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§ 23.

Der Schiedsspruch wird, auch wenn die débats nicht öffentlich stattfanden, stets in öffentlicher Sitzung verlesen (Art. 80 Friedensakte). Und zwar soll nach der Haager Friedensakte die sentence als ganzes, also einschliesslich der Motive verlesen werden. Zu dieser Sitzung müssen die agents und conseils geladen sein. Ihr Ausbleiben hindert jedoch die Verlesung nicht. Die Schiedsrichter jedoch sollen sämtlich gegenwärtig sein. Insbesondere dann, wenn sie nicht alle den Schiedsspruch unterschrieben haben, ist dies zur Beglaubigung der Authentizität des verlesenen Textes erforderlich. Die Verlesung erfolgt im Haag herkömmlicherweise durch den Generalsekretär und umfasst nicht bloss den Tenor des Spruches, sondern auch dessen Begründung.

1 A. M. Wehberg, Kommentar, S. 140.

II. HAUPTSTÜCK

DIE WIRKUNGEN DES SCHIEDSSPRUCHES

§ 1.

Wie einem gerichtlichen Urteile, so kommt auch dem Schiedsspruche, sofern er nicht die Kompetenz des Schiedsgerichtes überschreitet, die Wirkung der res judicata zu. Art. 81 der Friedensakte von 1907 sagt: »La sentence, dûment prononcée et notifiée aux agents des Parties, décide définitivement et sans appel la contestation<«.1

Es folgt dies unmittelbar aus dem Zwecke des schiedsgerichtlichen Verfahrens und entspricht der Anschauung wohl aller Rechtslehrer und Schiedsrichter, die sich zur Frage geäussert haben. Am schärfsten vielleicht hat Umpire Plumley bereits 1849 dies ausgesprochen: >>Their decision within the scope of their authority, is conclusive and final. If they pronounce the claim valid or invalid, if they as certain the amount, their award in the premises is not reexaminable. The parties must abide by it, as the decree of a competent tribunal of

1 Art. 25 des Réglement des Inst. de droit internat. hatte gesagt: >>La sentence dûment prononcée décide, dans les limites de sa portée, la contestation entre les parties«<, übereinstimmend mit Goldschmidts Antrag, R. D. I. VI, p. 446. Der Zusatz »entre les parties<< wurde in Art. 81 absichtlich weggelassen, weil unter Umständen wenigstens die Wirkung weiterreichen kann. S. unten § 4.

exclusive jurisdiction. A rejected claim cannot be brought again under review, in any judicial tribunal.<<1

Schon der erste Schiedsspruch des Haager Tribunals hatte die Frage, inwiefern Schiedssprüche die Wirksamkeit der res judicata besitzen, zum Gegenstande. Dass ihnen eine solche Wirksamkeit zukomme, war ausser Streit. Darüber waren beide Parteien einig. Nur darum handelte es sich, ob unter den Umständen des gegebenen Falles einem früheren Schiedsspruche jene Wirkung auf den gegenwärtigen Streit zugestanden werden könne: ob dieser, jetzt vorliegende Fall schon damals entschieden worden sei und ob die von der einen Partei behauptete Rechtsansicht des früheren Schiedsrichters in der Sentenz selbst ausgesprochen sei. Sir Edw. Thornton hatte im Jahre 1875 als umpire entschieden, dass Mexiko verpflichtet sei, den Vereinigten Staaten für den Erzbischof von San Francisco und den Bischof von Monterey den Betrag von 904700 Dollars 99 Cents als durch 21 Jahre rückständige Renten für seinerzeit konfiszierte Kirchengüter zu bezahlen. Mexiko hat diesem Spruche zufolge die betreffende, damals fällige Summe bezahlt, sich aber geweigert, die Rente weiterhin zu entrichten. Es hat vielmehr zunächst eine Revision jenes Schiedsspruches wegen wesentlicher Irrtümer gefordert, nachdem es bereits früher zweimal eine Berichtigung von Rechnungsfehlern im Spruche, das erstemal im Betrage von 1000 Dollars, das zweitemal in dem von 20 Cents erlangt hatte. Nach jahrelangen Verhandlungen haben sich Mexiko und die Vereinigten Staaten endlich 1902 geeinigt, dass das Haager Schiedsgericht entscheiden solle, erstens, ob die Anerkennung des Anspruches der Vereinigten Staaten auf Zahlung der weiteren Raten seit 1875 als eine Konsequenz der früheren Entscheidung nach dem Grundsatze der res judicata sich ergebe und eventuell zweitens, wenn dies nicht der Fall wäre, ob dieser Anspruch meritorisch ge

'Ralston, arbitral law, p. 25.

Fall Amat v. Mexiko bei Moore II, 1350.

