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Kirche die Obrigkeit durch die Predigt christlicher Tugend stüßen solle, so auch der Staat, dessen Grundlage die Religiosität des Volkes sei, es als Aufgabe erkenne, sich vom Geist der Kirche durchdringen zu lassen, ihre Wirksamkeit in jeder Weise zu fördern und mittelbar an der Ausbreitung des Reiches Gottes mitzuarbeiten. Indem Calvin diese Idee verfolgte, kam er zum Religionsstaat, wie Zwingli seinerseits die Staatsreligion durchführte; während dieser der christlichen Obrigkeit die Leitung von Staat und Kirche in die Hand giebt, steht in Genf der Staat unter der Leitung der Kirche und unter deren geistigen Haupte Calvin. 1) Seine Ordonnances ecclésiastiques de l'église de Génève sollten als kirchliches Grundgeseh die Republik zu einem Gottesstaat nach dem Muster Israels machen. Die Staatsgewalt hat die Aufgabe, für die äußre Ordnung des Reiches Gottes zu sorgen, aber sie hat sich über die Natur dieses Berufs von der Kirche belehren zu lassen, so daß im Grunde der Staat nur ausführt, was die Kirche erkennt und beschließt. Auf diesem Wege aber verfiel man einfach wieder in das katholische Princip, wo die Staatsgewalt ihre Erleuchtung erst von der Kirche empfängt; während Calvin der Kirche das Recht weltlicher Zwangsmittel absprach, 2) brauchte in Genf der Staat dieselben im Auftrag der Kirche. Da Frrlehren die christliche Gesellschaft verunreinigen, so darf der Staat sie nicht dulden, Katholiken wurden ausgewiesen, Kezer, d. h. die das staatsseitig angenommene Glaubensbekenntniß, das alle Bürger und Unterthanen beschwören mußten, 2) verwarfen oder gar bekämpften, als Verbrecher gestraft, Wiedertäufer ausgepeitscht, Angeklagte, die nicht gestehen wollten, gefoltert, endlich Servet wegen Läugnung der Dreieinigkeit verbrannt. Andererseits wurde wieder die Selbständigkeit der Kirche beeinträchtigt, indem man Rechte derselben der politischen Behörde übertrug. Der kleine Rath bestätigte die von

1) In den Protokollen des Kleinen Rathes, welche Kampschulte durchforscht, heißt es regelmäßig: »Es ward beschlossen, bei Herrn Calvin anzufragen.«

2) Neque enim jus gladii habet ecclesia, quo puniat vel coërceat, non imperium, ut cogat, non poenas alias, quae solent infligi a magistratu. Deinde non hoc agit, ut, qui peccavit, invitus plectatur, sed ut voluntaria castigatione poenitentiam profiteatur. Inst. IV. 9, 3.

3) Confession de Foy, laquelle tous les bourgeois et habitans de Génève et sujectz du pays doivent jurer de garder et de tenir.

