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Palembang

alembang ist eine Pfahlbaustadt von etwa fünfundfiebzigtausend Einwohnern im Südoften von Sumatra, am sumpfigen Afer eines großen Flusses gelegen, und hat von oberflächlichen Reisenden den sehr unzutreffenden Namen des malayischen Venedig erhalten, womit nichts gesagt ist, als daß die Stadt an und auf dem Wasser liegt und hauptsächlich Wasserverkehr hat.

Palembang liegt von Mittag bis Mitternacht im Wasser, von Mitternacht bis Mittag im Sumpf, in einem grauen, zähen Schmutz, der fabelhaft stinkt und deffen Anblic und Geruch mich eine Woche lang und nach der Abreise noch bis aufs offene Meer hinaus mit einem leisen Schleier von Ekel und Fiebergefühl verfolgte. Dazwischen und durch diesen Schleier hindurch erlebte ich die schöne, merkwürdige Stadt wie ein aufregendes Abenteuer.

Der Fluß und die hundert stillen, kanalartigen Seis tenflüßchen, an deren Afern Palembang liegt, fließen am Morgen alle in entgegengesetzter Richtung als am Abend, denn die ganze völlig flache Gegend liegt nur etwa zwei Meter über dem Meere, das fiebzig oder achtzig Kilometer weit entfernt ist und dessen Flut jeden Tag den weiten Weg herauf kommt, die Strőmung umkehrt, die Sümpfe zu Seen, die Schmußstadt

zu einem herrlichen Märchenort und das ganze Gebiet überhaupt bewohnbar macht.

Während dieser Flutzeit, die mit den Tagen wechfelt und während meines Dortseins um Mittag bes gann, spiegeln sich die tausend Pfahlbauten zart und berückend in dem bräunlichen, schwach bewegten Wasser, auf dem Bleinsten Kanal wimmeln hundert schlanke, malerische Prauwen mit stiller Lebendigkeit und verblüffender Geschicklichkeit durcheinander, nackte Buben und verhüllte Frauen baden am Fuß der steilen Holztreppen, die von jedem Haus ins Wasser führen, und die Laternen der schmucken, auf Flößen schwimmenden Chinesentaufläden reißen wundervolle Ausschnitte eines asiatischen Abend- und Wasserlebens aus der Dunkelheit.

Zur Zeit der Ebbe aber ist dieselbe Stadt zur Hälfte eine schwarze Goffe, die Reinen Hausboote liegen schräg im toten Sumpf, braune Menschen baden harmlos in einem Brei von Wasser, Schlamm, Marktabfällen und Mift, das Ganze schaut blind und glanzlos in den unbarmherzig heißen Himmel und stinkt unsäglich.

Übrigens darf ich den Eingebornen nicht unrecht tun. Sie können nichts dafür, daß ihr Fluß kein Gefälle und darum kein sauberes Wasser hat, daß der Abfall der Küchen und der Kot der Abtritte um die Häuser her stehen bleibt und daß die wilde Sonne den Schlamm so rasch zur Gärung bringt. So sehr es dem

Fremden manchmal graut, wenn er hiesige Reinlichkeitsverhältnisse betrachtet, so stolz er sich den Malayen überlegen fühlen mag, wenn er tagelang aufs Bad verzichtet und seine Zähne mít Sodawaffer putt, fo bleibt doch die Wahrheit bestehen, daß der Ostasiate viel reinlicher ist als der Europäer und daß wir unsre ganze moderne europäische Reinlichkeit von den Indiern und Malayen gelernt haben. Diese moderne Reinlichkeit, die mit der Forderung des täglichen Bades beginnt, ftammt von England, und sie kam in England auf unter dem Einfluß der vielen Angloindier und heimgekehrter Tropenleute, und diese hatten das Baden, das häufige Mundspülen und alle diese Reinlichkeitskünste von den Natives in Indien, Ceylon und der malayischen Welt gelernt. Ich sah einfache Weis ber aus dem Volk nach jeder Mahlzeit die Zähne mit feinen Holzstäbchen und den Mund mit frischer Wassers fpülung reinigen, was bei uns keine fünf oder zehn Prozent der Bevölkerung tun, und in Württemberg und Baden kenne ich Bauern genug, die allerhöchstens zwei oder dreimal im Jahre baden, während die Malayen und Chinesen das mindestens einmal im Tage, meistens öfter, tun. And fie tun es schon sehr lange, wenigstens findet man schon in uralten chinesischen Büchern gelegentlich solche Reinlichkeitsübungen als felbstverständlich erwähnt, zum Beispiel im Buch vom quellenden Argrund“: „Als er zur Herberge kam

