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durch offenbar ist der falsche Eindruck1 entstanden, als hätte das Haager Schiedsgericht bloss den letzteren Nichtigkeitsgrund, nicht auch jenen des wesentlichen Irrtums berücksichtigt.

§ 20.

Man möchte vielleicht geneigt sein, auch den oben erwähnten Schiedsspruch hierher zu stellen, den der Chief Justice der Vereinigten Staaten hinsichtlich der Interpretation von Loubets Spruch hinsicht lich der Grenzen von Costa Rica und Columbia (nun Panamá) zu fällen hat. Das wäre jedoch nicht ganz richtig. Der Schiedsspruch Loubets vom 11. September 1900 wurde zunächst von beiden be teiligten Parteien anerkannt. Nur legte jede von ihnen ihn anders aus. In der Tat ist die Grenze in diesem Spruche nur nach wenigen Punkten bestimmt, so dass die Verbindungslinie dieser Punkte verschieden gezogen werden kann. Ein Schreiben des Ministers des Aussern Delcassé vom 23. November 1900 an den Gesandten von Costa Rica hat selbst ausgesprochen, dass der Schiedsrichter in Ermangelung präziser, geographischer Momente die Grenze nicht ge nauer als durch allgemeine Angaben festsetzen konnte und dass er (Delcassé) daher der Ansicht sei, es würde Schwierigkeiten bereiten, sie auf einer Landkarte zu präzisieren. Im übrigen sei es nicht zweifelhaft, dass in Übereinstimmung mit Art. 2 und 3 des Pariser Vertrages vom 20. Januar 1886 die Grenzlinie innerhalb der Grenzen des bestrittenen Gebietes gezogen werden müsse.

Unter Vermittelung der Vereinigten Staaten kam am 17. März 1910 ein neues Kompromiss zwischen den beiden Staaten zustande, durch welches sie den Chief Justice der United States zur Schlichtung des zwischen ihnen obwaltenden Streites beriefen. Die Verhandlungen über die Frage, die dem neuen Schiedsrichter vorzulegen war, nahmen längere Zeit in Anspruch und machten verschiedene

1 Scelle; R. G. D. I. (1911) XVIII, p. 193. Wehberg, Staatengerichtshof S. 33, im Gegensatz zu seiner früheren. m. E. richtigen Ansicht im Kommentar, S. 148. 2 In spanischer Übersetzung bei Porras, Limites entre Panamá y Costa Rica, p. 55.

Phasen durch. Costa Rica hatte hierbei die Tendenz, die Vollmacht des Schiedsrichters möglichst weit zu fassen und ihn zu einer neuerlichen Entscheidung des Streites zu ermächtigen. Panamá hingegen wollte nur zugestehen, dass der Schiedsrichter entscheide, welche der beiden Interpretationen des laudo Loubet die richtige sei. Auch ein Vermittelungsvorschlag des amerikanischen Staatssekretärs Knox wurde von Panamá abgelehnt. Knox wollte die Frage solchermassen formulieren: »Welches ist die Grenzline zwischen den beiden Republiken, die am meisten mit der wahrheitsgetreuen Interpretation und richtigen Intention des laudo Loubet übereinstimmt, im Lichte aller Tatsachen historischer, geographischer, topographischer und anderer Art und der diesen Schiedsspruch umgebenden Umständen sowie in Übereinstimmung mit Prinzipien des internationalen Rechtes ?<«<1

Das Kompromiss formulierte die Frage vielmehr dahin: »Welches ist die Grenze zwischen Costa Rica und Panamá, die am meisten übereinstimmt mit der richtigen Interpretation und wahrhaftigen Intention des laudo Loubet? Um diesen Punkt zu entscheiden, hat der Schiedsrichter alle Tatsachen, Umstände und Erwägungen in Betracht zu ziehen, die auf den Fall von Einfluss sein können, so (así como) die Begrenzung des Loubetschen Schiedsspruches, wie sie in der Note des Ministers Delcassé vom 23. November 1900 enthalten ist, nach welcher die Grenzlinie gezogen werden muss innerhalb der Grenzen des bestrittenen Territoriums, wie bestimmt in der Pariser Konvention zwischen Columbia und Costa Rica vom 20. Januar 1886.«2

Mit dieser Formel ist die Aufgabe der Interpretation des laudo Loubet in den Vordergrund gestellt und jene einer Revision zum mindesten sehr stark zurückgedrängt.3

1 Porras, 1. c. p. 30.

2 Anderson, EI laudo Loubet, p. 6.

3 Das mémoire, das für Costa Rica von Luis Anderson vorgelegt wurde, be: handelte den Fall jedoch als Revisionsfall.

§ 21.

Bestechung des Schiedsrichters, von der Pufendorff1 ein historisch wohl nicht ganz sicher festgestelltes Beispiel anführt,' ist in einem Falle neuerer Zeit erwiesen worden.

Eine »gemischte Kommission«, die durch Kompromiss von 1866 in Carácas eingesetzt worden war, hatte über grosse Ansprüche ameri kanischer Bürger gegen Venezuela zu entscheiden und hat die meisten unter ihnen als begründet anerkannt. Nachträglich stellte sich heraus, dass eine »conspiracy« zwischen dem Obmanne, einem von dem russischen Gesandten in Washington vielleicht infolge einer Personenverwechslung bestellten Venezolaner, dem amerikanischen Gesandten in Carácas, dem amerikanischen Schiedsrichter und einem Advokaten bestanden habe, derzufolge die den Klienten dieses Advokaten fraudulös zugesprochenen Beträge von 850000 Dollars zwischen ihnen geteilt werden sollten.3

Nach langen Verhandlungen und nachdem diese Beträge teilweise ausgezahlt worden, wurde durch eine Resolution beider Häuser des amerikanischen Kongresses 1883 die Regierung ermächtigt, mit Venezuela ein neues Schiedsgericht zu vereinbaren, das über alle von der früheren Kommission entschiedenen Fälle de novo ver handeln sollte. Dieses neue Schiedsgericht wies von den 24 früher anerkannten claims 15 ab und anerkannte dafür 3 früher abgewiesene, die von einem anderen Advokaten vertreten gewesen waren, der nicht jener »conspiracy« angehört hatte.*

§ 22.

