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versuchte, und dem Kaiser wäre eine friedliche Schlichtung der ganzen Angelegenheit die erwünschteste Lösung gewesen. Denn der äußere Glanz seiner Stellung entsprach keineswegs ihrer inneren Festigkeit; er kannte Franz I. und wußte, daß dieser sich nur mit Widerwillen in den geschlossenen Frieden gefügt hatte und Schwierigkeiten des Kaisers in Deutschland gern zu seinem Vorteil ausnußen würde. Auch sein Vertrauen zu dem Papste war kein so unbedingtes, daß er sich ihm zu Liebe in schwere Wirren gestürzt hätte. Alle diese Erwägungen beeinflußten ihn wohl, als er noch von Bologna aus am 21. Januar 1530 die Stände zu einem Reichstage nach Augsburg einlud. Als die Ursachen der Berufung bezeichnet der Kaiser einmal die Bedrängung durch die Türken und dann die Beilegung der Religionsspaltung. Über den lezten Punkt sprach er sich in einer Art aus, der durchaus seiner augenblicklichen Stimmung entsprach. „Wie der Irrung und Zwiespalt halben in dem heiligen Glauben und der Christlichen Religion gehandelt und beschlossen werden mag und solle: und damit solches dester besser und heilsälicher gescheen muge den zwitrachten hinzulegen, widerwillen zulassen, vergangne Irsal unseren seligmacher zuergeben und Fleiß anzukehren, alle eines Jeglichen Gutbedünken, Opinion und Maynung zwischen uns selbst in Liebe und Gutligkeit zu hören, zu verstehen und zu erwägen, die zu einer Christlichen Wahrheit zu bringen und zu vergleichen.“

Der Ton des Ausschreibens rief nach den Erwartungen, die der Verlauf des Speierer Reichstages nahe gelegt hatte, allgemeines Erstaunen hervor. Zwar die süddeutschen Städte brachten (mit Ausnahme des kaiserfreundlichen Nürnbergs) den freundlichen Worten des Kaisers kein Vertrauen entgegen; auch Landgraf Philipp war nicht sehr hoffnungsfreudig und erklärte, daß er sein Erscheinen auf dem Reichstage noch nicht mit Sicherheit zusagen könne. Desto mehr Freude erregte des Kaisers scheinbar so freundliche Absicht am kursächsischen Hofe. Namentlich der durch und durch kaisertreue Kurfürst Johann fühlte sich durch die wohlmeinenden Worte und guten Gesinnungen des höchsten Oberhauptes auf das Freudigste bewegt ; schien doch hier die Aussicht zu winken, eine friedliche Einigung durch ein Nationalkonzil zu erreichen, wie man es immer gewünscht hatte. Und man kann in der That nicht ohne Rührung die Worte lesen, in denen der alte biedre Kurfürst seiner Freude über dieses zu er

wartende Nationalkonzil dem schärfer sehenden Landgrafen gegenüber Ausdruck giebt, daß „solcher Reichstag unsers Ermessens anstatt eins Concilii oder Nationalversammlung gehalten werden solle".

Von der gleichen Stimmung ist das Schriftstück erfüllt, im welchem der Kurfürst Luther, Jonas, Bugenhagen und Melanchthon unmittelbar nach Empfang des Ausschreibens von diesem Kunde gab. (14. März.) Nach einer offenbar freudigen Ankündigung des Kaisers fordert er sie auf, sich über die strittigen Anschauungen in der Lehre und den äußeren Bräuchen zu einigen und namentlich darüber zur Klarheit zu kommen, wie weit man allenfalls mit gutem Gewissen nachgeben könne. Auf den 20. März lud er sie nach Torgau, wo sie das Ergebnis ihrer Beratungen mitteilen sollten, doch fand die Übergabe der von den Theologen zusammengefaßten Ansichten nach einer neuen Mahnung des Kurfürsten erst in den letzten Tagen des Monats statt, wo Melanchthon das Gutachten in Torgau abgab. Diese sogenannten „Torgauer Artikel", decken sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem von dem Kurfürsten nach Augsburg mitgenommenen Schriftstück. Obgleich Johann der Beständige von den Theologen verlangt hatte, daß sie Lehre und kirchliche Bräuche darstellen sollten, war hier doch nur auf den zweiten Punkt Rücksicht genommen worden. Die Theologen, vor allem Melanchthon, von dem wohl die Zusammenfassung herrührt, mochten es für unnötig halten, auf den Glauben einzugehen, da sie hier mit der wahren katholischen Kirche eins zu sein glaubten. Daher begnügten sie sich durch Aufzeigung der Notwendigkeit der in den Bräuchen getroffenen Änderungen diese zu rechtfertigen.

