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Melanchthons zusammenhält, so läßt sich eine auffallende Ähnlichkeit nicht verkennen. Wohl ebenfalls unter Luthers Einfluß hat sich Melanchthon ganz mit der biblischen Sprechweise durchdrungen. Wenn ein Humanist wie Hutten seinem Stil eine biblische Färbung zu geben sucht, so fühlt man das Unnatürliche schnell heraus. Bei Melanchthons Verwendung von Ausdrücken oder Darstellungsmitteln der Schrift ist dies so wenig der Fall wie bei Luther oder den englischen Puritanern. So erhält seine Rede zuweilen eine feurige Kraft, deren Wirkung man sich schwer entziehen kann. Man vergleiche folgende Stelle: „Nun, ihr Sophisten, was werden nun eure ureigenen Willensthaten, was wird der vortreffliche Wille, den ihr annehmt, zu Stande bringen? Wird nicht jener Tag des Zornes, jener Feuerbrand klar zu erkennen geben, daß die menschliche Gerechtigkeit des freien Willens nichts als Lüge und Schminke ist und daß alle Herrlichkeit des Fleisches dahingeht wie das Heu? Erschrak Israel nicht vor dem Feuer und dem Rauch, ja auch vor dem Antlig Mosis, da das Gesetz verkündet ward? Erbebte und erzitterte nicht die Erde, wurden nicht die Grundfesten der Berge erschüttert und bewegt, weil der Zorn Gottes auf dem Volk Israel lag?" Auch in der Polemik hat Melanchthon, wie schon diese Stelle zeigt, von Luther gelernt. Wenn Luther einem Feinde gegenübertritt, so spricht er, als ob der Angegriffene zugegen wäre und als ob er mit ihm mündlich verhandeln könnte. Ganz ebenso verfährt hier Melanchthon, und man fann ihm das Zeugnis nicht versagen, daß er auch in dieser Beziehung nicht vergebens bei Luther in die Schule gegangen ist. Seine zornigen Anreden an die Sophisten entspringen so aus der Lebhaftigkeit der Darstellung, daß man sich der unmittelbaren Vergegenwärtigung freut, so wenn er dem h. Thomas von Aquino gleichsam Auge in Auge gegenübertritt: „Sag' an Thomas, was kam dir in den Sinn, als du die Ansicht aufstelltest, das mosaische Gesetz dringe nur auf Pharisäismus, da doch Moses so oft mit klaren Worten die Teilnahme des Gemütes fordert ?" So unzweifelhaft nun aber auch in dieser Beziehung der Einfluß Luthers ist, so hat Melanchthon doch nirgends nur äußerlich gelernt, sondern alles von dem Freunde Übernommene selbständig verarbeitet. Jedenfalls weist die Sprache durchweg eine Kühnheit, Kraft und Gedrungenheit auf, wie man sie bei Melanchthon nicht erwarten würde.

Der geschichtliche Wert von Melanchthons Werk besteht vor allem darin, daß in ihm zum erstenmale die Summe aus der frühsten und glänzendsten Periode der reformatorischen Entwickelung gezogen ist. Was in den bisherigen Schriften Luthers und auch Melanchthons zerstreut war und an den verschiedensten Stellen aufgesucht werden mußte, das stellte sich hier in vollständiger Ausführung dem Leser dar; jeder der Punkte, auf denen die Lehre der Reformatoren beruhte, war hier klar, eindringlich und überzeugend behandelt; und die Übersichtlichkeit des Ganzen wurde durch das zu Grunde liegende einfache Schema noch erhöht. Dazu kam, daß durch die fortgesezte polemische Beziehung auf die Stellung, die die scholastische Theologie den besprochenen Fragen gegenüber eingenommen hatte, dem Leser die Möglichkeit gegeben war, in jedem einzelnen Falle sofort die Stellung zu erkennen, die die kirchliche Lehre des Mittelalters einnahm, und er somit in den Stand gesezt war, an dem bisherigen Stande der religiösen Anschauungen den Fortschritt zu messen, den die Gnadenlehre innerhalb der Entwickelung des Christentums bedeutete. Und das alles war mit dem Geschick eines geborenen Lehrers vorgetragen, dem es vor allen Dingen daran lag, nirgends eine Unklarheit aufkommen zu lassen und von keiner Frage zur anderen überzugehen, ehe nicht das vollste Verständnis des Sachlichen erreicht war. So gebührt dem Buche in der deutschen Geistesgeschichte ein hervorragender Play, und zugleich ist in ihm die gesamte Thätigkeit seines Verfassers, sein Wirken als zusammenfassender, ordnender, organisierender Geist gleichsam symbolisch verkörpert.

Indessen noch nach einer anderen Richtung hin nimmt das Buch die Teilnahme jedes Freundes der Geschichte des deutschen Geistes mächtig in Anspruch. Es ist das Denkmal der ersten und schönsten Epoche der Freundschaft der beiden Männer, von denen der jüngere wie zur Ergänzung des älteren geschaffen war. Wir sehen sie in eifrigem Gespräche in der Augustinerzelle zusammensißen, den gewaltigen Mann, in dessen Brust zwei Zeitalter den Entscheidungskampf gekämpft hatten, und den feinen, empfänglichen Gelehrten, der seine großen Gaben willig in den Dienst des Freundes stellte. Durch manche der Stellen in Melanchthons Werk klingt etwas hindurch von der Hilflosigkeit, in die Luther nach seinen Versuchen, den Himmel mit Werken zu stürmen, immer wieder geworfen wurde,

klingt etwas von den Schrecken, die er zu erdulden hatte, ehe er durch die Gnade vom Gesetz erlöst wurde. Unwillkürlich steigt vor dem geistigen Auge des aufmerksamen Lesers hinter Melanchthons Darstellung Luthers Gestalt auf. Wie sich in der hingebenden Seele des zarten Freundes das große Erlebnis Luthers abspiegelte, wie beide Männer gemeinsam und doch jeder nach seiner Weise die geistige Entwickelung bestimmten, das wird hier auf das unmittelbarste vergegenwärtigt.

