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Mit diesem Vorbehalt aber muss man mit Descamps sagen, dass es unmöglich ist, »de refuser aux arbitres le pouvoir d'apprécier, en cas de doute, les points qui rentrent ou qui ne rentrent pas dans leur compétence<<.1

§ 17.

Die im Verfahren der staatlichen Gerichte häufigsten Einreden der Unzuständigkeit des Gerichtes, der Befangenheit eines Richters oder der res judicata werden der Natur des schiedsgerichtlichen Ver fahrens zufolge dann kaum in Betracht kommen, wenn das Gericht und dessen Mitglieder ad hoc bestellt wurden und durch die im Kompromiss erfolgte Zuweisung des konkreten Streites an das Schiedsgericht eben dieser Streit als eine res judicanda von den Parteien anerkannt wurde. Anders allerdings liegt die Sache, wenn ein Streit ohne vorhergegangenes Kompromiss unmittelbar auf Grund eines institutionellen Schiedsgerichtsvertrages dem Schiedsgericht überwiesen werden soll. Liegt aber ein Kompromiss vor, so hat selbst dann, wenn in der nämlichen Sache bereits früher ein Urteil eines nationalen oder selbst eines internationalen Gerichtes erflossen wäre, eben die Partei, zu deren Vorteil jenes Urteil erfolgt war, auf dessen Geltendmachung in dem Kompromiss, das die Sache vor das Schiedsgericht verwies, verzichtet. So tat dies Nicaragua im Falle des >>Phare« und Venezuela im Falle der »Orinoco-Steamship-Company«.

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Über die Zulässigkeit einer Widerklage oder der Einrede der Kompensation enthält die Friedensakte keine ausdrückliche Bestimmung. Art. 17 des réglement des Institut de droit intern. hatte, ebenso wie Goldschmidts Entwurf, § 27, Widerklagen nur zugelassen, wenn

1 Confér. intern. 1, 137.

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'Die Erörterung dieser Frage muss einem anderen Zusammenhange vorbes halten bleiben.

8 Vgl. Renault R. D. I. 1881, p. 33. Mérignhac, arbitrage, p. 259.

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* Revue dr. intern. VI, p. 442. Ebenso auch der Entwurf Corsi Art. 30, (Darby,

p. 537) und die Antwerpener Regeln Art. 36 (Darby p. 462).

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sie ausdrücklich durch das Kompromiss gestattet sind oder wenn der Gegner sie zulässt. So hat das Schiedsgericht zwischen Mexiko und Venezuela 1903 im Falle Del Rio die nachträgliche Ermächtigung angesucht, auch über Gegenansprüche Venezuelas gegen Mexiko entscheiden zu dürfen und diese Ermächtigung durch Telegramm der mexikanischen Regierung erhalten. Daraus, dass eine solche Norm wie Art. 17 des Institut in die Haager Friedensakte nicht aufgenommen wurde und aus dem Umstande, dass deren Art. 71 den Parteien das Recht zuspricht »de soulever des exceptions et des incidents<«<, ohne dieses Recht irgendwie zu beschränken, dürfte folgen, dass nach der Friedensakte das Gegenteil von der Regel des Institut gilt, freilich nur soweit die Widerklage mit der Klage im Zusammenhang steht, sowie dass gegen eine Geldforderung auch eine liquide Gegenforderung auf Geld compensando mit Erfolg geltend gemacht werden kann.

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Hat ein Staat z. B. ein Schiedsgericht über Entschädigungsansprüche der Untertanen eines fremden Staates angenommen, so ist zweifellos eine Widerklage seinerseits zur Geltendmachung von Ansprüchen seiner Untertanen wegen Beschädigungen, die sie bei demselben Anlasse von Angehörigen jenes Staates erlitten hatten, zulässig, auch wenn ihrer im Kompromiss nicht besonders gedacht worden ist. Durch die Annahme des Schiedsgerichtes ist jener Vorfall, aus dem Angehörige des einen wie des anderen Staates Vermögensnachteile erlitten haben, in seiner Totalität Gegenstand schiedsgerichtlicher Entscheidung geworden, sofern das Kompromiss ihn nicht etwa besonders begrenzt. Man wird wohl auch berechtigt sein, Aufrechnung liquider Geldforderungen gegeneinander selbst

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1 Ralston-Doyle, Venezuela arbitrations p. 883. In manchen Fällen wurde das Schiedsgericht von vornherein als ein bilaterales eingesetzt; so das Schiedsgericht zwischen Frankreich und Amerika von 1880 über Ansprüche der Franzosen aus dem Sezessionskriege und der Amerikaner aus dem Kriege von 1870 und 71 und dem Kommuneaufstand, Lafontaine p. 26.

' Derselben Ansicht ist auch Mérignhac, Droit internat. I, p, 509.
' Ähnlich Mérignhac, arbitrage p. 264 und Droit internat. I, p. 520.

dann zuzulassen, wenn in dem einen Falle der Staat A Schuldner und ein Untertan des Staates B Forderungsberechtigter, im andern Falle der Staat B Schuldner und ein Untertan des Staates A der Berechtigte ist. Denn für den internationalen Prozess handelt es sich in beiden Fällen nicht um Forderungen der Untertanen von A und B, sondern um Ansprüche der Staaten selbst.

Über Zwischenanträge der Parteien entscheidet das Schiedsgericht nach Art. 71 inappellabel. Diese Interlokute können auch nicht Gegenstand weiterer Diskussion sein, dürfen also in späteren Parteiverträgen nicht Gegenstand der Kritik werden.

§ 18.