Melanchthon hat sicherlich ebenfalls die kaiserliche Ankündigung mit großer Freude aufgenommen. Wenigstens klingen die Worte, mit denen er Jonas von dem Ereignis Mitteilung macht, hoffnungsvoller als sonst seine Ansichten über zu erwartende Dinge. „Der Kaiser verspricht gütig, daß er die Irrtümer beider Parteien heben will, aber erst, nachdem er den Thatbestand untersucht hat." Der Stoßseufzer: „Christus helf' uns!" den er hinzusezt, wird sicherlich nicht etwa durch sein Mißtrauen gegen den Kaiser hervorgerufen worden, sondern mehr aus der Furcht entsprungen sein, daß die friedlichen Neigungen Karls durch irgendwelche Beeinflussungen zunichte gemacht werden könnten. Da lag nun für ihn die Befürchtung besonders nahe, daß

die zu Zwingli haltenden oberdeutschen Städte die Wünsche des Kaisers durchkreuzen könnten; ihr geringes Zutrauen zum Kaiser, ihre Neigung, den Glauben allenfalls mit den Waffen zu verteidigen, waren ihm, wie wir wissen, nur zu gut bekannt; und die Furcht quälte ihn, daß allenfalls Sachsen doch durch sie zu einer kriegerischen Haltung gedrängt werden könnte. Deshalb sezte er seine Bemühungen (vgl. oben S. 258) lebhaft fort, sich und die Seinen von jeder Gemeinschaft mit Zwingli möglichst zu reinigen und dagegen diesen nach Kräften mit den Schwärmern und Wiedertäufern zusammenzuwerfen. Die Veröffentlichung der aus den Kirchenvätern ausgezogenen Zeugnisse über das Abendmahl (vgl. S. 258) mußte ihm wieder wie einst der offene Brief an Dekolampad zu einer politischen Kundgebung dienen; in der an Friedrich Myconius gerichteten Vorrede vermied er es zwar Zwingli zu nennen; desto ausführlicher aber verweilt er auf Karlstadt, den er als wilden, aufrührerischen und schwärmerischen Geist brandmarkt und dessen Beziehungen zu Storch (vgl. S. 163 und 169) er recht geflissentlich hervorhebt. So wollte er auch öffentlich, was er schon so vielfach in Briefen und Gutachten gethan hatte, jede Gemeinschaft mit Zwingli und den Seinen abwehren und diese vielmehr in eine Linie mit den Bilderstürmern und Empörern rücken. Er war denn auch schon in diesen Tagen in beständiger Sorge vor kriegerischen Absichten der schweizerisch gesinnten Städte; er glaubte, daß die Straßburger Neigung hätten, die Waffen wider den Kaiser zu ergreifen, und rief aus: „Gott zerstöre die Ratschläge der Völker, die nur auf Krieg sinnen."

Wenn sich so Melanchthon immer mehr und mehr in dem Gegensaße zu Zwingli und seinen Anhängern verschärfte, so war es selbstverständlich, daß diese Stimmung auf seine Gesamtanschauung über die augenblickliche Lage der Protestanten und ihr Verhältnis zur päpstlichen Partei ihre Rückwirkung ausüben mußte. Je mehr man sich von jeder Berührung mit dem weitergehenden Elementen frei hielt, desto mehr Aussicht ergab sich für eine friedliche Ausgleichung der Gegensäße, wie sie nach Melanchthons Meinung der Kaiser anstrebte.

Für Melanchthons Stellung auf dem Augsburger Reichstage stellten sich somit Gesichtspunkte heraus, die man im Auge behalten muß, um sein Verhalten nicht ungerecht zu beurteilen, die aber andererseits doch, wenn man sie ohne Rücksicht auf seine vorgefaßten Meinungen betrachtet,

von vornherein dazu geeignet waren, ihn auf eine falsche Bahn zu lenken.

Am 4. April brach der Kurfürst mit seinen Begleitern von Torgau auf; am 15. traf man mit den unterwegs dazugekommenen Spalatin, Agricola und Aquila an der kursächsischen Grenze, in Koburg ein, wo einige Tage Rast gemacht wurde. Die Ruhe benußte Melanchthon, um auf Grund der Torgauer Artikel mit der Ausarbeitung einer dem Kaiser zu übergebenden Verteidigungsschrift (Apologie) zu beginnen. Nachdem es sich entschieden hatte, daß Luther nicht weiter mitgenommen werden dürfe, da Nürnberg so verzagt war, ihm den Aufenthalt, dem Kurfürsten sogar das Geleit zu versagen, blieb der Reformator auf der Burg zurück, als die anderen am 22. weiter gen Augsburg zogen, wo sie am 2. Mai eintrafen.

