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§ 2.

Für unseren Zweck sind diese Skizzen sämtlich unbrauchbar. Denn mag auch ihre ursprüngliche Quelle noch so rein und zuverlässig gewesen sein, so ist diese doch im Laufe der Zeit durch willkürliche Kombination, durch Hinzufügen und Hinwegnehmen, so sehr getrübt worden, dafs wir ihre verstümmelten Nachrichten unmöglich für historische Thatsachen gelten lassen können1). Eine Quelle, deren Ursprung und Verlauf unbekannt, deren Darstellung zerrissen und verstümmelt ist, deren Angaben einander völlig widersprechend sind, darf und kann die historische Kritik nicht mehr als Autorität betrachten; solche Notizen erhalten nur dann einen gewissen sekundären Wert, wenn sie mit anderweitig beglaubigten Nachrichten zusammenstimmen").

G. Valla glaubte allerdings in einem seitdem verlorenen Codex die Entdeckung gemacht zu haben, dafs Juvenals Leben und die Scholien zu seinen Satiren den Grammatiker Probus zum Verfasser gehabt hätten3). Allein diese Nachricht ist schon an und für sich wenig glaubwürdig, weil im Codex Pithoeanus, welcher dieselben Scholien fast übereinstimmend enthält, sich von einer solchen Angabe nicht die geringste Spur findet; und wenn man auch die Wahrheit der Angabe von G. Valla nicht in Zweifel ziehen will, so scheint es doch wohl unzweifelhaft, dafs die von ihm erwähnte Angabe auf einem Irrtum beruht. Da nämlich von dem jüngeren Valerius Probus

Dürr 21-26, wo sich auch der freilich vergebliche Versuch einer Rekonstruktion der alten Biographie, d. h. der ursprünglichen Quelle der verschiedenen noch erhaltenen Vitae, vorfindet.

§ 2.

1) Das erkennt auch Dürr p. 6 sq. an. Wenn er aber glaubt die ursprüngliche Biographie wieder herstellen zu können, so ist zu erwidern, dafs subjektive Annahmen und Unterscheidungen des Wahren und Interpolierten noch lange nicht objektive Thatsachen sind. Es ist dabei gleichgültig, ob der Biograph ursprünglich aus guter alter Überlieferung geschöpft hat oder nicht. Was uns davon überliefert ist, hat nur Glaubwürdigkeit in Verbindung mit anderen Zeugen. 2) Dafs Sueton nicht der Verfasser der ursprünglichen Vita sein kann, ergiebt sich nicht nur aus der Unbestimmtheit der Angaben, sondern auch aus der Lebenszeit Juvenals. Vgl. Reifferscheid Q. S. 371. 404. 422. 3) Valla bemerkt darüber: sane comperti mihi sunt nuper Probi grammatici in Iuvenalem commentarii quantum adhuc audiverim nulli alii cogniti, sed mirae brevitatis: alioquin tamen perquam opportunos aliquando se nobis obtulerunt: obtulissent vero sese adhuc magis nisi nobis singula rimantibus codicis nimium cariosa invidisset vetustas: et si in omnes libros comperti habeantur qui vix tertii libri secundam attigere satyram. Invigilavimus vero ipsi si modo id consequi potuimus: ut omnis huius poetae pateret eruditio: Probi interpretamenta cuiusmodi ea fuerunt: quae plane perexigua sunt ne in minima quidem parte subtraximus: aut immutavimus.

ein Kommentar und ein Leben des Persius vorhanden war, die Satiren des Persius aber schon frühzeitig mit denen Juvenals in einem Band vereinigt zu erscheinen pflegten, so konnte es leicht geschehen, dafs man die Aufschrift an der Spitze der Scholien zum Persius auf die vorhandene Scholiensammlung zu Juvenal übertrug1).

§ 3.

