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Vorrede.

Der nöthigen Auskunft über Inhalt und Bedeutung des Buches, welches ich hiermit meinen Lesern überreiche, sei mir verstattet einige Betrachtungen über die jüdischen Angelegenheiten im Allgemeinen, und insbesondere über die Fragen, zu deren Beantwortung ich beigetragen zu haben wünsche, vorauszuschicken. Ich appellire dabei von Autoritäten, die Vorurtheil und Missbrauch anerkennen, an die Aussprüche der Wahrheit, der Gerechtigkeit; denn wo ringsum Freiheit, Wissenschaft und Civilisation sich neue Grundlagen erkämpfen, darf auch der Jude auf ernste Theilnahme, auf ungeschmälertes Recht den Anspruch erheben. Oder müssen, weil Pfaffenthum und Inquisition, Despotie und Sklaverei, Tortur und Censur allgemach abziehen, die Willkühr des Faustrechts und des Mittelalters Unsinn allein in den Judengesetzen eine Wohnstätte behalten?

Es ist endlich Zeit, dass den Juden in Europa, insonderheit in Deutschland, Recht und Freiheit statt der Rechte und der Freiheiten gewährt werde: kein kümmerliches erniedrigendes Vorrecht, aber ein voll

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ständiges, erhebendes Bürgerthum. Wir haben kein Begehren nach den geizig zugemessenen Rechten, die eine gleiche Anzahl von Unrecht aufwiegt; wir finden kein Behagen an dem mitleidig Zugestandenen, uns ekelt das erschlichene Privilegium an. Tief vor Schaam sollte der erröthen, den die Gunst durch einen Adelsbrief über seine Brüder im Glauben erhöbe, während das Gesetz mit brandmarkender Ausschliessung ihm seine Stelle unter dem geringsten seiner Brüder im Vaterlande zuweist. Nur in gesetzmässiger, gemeinsamer Anerkennung können wir Befriedigung, in unwiderruflicher Gleichstellung das Ende unseres Schmerzes finden. In der Freiheit aber, die der Hand die Fessel abnimmt, um sie der Zunge anzulegen, in einer Toleranz, welcher unser Verfall, nicht aber unser Fortschritt behagt, in dem Staatsbürgerthum, das Schutz ohne Ehre, Lasten ohne Aussichten bietet, vermisse ich Liebe und Gerechtigkeit, und in dem Körper des Staatsverbandes können so schädliche Elemente nur böse Krankheit erzeugen: Nachtheil dem Einzelnen und dem Ganzen. Denn es ist des einzelnen Staatsmitgliedes Wohlergehen und Nützlichkeit lediglich von dem Umfang seiner Befugnisse und dem Grade der, ihm für leibliches und geistiges Gut gewährten, Sicherheit abhängig. Allein die Summe dieser seiner Glückseligkeit wird verringert, die Wirkung seiner Thätigkeit neutralisirt, wenn er, der Einzelne, als Helot geboren, nicht wegen seiner Individualität, sondern wegen der Gesammtheit, der er angehört, beeinträchtigt wird, weil ihn die Machthaber, nach einem die Individuen mora

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lisch abschätzenden Tarif, einer minder berechtigten Classe einer solchen, der sie natürlich selber nicht angehören zugewiesen haben. Nicht von dem Juden hängt es ab, ob er dem Ganzen schädlich oder nützlich seyn müsse, sondern nur von der allgemeinen Civilisation und der diese bestimmenden Gesetzgebung. Erziehung, Glaubensgemeinschaft und Familienbande sind unantastbares Eigenthum des Einzelnen; sie sind vielleicht des Juden einziger Besitz, höchstes Lebensglück, und weil er sie nicht mit Füssen tritt, wird er bestraft. Wer, der das Organ des Gesetzes, d. i. der allgemeinen göttlichen Gerechtigkeit, seyn will, darf sich herausnehmen, seine individuelle menschliche Ansicht, als Maasstab der Würdigkeit anzulegen, um danach die Glückseligkeit auszutheilen? Nur die Handlungen des Mündigen verdienen die Gunst oder den Zorn des Gesetzes; dann aber war er durch Geburt und Erziehung längst seinem Glauben und seiner Liebe zugewandt, und es ziemt der Macht der Lehre, die ihn gewinnen möchte, nicht, auch noch des schändenden Gesetzes vielschneidiges Schwert in die Wagschale zu werfen.

