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lebendige Autorität aufgestellt hat, die den wahren Sinn seiner himmlischen Offenbarungen lehrt und alle Streitigkeiten in Sachen des Glaubens und der Moral durch ein unfehlbares Urtheil schlichtet. Darum ist Gottes Wort ganz und gar in dem Sinne anzunehmen, welchen dieser römische Stuhl des heil. Petrus festgestellt hat und feststellt.« Hier finden wir also ein fast buchstäbliches Bekenntniß zu dem, was das Concil 25 Jahre später sanktionirte. Namentlich aber verwahrte sich der Pabst durch seine Allocution vom December 1847 gegen alle Folgerungen aus seiner politischen auf seine kirchliche Stellung und protestirte dagegen, daß es ihm je in den Sinn kommen könne dem Anschen des heil. Stuhles und den überkommenen Traditionen das Geringste zu vergeben, er bezeichnete es als die schwerste Kränkung, wenn man aus seinen wohlwollenden Maßregeln im Kirchenstaate schließen wolle, er glaube, daß man auch außerhalb der katholischen Kirche selig werden könne; darüber könne er seinen Abscheu nicht mit Worten ausdrücken.

Pius IX. hat also über seine kirchliche Stellung von Anfang an keinen Zweifel walten lassen, aber er erkannte nicht den innern Widerspruch, der in dieser verschiednen Haltung auf politischem und kirchlichem Gebiet lag und der so bald zu Tage treten sollte; in diesem Sinne behielt Fürst Metternich Recht, welcher bei der Nachricht von den Reformen sagte, ein liberaler Pabst sei der Gipfel des Unsinns unsrer Zeit. Aber auch in der Persönlichkeit desselben lag ein Grund des spätern Conflicts; Pius IX. ist von Herzen ein trefflicher Mann, sittenrein, einfach, sanft, gütig, freigebig, aufrichtig, in seiner Weise fromm, aber schwach, eigensinnig, beschränkt, ohne eigne Ideen und eitel. Er kann nicht klar und scharf denken, sondern handelt nach augenblicklichen Eingebungen, er hat wenig Kenntnisse und ist abergläubisch wie ein neapolitanischer Fischer, er wechselt seine Ansichten und Neigungen oft, verzeiht dagegen nicht leicht Jemandem, der seine Autorität beleidigt hat. Er ist einer der wenigen Päbste, die ihre Familie nicht bereichert, er kennt keinen Luxus, aber er ist der Schmeichelei zugänglich, glaubt, daß die Menschen leicht damit zu führen, und hat ein tiefes Mißtrauen gegen unabhängige Geister. Der päbstliche Stuhl konnte in so kritischen Zeiten keinen zweiten Mann finden, der zugleich so allgemein ehrenhaft und doch so gefährlich gewesen wäre.

20. Der Staat und die proteftantischen Kirchen

von 1815-1848.

Wenn die Reaktion, welche die französische Revolution auch in kirchlicher Beziehung hervorrief, auf den Katholicismus wesentlich im Sinne einer Erneuerung seiner hierarchischen Grundsäße wirkte, so mußte sie den Protestantismus seinem Princip nach vor allem zu einer inneren Umkehr, zur Selbstbesinnung auf die Ideen bringen, aus denen er hervorgegangen war. Die männliche Philosophie Kant's und Fichte's, die unklare aber geistvolle Spekulation Schelling's hatten hier vorgearbeitet, gemeinsam mit der romantischen Schule vernichteten sie die Herrschaft des platten Rationalismus des sogen. gesunden Menschenverstandes. Von ihnen aus ging der Mann, dem es beschieden war, eine neue Aera der Theologie heraufzuführen, Friedrich Schleiermacher. Er zuerst sprach es wieder aus, daß die Religion nicht ein bloßer Anhang zur Moral, nicht blos Wissen, sondern eine im Gemüth wurzelnde unmittelbare Thatsache des menschlichen Lebens sei. Von pantheistischen Ideen ausgehend, stand er Anfangs noch dem Christenthum fern und hüllte seinen individuellen Idealismus in die Wolken einer vieldeutigen Sprache, aber zusehends entwickelte er sich zum positiveren Glauben, seine Kanzel ward der Sammelplay Aller, die sich von einem tiefern religiösen Bedürfniß ergriffen fühlten; als die Katastrophe von 1806 hereinbrach, trat er in den Bund der Männer, welche die Rettung des Vaterlandes in einer sittlich religiösen Erneuerung der Nation erstrebten, die in den Freiheitskriegen ihre Erfüllung fand, mit Begeisterung ward 1817 das Reformationsfest gefeiert. Nothwendiger Weise mußte dieser religiöse Umschwung, welcher im