Wie dem aber auch sein mag, jedenfalls darf man sich nicht den berühmten Grammatiker M. Valerius Probus aus Berytos, der ja viel früher als Juvenal lebte, als Verfasser eines solchen Kommentars denken. Aber auch der jüngere Probus, der Verfasser von Kommentarien zu Vergil und Persius, kann nicht leicht der Autor eines Kommentars zu Juvenal sein, den er, wie es scheint, nicht überlebt hat. Der jüngere Probus überlebte kaum das Ende des Domitian, während Juvenal im J. 127 sicher noch am Leben war. Es bleibt also keine Zeit übrig, in welcher Probus ein kritischexegetisches Werk über den litterarischen Nachlafs Juvenals hätte schreiben können1).

Wenn man indessen die überlieferten Vitae Juvenals als Pseudo-Quellen beiseite läfst oder doch nur als sekundär betrachtet, so verlieren wir darum nichts an Nachrichten über Juvenal. Es ist in ihnen nichts enthalten, was sich nicht auf andere Weise besser und zuverlässiger gewinnen liefse.

§ 4.

Die Geburtszeit Juvenals steht ebenso wenig wie die Zeit seines Todes fest. Wir wissen nur von zwei der letzten Satiren, dafs die dreizehnte im Jahr 127 n. Chr. und die fünfzehnte nicht vor dem Jahr 127 verfafst ist, und da die alten Biographen berichten, dass Juvenal etwa achtzig Jahre alt geworden sei, so schlofs man, dafs er um das Jahr 47 n. Chr. geboren sein könne1). Allein sicher ist es, dafs Juvenal noch

4) I. Steup, de Probis grammaticis, Ienae 1871, p. 128. O. Jahn, Prolegg. Pers. 136.

§ 3.

1) Steup 127, und im Rhein. Mus. XXVII 62 sqq. gegen Teuffels Einwendungen in den Studien und Charakteristiken p. 442 sq.

§ 4.

1) Die Richtigkeit der Lesart Iunco, womit der Konsul Ämilius Juncus oder richtiger vielleicht Ti. Claudius Juncus gemeint ist, und damit das Jahr 127 n. Chr. hat B. Borghesi erwiesen. Dazu vgl. den Zusatz von Regnier in den Oeuvres V 509 n. und Mommsen, Ephem. epigr. I 247 sq. Borghesi beschäftigt sich nur mit dem Konsulat des Juncus und Fonteius (13, 17), auf das Geburtsjahr selbst geht er nicht näher ein.

nach dem Jahr 127 gelebt haben mufs. Denn wenn er 15, 27 sagt nos miranda quidem, sed nuper consule Iunco gesta referemus, so kann die Satire nicht vor 128 geschrieben sein. Es ist aber auch möglich, dafs hier nuper auf einen Zeitraum von zwei oder mehr Jahren zurückweist2). Solange also das Todesjahr nicht bekannt ist, kann daraus das Geburtsjahr nicht berechnet werden.

Dafs der Dichter ein sehr hohes Alter erreicht hat, können wir den alten Lebensnachrichten unbedenklich glauben. Dafür spricht zunächst 13, 16 stupet haec qui iam post terga reliquit sexaginta annos, Fonteio consule (67) natus? Nur ein älterer Freund konnte ohne Gefahr der Beleidigung so zum Freunde reden. Es mufs also Juvenal im J. 127 nicht wenig über 60 Jahre alt gewesen sein, vielleicht war er bereits ein Siebziger3). Andrerseits ist es Thatsache, dafs er erst im späteren Mannesalter zu dichten oder doch wenigstens Satiren zu veröffentlichen begonnen hat. Wenn nun diese Satiren dennoch nicht aus einem Gusse, sondern zum Teil von sehr verschiedenartigem Charakter sind, so mufs man annehmen, dafs der Verfasser zu verschiedenen Zeiten, wahrscheinlich bis in das höchste Alter hinein, gedichtet hat, zumal sich wenigstens in der fünfzehnten Satire Spuren einer senectus decrepita ganz von selbst aufdrängen. Juvenal ist also gewifs sehr alt geworden. Andrerseits war er ein Freund des Dichters Martialis, der 38-41 v. Chr. geboren ist. Ist es nun auch nicht notwendig, dafs Freunde immer gleichaltrig sein müssen, so ist es doch auch wiederum natürlich, dafs zwischen gleichstrebenden Freunden der Unterschied des Alters nicht gar zu grofs zu sein pflegt. Nehmen wir als Geburtsjahr für Martial 40 n. Chr., für Juvenal etwa 55 n. Chr. an, war dieser ungefähr 36 Jahre, Martial 51 Jahre alt, als im Jahr 91/92 Martial (VII 24 u. 91) den Juvenal öffentlich als Freund begrüfste1). Unter dieser Voraussetzung würde Juvenal im Jahr 127 bereits 72 Jahre alt gewesen sein und

