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Frage und auf die schweren, hieraus sich ergebenden Gefahren hin. Aber auch dem durch die kriegerischen Absichten der Gegner drohenden Verderben glaubt er mit gutem Gewissen entgegensehen zu können; und richtig faßt er den eigentlichen Kernpunkt des Streites zusammen: „Unzweifelhaft sind wir nur um einer Sache willen in diese ge= fährliche Lage gekommen, nämlich deshalb, weil wir der Meinung sind, daß wir Versöhnung bei Gott nicht durch unsere Werke, sondern um Christi willen erlangen.“

Troz des aus diesen Worten sprechenden Hochgefühls war Melanchthons Gemüt doch durch bange Sorgen niedergedrückt. Auch in dem Schreiben an Silberborner giebt er seinen trüben Befürchtungen Ausdruck, in denen er durch manche Vorzeichen, z. B. durch eine furchtbar verheerende Überschwemmung des Tibers, bestärkt wurde. Und in der That schien sich die Lage ernst genug zu gestalten. Noch immer waren in Augsburg die Verhandlungen nicht zum Abschlusse gekommen. Da man die protestierenden Fürsten nicht hatte umstimmen können, so hoffte der Kaiser wenigstens die Städte gefügig zu machen, zumal deren geringes Zusammenhalten und ihre schwankende Politik eine Aussicht auf Nachgiebigkeit eröffneten. Allein in dieser Erwartung hatte man sich doch getäuscht; troy aller Einschüchterungsversuche wiesen die hervorragendsten Städte den Abschied beharrlich zurück. So entschloß sich der Kaiser denn zu dem schärfsten Vorgehen. Am 19. November wurde der Reichstagsabschied veröffentlicht, über den sich Karl mit den katholischen Ständen geeinigt hatte. Er erneuerte das Wormser Edikt und forderte Wiederherstellung der geistlichen Rechtsprechung; die Kirchengüter sollten zurückgegeben werden, die noch nicht eingezogenen unangetastet bleiben. Das Reichskammergericht erhielt die Anweisung, gegen alle Verlegungen dieser Bestimmungen vorzugehen.

Die Protestanten waren damit aufs neue den herrschenden Gewalten gegenüber vor eine verhängnisvolle Entscheidung gestellt. Wurde der Abschied durchgeführt, so mußten die Anhänger der Reformation auf das Ärgste gefaßt sein. Diesen äußersten Gefahren entgegenzutreten, war für die Mutigeren der Protestanten eine selbstverständliche Aufgabe. Landgraf Philipp war wiederum unter den Vordersten; und diesmal begannen auch die Sachsen die Notwendigkeit des Widerstandes einzusehen. Luther selbst hatte schon auf der Koburg die Meinung ausgesprochen, daß es zum Kriege kommen könnte, und die

Ellinger, Melanchthon.

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Verantwortung dafür den Gegnern zugeschoben. Jeht ließ er sich, wenn auch mit Widerstreben, von den sächsischen Juristen überzeugen, daß die Stellung der Landesfürsten zum Kaiser nicht als reines Unterthanenverhältnis aufgefaßt werden könne. Die Pflicht des Gehorsams sei vielmehr daran gebunden, daß auch von der Seite des Kaisers die übernommenen Pflichten eingehalten würden; geschähe dies nicht, so wäre damit auch die Forderung des Gehorsams hinfällig und ein gewaltsamer Widerstand berechtigt. Von diesem Standpunkte aus ergriff Luther auf Anregung des Landgrafen Philipp und unter offen= barer Anlehnung an dessen Ausführungen das Wort zu einer „Warnung an seine lieben Deutschen", in der er zwar mit dem Kaiser selbst schonend umging, aber eine Notwehr im Falle eines Angriffs durch die Papisten unter Hinweis auf die Rechtsgründe der Juristen für durchaus zulässig erklärte. Es ist eine von Luthers kraftvollsten Schriften; die ganze hochgemute, ihre Überzeugung einer Welt gegen= über werfende Persönlichkeit tritt uns unmittelbar vor Augen. Zu gleicher Zeit fertigte der Reformator den Abschied in seiner „Glosse auf das vermeintliche kaiserliche Edikt" höhnisch und verächtlich ab.