Besondere Schwierigkeiten bereitet für Entscheidungen der inter nationalen Schiedsgerichte einerseits die Einrede der Verjährung gegen die Geltendmachung eines Anspruches und andererseits die Begründung eines Anspruches aus dem Titel der Ersitzung. Positive Normen darüber, wieviel Zeit zur Verjährung bzw. zur Ersitzung erforderlich sei, bestehen im Völkerrechte nicht. Die Normen des positiven Rechtes irgend eines einzelnen Staates oder auch jene des römischen Rechtes können aber ebenfalls nicht zur Anwendung kommen.

Hinsichtlich des Territorialbestandes der Staaten und anderer auf das Staatsgebiet sich beziehender Rechte ist aber, damit diese nicht fortwährend in Frage gestellt werden, Besitz seit unvordenklicher Zeit, also Besitz seit einer Anzahl von Generationen, als ein Grund, der die Anfechtung desselben ausschliesst, ziemlich allgemein anerkannt.1

In betreff anderer Ansprüche hat man wiederholt, namentlich in den claims commissions, versucht, Verjährung analog den Normen der positiven Gesetze wegen Nichtgeltendmachung des Anspruches während 5, 10 oder 20 Jahren einzuwenden. So hat Mexiko sich in dem Falle der kalifornischen Stiftungen darauf berufen, dass das Anrecht der beiden Bischöfe auf den Fortbezug der Renten dadurch

1 Vgl. unter anderem Rivier I, 183, Nys II, 93, Ullmann 308.

erloschen sei, dass sie seit mehr als 5 Jahren diese Ansprüche nicht erhoben hätten. Mexiko hat dabei auf Art. 1103 des mexikanischen Codigo civil hingewiesen, der für Rentenforderungen eine 5jährige Verjährung statuiert. Diese Einrede wurde jedoch vom Haager Schiedsgerichtshofe mit vollem Rechte zurückgewiesen »considèrant que les régles de la préscription étant exclusivement du domaine du droit civil ne sauraient être appliquées au présent conflit entre les deux Etats en litige«<.

Ebenso hat Sir Edmund Monson als Schiedsrichter zwischen den Vereinigten Staaten und Dänemark die Einrede der Verjährung im Falle Butterfield, in dem zwischen den die Klage begründenden Tatsachen und dem Abschlusse des Kompromisses 33 Jahre ver flossen waren, abgewiesen und Rolin Jaequemyns hat dem zugestimmt >>puisque le consentement commun des nations n'a encore introduit aucune règle de ce genre, par analogie à ce qui existe dans le droit privé.<< Im Wesentlichen stimmt auch Mérignhac dem bei."

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In einzelnen Kompromissen wird freilich ausdrücklich das Gegenteil bestimmt, so in dem zwischen Mexiko und Guatemala von 1888.5 Vielleicht hing dies damit zusammen, dass diese Kommission überhaupt für Ansprüche, die der Grenzregulierung von 1873 vorangingen, nicht kompetent sein sollte."

Mit dem oben angeführten Ausspruch des Haager Schiedsgerichtshofes im Piousfundfalle steht es durchaus nicht im Widerspruch, wenn

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1 Contestación al memorial in Pious fund of California, Report of Jackson. Ralston p. 37 und 50.

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"Über die Regelung der Ersitzungsfrage im Kompromiss zwischen Gross britannien und Venezuela, betr. die Grenzen von Britisch Guyana von 1897, s. oben.

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Wie Wehberg, Staatengerichtshof 30, annimmt. Vgl. auch Wehberg im Jahrb. f. internat. Rechtsverkehr 1912, S. 398.

einzelne Schiedsgerichte in anderen Fällen die Tatsache, dass der Kläger grundlos lange Jahre verstreichen liess, ehe er seinen Anspruch geltend machte, als eine Art der Prozesschikane auffassten. Denn wenn ein Anspruch erst nach unbegründet langer Zeit geltend gemacht wurde, wird das Schiedsgericht darauf Rücksicht nehmen müssen, ob diese Partei nicht etwa den Verlust von Beweismitteln ihres Gegners dolos abgewartet hat und wird es berechtigt sein, den Zeugenaussagen über Ereignisse, die sich vor langen Jahren zugetragen haben sollen, nur geringeres Vertrauen entgegenzubringen. In diesem Sinne hat die italienisch-venezolanische Kommission von 1903 im Falle Gentini ausgesprochen: »May not a guvernment, equally with an individual, lose its vouchers, particularly when, if any existed, they are in the hands of far distant subordinate agents? If there be collussion between claimant and official will not govern ment's witnesses die as readily as those of private individuals? . . The principle of prescription finds its foundation in the highest equity: the avoidance of possible injustice to the defendant, the claimant having had ample time to bring his action and therefore, if he has lost, having only his own negligence to accuse<<.1

In diesem Sinne ist Berücksichtigung des Zeitablaufes eben nichts anderes als ein Element der freien Beweiswürdigung, die den Schiedsgerichten obliegt. Sicherlich ist es unfair, wie Sir Edw. Thornton 1868 als Schiedsrichter im Falle Mossman aussprach, »that the Mexican government should be first informed of the alleged misconduct of its inferior authorities (durch angeblich un befugte Gefangenhaltung Mossmans im Jahre 1854) more than fifteen years after the date of the acts complained of«. Wie soll eine Ver teidigung gegen solche Anschuldigungen noch möglich sein? Mit Recht sagt Ralston im Fall Gentini: »May the claimant against the govern

1 Ralston and Doyle, Venezuelan arbitrations of 1903, p. 727 ff. und Ralston, intern. arbitr. law, p. 266.

2 Moore IV, 4180.

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