Anschluß an Schleiermacher zu einer ganz neuen Entwickelung der Theologie führte (wir nennen nur Neander, Bleek, Nigsch, Lücke, Hase, Ullmann, Tholuck), auch bald Einfluß auf die Gestaltung der religiösen Gemeinschaft, der Kirche gewinnen und Friedrich Wilhelm III., der in der schweren Schule, durch die er gegangen war, ein tief religiöser Mann geworden war, nahm hier die Reform selbst in die Hand. Schon vor den Freiheitskriegen hatte er sich mit der Neugestaltung der protestantischen Kirche beschäftigt und eingesehen, daß die bisherige Verschmelzung der kirchlichen und Regierungsbehörden nicht haltbar sei, er that daher den ersten Schritt zur Wiederherstellung einer Kirchenverfassung, indem er 1815 unter dem Namen der Consistorien die Errichtung eigner kirchlicher Provinzialbehörden verfügte; aber er glaubte auch, daß jezt der Zeitpunkt gekommen, den Gedanken der Union, den er als Erbtheil seiner Vorfahren überkommen, praktisch durchzuführen,1) in diesem Sinne war schon die theologische Facultät der neuen Universität Berlin constituirt. Die Union, die er wollte, war nun eben so wenig ein Werk berechnender Staatsflugheit als confessioneller Indifferenz, sondern der Ausfluß persönlicher Frömmigkeit und kirchlicher Gesinnung. Ihm lag eine Geringschäßung der evangelischen Glaubensbekenntnisse durchaus fern, er erkannte sehr wohl, daß eine Kirche ein bestimmtes Bekenntniß bedarf, da der Grundsaß, daß die heilige Schrift Norm der Lehre ist, gegenstandslos wird, wo keine Lehre da ist, welche die Confession andern Kirchen gegenüber begrenzt, er wies deshalb die Vorschläge, die Geistlichen hinfort nur auf das Evangelium zu verpflichten, ab, da die Autorität desselben ebenso von der katholischen, wie griechischen Kirche und allen Sekten angerufen, aber eben verschieden gedeutet werde. Ebensowenig stand der König auf einseitigem reformirten Standpunkt, er konnte sich mit der Prädestination nicht befreunden und fand, daß Luther's Auffassung des Abendmahls die tiefere, gehaltvollere sei, aber er glaubte, daß die Unterschiede der beiden Zweige der evangelischen Kirche ihre Bedeutung verloren, daß über den

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liches Recht, 1854.

1) Vgl. Mühler, Geschichte der evangel. Kirchenverfassung der Mark Brandenburg, 1846. J. Müller, Die evangelische Union, ihr Wesen und ihr göttStahl, Die lutherische Kirche und die Union, 1857. Brandes Geschichte der evangelischen Union in Preußen, 1872. 2 Theile bis 1840 gehend.

selben die Einheit beider stehe und alles darauf ankomme, der Freigeisterei gegenüber ein geordnetes, auf positiven Grundlagen beruhendes Kirchenwesen entgegenzustellen.

In diesem Sinne erließ er den Aufruf vom 27. Sept. 1817, in welchem er seine evangelischen Unterthanen aufforderte, das bevorstehende Reformationsjubelfest dadurch zu feiern, »daß man endlich des kirchlichen Haders vergesse und im Geiste Jesu Christi sich zu einer einigen evangelischen Kirche zusammenthue.<«< Sein Gedanke war der, daß weder die reformirte Kirche zur lutherischen übergehen solle, noch umgekehrt, sondern beide sollten eine neue einheitlich evangelische Kirche bilden, in der das »>Außerwesentliche« d. h. die dogmatischen Unterschiede beseitigt und die Hauptwahrheiten, in denen beide einig seien, festgehalten werden sollten. Nun aber war es klar, daß, wenn man dies Ziel erreichen. wollte, man nicht verfahren konnte wie die Commission, welche den Aufruf berieth und erklärte, man wolle zwar die Bekenntnisse nicht fallen lassen, sie vielmehr ehren und beibehalten, doch nicht mehr ihre bindende Autorität anerkennen. Dies war ein Widerspruch in sich selbst, denn was ist ein Bekenntniß, das nicht maßgebend für die Zugehörigkeit zu einer Kirche ist? Wollte man wie es des Königs Absicht war, eine über den bisherigen confessionellen Gegensaß sich erhebende Kirche schaffen, so mußte offenbar festgestellt werden, worin die beiderseitigen Bekenntnisse harmonirten, thatsächlich also ein neues Bekenntniß vereinbart werden. Und so faßte es unstreitig der König, er wollte eine Consensus-Union, wie aus der Cabinetsordre vom 9. April 1822 erhellt, wo der zu berufenden Notabeln-Versammlung als vorzüglichste Aufgabe »der Entwurf der Unions-Urkunde« gestellt wird.