der Geistlichkeit vorgeschlagnen Prediger, die erst dann der Gemeinde vorgestellt wurden, um deren Zustimmung zu empfangen, eine bloße Form, welche das von Calvin selbst aufgestellte Princip der Wahl durch die Gemeinde praktisch beseitigte, die Laienältesten des Consistoriums, der kirchlichen Oberbehörde wurden sogar einfach vom großen und kleinen Rath gewählt und nur Mitglieder des lettern waren wählbar, ebenso wurde die Gemeinde bei Akten der Kirchenzucht mit Schweigen übergangen. Calvin selbst war für diese Abweichungen von seinen Grundfäßen keineswegs blind, er meinte, die Verfassung sei so gut ausgefallen, als es die Schwäche der Zeit eben zugelassen habe. Und in der That, troß jener augenscheinlichen Mängel war sein. Werk von weltgeschichtlicher Bedeutung, weil es keine hierarchische Tendenzen, sondern, obwohl mit düstrer Schroffheit, großartig ethische Zwecke verfolgte. Aus einem zuchtlosen Haufen schuf die Energie des Reformators jenen eigenthümlichen Religionsstaat, der nach Innen die strengste Sittlichkeit zum Gesetz erhob1) und durch die Anspannung aller moralischen Kräfte ebenso sehr wie durch die Eifersucht der ihn umgebenden Mächte, Frankreich, Spanien und Savoyen, nach Außen seine Unabhängigkeit behauptete, »eine kriegerisch-religiöse Mark an den Grenzen einer feindseligen Welt zur Vertheidigung und zum Angriff,« wie Ranke treffend sagt. Indem Calvin das gelang, was die deutschen Reformatoren nicht zu verwirklichen gewußt hatten, eine sittliche und kirchliche Ordnung durch eine presbyteriale Verfassung zu sichern, machte er Genf zum Mittelpunkt einer Richtung, welche die weitreichendste Wirkung geübt hat, namentlich in solchen Ländern, wo von jener Vermischung von Staat und Kirche wegen der feindlichen Stellung der Dynastie zur Reformation keine Rede sein konnte und wo eben deshalb die ursprünglichen calvinischen Grundsäße viel reiner verwirklicht und ausgebaut werden konnten. Vor allem gilt dies von der protestantischen Kirche Frankreichs, ihr fehlte nicht nur der Anhalt des Staates, sondern sie ward von ihm verfolgt, sie war also für ihre Organisation ganz auf sich angewiesen, Calvin und seine Freunde standen wohl in enger Verbindung mit ihr, gaben

1) Eine Volksversammlung bestätigte das Gefeß, wonach der Ehebruch mit dem Tode bestraft ward; eine Frau soll verbrannt sein, weil sie unzüchtige Lieder gesungen.

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Rath und verschafften die Prediger, zu deren Ausbildung in Frankreich noch Gelegenheit fehlte, nahmen aber keine Leitung in Anspruch. Als sich nun troß der Verfolgungen immer zahlreichere Gemeinden bildeten, drängte sich der Gedanke einer organischen Verbindung derselben auf und 1559 fam auf der ersten Nationalsynode in Paris, versammelt »pour s'accorder en unité de doctrine et discipline conformément à la parole de Dieu« ein Glaubensbekenntniß und eine gemeinschaftliche Kirchenordnung zu Stande. Die Confession de Foy, die sich in ihrem dogmatischen Theil an Luther und Calvin anschließt, hat die Eigenthümlichkeit, daß sie auch kirchenregimentliche Vorschriften ent' hält und die presbyteriale Verfassung als die allein evangelische hinstellt. Art. 29 ff.: Quant est de la vraye église, nous croyons, qu'elle doit estre gouvernée selon la police que notre Seigneur Jesus Christ a establie, c'est qu'il y ait des Pasteurs, des Surveillans et des Diacres1) Nous croyons tous vrais pasteurs en quelque lieu, qu'ils soyent, avoir mesme autorité et égale puissance sous un seul chef, seul souverain et seul universel evesque Jesus Christ et pour cette cause que nulle église ne doit prétendre aucune domination ou seigneurie sur l'autre. Nous croyons que nul ne doit s'ingérer de son propre autorité pour gouverner l'église, mais que cela doit se faire par élection, autant qu'il est possible (Béza hist. eccl. des égl. ref. en France. 1580, p. 182.) Die Kirchenordnung führt dann den Verfassungsbau in 40 Artikeln aus, die gewählten Aeltesten und Diakone wählen den Pfarrer und präsentiren ihn der Gemeinde, welche das Recht der Einsprache hat; mit ihm und unter seinem Vorsig bilden sie das Consistorium der Ortskirche, welche das Regiment derselben führt. Jährlich zweimal sollen die Pfarrer aller Gemeinden einer Provinz, begleitet von mindestens einem Aeltesten oder Diakon, sich versammeln, um über Angelegenheiten von größerm Belang oder Appellationen zu verhandeln, den Schlußstein bildet die Generalsynode, zu der nach späterer Bestimmung jede Provinzialsynode einen oder zwei Geistliche und ebensoviel Aelteste delegirt und deren Vorsißender ebenso wie der der Provinzialsynode gewählt wird. In dieser Discipline ecclésiastique liegt eine vorzügliche praktische Organisation der

1) Hier sind also schon die calvinischen doctores weggefallen.

