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Allgemeine Verwilderung in Hessen.

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seine Gemahlin Christine einmauern lassen und stehe auch in einem ehebrecherischen Verhältnisse mit der Schwester Margaretha's. Herzog Morit von Sachsen sah sich veranlaßt, den Landgrafen gegen derartige Anschuldigungen in Schutz zu nehmen 1.

Das hessische Volk hegte vor einem Verbrechen, wie es der Landgraf begangen, noch Abscheu, obgleich es seit dem kirchlichen Umsturz bereits in eine furchtbare Verwilderung gerathen war 2. Eine hessische Kirchenzuchtsordnung vom Jahre 1539 leitete diese allgemeine Verwilderung von der Einwirkung des Satans her, der nicht allein durch allerlei Rotten und Secten, sondern auch durch fleischliche Ueppigkeit und verlassenes Wesen die Menschen der Gemeinde Christi entfremdet habe 3. Die Menschen seien der Art wild und roh geworden, sagt der hessische Chronist Wigand Lauze zum Jahre 1539, als hätte Gott darum sein theueres Wort gegeben und uns, darum von den unzählbaren Greueln des Papstthums und seinen greiflichen Abgöttereien erlöst, daß wir nunmehr frei thun und lassen möchten, was einem Jeden wohlgefiele.' Allenthalben hätten die Sünden und Nebertretungen göttlicher Gebot und Lehre und alles unordentliche Leben überhand genommen, daß es auch durch solche erschreckliche Mißbräuche, ärgerlich Leben. und Mehrung der Sünden so fern gekommen, daß viel böser Ding bei vielen Menschen für keine Sünde und Laster mehr begonnen gehalten zu werden'. Es seien allerdings ,manche gute christliche Ordnungen aufgerichtet worden', aber sie würden fürnehmlich durch die Amtleute, Diener und Befehlshaber selbst überschritten und übel gehandhabt. Der große Abgott Mammon ist dieser Zeit bei vielen Predigern und Zuhörern so gewaltig worden, daß man dergleichen in allen vorigen Historien schwerlich lesen kann. In Summa, es ist jehunter ein lauter Schinderei unter den Menschen, der anderen Sünden und Laster allhier Alles zu geschweigen. 4 Aehnlich wie Lauze, sagten die auf zwei Synoden in Cassel und Rotenburg versammelten Theologen und Prediger in einem Bedenken an den Landgrafen: an guten Ordnungen fehle es in Hessen nicht, aber vornehmlich durch Schuld der ,Amtleute und Befehlshaber würden sie nicht ausgeführt. Fast alle fürnehmen Pfarrherren und Prediger klagen einmüthiglich hierüber, daß alle

1 Lenz 367.

2,Mores omnium corruptissimi, schrieb über die Hessen der Züricher Rudolf Walter im Jahr 1540 an Bullinger in dem S. 408 Note 1 citirten Brief. Franz Lambert hatte schon am 14. März 1530 an Buzer geschrieben: Horreo mores populi hujus.

Bei Herminjard 2, 242.

3 Richter, Kirchenordnungen 1, 290.

Lauze 1, 379–384.

Zucht und Ehrbarkeit schier gar dahingefallen.' Treu oder Glaube werde bei Niemand mehr gespürt: die Sachen seien dahin gerathen, daß schier die Religion gar verachtet werde. Wir haben,' lautete das Bekenntniß, ,aus dem Evangelium, Gott erbarm's, nicht mehr denn fleischliche Freiheit und geistliche Güter genommen. Dabei lassen wir es nun bleiben. Es seien jetzt Zeiten, wie in Sodoma und Gomorra. Daselbst hatten auch die Sünde und Verachtung Gottes, gleich wie jetzt, Ueberhand genommen.'

