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GESCHLECHT

UND

CHARAKTER

EINE PRINZIPIELLE UNTERSUCHUNG

VON

DR. OTTO WEININGER

DRITTE MIT DER ZWEITEN GLEICHLAUTENDE AUFLAGE

MIT DEM BILdnisse des VERFASSERS IN HELIOGRAVURE.

WIEN UND LEIPZIG

WILHELM BRAUMÜLLER

KU. K HOF- UND UNIVERSITÄTS BUCHHÄNDLER

1904

Phil 3905.30.3

thit 3905.30-5

HARVARD COLLEGE LIBRARY

STRINDBERG COLLECTION
THE GIFT OF

HENRY HARMON STEVENS
FEBRUARY 14, 1927

ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS RECHT DER ÜBERSETZUNG
VORBEHALTEN.

DRUCK VON FRIEDRICH JASPER IN WIEN.

VORWORT

ZUR ERSTEN AUFLAGE.

Dieses Buch unternimmt es, das Verhältnis der Geschlechter in ein neues, entscheidendes Licht zu rücken. Es sollen nicht möglichst viele einzelne Charakterzüge aneinandergereiht, nicht die Ergebnisse der bisherigen wissenschaftlichen Messungen und Experimente zusammengestellt, sondern die Zurückführung alles Gegensatzes von Mann und Weib auf ein einziges Prinzip versucht werden. Hiedurch unterscheidet es sich von allen anderen Büchern dieser Art. Es verweilt nicht bei diesem oder jenem Idyll, sondern dringt bis zu einem letzten Ziele vor; es häuft nicht Beobachtung auf Beobachtung, sondern bringt die geistigen Differenzen der Geschlechter in ein System; es gilt nicht den Frauen, sondern der Frau. Zwar nimmt es stets das Alltäglichste und Oberflächlichste zu seinem Ausgangspunkt, aber nur, um alle konkrete Einzelerfahrung zu deuten. Und das ist hier nicht > induktive Metaphysik, sondern schrittweise psychologische Vertiefung.

Die Untersuchung ist keine spezielle, sondern eine prinzipielle; sie verachtet nicht das Laboratorium, wenn ihr auch seine Hülfsmittel dem tieferen Probleme. gegenüber beschränkt erscheinen vor dem Werke der

selbstbeobachtenden Analyse. Auch der Künstler, der
ein weibliches Wesen darstellt, kann Typisches geben,
ohne sich vor einer experimentellen Merkergilde durch
Zahl und Serie legitimiert zu haben. Der Künstler ver-
schmäht nicht die Erfahrung, er betrachtet es im Gegen-
teile als seine Pflicht, Erfahrung zu gewinnen; aber sie
ist ihm nur der Ausgangspunkt eines Versenkens in sich
selbst, das in der Kunst wie ein Versenken in die
Welt erscheint.

Die Psychologie nun, welche hier der Darstellung
dient, ist eine durchaus philosophische, wenn auch ihre
eigentümliche Methode, die allein durch das eigentüm-
liche Thema sich rechtfertigt, es bleibt, vom trivialsten
Erfahrungsbestande auszugehen. Der Philosoph aber hat
nur eine der Form nach vom Künstler verschiedene Auf-
gabe. Was diesem Symbol ist, wird jenem Begriff. Wie
Ausdruck und Inhalt, so verhalten sich Kunst und Phi-
losophie. Der Künstler hat die Welt eingeatmet, um
sie auszuatmen; für den Philosophen ist sie ausgeatmet,
und er muß sie wieder einatmen.

Indes hat alle Theorie notwendig immer etwas Präten-
tiöses; und so kann derselbe Inhalt, der im Kunstwerk
wie Natur erscheint, hier, im philosophischen Systeme,
als eng zusammengezogene Behauptung über ein Allge-
meines, als These, die dem Satz vom Grunde unter-
steht und den Beweis antritt, viel schroffer, ja beleidigend
wirken. Wo die Darstellung antifeministisch ist und
das ist sie fast immer dort werden auch die Männer

ihr nie gerne und mit voller Überzeugung zustimmen:
ihr sexueller Egoismus läßt sie das Weib immer lieber
so sehen, wie sie es haben wollen, wie sie es lieben
wollen.

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