2) Dürr p. 10 findet in 15, 140 sq. eine Anspielung auf die von Hadrian in Rom eingeführten (?) eleusinischen Mysterien, und da diese erst nach der Rückkehr des Kaisers von seiner zweiten Reise im J. 134 in Rom eingeführt sein könnten, so hätten wir damit einen Beweis, dass die 15. Satire nicht gut vor dem J. 135 verfasst sein kann. Allein die Beziehung, welche Dürr der Stelle giebt, ist weder notwendig noch wahrscheinlich. Auch seine Erklärung von Aurel. Vict. Caes. 14 ist keineswegs sicher. 3) Auch L. Schwabe im Rhein. Museum XL p. 25 sqq. sagt am Schlufs seines Aufsatzes: Juvenal hat nur dann ein Recht zu Calvinus zu sprechen wie er spricht (man beachte z. B. die recht derben Wendungen V. 33. 35. 141), wenn er ziemlich so alt, oder besser wenn er noch älter ist als jener. 4) Vgl. Mart. ed Friedlaender Bd. I 58 sq.

in einem Alter gestanden haben, in dem er seinen Freund Calvinus, einen Sechziger, recht wohl auch mit derberen Worten zurechtweisen konnte.

§ 5.

Es giebt, wie mir scheint, für die annähernde Bestimmung der Lebenszeit Juvenals eine Grenze nur in der Thatsache, dafs der Dichter die Regierungszeit Domitians mit vollem und klarem Bewusstsein durchlebt hat. Denn für diese Zeit, die den Inhalt der Satiren bildet, ist diese Annahme eine Notwendigkeit1). Die Zeit Neros spielt keine so grofse Rolle, dafs man auch für sie dasselbe voraussetzen müsste. Wer dies wollte, müfste auch annehmen, dafs Juvenal bereits die Zeit des Tiberius im kräftigen und selbständigen Jünglingsalter durchlebt hat2). Diese Zeiten konnte Juvenal ebenso wie Tacitus teils durch mündliche Tradition teils durch schriftliche Darstellungen kennen lernen, und er besafs Phantasie genug, sich mit Lebhaftigkeit in die Zustände dieser jüngsten Vergangenheit zu versetzen. Juvenals Geburtsjahr kann von dem des Tacitus nicht sehr fern liegen. Auch Tacitus reifte unter Domitian zum vollkräftigen Mann heran, auch er hat die Grausamkeit des Tyrannen durchgekostet und er mufste ebenfalls schweigen, bis mit Nerva und Trajan die Hoffnung und die Zuversicht auf eine bessere Zeit sich mehr und mehr befestigten.

In der That ist neuerdings in einer dem 15. Jahrhundert angehörigen Handschrift der Barberinischen Bibliothek in Rom eine Vita gefunden worden 3), die folgende merkwürdige Notiz enthält: Iunius Iuvenalis Aquinas Iunio Iuvenale patre, matre vero Septumuleia ex Aquinati municipio Claudio Nerone et L. Antistio consulibus natus est (d. h. 55 n. Chr.). Sororem habuit Septumuleiam, quae Fuscino (den Adressaten der 14. Satire) nupsit. Man mag über die sonstige Glaubwürdigkeit dieses Humanisten-Traktats, denn das ist die angebliche Vita, urteilen wie man will, so wird man doch zugestehen müssen, dass das Jahr 55 als Geburtsjahr des Dichters vortrefflich gewählt ist, so dafs wir in diesem Falle kaum an die Vermutung eines Humanisten, sondern eher an das Durchsickern einer alten, jetzt verlornen, Quelle denken dürfen1).

§ 5.