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Die Amtleute dagegen warfen die Hauptschuld der Verwilderung auf die Prädikanten. Wir werden, sagte der Landgraf in einer Verordnung an die Superintendenten, ,von vielen unserer Amtsleute und Amtsknechte, dem gemeinen Mann, auch Edlen und Unedlen berichtet, daß sich jetzt in ziemlicher Anzahl Prädikanten und Seelsorger unseres Fürstenthums und Landes übel halten, ein böses ärgerliches Leben führen, sich mit Vollsaufen, Spielen, Wuchern und dergleichen auch eines Theiles noch böseren Lastern beladen, sich in den Zechen mit den Leuten raufen, schlagen, zanken und sonderlich auch gegen die Weiber unzüchtig halten und erzeigen sollen. Die Superintendenten sollten darin ein Einsehen haben, sich selbst dergleichen Laster enthalten und den Prädikanten und Kirchendienern dieselben untersagen, sie nöthigenfalls absetzen, und, wo auch die Laster ganz zu groß', noch ernst= licher strafen. Ein Theil der Prädikanten predige ,in den ihnen befohlenen. Kirchen des Jahres kaum ein- oder zweimal 2. Ach Gott,' schrieb Buzer am Weihnachtstage 1539 aus Marburg an den Landgrafen, es wird böse Ordnung hier und anderswo gehalten, denn man weiß, daß Ew. Gnaden mit keinem Nachdruck zur Sache selbst thut. Das Volk verwildert, das so gar unzüchtig Leben nimmt Ueberhand. Wahrlich, gnädiger Fürst und Herr, da so schwere verruchte Verachtung Gottes ist und der Obrigkeit, da ist der Teufel zu viel mächtig und den Leuten keines Guten zu vertrauen.' 3 Am ärgsten, sagte er in einem Briefe vom April 1540, stehe es in Marburg. Die dortigen Rathsherren seien größtentheils Weinschenken. Sie

1 Bedenken vom Aug. 1544, bei Neudecker, Urkunden 684-691.

2 Verordnung vom 1. Juni 1542, bei Hassencamp 2, 613-614. Vergl. die gleichzeitigen Verordnungen an die Pfarrer und an die weltlichen Beamten in der hessischen Landesordnung 1, 125. 126. Im Jahre 1546 beantragte eine hessische Generalsynode, ,daß, da viele Pfarrer durch Sauferei und andere Laster großes Aergerniß gewährten, sie theils abgesett, theils in Kerkern, welche zu Spießcappel, Darmstadt und Grünau zu errichten seien, bei Wasser und Brod gezüchtigt werden sollten'. Hassencamp 2, 638. Die Edelleute, klagt Lauze 1, 382, beseßten,viel Pfarren mit ganz ungeschickten und untauglichen Predigern, die etliche zuvor Handwerk getrieben, nie studirt hatten. Weil sie keinen Verstand der Schrift gehabt, haben sie auch nicht können wissen, welches Recht oder Unrecht wäre, sondern haben von allen Artikeln einen schlechten Wahn gehabt.

3 bei Lenz 121-122.

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richten alle Trunkenheit an, daß die Leute täglich wie das Vieh auf den Gassen liegen, Alles daher, daß sie selbst Trunkenbolde sind und dann aus ihrem Geiz gern viel Wein verschenken wollten. Zu Ziegenhain hat man dieses Jahr drittehalbtausend Gulden werth Wein ausgetrunken, zu Marburg in einem Viertel Jahr dreitausend Gulden bereits. Ist das nicht zum Erbarmen? Es wäre doch kein Wunder, daß gar kein Geld im Land bliebe.' Der Landgraf möge nach Art der alten frommen Fürsten' persönlich um die Geschäfte sich bekümmern und nicht aus den fürstlichen Kurzweil, es sei Jagen oder Anderes', ein fürstliches Geschäft' machen 1. Es wäre zum Erbarmen, wenn er, der zum Schirm der Religion ,vor den Papisten' so viel Arbeit und Unkosten verwende, seine Unterthanen so gar verstören' ließe 2.

An Arbeit gegen die Papisten ließ es der Landgraf nicht fehlen.

1 Die Jagden des Landgrafen waren allgemein das Grauen der Bauern. Philipp sah die Weide seines Wildes auf den Feldern der Bauern als ein Aequivalent der bäuerlichen Weiderechte im Wald an! Landau, Gesch. der Jagd in Hessen S. 7.

2 aus Gießen am 19 April 1540, bei Hassencamp 2, 617-621. 165-168 sind wichtige Stellen des Briefes nicht wörtlich abgedruckt.

Bei Lenz

XIII. Plan Philipp's von Hessen zum Angriffskriege gegen den Kaiser Förderer der Protestirenden am kaiserlichen Hofe Religionsgespräche zu Hagenau und Worms Verhandlungen unter den Protestirenden über Philipp's Doppelche. 1540.

Während seiner Vorbereitungen zur Doppelche hatte Philipp von Hessen eine unausgesetzte Thätigkeit entfaltet, um seine schmalkaldischen Bundesgenossen in die Waffen zu bringen wider den Kaiser'.

