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Vorwort.

Der große Kampf um das Verhältniß von Staat und Kirche, welcher unsre Zeit so tief bewegt, ist so alt wie die Gesittung selbst und wird erst mit dieser sein Ende finden. Nur aus der vollständigen Erschöpfung und der kirchlichen Unfruchtbarkeit, welche dem Kampf um die Reformation folgte, läßt sich der Frrthum erklären, als ob die Philosophie berufen sein könne, an die Stelle der Religion zu treten und das goldne Zeitalter einer rein menschlichen Bildung einzuläuten. In dem Maße als jene Erschöpfung nachließ und andrerseits die philosophischen Systeme, in denen man das Heil erblickt, sich in raschem Wechsel ablösten, traten die realen Mächte des positiv kirchlichen Glaubens in wachsender Stärke wieder hervor. Zu gleicher Zeit rafften sich Katholicismus und Protestantismus auf um die Einflüsse des sie zersehenden Rationalismus abzuschütteln und sich auf ihre eigenthümlichen Lebensbedingungen zu besinnen, beide strebten, die Kirche wieder als eine selbständige Macht aufzurichten und mit dem Fortschreiten dieser Bewegung mußte auch die Frage des Berhältnisses von Kirche und Staat wiederum zu einer brennenden werden.

Bei der Bedeutung derselben für unsre Zeit schien es mir wohl der Mühe werth, sich die Stadien, welche dieser große Proceß bereits durchlaufen, zu vergegenwärtigen, aus diesem Streben ist das vorliegende Buch erwachsen. Es beansprucht nicht den Werth einer gelehrten Forschung, es will kirchenpolitisch sein und einen geschichtlichen Leitfaden für die Gegenwart geben. Daß der Versuch einen so gewaltigen Stoff auf knappem Raum zu bewältigen eben nur ein Versuch sein kann, fühle ich vollkommen und werde der Kritik für jede Berichtigung und Ergänzung dankbar sein.

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Die Natur der Sache brachte es mit sich, daß ich am Schluß auch unsre eigne Lage zu betrachten hatte. Ich habe den Entschluß der preußischen Regierung, das Verhältniß von Kirche und Staat neu zu regeln, für richtig, ja nothwendig gehalten, aber vom ersten Augenblick an in der Art, wie es geschah, einen verhängnißvollen Mißgriff zu erkennen geglaubt; die Gründe hiefür suche ich im lezten Abschnitt darzulegen.

Ich weiß, daß dies mir vielfachen Tadel zuziehen wird, man sagt, es sei patriotische Pflicht zu der Regierung zu stehen, selbst wenn sie sich in dem eingeschlagenen Wege geirrt, denn sie könne nicht zurückweichen. Ich kann diese Argumentation in keiner Weise als stichhaltig anerkennen; allerdings wenn es sich um einen auswärtigen Krieg handelt, ist es Pflicht des Einzelnen, die individuelle Ueberzeugung schweigen zu lassen und für die Regierung alle Kräfte einzusehen, sobald die Ehre der Fahne im Spiele ist, aber man wird doch nicht behaupten, daß der gegenwärtige Kampf, in welchem der dritte Theil der Bevölkerung in der Opposition steht, ein auswärtiger sei. In innern Fragen dagegen ist jene Forderung nur dann berechtigt, wenn man im Wesentlichen der Politik der Regierung zustimmen kann; grade die liberale Partei hat ja bei dem Verfassungsconflict behauptet, daß sie durch ihre Opposition eine patriotische Pflicht erfülle und man kann ihr, abgesehen von der Frage, ob ihr Verfahren politisch richtig war, principiell darin nicht Unrecht geben, erst die Opposition war an sich verwerflich, die Angesichts des unvermeidlichen Krieges mit Desterreich an dem unbedingten Widerstand festhielt. Außerdem aber hat die Behauptung, daß die Regierung durch müsse, die Voraussetzung, daß sie durch könne. Wer vom Gegentheil überzeugt ist und glaubt, daß auf dem eingeschlagenen Wege nur die Macht des Ultramontanismus ge= steigert wird, der wird seine patriotische Pflicht darin sehen, vor der Fortsetzung eines Kampfes auf falschen Grundlagen zu warnen. Vor dem Verdacht einer Sympathie mit den Ultramontanen wird mich wohl der Inhalt dieser Blätter bewahren. 1)

Straßburg, 1. März 1875.

Der Verfasser.

1) Der Leser wird gebeten, einige sinnstörende Druckfehler nach dem Verzeichniß am Ende zu verbessern.