Ich wende mich hinweg von diesem Flecken heutiger Gesittung, voll der Zuversicht, dass die Gerechtigkeit deutscher Regierungen, die Biederkeit des deutschen Volkes ihn in kurzer Zeit werden getilgt haben. Schon sind seit 50 Jahren, ungeachtet vielleicht auch, weil 2 bis 3 hundert elende Scribenten die Schädlichkeit oder Unmöglichkeit der Maassregel bewiesen, die Juden nach und nach ganz oder theilweise

emancipirt, und die Gesetzgebung in Betreff ihrer, überall wesentlich verbessert worden. Die tüchtigeren Schriftsteller, die grösseren Gesetzgeber traten auf die Seite des seit 1400 Jahren in tausendfältiger Art gedrückten und verhöhnten Israel. Lange genug ist an verwesenden Zuständen gestümpert, und die Gleichstellung nunmehr, glaube ich, hinlänglich „vorbereitet“ worden. „Der neue Geist soll aufgeben das kleinliche Beherrschen und Bevormunden abgesonderter Menschen und Classen, soll alle Macht des Guten und allen Umfang des Bösen zwar anerkennen, aber sich der Gemeinplätze und Vorurtheile einer vergangenen Zeit unumwunden entschlagen. Die Emancipation der Völker hat ihre Zeit, unabhängig von unserm beschränkten Urtheil."*) Diesem Geiste huldigen deutsche Fürsten, wenn sie für jüdische und christliche Unterthanen Ein Herz haben **); von selbigem durchdrungen wirkten für der Juden Recht und Erhebung Regierungen und Stände in Würtemberg, Baiern und Baden, vorzüglich im Churfürstenthum Hessen, wo die nicht bevormundete Wahrheit und ein erleuchteter Patriotismus, wo wahre Gesittung und Menschenliebe ihre Macht bewiesen ***). Und die Zeit geht vorwärts: das Würtembergische unvollständige Emancipationsgesetz

*) Kasselsche Allgemeine Zeitung 1832 N. 142, Beilage S. 948. **) Die Dessauer Franzschule erhält von der Regierung jährlich 300 Thaler, der Rabbiner zu Bernburg von dem Herzog 200 Thaler, und für die Gemeindeschule in Strelitz zahlt der Fürst 30 Friedrichsd'or.

***) Vgl. Dr. Riesser: der Jude, N. 1 bis 9.

ward i. J. 1828 mit 61 gegen 17, das vollständige Hessische in diesem Jahre mit 35 Stimmen gegen

angenommen.

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Mit der bürgerlichen Hintansetzung der Juden steht die Vernachlässigung jüdischer Wissenschaft im Zusammenhange. Durch grössere geistige Cultur und gründlichere Kenntniss ihrer eigenen Angelegenheiten, würden nicht allein die Juden eine höhere Stufe der Anerkennung, also des Rechts, errungen haben: auch so manche Missgriffe der Gesetzgebung, so manches Vorurtheil gegen jüdisches Alterthum, so manche Verurtheilung neuer Bestrebungen ist eine unmittelbare Folge des verlassenen Zustandes, in welchem seit etwa 70 Jahren, namentlich in Deutschland, sich jüdische Literatur und Wissenschaft des Judenthums befinden. Und obwohl die Schriften über den Talmud und wider die Juden wie Pilze über Nacht aufschossen, und einige Dutzend Solone sich uns zu Reformatoren aufdrangen: so war doch kein Buch von Belang da, aus welchem die Staatsmänner sich hätten Rathes erholen können, kein Professor las über Judenthum und jüdische Literatur, keine deutsche Academie setzte Preise darauf aus, kein Menschenfreund machte Reisen zu diesem Behufe. Gesetzgeber und Gelehrte von dem Pöbel unter den Autoren schweige ich, mussten den Autoritäten des 17. Säculums, Eisenmenger, Schudt, Buxtorf u. A. bettelhaft nachtreten, oder von der verdächtigen Weisheit moderner Berichterstatter borgen. Ja die meisten gestanden ihre Unwissenheit in diesem Fache offen ein, oder verriethen sie doch bei den

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