und fertig war mit Waschen, Mundausspülen, Abs trocknen und Kämmen —".

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In Palembang, in dieser fonderbaren Stadt, wird mit Peloton und Rubber, mit Baumwolle und Rots tang, mit Fischen und Elfenbein, mit Pfeffer, Kaffee, Baumharzen, mit einheimischen Geweben und Spigen gehandelt; eingeführt werden imitierte Sarongstoffe aus England und der Schweiz, Bier aus München und Bremen, deutsche und englische Trikotwaren, fterilisierte Milch aus Mecklenburg und Holland, eins gemachte Früchte aus Lenzburg und aus Kalifornien. In der holländischen Buchhandlung sind Übersegungen der übelften Kolportageromane aller Sprachen zu ha ben, Multatulis Havelaar aber nicht. Für den Ges brauch der Weißen sind die abgelegtesten Geschenkartikel aus europäischen Kleinstadtlåden da, die Natives werden durch japanische Schundgeschäfte mit deutscher und amerikanischer Talmiware versehen. Tausend Meter davon entfernt holt sich der Tiger Ziegen und wühlt der Elefant die Stangen der Telegraphenleitung zuschanden. Über dem sumpfigen, von herrlichen Waffervögeln, Reihern und Adlern wimmelnden Lande und unter den Kanälen durch fließt unsichtbar und still, Hunderte von Meilen weit her, immerzu das rohe Petroleum in Eisenröhren nach den Raffinerien der Stadt. Einen alten chinesischen Seidenschal kaufte ich hier für das Anderthalbfache der

Summe, die der Händler für eine Zwölfdugendschachtel europäischer Stahlfedern verlangte. And komischerweise lebt man in den zollfreien englischen Hafenftädten Penang und Singapur oder Colombo fast doppelt so teuer als hier bei den überaus hohen holländischen Zöllen, die den Handel lahmlegen, wie denn überall der holländische Kolonialbetrieb ein wenig den Eindruck einer kurzfichtigen Ausbeutung der Natives macht. Hingegen ist die niederländisch-indische Reis tafel zwar nicht immer glänzend, aber sie ist noch im schlimmsten Falle ein Paradies im Vergleich mit dem Effen, das die Engländer in den teuren Prachthotels ihrer Kolonien sich vorsetzen lassen. Schade, die Eng länder wären weitaus das erste Volk der Erde, wenn ihnen nicht zwei elementare und für ein Kulturvolk kaum zu entbehrende Talente fehlten: der Sinn für feine Küche und der Sinn für Musik. In diesen beiden Punkten erwarte man in englischen Kolonien das ges ringfte; alles andere ift erster Klasse.

Das Volk hat hier jene furchtsam kriechende Unterwürfigkeit, die der europäische Beamte und Kaufmann schäßt, die unsereinem aber gelegentlich störend auffällt. Indessen ist der geknechtete Malaye äußerst flink im Übernehmen europäischer Bequemlichkeiten, Ge nüsse und Herrenmanieren. Der Kuli, den du vor einer Stunde in seiner dienstbaren Dürftigkeit tief bedauert haft, begegnet dir stolz im weißen Anzug (der vielleicht 6 Hesse, Aus Indien

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