Der in edel gehaltner Sprache verfaßte Aufruf fand vielen Beifall und so wie der König die Union damit inaugurirte, daß er die bisherige Hof- und Garnisongemeinde zu einer evange lisch-christlichen vereinigte und mit derselben das Abendmahl genoß, so traten unter Schleiermacher's Führung sämmtliche Berliner Geistliche, die Anfang October zur Synode versammlt waren, zur gemeinsamen Feier des Abendmahls zusammen. Aber der Beschluß der Synode, wonach die Gemeinden Berlins zum Beitritt zur Union aufgefordert wurden, war keineswegs in dem Sinne des Aufrufs gefaßt, er ging dahin, »eine Vereinigung im Gottesdienst herbeizuführen, ohne daß das Dogmatische berührt

Geffen, Staat und Kirche.

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werde,<«< da es sich ja bei der Union nicht um einen Uebertritt von einer Confession zur andern handeln solle, auch mit dem Wiedererwachen des christlichen Eifers die Verschiedenheit im Lehrbegriff wieder hervortreten werde. Hier war also die Union keineswegs im Sinne des Consensus, sondern als eine Conföderation beider Kirchen gefaßt mit einheitlichem Regiment, Zulässigkeit der Wahl von Candidaten beider Confessionen und Abendmahlsgemeinschaft. In diesem verschiedenen Ausgangspunkt lag nun schon der Keim weiterer Differenzen und andererseits erfuhr die Union aus lutherischen Gebieten lebhaften Widerspruch, so in Sachsen, so namentlich in Kiel durch Claus Harms, dessen körnige Thesen eine mächtige Bewegung hervorriesen. Auch in Preußen begann die Opposition sich bereits in Schlesien zu zeigen, wo der Protestantismus seinen lutherischen Charakter am meisten bewahrt hatte, obwohl die dortigen Lutheraner im besten Einvernehmen mit den Reformirten lebten. Gefährlicher als diese Gegner waren für die Union ihre Freunde im Lager des Rationalismus, denen sie nicht weit genug ging und die völlige Beseitigung des hergebrachten confessionellen Lehrbegriffs und Errichtung der geeinigten Kirche auf der Grundlage der sogen. Vernunftreligion wollten, so Röhr, Bretschneider, Schulz, Zimmermann. Dazu kam, daß die höhere Beamtenwelt jener Zeit, die nichts mehr fürchtete als die Entbindung der Volkskräfte, der Unionssache nicht hold war, weil sie von einer großen geistigen Bewegung, welche auf eine neue Verfassung der Kirche hindrängte, fürchtete, sie werde auch das Verlangen nach politischer Freiheit wecken. Deshalb arbeitete man in diesen Kreisen in der Stille namentlich darauf hin, die ernstlichen Bemühungen des Königs, der Kirche selbständige Organe zu geben, brach zu legen. Friedrich Wilhelm hatte nämlich einerseits 1815 die Wiederherstellung eigner Kirchenbehörden in den Provinzen, die Consistorien, angeordnet, welche das gesammte katholische wie protestantische Kirchen- und Schulwesen leiten sollten, was 1817 dahin reformirt war, daß diese Leitung zwischen den Consistorien und Regierungen getheilt ward, indem den erstern die inneren Angelegenheiten des Kirchenwesens und die höheren Unterrichtsanstalten, den leztern die Volksschule und die äußeren kirchlichen Fragen unterstellt wurden. So unzweckmäßig diese abstracte Scheidung für das selbständige Leben der Kirche war, da deren innere wie

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