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„Die offizielle Statistik hat sich mit der Gruppe Geschlecht noch nicht befafst. Ihre Auffassung des Menschen als Naturwesen ist eine beinahe rein atomistische, Individuum auf Individuum in abstrakter Isolierung. Nur sehr unvollständig vermag sie die Verbindung der Individuen in der Familie festzuhalten 1." Dies Wort Fahlbecks kennzeichnet einen Grundmangel der amtlichen Statistik und damit der Grundlage empirischer Gesellschaftserforschung aller Länder. Eine Illustration der Richtigkeit dieses Wortes bildet nachfolgende Untersuchung. Sie enthält für die deutschen Berufszählungen den Nachweis, dafs dieser Grundmangel uns nicht nur einen wichtigen Teil des sozialen Lebens verhüllt, sondern auch zu falschen Schlüssen über den Teil des sozialen Lebens führt, den die Berufszählung uns zu enthüllen verspricht. Die gänzliche Ignorierung des Begriffs Familie" bewirkt die beiden Grundfehler, deren Kennzeichnung vor allem unsere Arbeit gewidmet ist, einmal die Koordinierung vorübergehend und dauernd Unselbständiger, und sodann die Rubrizierung von Mitgliedern der Familien Selbständiger als Ernährer von Mitgliedern der Familien Unselbständiger. Durch diese beiden Grundfehler wird sowohl das Bild der sozialen Volksgliederung im ganzen, als der wirklichen Nahrungsquellen der einzelnen sozialen Gruppen, erheblich verschoben. Diese Fehler sind den amtlichen Erhebungen anderer Staaten logisch im selben Grade wie der deutschen eigen. In jenen entfernt sich das Resultat gröfstenteils jedoch noch mehr von der Wirklichkeit, als in dieser, da die der deutschen Erhebung eigentümliche Ausführlichkeit fehlt. Insbesondere fehlt vielen Erhebungen des Auslandes die Einbeziehung der Erwerbslosen in die soziale Gliederung. Daher soll der Ruhm, die beste bisherige Berufszählung geschaffen zu haben, der amtlichen Statistik des Deutschen Reiches nicht bestritten werden. Es

1 Fahlbeck: Der Adel Schwedens. Eine demographische Studie. Jena 1903. S. 39.

2 Vgl. Zf. S. 262 ff. und unten § 46. S. 35 f.

ist vielmehr zu betonen, dafs nur dank ihrer Ausführlichkeit es möglich war, die Bedeutung des Unterschieds zwischen der organischen und der atomistischen Gesellschaftsauffassung zu zeigen. Die organische Auffassung lagerte gewissermassen unter der Schwelle des Bewusstseins" der amtlichen Statistik.

In atomistische Bahnen zu gleiten, ist nicht nur die Statistik, sondern das Denken der Zeit überhaupt geneigt. Die Gleichgültigkeit gegen die Tradition, gegen den Blutszusammenhang, das Geschlecht, ist so grofs, dafs sie die amtliche Statistik verhindert hat, selbst den gegenwärtig sichtbaren Teil der weiteren Blutsgemeinschaftsgruppe, des Geschlechts, d. i. die Familie, in den Bereich ihrer Erhebungen einzuschliefsen. Der einzelne Mensch, diese Abstraktion, die niemand mit eigenen Augen gesehen hat" 1, ist dieser Denkweise die einzige Wirklichkeit. Und doch ist den Tatsachen sozialer Bedingtheit entsprechend der Einzelne als solcher eine weit geringere Realität, denn als Mitglied seiner Blutsgemeinschaft, wie sehr auch das Bewusstsein dieser Gemeinschaft dem Individuum selbst entschwunden sein mag. Der Mensch als blofses Individuum bedeutet im Verhältnis zu dem ganzen Lebensprozefs seines Geschlechtes nicht mehr, als seine einzelne Handlung, sein einzelnes Erlebnis im Verhältnis zu seinem ganzen individuellen Leben bedeutet. Sein einzelnes Erlebnis ist nur der vorübergehende Schein seines individuellen Gesamtlebens, wie dieses Gesamtleben der vorübergehende Schein seines Geschlechtes ist. In der Atomisierung des Lebens geht denn auch die Statistik noch weiter herab als bis zum einzelnen Individuum, indem sie dieses stellenweise nicht einmal nach seinem Gesamtleben, sondern nur nach seiner zeitweiligen Erscheinung, d. i. nach einem vorübergehenden Komplex seiner Handlungen, bewertet. Diese weitere Fortsetzung atomistischen Denkens spiegelt sich im Begriff „Beruf" der amtlichen Statistik, die Beruf" und Berufsstadium" gleichsetzt 2.