>>If said claim as a consequence of the former decision, is within the gover

rechtfertigt (just) sei. Für den Fall der Verneinung der ersten Frage hätte das Schiedsgericht also de novo entscheiden müssen. Mexiko behauptete, dass Sir Edwards Spruch sich nur auf die 21 Raten bezogen habe, die damals (1875) fällig gewesen. Dieser Spruch sei ausgeführt worden und damit dessen Wirksamkeit erschöpft. Wenn die Vereinigten Staaten den Fortbezug dieser Renten verlangen, so sei dies eine neue Forderung, hinsichtlich deren sich das frühere Schiedsgericht nicht ausgesprochen habe. Wenn auch aus den Motiven von Sir Edwards Sentenz hervorgehe, dass er jenen Anspruch als einen fortdauernden angesehen habe, so sei dies doch nicht im »dispositif« der Sentenz enunziert und nur das »dispositif«<, nicht aber auch die Motive erwachsen in Rechtskraft. Res judicata liege also nicht vor. Der Anspruch müsse von neuem auf seine Begründung hin geprüft werden.' Eventuell wendete Mexiko ein, dass jedenfalls die Pflicht zur Zahlung der Renten in Gold, wie sie ihm Sir Edward auferlegt hatte, eine ungebührliche Last sei. Im Jahre 1875 sei die Währungsfrage gleichgiltig gewesen; jetzt wäre die Pflicht zur Zahlung in Gold für Mexiko ruinös. Nach Anhörung der sehr gelehrten Plaidoyers von Beernaert für Mexiko und von Descamps für die Vereinigten Staaten über die Frage der res judicata und nach den Ausführungen anderer Anwälte entschied das Schiedsgericht in der Hauptfrage zugunsten der Vereinigten Staaten, dass deren Anspruch bereits durch die frühere Sentenz Sir Edw. Thortons festgestellt sei »considérant que toutes les parties d'un jugement ou d'un arrêt concernant les points débattus au litige s'éclairent et se complètent mutuellement et qu'elles servent toutes

ning principle of res judicata (si dicha reclamación como consecuencia del laudo anterior está regida por el principio de res judicata)«.

1

Vgl. insbesondere Conclusion pour la république Mexicaine im Protokoll dieses Schiedsgerichtes. Recueil des actes et protocoles I, p. 70.

2

* Jackson H. Ralston, U. St. v. Mexico, In the matter of the Pious funds of California. Washington 1903, p. 715 ff.

3 L. c. p. 776 ff., bes. 788, auch in Descamps, Le premier arbitrage de la Cour de la Haye, bes. p. 25 ff.

à préciser le sens et la portée du dispositif, à déterminer les parties sur lesquels il y a chose jugée et qui partant ne peuvent être remis en question<«<. Damit war die Rechtsansicht der Vertreter Amerikas akzeptiert worden, dass nicht bloss das, was im dispositiven Teil der Sentenz ausgesprochen ist, res judicata bilde, sondern auch das, was dieser Entscheidung mit Notwendigkeit zugrunde liegt, so dass die Entscheidung ohne diese Annahme jeder Existenzberechtigung entbehren müsste, wie z. B. die Existenz einer Kapitalschuld im Falle anerkannter Pflicht zur Entrichtung von Kapitalzinsen, oder die Existenz einer Rentenschuld im Falle des Zuspruches von Jahres renten einer solchen Schuld. Nur in der Währungsfrage sprach sich das Schiedsgericht zugunsten Mexikos mit Rücksicht auf die seither völlig geänderten Verhältnisse aus, »puisque la question du mode de paiement ne concerne pas le fond du droit en litige, mais seulement l'exécution de la sentence« und weil Art. 10 des Kom promisses ausdrücklich bestimmt habe »the findings shall state the amount and in what currency the same shall be payable«. Durch die letztere Vereinbarung sei offenbar in dieser Richtung eine neuerliche, von dem Spruche Sir Edwards unabhängige Entscheidung in der Währungsfrage dem Schiedsgericht übertragen worden. Selbst die Vereinigten Staaten hatten nur equitable considerations für die Goldzahlung geltend gemacht, ohne sie als ihr Recht aus dem ersten Schiedsspruch abzuleiten.'

§ 2.

Wie die Staaten allein Parteien im Schiedsgerichtsverfahren sind, so schafft der Schiedsspruch res judicata auch nur zwischen ihnen. Nur sie erwerben unmittelbar Rechte aus dem Spruch des Schieds gerichtes und nur für sie begründet er Pflichten. Stellt sich nach dem Schiedsspruch heraus, dass der Staat von jenem Untertanen, für den er eingetreten ist, hinsichtlich des Bestandes oder des Umfanges seiner Forderung getäuscht worden sei, dass also diese Forderung gar

1 Ralston in seinem report in U. St. v. Mexiko 1903, p. 13.

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