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und Rangfragen erschöpft, und sich nur dadurch von der weltlichen Macht unterscheidet, daß sie die durch das Christenthum gegebenen religiösen Ideen benugt um das angebliche sichtbare Gottesreich zu begründen. Mit vollendeter Folgerichtigkeit ist das dogmatische System entwickelt, mit wunderbarer Kunst sind die Institutionen des Organismus ausgebaut, welcher dasselbe trägt, vom Priester bis zum Pabst gliedert sich die Hierarchie, welche auf Erden das Heil vermittelt, und ihr entspricht die himmlische Hierarchie der Heiligen, Märtyrer, Patriarchen, Propheten, Apostel, die in der Gottesmutter gipfelt, aber im grellsten Gegensatz steht diese Kirche zur apostolischen. Was hat sie gemein mit der, deren Stifter kagte »mein Reich ist nicht von dieser Welt,« was das Haupt dieses Reiches, das behauptet, Gott habe ihm die Regierung der ganzen Welt befohlen, mit dem, dessen Statthalter er zu sein behauptet und der von sich sagen durfte »die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege?«<

Dieser Widerspruch mußte sich geltend machen, als das päbstliche System zur vollen Wirklichkeit gediehen war, unmittelbar darauf begann der Verfall und die weitere Entwicklung bewies aufs Neue, daß die geistliche wie die weltliche Universalmonarchie für die Menschheit nur einen Durchgangspunkt bilden, niemals ihr bleibender Zustand werden kann.

10. Verfall der mittelalterlichen Kirche.

Die Geschichte der Nationen, welche als die Träger der Civilisation erscheinen, wird durch zwei entgegengesezte Ideen bestimmt, das Recht jedes eigenartig gestalteten Volkes ein selbständiges Ganzes zu bilden und das Bestreben diese Vielheit unter eine höhere Einheit zu bringen. Weder Alterthum noch Mittelalter kannten die Form, in welcher dies lettre Ziel allein dauernd zu erreichen ist, die unter dem sich immer mehr ausbildenden Völkerrecht stehende Familie unabhängiger Staaten, das Alterthum wußte eine Einheit mehrer Staaten nur durch die Unterwerfung derselben unter einen zu erreichen, das Mittelalter suchte sie in der vereinigten Oberhoheit des Kaiserthums und Pabstthums. In diesem Dualismus lag die Nothwendigkeit des Kampfes beider, mit der Niederlage Friedrich's II. war der Sieg des Pabstthums entschieden, Heinrich's VII. Versuche noch einmal die ghibellinische Politik zu erneuern, waren die eines Epigonen und verliefen resultatlos. Aber indem das Pabstthum seine Macht schrankenlos zu erweitern suchte, forderte es das in den Hohenstaufen niedergeschlagne Princip der Unabhängigkeit der weltlichen Macht heraus, sich in andrer Form aufs Neue und erfolgreicher geltend zu machen, an die Stelle des Kaiserthums traten die selbständig gewordnen Nationalitäten. Bereits im 13. Jahrhundert hatte das mittelalterliche Leben seinen Höhepunkt überschritten, im Schatten der Mächte, in denen es seinen bedeutsamsten Ausdruck fand, vollzog sich allmälig jener Prozeß der politischen Chemie, durch den Angelsachsen und Normannen zu Engländern, Franken, Kelten und Romanen zu Franzosen, Westgothen und Romanen zu Spaniern geworden waren und auf die bewußt selbständigen Nationalitäten baute sich die Unab