Auch Melanchthon hatte sich jezt von der Berechtigung der Notwehr widerwillig überzeugt, wenn er sich auch zu einer derartigen freien Auffassung wie Luther nicht aufzuschwingen vermochte. Thätig an den Verhandlungen teilzunehmen, die Anfang 1531 zwischen dem Kurfürsten, seinen Rechtsgelehrten und den Theologen gepflogen wurden, hatte Melanchthon wenig Gelegenheit, da man seinen Rat verhältnismäßig selten in Anspruch nahm. Doch wurde seine schriftstellerische Hilfe wieder begehrt, nachdem man auf einer Versammlung der Protestanten zu Schmalkalden (22.-31. Dezember 1530) zur Entscheidung gekommen war. Hier wurde bekanntlich das Bündnis geschlossen, dessen Zweck die Verteidigung der Religion gegen jedermann war; auch den Kaiser nahm man diesmal nicht mehr aus. Kursachsen, Hessen, Lüneburg, Anhalt, zwei Mansfelder Grafen, Magdeburg und Bremen wurden die ersten Mitglieder des Bundes, während Markgraf Georg v. Brandenburg und Nürnberg sich vorsichtig zurückhielten. Die Versammlung fühlte das Bedürfnis, diesen Schritt vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, und sie beschloß, eine Erklärung ihres Verhaltens den Königen von Frankreich und England zugehen zu lassen. Melanchthon wurde mit der Abfassung betraut und er

ledigte diese Aufgabe ganz vortrefflich. Nach einem Überblick über die Veranlassung und bisherige Entwickelung der Reformation wies er in dem Verhalten der Gegner die Ursache des bestehenden Zwiespaltes überzeugend nach und trat zugleich wirksam den falschen Urteilen entgegen, die über Gründe und Absichten der protestantischen Bewegung in die Welt gesezt worden waren. In diesem Schreiben ist Melanchthon auf seinem eigentlichen Gebiete; es ist wieder eine jener Arbeiten, die zu Vergleichen mit Luther Veranlassung giebt. Hält man die freilich viel umfangreichere „Warnung an seine lieben Deutschen" dagegen, so tritt in jeder der beiden Schriften das eigentümliche Wesen der Verfasser bezeichnend hervor. Auf der einen Seite sehen wir die schöpferische, gewaltige aus ursprünglicher Tiefe spendende Persönlichkeit; auf der anderen einen feinen, geistig hochstehenden Mann, dessen Hauptstärke in der klaren Wiedergabe der Thatsachen sowie in ihrer übersichtlichen Anordnung liegt und der durch beide Eigenschaften gerade seine überzeugende Kraft ausübt.

Der musterhaften Klarheit, die in diesem Schriftstück waltet, entsprach jedoch die politische Einsicht nicht, die Melanchthon zu der gleichen Zeit an den Tag legte. Wenn er sich auch von der Notwendigkeit einer Verteidigung überzeugt hatte, so betrachtete er doch das zu diesem Zwecke geschlossene Bündnis mit Mißtrauen und fürchtete, daß die nur zum Schuße des Evangeliums getroffenen Maßregeln zu politischen Zwecken ausgenutzt werden könnten. Vor allem bearg= wöhnte er wieder den Landgrafen, der allerdings jezt nicht mehr allein für ein Zusammengehen mit den Schweizern eintrat. Denn auch Kursachsen würde bei der augenblicklichen Lage eine Einigung mit den Schweizern nicht ungern gesehen haben, falls diese sich dem Vierstädtebekenntnis angeschlossen hätten. Allein Zwingli nahm eine so abweisende Haltung ein, daß von der Hoffnung auf ein Bündnis nicht mehr die Rede sein konnte, und sein bald darauf erfolgter Tod und die Niederlage der Schweizer Reformierten trieben vollends die oberländischen Städte in das Lager des schmalkaldischen Bundes (vgl. S. 331).

Auch manches andere in dem Vorgehen seines Fürsten mag in Melanchthon Bedenken wachgerufen haben. Karl V. betrieb in jenen Tagen die Wahl seines Bruders Ferdinand zum römischen Könige;

denn gerade die Vorgänge des lezten Jahrzehnts hatten ihm gezeigt, wie notwendig während seiner häufigen Abwesenheit ein mit allen Vollmachten ausgerüsteter, berechtigter Vertreter seiner Politik in Deutschland war. Die meisten Kurfürsten waren für die Wahl Ferdinands gewonnen worden; ob er Johann von Sachsen zur Wahl zulassen sollte, war dem Kaiser zweifelhaft, und er hatte sich daher zwei Bullen des Papstes verschafft, von denen die eine den kezerischen Fürsten der Kurstimme für verlustig erklärte, während die andere ihm die Teilnahme an der Wahl gestattete; zuletzt entschloß man sich doch für die zweite Möglichkeit. Johann von Sachsen ging schon vor der Begründung des Schmalkaldischen Bundes (im Dezember 1530) mit der Absicht um, gegen die Wahl Einspruch zu erheben und ließ bei der dann am 6. Januar in Köln erfolgten Wahl Ferdinands durch seinen Sohn Johann Friedrich gegen die Wahl als eine unrechtmäßige Protest einlegen. Das war gewiß nicht im Sinne Melanchthons, wie denn auch Luther schon vor der Schmalkaldener Versammlung zur Beteiligung an der Wahl geraten hatte. Ein Gutachten Melanchthons, an dem gleichen Tage wie Luthers Schreiben abgefaßt, weist vielmehr die Berechtigung von Karls V. Vorgehen an zahlreichen Beispielen aus der römischen und deutschen Geschichte nach.