Gemeinde, indem einerseits die Wahl nicht dieser anheimgestellt, sondern ihr nur eine Einsprache zugestanden wird, über welche die Provinzalsynode entscheidet, andererseits aber wird auch den Pfarrern die Beherrschung der Gemeinde dadurch unmöglich gemacht, daß sie für jeden Akt an die Zustimmung der Laienmitglieder des Consistoriums gebunden sind. Sodann bietet diese Organisation gegen die der Genfer Kirche den großen Fortschritt des synodalen Verbandes der Gemeinden unter einander, die Generalsynode erscheint nur als etwas Außerordentliches, der Schwerpunkt liegt in der Provinzialsynode. Nulle église né pourra rien faire de grande conséquence, où pourrait être compris l'interest et dommage des autres églises, sans l'advis du Synode Provincial (Art. 39.) Zwischen die Gemeindeconsistorien und die Provinzialsynoden wurde 1572 noch das Zwischenglied des Colloque, eine Verbindung mehrer Nachbargemeinden zur Berathung gemeinsamer Angelegenheiten, eingeschoben. In dieser wohlgegliederten und vom Staate ebenso unabhängigen als die Rechte desselben streng achtenden Organisation, welche mit mehr oder weniger Beschränkungen bis zum Widerruf des Edicts von Nantes bestand, ist ein Vorbild gegeben, das kein protestantisches Kirchenthum, welches das eigne Recht dem Staate gegenüber wahren und doch nicht zu einer Geistlichkeitskirche werden will, für die Ausbildung seiner Verfassung ignoriren darf.

Geffen, Staat und Kirche.

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13. Der Kampf um die Reformation.

Nachdem der erste Versuch der Curie die Reformation mit den alten Zwangsmitteln der mittelalterlichen Kirche niederzuschlagen, gescheitert war, trat ein Umschlag in ihrer Haltung ein. Leo's X. Nachfolger, Hadrian VI., war in den Ideen der spanischen Reformation groß geworden und wünschte deren Grundfäße für die ganze Kirche zu verwirklichen, er war ein ernster, sittenstrenger Mann und eben deshalb gewählt, denn man fühlte, daß ein solcher für den päbstlichen Stuhl nothwendig sei, der Cardinalbischof von Ostia anerkannte bei seiner Inthronisation offen, daß die Kirche unter den lehten Päbsten vielfache Mängel gezeigt und forderte ihn auf »er möge dieselbe nach den Concilien und Canones, soweit die Zeiten gestatten, reformiren, damit sie das Aeußere der heiligen Kirche und nicht einer sündigen Genossenschaft zeige.« Und Hadrian bewies sofort, daß es ihm mit seiner Aufgabe Ernst sei, der prächtige Hofstaat Leo's X. ward unterdrückt, in Rom Ordnung hergestellt, vor allem aber arbeitete er mit dem General des Augustinerordens an dem Plan einer wirklichen Reinigung der Kirche. Die Größe des Abfalls hatte ihm das Auge für die Verderbniß des Klerus geöffnet, und sein Legat antwortete auf die hundert Beschwerden der deutschen Nation, welche demselben auf dem Reichstag von Nürnberg (1522) übergeben wurden, mit dem offnen Zugeständniß, es sei in der Kirche alles in's Schlechte verkehrt, die Krankheit sei vom Haupt zu den Gliedern herabgestiegen. Er lebte zu kurz, um seine Pläne durchzuführen, aber noch zwölf Jahre später sprach eine von Paul III. veranlaßte Denkschrift von neun römischen Prälaten aus, daß die Theorie einer schrankenlosen Herrschaft über die Kirche von Schmeichlern ersonnen und die Quelle geworden,

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