Der vierte Nullitätsgrund des Institut de droit international ist erreur essentielle. Wie schon oben 3. Hauptstück § 4 ausgeführt,

' De Jure naturale et gentium L. V, cap. 13, § 4.

Über Fälle aus der griechischen Geschichte vgl. Ræder, p. 317.

'Moore, Arbitration II, p. 1663.

4 Moore, arbitration II, 1686, vgl. auch Moore, Internat. law VII, p. 62 und Foster, What U. St. has done for arbitration, p. 16 ff.

hatte das Institut ursprünglich in Genf nach Mancinis Antrag nur »erreur essentielle causée par la production de faux documents<< als solchen anerkannt.1

In der Session vom Haag jedoch wurden im nächsten Jahre die durch den Druck hervorgehobenen Worte gestrichen, so dass es danach scheint, als ob jeder wesentliche Irrtum eine Nichtigkeit sollte begründen können. Als Motiv führt der lakonische Bericht im Annuaire' nur an, der wesentliche Irrtum müsse genügen, auch wenn er nicht durch falsche Urkunden, sondern »par exemple par des faux témoignages<< veranlasst sei.

In der Verhandlung des Orinokofalles hat der Vertreter Vene zuelas Grisanti versucht, diese Stelle so auszulegen, dass bloss der Irrtum, der durch Fälschungen von der einen oder der anderen der beiden erwähnten Arten veranlasst sei, Nichtigkeit begründe, also das par exemple« hinwegzuinterpretieren. So sehr eine solche Auffassung de lege ferenda begründet erscheint, zweifle ich, ob sie dem Beschlusse von 1875 entspricht. Das Institut scheint sich viel mehr der Tragweite des Gegensatzes, der zwischen der Genfer und der Haager Formel bestand, nicht bewusst gewesen zu sein. Nach der Genfer Formel Mancinis handelte es sich um Wiederaufnahme wegen später entdeckter Fälschung von Urkunden; der Haager Be schluss wollte dies auch auf Wiederaufnahme wegen falscher Zeugenaussagen ausdehnen, bediente sich aber eines Ausdruckes, der, wenn man ihn wörtlich nähme, eine wahre Appellation wegen jedes Irrtums, den das revidierende Gericht für wesentlich hält, zuliesse. Für die Wiederaufnahme ist die Schaffung einer neuen zu dieser >>Revision« berufenen Instanz nicht notwendig. Unerlässlich aber wäre sie für eine wirkliche Appellation. Diese ist nicht durchführbar, wenn man nicht gleichzeitig ein Appellationsgericht schafft.*

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1 I. p. 86.

' A. M. allerdings Lisboa R. D. I. 1902, p. 63.

Vgl. Bourgeois' Ausserungen (Conf. intern. IV., p. 159). »Le président estime

Zudem ist der Begriff des wesentlichen Irrtums ein nicht abzugrenzender, der dem Ermessen der Parteien bei seiner Geltendmachung, dem Ermessen des Gerichtes bei seiner Würdigung freiesten Spielraum liesse. Dieser Begriff könnte sich wie auf falsche Auslegung der anzuwendenden Rechtsnormen1 so auch auf unrichtige Würdigung der Tatsachen beziehen.

Unter der Herrschaft der freien Beweiswürdigung -es kann für das Schiedsgericht weder eine Beweisregelung im Sinne der kontinentalen Gesetze des 18. Jahrhunderts noch eine solche wie das angloamerikanische law of evidence geben stünde dann die subjektive Überzeugung eines Richters gegen die des anderen.2 8

Wo wäre dann die Wahrheit? Damit käme man zu jenem regressus in infinitum, auf den schon Pufendorff hingewiesen hat. Warum sollte diese Überprüfung, für die es keine objektiven Normen gibt, bei der das zweite Urteil ebensowohl unrichtig sein kann als das erste, bei einer Revisionsinstanz stehen bleiben? Eine solche Überprüfung würde tatsächlich zu jener Erschütterung der Autorität der Schiedssprüche führen, die Martens perhorreszierte; sie würde dagegen verstossen, dass der Schiedsspruch berufen ist, dem Streite der Parteien ein Ende zu machen, Wie die Gesetze vieler Staaten eine Überprüfung des strafgerichtlichen Urteils in Rücksicht des Beweises ausschliessen, so empfiehlt es sich auch eine derartige Überprüfung des Schiedsspruches zu verweigern.

qu'il faut soigneusement distinguer entre la découverte d'une erreur et la décou= verte d'un fait nouveau. Dans le premier cas il n'est pas possible de remettre en question la sentence, car ce serait mettre en cause la conscience des juges. Dans le second la conscience des juges n'est pas en question.<«<

1

1 Vgl. über den Fall Springbock Mérignhac, R. G. D. I. V. 608 und die dort

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3

Gegen eine Revision aus diesem Grunde sprach sich insbesondere Ralston in seinem plaidoyer im Piousfundfalle aus (Report p. 222). Den entgegen= gesetzen Standpunkt vertrat Dennis im Orinokofalle. Argument, p. 83, ff. 4 Vgl. auch Scelle, R. G. D. I. 1911, p. 189.

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