hängigkeit der Staaten, die sich zunächst vom Kaiserthum emancipirten, dann aber auch der geistlichen Oberhoheit des Pabstthums gegenüber ihre weltliche Selbständigkeit zu behaupten suchten. Indem die Päbste nun dies berechtigte Bestreben als Empörung wider die gottgesette Autorität bekämpften, steigerten sie nur den Widerstand der Art, daß derselbe bald über die Abwehr ihrer Uebergriffe hinausging und schließlich ihre kirchenpolitische Oberhoheit in Frage stellte. Am frühesten war dies in England der Fall, schon die angelsächsische Kirche hatte einen eigenthümlich nationalen Charakter und ihre Mitglieder standen in engster Verbindung mit dem Laienthum, der Gottesdienst fand in der Landessprache statt, das Verhältniß zum römischen Stuhl war mehr das der Pietät als das einer rechtlich höhern Instanz, weshalb auch Bonifacius, der Vorkämpfer der römischen Ansprüche, klagte, daß keine Kirche in ärgrer Knechtschaft liege als die englische. Dies änderte sich nun allerdings mit der normännischen Erobrung, der normännische Lehensstaat war der Curie engbefreundet, mit der Unterstüßung Gregor's VII. hatte Wilhelm den Thron gewonnen, auf diese hin forderte er die Unterwerfung der angelsächsischen Geistlichkeit; die römische Liturgie, das Cölibat wurden eingeführt, die geistliche Gerichtsbarkeit in weiterm Umfang zugelassen, die Kirche reich mit Grundbesig ausgestattet. Wenn aber Wilhelm Roms Unterstüßung mit so großen Zugeständnissen bezahlte, so war er doch ein zu klar sehender Staatsmann um eine zweite souveräne Gewalt in seinem Reiche ohne Controle zuzulassen. Nicht nur verweigert er den von Gregor geforderten Lehnseid, weil keiner seiner angelsächsischen Vorgänger ihn geleistet, er sichert sich auch die Ernennung der Bischöfe und Aebte, macht das Placet für Concilienbeschlüsse und päbstliche Decrete zur Bedingung, kein Pabst darf ohne königliche Zustimmung anerkannt, fein Kronvasall ohne dieselbe excommunicirt werden, kein Bischof oder Prälat ohne dieselbe das Reich verlassen, die Appellation nach Rom ist verboten, selbst für die causae maiores, der ganze kirchliche Grundbesig bleibt kriegsdienst und steuerpflichtig. Diese Rechte des Königthums der Geistlichkeit gegenüber wurden unter seinen Nachfolgern festgehalten, ja noch erweitert. Heinrich I. erhielt von Paschalis II. das Versprechen, daß ohne Aufforderung des Königs niemals ein päbstlicher Legat nach England gesandt werden solle.

Heinrich II. ließ sich zwar gerne vom Pabste zur Erobrung Irlands ermächtigen, als aber der Erzbischof von Canterbury, Thomas Beket, versuchte die Ideen der hierarchischen Autonomie in England einzuführen, berief der König die großen Kronvafallen und Prälaten zu jenen berühmten Assisen von Clarendon (1164) welche in 16 Artikeln die Rechte der englischen Krone im Verhältniß zur Kirche bestätigten. Ausdrücklich wird hier der König als höchste Quelle der Rechtsprechung in geistlichen Angelegenheiten hingestellt. Der kirchliche Instanzenzug geht vom Archidiacon an den Bischof und von diesem an den König, damit auf sein Geheiß die Sache aufs Neue von seiner Curie verhandelt und entschieden werde. Und als dann jener elende König Johann um seine Willkürherrschaft durchzuführen am 15. Mai 1213 in die Hände des päbstlichen Legaten den Lehnseid für England und Frland schwur, da brach unter der Mitwirkung des Erzbischofs von Canterbury und persönlichen Freundes Alexander's III., Stephan Langton, der Widerstand der englischen Barone aus, welcher zu der glorreichen Magna Charta, der Grundlage der englischen Verfassung führte. Was die Kirche betraf, so bestätigte sie die lange streitige Freiheit der Wahl der Capitel, mit dem Vorbehalt, das vorher jedesmal die königliche Erlaubniß, nachher die Bestätigung eingeholt werde, welche jedoch nicht ohne begründete Ursache geweigert werden sollte. Die Prälaten blieben verpflichtet die Belehnung mit Gütern und Rechten nachzusuchen und dem König den Lehnseid der weltlichen Vasallen zu schwören. Wohl begreift es sich, daß Innoce nz III dieselbe einen »>niedrigen, häßlichen, schimpflichen Vertrag« nannte, dessen Urheber schlimmer als die Saracenen seien, denn dieser große Freibrief athmet durchweg einen antirömischen Geist und im Kreise jener englischen Barone ward zuerst das Wort gesprochen, welches für die ganze spätre Geschichte des Landes so bedeutsam ward: »Non pertinet ad papam ordinatio rerum laïcafum«<. Mochte auch Johann gegen sein eidliches Versprechen sich unmittelbar hernach von seinem Eide entbinden lassen, die Magna Charta ward behauptet, und als später unter Eduard III. die Päbste versuchten ihre Ansprüche zu erneuern, erklärten beide Häupter des Parlamentes, daß die Bewilligung derselben dem Krönungseide widerspreche, und versprachen »qu'ils resisteront et contreesteront ove toute leur puissance.<< Aehnlich suchten die