Melanchthon suchte alsbald nach der Ankunft in Augsburg seine Fühlhörner auszustrecken, um sich darüber zu vergewissern, auf welches Maß von Entgegenkommen man bei dem Kaiser und dem päpstlichen Vertreter zu rechnen habe. Zunächst erfuhr er allerdings nicht viel Bestimmtes; dem päpstlichen Legaten Campeggi sah er mit einiger Zuversicht entgegen und bedauerte es, als er in Augsburg die falsche Nachricht erhielt, daß für Campeggi der schroffe, auf seinen Ordensheiligen Thomas von Aquino eingeschworene, Kajetan erscheinen würde. Von des Kaisers Absichten hoffte er Gutes und wurde darin durch den vom Kaiserhofe zurückkehrenden kursächsischen Gesandten bestärkt, der im Auftrage des Kurfürsten Johann dem Kaiser ein Glaubensbekenntnis (wohl die Schwabacher Artikel) überreicht hatte. Aber es flößte ihm Mißtrauen ein, daß die strengkatholischen Fürsten Herzog Georg und Joachim I. dem Kaiser nach Innsbruck entgegengereist waren, um ihn in einem den Protestanten ungünstigen Sinne zu beeinflussen. Auch war es ihm wohl bekannt, daß am Kaiserhofe eine Partei auf den Kaiser einzuwirken suchte, die ein rücksichtsloses Vorgehen empfahl; aber er hoffte viel von der Gegen= wirkung einer dort ebenfalls vorhandenen, zum Frieden neigenden Richtung, als deren Haupt der Großkanzler Gattinara galt, „ein ausgezeichneter und sehr gemäßigter Mann“, wie Melanchthon an Camerarius schreibt, von dem es heißt, daß er troß seiner Kränklichkeit dem Kaiser gefolgt sein soll, weil er es so zu erreichen hofft, daß diese Irrungen auf friedlichem Wege geschlichtet werden. Mit

gewaltthätigen Plänen wollte er nichts zu thun haben, weil die Thatsachen gelehrt hätten, wie wenig durch das Wormser Edikt ausgerichtet worden sei." Freudig bewegt nahm Melanchthon von diesen angeblichen Äußerungen Kenntnis und meinte nichts Würdigeres als dies berichten zu können; der nicht lange darauf (4. Juni) eingetretene Tod Gattinaras ersparte ihm auch in diesem Punkte eine Enttäuschung; denn der im wesentlichen auf erasmischem Standpunkte stehende Kanzler war thatsächlich in der Stellung zu Luthers Lehre mit seinem kaiserlichen Herrn eines Sinnes.

Während der Fahrt von Koburg nach Augsburg war die Arbeit an der „Apologie" weiter fortgeschritten; seiner ganzen Anlage nach sollte das Werk vor allem den Kurfürsten gegen den Vorwurf gewaltsamer Neuerung verteidigen. In Augsburg hatte Melanchthon eben begonnen, die Arbeit zum Zwecke einer Übergabe an den Kaiser in schmuckreichere Worte zu fleiden und auszufeilen, als ein unerwarteter Umstand ihn zur Änderung der ganzen Anlage des Schriftstückes nötigte. Wohl infolge einer Anregung der bayrischen Herzöge hatte Johann Eck eine Schrift verfaßt, die er am 14. März dem Kaiser zugeschickt hatte. Darin waren 404 Säße aus den Schriften der „Störer des kirchlichen Friedens" ausgezogen und absichtlich Luthers Lehren mit denen Zwinglis und der Täufer zusammengeworfen, schließlich auch Luther für andere neuaufgekommene Irrlehren, wie die Leugnung der Unsterblichkeit und der Gottheit Christi verantwortlich gemacht. Bei Melanchthons ganzer Stellung mußte ihm diese Schrift höchst ungelegen kommen, obwohl er sich zuerst Luther gegenüber in launigen Worten darüber aussprach. Machten Ecks Ausführungen Eindruck auf den Kaiser, so war von vornherein eine Aussicht auf Einigung nicht vorhanden, zumal Karl V. ohnehin nur dann mit den Protestanten unterhandeln wollte, falls sie auf dem Boden des apostolischen Glaubensbekenntnisses ständen. Daher mußte Ecks Schrift in Melanchthon den Wunsch erwecken, auf das Deutlichste darzuthun, daß man mit jenen Richtungen, mit denen Luthers Anhänger hier zusammengeworfen waren, nichts zu thun habe. So ergab sich für Melanchthon noch eine Verschärfung seines Verhältnisses zu der Partei, die in Augsburg dabei allein in Betracht kam, zu der Zwinglis, und sein Bestreben war nunmehr, auf jede Weise die völlige Verschiedenheit seines Standpunktes von der Lehre Zwinglis darzuthun.

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