Doch gab allerdings gerade die Königswahl das Zeichen zur Vereinigung der Gegner Habsburgs. Die bairischen Herzöge waren schon bei der Bewerbung um die böhmische Königskrone die Nebenbuhler Ferdinands gewesen und hatten ihm weichen müssen; auch die Würde eines römischen Königs erschien ihnen kein zu hohes Ziel; und so eifrig sie sich auch in der Glaubensfrage auf die Seite des zum Augsburger Reichstage ziehenden Kaisers gestellt hatten, der mühsam verhüllte Gegensaz trat schnell genug wieder hervor. Ihr Glaubenseifer hinderte sie nicht, Anknüpfungen mit Sachsen und vor allem mit Hessen zu suchen. Im Herbst 1531 schlossen Baiern und Hessen ein Bündnis, weitgehende Unterhandlungen wurden angeknüpft, um alle Feinde Habsburgs zum festen Zusammenschlusse zu veranlassen. Dazu kam die jezt mehr als je drohende Türkengefahr. Deutlich erkannte zuerst König Ferdinand, daß unter diesen Umständen an eine wirkliche Durchführung des Augsburger Abschiedes nicht zu denken sei; und der Kaiser konnte sich zulezt ebenfalls dieser Überzeugung nicht verschließen, zumal auch der Papst unter dem Ein

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druck der Türkennot die deutsche Reßerei plößlich überaus milde zu beurteilen anfing. So entschloß sich Karl V. zur Nachgiebigkeit, um die geforderte Hilfe zum Türkenkrieg zu erlangen. Man versuchte es zunächst, in der Richtung der Augsburger Ausgleichsverhandlungen durch Einzelzugeständnisse die Protestanten zu befriedigen; allein diese erklärten, bei ihrer Konfession und bei der Apologie -die hier zum erstenmale als Lehrsymbol erscheint bleiben zu wollen. In den nunmehr weiter geführten Verhandlungen (zu Schweinfurt, dann zu Nürnberg) wurden zwar keineswegs alle protestantischen Forderungen befriedigt, deren Durchführung auch Melanchthon in einem Mai 1532 dem Kurfürsten erstatteten Gutachten wenigstens zum Teil empfohlen hatte, aber was man gewann, war doch immerhin ungemein wertvoll. Bis zum Zusammentritte eines Konziles wurde durch den am 23. Juli 1532 geschlossenen Religionsfrieden dem Kurfürsten von Sachsen und seinen „Mitverwandten“ Religionsfreiheit zugesichert und somit wenigstens vorläufig eine staatlich anerkannte ruhige Entwickelung der neuen Religionsgemeinschaft ermöglicht.

Dem treuen Kurfürsten war es so gegönnt, im Frieden mit seinem Kaiser aus dem Leben zu scheiden. Nur wenige Wochen nach dem Nürnberger Religionsfrieden, am 16. August, starb er. Melanchthon stand mit Luther an seinem Sterbelager, und als der Kurfürst zwei Tage darauf, am 18. August, in der Wittenberger Schloßkirche zur Ruhe gebettet wurde, da ergriff er nach der von Luther in tiefster Bewegung gehaltenen Predigt das Wort, um ihm ebenso wie einst seinem Bruder in einer lateinischen Rede den Abschiedsgruß nachzurufen. Die Rede steht an Kraft und eindringlicher Wirkung hinter der auf Friedrich den Weisen zurück. Sie preist die Friedensliebe und Mäßigung des Kurfürsten und hebt die Erfolge hervor, die er gerade durch eine derartige Behandlung der religiösen Frage erreicht habe. Doch fehlen auch persönliche Bekenntnisse dem Werkchen nicht ganz. So taucht gelegentlich ein versteckter Hinweis auf Melanchthons Sorgenfind, den heißblütigen Landgrafen, auf. „Aber nicht nur die Feinde des Kurfürsten sind durch sein Ansehen und seine gemäßigten Ratschläge beschwichtigt worden, sondern auch die kriegerischen Bundesgenossen; wie schwierig es war, diese in Schranken zu halten und zur Mäßigung zu stimmen, kann ich hier nicht auseinanderseßen.“ Und die Gedanken, die ihn während der Augsburger Verhandlungen

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