1) Dies hat besonders Teuffel mit Recht betont. Vgl. A. Widal, Juvénal et ses Satires. Paris 1870, p. XIV: c'est le siècle de Domitien, c'est l'universelle perversité romaine sous cet effroyable tyran, qu'attaque et que stigmatise notre poëte. 2) Zu dieser Annahme ist Bauer gelangt, weil er glaubte, Juv. müsse den 10, 56 sq. geschilderten Sturz des Sejanus mit Augen gesehen haben. 3) Die Entdeckung verdanken wir J. Dürr, vgl. Leben Juv. p. 28. 4) Die Verheiratung der Schwester

§ 6.

Decimus Junius Juvenalis war also etwa im Jahr 55 n. Chr. zu Aquinum im Volskerlande geboren1). Von seinen Eltern wissen wir nichts weiter, als dafs der Vater dort eigenen Grund und Boden besessen hat). Das Praenomen Decimus kommt in der gens Iunia öfter vor und der Gentilname neben dem Vornamen und Zunamen berechtigt zu dem Schlufs, dafs der Vater Juvenals ein freier römischer Bürger war3). Dals er aus niederem Stande war, kann aus einzelnen Stellen der Satiren des Sohnes nicht geschlossen werden 1). Eher ist der umgekehrte Schlufs erlaubt, dafs bereits der Vater ein angesehener Mann in Aquinum gewesen sein mufs, weil der Sohn die höchsten Ämter der Municipalstadt bekleidet hat"). Ob aber bereits der Vater die Ritter würde besafs, oder ob diese erst der Sohn durch militärische Leistungen sich erwarb, wissen wir nicht. Die erstere Annahme hat indessen mehr Wahrscheinlichkeit). Denn vergleicht sich auch Juvenal nirgends mit den Reichen und Vornehmen Roms, so erwähnt er doch nicht ohne einen gewissen Stolz sein väterliches Besitztum) und blickt mit Verachtung auf den Ritter Cinnamus, der ihm einst, dem Rittersohne, den Bart geschoren hat).

Auf eine gewisse Wohlhabenheit des Vaters läfst auch die Erziehung des Sohnes schliefsen, wodurch dieser sich den gebildeten Männern Roms glaubte gleichstellen zu dürfen). Er genofs in Rom nach der Sitte der Zeit zuerst den Unterricht eines Grammatikers, dann besuchte er die vornehmere

mit Fuscinus kann ersonnen sein, um ein Motiv für den ersten Teil der 14. Satire zu haben, auch der Name Septimuleia kann aus septima lux erdichtet und sowohl der Mutter als auch der Tochter beigelegt sein, aber wie sollen wir uns die exakte Angabe des Geburtsjahres deuten? Das Geburtsjahr des Tacitus, womit man das des Juv. hätte verwechseln können, war im 15. Jahrh. schwerlich bekannt.

§ 6.

1) Sat. 3, 319: quotiens te Roma tuo refici properantem reddet Aquino. 2) 6, 57 vivat Fidenis et agello cedo paterno. 3) Dagegen Vita I u. II: libertini locupletis incertum filius an alumnus, IV: ordinis ut fertur libertinorum. 4) Aus 1, 101 und 4, 98 ist nur zu schliefsen, dafs Juvenal nicht zur höchsten röm. Aristokratie gehörte. Aus Mart. XII 18: dum per limina te potentiorum sudatrix toga ventilat erkennen wir auch nur, was selbstverständlich ist, dafs es zu Rom potentiores gab und dafs ihnen Juv. vielfach seine Aufwartung machen musste. 5) Er war Censor und Flamen divi Vespasiani, cf. Marquardt, Altert. IV 425 n. 2920 und Paulys Encykl. VI 1, 363. 6) Juv. diente als tribunus militum wie die Söhne der Senatoren und Ritter. 7) 6, 57. 3, 319. 11, 65. 12, 89. 8) Vgl. zu 1, 24 und 10, 226. 9) 1, 15. Die schola grammatici ist mit manum ferulae subduximus, die des Rhetor mit consilium dedimus Sullae etc. angedeutet. Auch Martial hat die grammatische und die Rhetorenschule durchgemacht, vgl. IX 73, 7.

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