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Mit diesen Erörterungen haben wir versucht, die allgemeine psychische Disposition anzudeuten, in der die hier kritisierte Auffassung wurzelt. Nur diese in den allgemeinen. Zeitverhältnissen so fest begründete Disposition erklärt den Schein unwiderstehlicher Wahrheit, der den amtlichen Zahlen über die soziale Volksgliederung innewohnt. Ist die atomistische Voraussetzung einmal gegeben und als berechtigtes Forschungsprinzip mit der Macht der Gewohnheit in das Denken eingedrungen, so folgt alles übrige daraus mit selbstverständlicher Konsequenz. Es erscheint erklärlich, dafs einem.

1 Fahlbeck 1. c. S. 179.

2 Vgl. § 3 f. S. 4 f.

so geschulten Denken die Frage: ist es überhaupt möglich, ohne den Begriff „Familie“ eine soziale Statistik zu entwickeln, gar nicht auftaucht. Daraus erklärt sich auch die Allgemeinheit der in unserer Arbeit kritisierten Grundfehler.

Dafs diese Fehler bei einer künftigen Zählung vermieden, und dafs der Begriff der Familie und bis zu einem gewissen Grade auch der des Geschlechts in der Statistik wieder anerkannt werden möge, ist der Wunsch des Verfassers. Es ist seine Überzeugung, dafs eine korrekte soziale Berufszählung nicht möglich ist, ohne auf den Begriff der Familie als organischer Einheit aufgebaut zu sein. Wie weit er es verstanden hat, dieser Überzeugung durch die folgende Untersuchung Einfluss zu verschaffen, wird die Zukunft zeigen.

Zum Schlusse spricht der Verfasser Herrn Professor Dr. Schmoller seinen aufrichtigen Dank aus für die freundliche Bereitwilligkeit, mit der er, namentlich durch Aufnahme dieser Arbeit in seine Forschungen", diesem Einflusse den Weg geebnet hat.

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Inhaltsverzeichnis.

Seite

Vorwort

I. Die Einteilungsprinzipien der Bevölkerung.
§ 1. Wirtschaftliche und soziale Gliederung, Begriffs-
unterschiede

§ 2. Lohnempfänger nnd Lohnarbeiter, Begriffsunter-
schied vom Amt nicht gemacht

§ 3. Beruf. Begriff nach amtlicher und unserer Auf-
fassung

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aufgefasst.

§ 5. Erwerbslose amtlich klassifiziert nach dem er-
nährenden Beruf.

§ 6. Nichtberufsernährte Erwerbslose amtlich als be-
sondere Klasse, von uns gröfstenteils als Berufs-
stadium aufgefafst

§ 7. Berufs-Familienbevölkerung begreift auch den
gröfsten Teil dieser in sich; Einteilungsprinzip
der Familienbevölkerung ist Beruf des Familien-
hauptes

8. Bisherige Kritik d. amtlichen Einteilung (Schöbel)
§ 9. Mittätige Familienangehörige, ihre Auffassung
als Zugehörige zur Selbständigen- und zur Un-
selbständigenbevölkerung.

§ 10. Allgemeine Vorstellung des Proletarisierungs-
grades des Volkes: zwei Drittel Proletarier

§ 11. Proletarisierungsgrad auf Grund der Einkom-
mensstatistik.

II. Die Nahrungs-Berufsbevölkerung, ihr Umfang und
ihre Gliederung auf Grund des amtlichen Eintei-
lungsprinzips.

1. Wirtschaftliche Gliederung nach dem Hauptberuf.
a. Berufslose (F-) Bevölkerung.

§ 12. Bevölkerung eines Berufs

§ 13. Nichtberufsernährte Erwerbslose

cascas

V

1

3

4

5

5

66

7

8

9

10

=

berufslose

Nahrungs

10

11

17

F-Bevölkerung

14. Fehler bei der Zuteilung zu dieser
15. Soziale Gliederung der F-Bevölkerung

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