1. Staat und Religionsgemeinschaft.

Erst mit dem Christenthume erscheint die Kirche d. h. die Gemeinschaft der Religion, welche beansprucht die allgemeine zu werden, weil sie die allein wahre ist. Religionsgemeinschaft aber finden wir überall, weil sie das nothwendige Erzeugniß der religiösen Anlage des menschlichen Geistes ist. Religion ist das Bewußtsein von einem göttlichen Wesen und die Verbindung mit ihm, welche im Gottesdienst und in der Befolgung der göttlichen Gebote sich offenbart. Je tiefer nun der religiöse Glaube im Menschen begründet ist, der Art, daß die bewußte Gemeinschaft desselben das festeste geistige Band auf Erden bildet, desto mehr muß auch nach dem Gesez alles Frdischen das Glaubensbewußtsein seine innere Kraft bildend auswirken, sich zum Gemeinschaftsbewußtsein entfalten; und je gewisser die Religion nicht nur in der Erkenntniß göttlicher Dinge besteht, sondern vor allem in ihrer praktischen Bewährung im Leben, desto weniger kann die Religionsgemeinschaft der Organisation entbehren, durch welche sie in die äußere Erscheinung tritt und damit zugleich das Gebiet des Staates berührt.

Der Staat ist eine sittliche, aber rein irdische Gemeinschaft, durch welche die menschliche Gesellschaft eine dauernde Ordnung erhält. Durch Naturnothwendigkeit vereinigt sich der Mensch mit seines Gleichen zu einem Verbande, in welchem er zu erfüllen sucht, wozu seine vereinzelte Kraft nicht ausreicht; so bilden sich Familie, Stamm, Volk auf einem bestimmten Gebiet zu der Einheit, dem Organismus aus, welche wir Staat nennen. Derselbe soll in seiner vollkommneren Gestalt die gesammte Kultur seiner Mitglieder thunlichst fördern, unbedingt aufrechthalten und beherrschen soll er nur die rechtliche Ordnung. Das Recht Geffden, Staat und Kirche.

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ist die absolute Schranke der persönlichen Willensungebundenheit, der natürliche Egoismus sucht seine Ziele rücksichtslos zu befriedigen, die Gebote der Vernunft und Sittlichkeit treten dem entgegen, sind indeß nicht stark genug sich stets durchzusehen, gewisse unübersteigliche Grenzen aber müssen dem individuellen Egoismus gezogen werden, da sonst alles in Gewaltherrschaft unterginge, diese Grenze giebt das Recht und sichert damit die Ordnung des Zusammenlebens.

Was im einzelnen Falle Recht ist mag und muß sich je nach den Verhältnissen der Staaten im Lauf der Zeit ändern, allen bestehenden rechtlichen Sagungen aber gemeinsam ist, daß sie schlechthin bindend für sämmtliche Volksgenossen sind; daher muß das Recht als öffentliche Ordnung, als Staatsgewalt hervortreten, welche das Recht und den Willen hat den widerstrebenden Einzelwillen sich zu unterwerfen.

In dies Gebiet der staatlichen Rechtsordnung, welches die äußeren Verhältnisse des Menschen bestimmt, tritt nun auch die Religion, indem sie sich zur äußerlich erscheinenden Gemeinschaft ihrer Angehörigen gestaltet, und schon deshalb kann der Staat sich nicht einfach gleichgültig zu ihr verhalten. Er kann dies aber auch nicht aus einem tieferen Grunde, weil er eben selbst eine sittliche Gemeinschaft ist und die Sittlichkeit in letter Instanz immer auf dem religiösen Glauben beruht. Am klarsten zeigt sich dies wieder bei dem wichtigsten staatlichen Gebiete, dem Rechte. Gewiß, nicht alle sittlichen Gebote sind Rechtssäße, denn die erstern wenden sich an die Gesinnung, welche Gott allein kennt, die lettern müssen sich an die äußerlich wahrnehmbare That halten, aber diese geht aus der Gesinnung hervor. Das Gesez kann nicht fordern, daß der Mensch seinen Nächsten liebe wie sich selbst oder sich nicht nach dessen Gut gelüsten lasse, aber wenn es erst der thätlichen Verlegung von Person und Eigenthum wehrt, weil es erst diese erkennen, hindern und bestrafen kann, so ist doch unbestreitbar, daß in diesem äußern Rechtsbruch nur die Gesinnung des Hasses und Neides zu ihrer leßtern Consequenz kommt. Das Wesen des Rechts ruht also auf dem Grunde der Sittlichkeit, die selbst wiederum in der Religion wurzelt, Genuß und Zweckmäßigkeit keineswegs ausschließt, aber in bestimmte Grenzen weist, welche nach einer höheren Norm gezogen werden. Ueberall ist das unter religiöser Sanction stehende Recht, das

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