Drittes Rapitel.

Die Wittenberger Unruhen.

Allein in Wittenberg.

Während Melanchthon die lezte nachbessernde Hand an das große Werk legte, dessen Bedeutung soeben gewürdigt worden ist, begannen in Wittenberg die allbekannten Unruhen, die Luther schließlich nötigten, endgültig sein Pathmos zu verlassen und nach Wittenberg zurückzukehren. Bis zu diesem Zeitpunkte war Melanchthon die Persönlichfeit in Wittenberg, auf die sich aller Augen richteten; von ihm als dem Mitstreiter Luthers erwartete man die Entscheidungen über die praktischen Fragen, die sich unmittelbar aus der großen Bewegung der Geister ergaben. Obgleich nun Melanchthon seiner ganzen Veranlagung nach nicht für eine derartige Führerrolle geschaffen war, hat der fünfundzwanzigjährige Jüngling doch den Play, an den er gestellt war, würdig ausgefüllt. So lange ihm die von Luther überkommenen Gedanken die Richtschnur für sein Handeln gaben, hat er aus ihnen unerschrocken alle Folgerungen gezogen und ist im Kampfe um ihre Durchführung mutig und ohne Rücksicht auf alte Vorurteile vorangeschritten. Erst als die Bewegung Kräfte entfesselte, zu deren Erkenntnis und Beherrschung jene Gedanken allein nicht mehr ausreichten, wurde er unsicher, und die Grenzen seiner Begabung traten hervor; es zeigte sich, daß ihm jene Eigenschaften abgingen, ohne die man große, tief in die allgemeinen Verhältnisse einschneidende Fragen nicht zu lösen vermag: der schnell das Notwendige erkennende Scharfblick und der unbeugsame, kühn durchgreifende Wille. Allein Melanchthons kurzes Schwanken unmittelbar vor Luthers Rückkehr

darf uns doch nicht abhalten, sein Gesamtverhalten in dieser Zeit als ein würdiges, männliches und seiner bisherigen Stellungnahme entsprechendes zu bezeichnen.

Zunächst war sein Geist noch ganz von dem Freunde und dessen Schicksal erfüllt. Wie sehr er den ersten Brief, der von der Wartburg an ihn gelangte, beständig in Gedanken trug, lehrt das Schreiben, in welchem er Luthers Erfurter Freunde und Ordensbruder Link über des Reformators Geschick beruhigenden Aufschluß gab (S. 123); hier klingen deutlich die Mahnungen wieder, durch die Luther den Freund aufgefordert hatte, nun die Leitung im Kampfe zu übernehmen. Ganz in dem gleichen Tone schreibt jezt Melanchthon an Link: „Achte Du darauf, daß Du Dir niemals unähnlich wirst!" und noch deutlicher an Luthers Worte anklingend: „Sei tapfer und zeige Dich stark!"

Daß er selbst gewillt war, durchaus im Geiste des Verbannten zu wirken, zeigt die ganze Thätigkeit, die er in diesen Tagen entfaltete. Und der Kreis dessen, was ihn beschäftigte, war nicht klein. Zunächst galt es an der Universität mancherlei zu ordnen. Die Professur für kanonisches Recht war durch den Tod Henning Goedes erledigt; und Justus Jonas war aus Erfurt auf den Lehrstuhl be= rufen worden. Jonas, ein Mitglied des Mutianischen Ordens und eifriger Bewunderer des Erasmus, hatte wie Melanchthon zu Erasmus' großem Verdrusse den Schritt vom Humanismus zur Reformation gethan; und Luthers Aufenthalt in Erfurt auf seiner Reise nach Worms hatte ihm Gelegenheit gegeben, seiner Begeisterung für den Reformator Ausdruck zu verleihen. Getreu seiner neugewonnenen Überzeugung weigerte sich Jonas, die Professur anzutreten; nur wenn man ihm einen Lehrauftrag für die Theologie gäbe, wollte er in Wittenberg bleiben. Das war ganz nach Melanchthons Sinne. Er schrieb an Spalatin und mahnte ihn dringend, den Fürsten zu beeinflussen, daß dieser dem Wunsche des Jonas willfahre. Unter heftigen Ausfällen gegen das ihm wie Luther verhaßte päpstliche Recht hebt er die Bedeutung der theologischen Studien ebenso wie die Notwendigkeit hervor, einen solchen Mann wie Jonas festzuhalten, und seinen lebhaften Vorstellungen war es wohl mit zu verdanken, daß die Angelegenheit den von Jonas gewünschten Verlauf nahm.

Kommt in den an Spalatin gerichteten feurigen, eindringlichen Worten Melanchthons damalige Stimmung zum Ausdruck, so ist das

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