normannisch-sicilianischen Fürsten, obwohl sie ihr Land vom Pabst zu Lehen hatten, sich demselben gegenüber selbständig zu stellen, indem sie als Nachbarn die Verlegenheiten der Curie, namentlich streitige Pabstwahlen benußten, um sich Zugeständnisse zu erringen. Urban II. und Paschalis II. versprachen den Grafen Robert und Roger keine ständige Legaten in Sicilien zu bestellen und einen Legaten a latera nur im Einverständniß mit ihnen handeln zu lassen, die Bischöfe nahmen ihre Bisthümer als Regalie vom König, wohnten der Krönung des des von Urban IV. gebannten Manfred in Palermo bei (1258) und standen auch in den Kämpfen der aragonischen Dynastie trog Excommunication und Interdict auf Seiten der Könige.

Mit großer Energie hielt die Republik Venedig von Anfang an die Rechte der weltlichen Herrschaft gegenüber der Kirche fest, was ihr um so leichter ward als diese sich hier nicht wie in den Lehensstaaten durch Güterbesig in verwickelten Verhältnissen befand, sondern die Geistlichen vom Staat besoldet wurden, sie wurden von Volk und Geistlichkeit gewählt, von der Regierung bestätigt. Ebenso wußten Genua und die übrigen oberitalischen Städte ihre Rechte zu wahren.

Nicht so früh und bestimmt, aber doch allmälig, nahm auch in Frankreich die königliche Gewalt eine unabhängigere Stellung zur Kirche ein. Lange Zeit erstreckte sich das eigentliche Machtgebiet der capetingischen Könige wenig über Isle de France und Orléannais hinaus, die großen Vasallen von Aquitanien, Champagne, Flandern, Normandie, Bretagne, Toulouse waren unabhängiger von der französischen Krone als die Herzöge von Bayern oder Sachsen von der deutschen; dazu waren eine bedeutende Anzahl dieser großen Lehen in der Hand der Könige von England. Um nun einerseits ihre großen Barone unter die Macht eines wirklichen Staates zu beugen, andererseits sich von der kaiserlichen Oberhoheit freizumachen, hatten die Könige zunächst ge= sucht sich die Freundschaft der Kirche durch Zugeständnisse zu erwerben, dies war möglich, weil sie eben nur Könige ihres Volkes sein wollten und nicht wie die Kaiser eine Oberhoheit über die geistliche Welt in Anspruch nahmen, welche mit den Ansprüchen des Pabstthums in Conflict kommen mußte. Sobald aber die innre Macht des Königthums fest begründet war, suchte dasselbe auch seine Unabhängigkeit gegen Rom sicherzustellen, grade

Gefiden, Staat und Kirche.

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