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die einzige geistige Macht repräsentirt, als in England, Deutschland oder den Vereinigten Staaten wo er einer protestantischen Culturwelt gegenübersteht.

So wird die Regelung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaft von einer Fülle der verschiedenartigsten Bedingungen abhängen und für die richtige Würdigung derselben wird die Betrachtung ihrer geschichtlichen Entwicklung die beste Anleitung geben.

2. Staat und Religionsgemeinschaft im heidnischen Alterthum.

Suchen wir uns nun zunächst mit einem raschen Blick über das Verhältniß des Staats zu den vorchristlichen Religionen des Heidenthums zu orientiren, so finden wir in Indien, dem äußersten Gliede der indogermanischen Völkerfamilie, ein Volk, welches sich selbst und seine Institutionen nicht nur als autochthon, dem Boden entsprungen, sondern als außerhalb der geschichtlichen Entwicklung stehend betrachtete. Freilich entsprach diese Auffassung nicht der Wirklichkeit, es läßt sich als erwiesen annehmen, daß die Inder ebenso wie andere Nachbarvölker Baktrier, Meder, Perser vom iranischen Hochland eingewandert sind und wie diese nannten sie sich Arja, die Tüchtigen. In ihren ältesten Schriftdenkmälern, den Veden findet sich noch nicht die eigenthümliche Institution, welche später das ganze indische Leben beherrschte, die Kasten, nur die siegreichen Eroberer, die Vaiçja, Stammesgenossen der herrschenden lichtern Race stehen den unterworfenen Eingeborenen von dunkler Farbe, den Mletsch as gegenüber. Ebenso kennen die Veden noch nicht die spätere Götterwelt, in ihnen herrscht die kosmische Naturanschauung vor. Indra ist der Gott des himmlischen, schöpferischen und lebenwirkenden Lichtes, das die Nacht vertreibt, die dunkeln Geister und Raubthiere verscheucht; seine Begleiter sind die kühlenden Winde, sein Gegner der schlimme Geist Vritra, welcher schwarz am Himmel heraufzieht um das Licht zu verhüllen und das befruchtende Wasser der Erde vorzuenthalten, den Indra mit dem Blig trifft, daß die Wolken sich in Regen auflösen. Neben ihm stehen Varuna der Gott der allumfassenden Luft und des Meeres, die ernährende, bewegende Macht der flüssigen Elemente, und Agni, das verzeh

rende und reinigende Feuer des Opfers und Heerdes, in welchem die Materie wieder leuchtend zum Himmel aufsteigt und sich, den Kreislauf der Dinge vollendend mit Indra vereinigt. In dem späteren Göttersystem, wie es uns in den großen epischen Gedichten entgegentritt, gewinnen die Beziehungen auf die sittliche Natur des Menschen das Uebergewicht. Brahma, in den Veden nur als Neutrum gebraucht für Gebet, Andacht wird das reine, nur mit sich identische, schlechthin bestimmungs- und eigenschaftslose Sein, der Grund der Welt, welcher sich zu ihr entfaltet. Er ist so hoch, daß er in keinem Tempel und hauptsächlich nur von den Gebildeten durch Gebet verehrt wird, dem Volke wird er durch das Walten untergeordneter Gottheiten erseßt, namentlich durch Vischnu, den Erhalter und Regierer der Welt, der in einer Reihe von Menschwerdungen die Welt heiligt und erlöst. Ihm gegenüber tritt, wahrscheinlich unter dem Einfluß des Dämonenund Naturcultus der Urbewohner, Çiva der Gott des Vergehens und der Zerstörung. An diese Dreieinigkeit, in der jede Person wieder eine Gattin hat, die das aktive männliche Element in passiven Abstractionen ergänzt, schließt sich eine große Schaar untergeordneter Götter mit örtlich verschiedenem Cultus und vielfach wechselnder Rangordnung an, obwohl der Grundgedanke der indischen Mythologie ein pantheistischer ist, indem die Gottheit sich in die Welt versenkt und dann wieder in den Schoß ihrer ursprünglichen Einheit zurückkehrt, so daß die Schöpfung nur eine veränderte Form der göttlichen Substanz ist. Weit schärfer aber ist diese Rangordnung auf Erden ausgebildet in dem Kastensysteme. Bei jedem Volke tritt mit der fortschreitenden Theilung der Arbeit auch eine Trennung der Berufszweige ein, nach dem Besiz und der Beschäftigung bilden sich Klassen in mehr oder weniger festen Formen, und die natürliche Thatsache, daß der Sohn regelmäßig in den Beruf wie in das Vermögen des Vaters folgt, führt zur Erblichkeit und Abgeschlossenheit der Stände. Diese Abschließung wird zur Kaste, wenn die einmal gezogenen Grenzen als unabänderlich gelten, so in Indien und Egypten; Indien eigenthümlich aber ist die Anschauung, daß diese Gliederung von Anfang an durch die Gottheit selbst gesezt sei, unter ihrer Sanction stehe und eben deshalb unabänderlich sei, ihre Berlegung ist daher nicht nur politisches, sondern auch religiöses Verbrechen. Dieser Glaube ist freilich so wenig begründet als

