnehmen mußten, in denen die einzelnen grammatischen Begriffe mit Hilfe der Dialektik zergliedert und eingehend betrachtet wurden. Man muß die haarspaltenden, im lezten Grunde ganz fruchtlosen Untersuchungen dieser Kommentare lesen, um die Qual der damit geplagten Jugend ermessen zu können. Diesem viele Jahre erfordernden grammatischen

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