Am 1. und 3. Januar 1540 regte er den Herzog Ulrich von Württemberg mit Nachrichten über angebliche Rüstungen des Kaisers auf. Man dürfe nicht stillesitzen und warten, bis man angegriffen werde, sondern müsse zum Angriffe vorschreiten, besonders wegen der Gelderisch - Clevischen Angelegenheit. Wenn der Kaiser diese Lande einnehme, so werde er auch Münster, Osnabrück und die Gebiete bis Paderborn gewinnen, und auf die künftige Besetzung der Erzstühle von Cöln und Trier unbedingten Einfluß ausüben. Auch würden ihm dann die besten und zahlreichsten Söldner, welche sich gerade in diesen Landen fänden, zu Gebote stehen. Darum mūsse man dem Herzog von Cleve beistehen: vielleicht werde auch der König von Dänemark Hülfe leisten. Den König- von England habe er durch ,eine vertraute Person' vor dem Kaiser warnen lassen 1. Bereits im November 1539 waren nach einem Beschluß des schmalkaldischen Bundes zwei Gesandte an Heinrich VIII. abgeordnet worden, um mit demselben über die Grundlagen eines Bündnisses zu verhandeln 2.

Am 20. Januar 1540 schlug Philipp dem Kurfürsten von Sachsen einen Angriffskrieg gegen den Kaiser vor: er, der Kurfürst, Herzog Heinrich von Sachsen und Herzog Ulrich von Württemberg müßten zusammenstehen; jeder von ihnen müsse viertausend Knechte und fünfhundert oder noch mehr Reiter stellen; der Herzog von Jülich achttausend Knechte und so viel Reiter er aufbringen könne. Mit einem solchen Heere würde man stark genug zum Angriffe sein. Der Kaiser werde ohne Zweifel die Schlacht annehmen, und

' Stern, Heinrich VIII. und der schmalkaldische Bund 492–495.
2 Stern 497.

Die Oberhäupter der Schmalkaldener an Franz I. 1539.

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man werde ihn und seine Spanier schlagen. Gewinne man dann die Schlacht', so könne man die Niederlande mit Leichtigkeit erobern. Im Besize derselben hätte man England und Dänemark an der Hand' und könnte sich ,vor dem Könige von Frankreich wohl aufhalten'.

Das Alles würde dann den evangelischen Ständen, dem evangelischen Handel zu Fürschein und Gutem, auch zur Erhaltung der deutschen Nation Freiheit gereichen“ 1.

Zum Schuße dieser sogenannten deutschen Freiheit hatten sich die Fürsten früher wiederholt an den König von Frankreich gewendet. Am 19. April 1539, an demselben Tage, an welchem in Frankfurt der Friedstand abgeschlossen wurde, hatten der Kurfürst von Sachsen und der Landgraf von Hessen ein neues Bittgesuch an Franz I. gerichtet. Sie stellten sich demselben dar als die einzig Friedfertigen in Deutschland, die zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe vieles Unrecht, viele Beleidigungen ertrügen; ihre Feinde dagegen seien von einem solchen Haß erfüllt, daß sie keine maßzvollen Rathschläge, keine freie Erörterung der strittigen Sachen annehmen wollten, sondern sich nur rüsteten zum Morde der Bürger und Blutsverwandten, zur Verwüstung der Kirchen 2. Zu diesem Zwecke hätten die Feinde Bündnisse geschlossen und Heere geworben: der König möge als Schüßer der gemeinen Freiheit Europa's der Unschuld zum Schuße sein 3. Im Juli 1539 hatten die Straßburger dem Landgrafen von Hessen gemeldet, sie hätten bestimmte Nachricht erhalten, wie freundschaftlich Franz I. gegen die lieben deutschen Bundesgenossen gesinnt sei: ‚aus besonderer Affection und Willen, so er zu den protestirenden Ständen trage', habe er auch jetzt die Berufung des Concils, zu welcher der Papst entschlossen gewesen, verhindert 4.

Seitdem aber schienen die politischen Verhältnisse zwischen Frankreich und dem Kaiser sich geändert zu haben. Auf seiner Reise nach den Niederlanden, wo in Gent eine offene Empörung ausgebrochen war, hatte der Kaiser auf Einladung des französischen Königs seinen Weg durch Frankreich genommen, und es waren dort zu seiner Ehre Feste und Feierlichkeiten aller Art veranstaltet worden. Das französische Volk ehrte den Kaiser als den

1 bei Lenz 411.

2 ... tantum se parent ad faciendam civium et cognatorum caedem, ad efficiendam vastitatem ecclesiarum. Hanc ad rem foedera fecerunt, et habent obligatos exercitus."

3 im Corp. Reform. 3, 695-697. Also auch ein derartiges Schriftstück mußte Melanchthon anfertigen.

4 Brief der Dreizehn von Straßburg vom 21. Juli 1539, bei Neudecker, Actenstücke 167-168.

5 So heißt es in dem,Passage de l'Empereur par la France', 1539, über Bayonne: il fut reçu avec la plus grande magnificence et on lui fit tous les honneurs imaginables. Les prisons furent ouvertes et il fit grace à tous les prison

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