der, daß das Volk immer in Indien gewohnt habe, vielmehr haben wir deutliche Spuren der Kämpfe, die es gekostet das System durchzuführen. Bei der Eroberung blieb der Theil der Urbevölkerung, der sich freiwillig unterwarf, frei, aber wurde zur dienenden Klasse (Çudra), diejenigen aber, welche die Vertheidigung in Sümpfen und Gebirgen hartnäckig fortseßten, wurden geächtet, für unrein und verworfen erklärt. Aus der Masse der Stammesgenossen, der Vaiçya erhob sich zunächst der Kriegerstand (Kshatrya), aber in dem Maße als die kriegerische Organisation in dem folgenden friedlichen Leben an Bedeutung verlor, gewann der Priesterstand den Vorrang. Der Priesterstand ist der Beruf, welcher am frühesten eine besondere Ausbildung erforderte. Schon die Naturreligion verlangte Beobachtung der physischen Erscheinungen, der Gestirne und Elemente, noch mehr aber ward berufsmäßiges Lernen erforderlich, als es sich später um einen immer verwickelter werdenden Cultus in Gebeten, Ceremonien und Gebräuchen handelte, deren man zur Vermittlung der Gunst der Gottheit bedurfte.

Wir sehen daher bei den meisten Völkern, wenn übrigens noch keineswegs eine durchgehende Theilung der Arbeit eingetreten ist, das Priesterthum sich zu einem Stande abschließen, welcher durch das Gefühl höherer Würde und die geistige Ueberlegenheit, welche die Gewohnheit des Denkens giebt, sich immer mehr befestigt. So finden wir nicht nur bei den Egyptern, sondern auch bei den Völkern, die übrigens keine Sonderung nach Kasten kennen, den Assyrern, Babyloniern, Persern, Israeliten wie bei Galliern, den mexikanischen Azteken und peruanischen Inkas einen geschloßnen meist erblichen Priesterstand, der sich ganz der Aufgabe widmet der Gottheit zu dienen, das Volk mit ihr zu versöhnen und von diesem erhalten wird. Am schärfsten aber ist diese Organisation in der indischen Kaste der Brahmanen ausgebildet. Die Entwicklung des religiösen Glaubens, durch welche die Idee der Sünde und Buße zu einem endlosen Wirrsal von Reinigungen, Kasteiungen und Strafen ausgebildet ward, die Kenntniß des Cultus und Rituals, der Besiz der Schrift und der heiligen Sprache trennte die Priesterschaft mehr und mehr von den Laien, als Vermittler des Verkehrs zwischen Menschen und Göttern verlangten und erreichten sie die oberste Stellung in der Gesellschaft. In dem ausgebildeten System, wie es uns

Manu's Gesezbuch schildert, sind sie Götter auf Erden, können Wunder thun, sind heilig und unverleglich, einen Brahmanen nur mit einem Grashalm zu schlagen würde Verdammniß nach sich ziehen, sie allein bewahren die heiligen Bücher, wissen die Opfer zu verrichten und leben der Betrachtung der göttlichen Dinge, die in der Erkenntniß der Nichtigkeit des sinnlichen Daseins gipfelt. Aber auch in weltlichen Angelegenheiten nehmen sie eine hervorragende Stellung ein, sie sind die Berather der Könige, die Richter, die Aerzte, sie leiten den Unterricht der Jugend. Dafür sind sie ihrerseits streng an eine große Anzahl äußerlicher Vorschriften und Ceremonien gebunden, deren Verlegung schwere Strafen nach sich zicht, und gehen durch eine lange priesterliche Schule. Die zweite Kaste sind die Krieger, aus der meist die Fürsten hervorgingen, die dritte die Gewerbtreibenden. Diese drei sind durch Gemeinschaft der Abstammung verbunden, welche durch das äußre Zeichen der Umgürtung mit der heiligen Schnur angedeutet wird, die vierte Kaste, die Çudras, die Unterworfenen, Dienenden, steht auf gleicher Stufe mit den Thieren. Ganz außerhalb aller Kaste stehen die unglücklichen, dunkelfarbigen Urbewohner die Tschandalas, die keinen festen Wohnsiz haben dürfen und deren bloße Begegnung verunreinigt. Freilich konnte diese Scheidung der Kasten nicht so streng durchgeführt werden, wie es die Doctrin verlangte. Als die Brahmanen, die nicht wie andere Priesterschaften ehelos lebten, deren Stellung vielmehr auf dem Princip der Abstammung beruhte, sich bedeutend vermehrten, konnten sie nicht alle nur priesterliche Functionen betreiben, waren vielmehr genöthigt und deshalb auch ermächtigt gewisse andere nicht als unrein betrachtete Gewerbe der andern Stände zu betreiben. Niemals aber war es gestattet, daß ein Mitglied einer untern Kaste sich die Beschäftigung der obern anmaße, niemals daß zwischen Gliedern verschiedener Kasten eine Ehe geschlossen werde, die Mischlinge einer solchen wurden in die Tschandalas gestoßen.

Unstreitig ist dies System das durchdachteste und ausgebildetste aller priesterlichen Gesetzgebung und mit so unauflöslichen Banden umstrickt, wie bei keinem andern Volke des Alterthums. Seine dunkeln Seiten liegen zu Tage, aber eben weil diese starre Isolirung der Stände nur die Caricatur des Grundsages der nothwendigen socialen Gliederung ist, war das Kastenwesen in

Geffden, Staat und Kirche.

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