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und war alsbald allen Launen meines denkmüden und mit Bildern gesättigten Gehirns preisgegeben.

Es umgab mich zunächst eine schwach murmelnde Dämmerung, in der ich mich wohl fühlte und über welche nachzufínnen ich kein Verlangen trug. Allmäh lich begann ich zu merken, daß ich auf dem Deck eines Schiffes lag, es war Nacht, und nur wenige Öllaternen brannten, neben mir lagen viele andere Schläfer Mann an Mann, jeder am Boden auf seiner Reisedecke oder Baftmatte hingestreckt.

Ein Mann, der mir zur Seite lag, schien nicht zu schlafen. Sein Gesicht war mir bekannt, ohne daß ich feinen Namen wußte. Er bewegte sich, ftützte die Ellbogen auf, nahm eine goldene Brille ohne Ränder von den Augen und begann fie mit einem weichen, flanellenen Tüchlein sorgfältig zu reinigen. Da er kannte ich ihn; es war mein Vater.

„Wohin fahren wir?" fragte ich schläfrig.

Er putzte, ohne aufzublicken, an seiner Brille weiter und sagte ruhig: „Wir fahren nach Asien."

Wir redeten Malayisch, mit Englisch vermischt, und dieses Englisch erinnerte mich daran, daß meine Kindheit lang vorüber sei, denn damals besprachen meine Eltern ihre Geheimnisse alle englisch, und ich verstand nichts davon.

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Wir fahren nach Asien," wiederholte mein Vater, und plötzlich wußte ich alles wieder. Jawohl, wir fuh

ren nach Asien, und Asien war nicht ein Weltteil, son. dern ein ganz bestimmter, doch geheimnisvoller Ort, irgendwo zwischen Indien und China. Von dort wa ren die Völker und ihre Lehren und Religionen ausgegangen, dort waren die Wurzeln alles Menschenwesens und die dun¤le Quelle alles Lebens, dort ftanden die Bilder der Götter und die Tafeln der Gesetze. Oh, wie hatte ich das nur einen Augenblick vergessen können! Ich war ja schon so lange Zeit unterwegs nach jenem Asien, ich und viele Männer und Frauen, Freunde und Fremde.

Leise sang ich unser Reiselied vor mich hin: „Wir fahren nach Asien!" und ich gedachte des goldenen Drachens, des ehrwürdigen Bobaumes und der heiligen Schlange.

Freundlich sah mich mein Vater an und sagte: „Ich lehre dich nicht, ich erinnere dich nur." And indem er es sagte, war er nicht mein Vater mehr, sein Gesicht lächelte eine Sekunde lang genau so wie das Gesicht, mit welchem in den Träumen unser Führer, der Guru, zu lächeln pflegt, und im selben Augenblic erlosch das Lächeln, und das Gesicht war rund und still wie die Lotosblüte und glich genau dem goldenen Bildnis Buddhas, des Vollendeten, und wieder lächelte es, und es war das reife, schmerzliche Lächeln des Heilands.

Der neben mir lag und gelächelt hatte, war nicht mehr da. Es war Tag, und alle Schläfer hatten sich

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erhoben. Bestürzt raffte auch ich mich empor und irrte auf dem ungeheuren Schiff umher, zwischen fremden Menschen, und sah auf dem schwarz-blauen Meere Inseln mit wilden, gleißenden Kalkfelsen und Inseln mit wehenden hohen Palmen und tiefblauen Vulkanbergen. Kluge, braune Araber und Malayen standen mit vor der Brust gekreuzten mageren Händen, verneigten sich bis zum Boden und verrichteten die vorgeschriebenen Gebete.

„Ich habe meinen Vater gesehen," rief ich laut, mein Vater ist auf dem Schiff!"

Ein alter englischer Offizier in einem geblümten japanischen Morgen¤leide sah mich aus hellblauen Augen glänzend an und sagte: „Ihr Vater ist hier und ist dort, er ist in Ihnen und außer Ihnen, Ihr Vater ift überall."

Ich gab ihm die Hand und erzählte ihm, daß ich nach Asien fahre, um den heiligen Baum und die Schlange zu sehen und um in die Quelle des Lebens zurückzugehen, in welcher alles seinen Anfang nahm und welche die ewige Einheit der Erscheinungen bes deutet.

Aber ein Händler hielt mich eifrig an und nahm mich in Anspruch. Es war ein Englisch redender Singhalese, er 30g aus einem Körbchen Reine Lappenbündel hervor, die er auseinanderwickelte und aus denen Bleine und große Mondsteine zum Vorschein kamen.

,,Nice moonstones, Sir," flüsterte er beschwörend, und da ich mich heftig abwenden wollte, legte jemand eine leichte Hand auf meinen Arm und sagte: „Schenken Sie mir ein paar Steinchen, sie sind wirklich hübsch." Die Stimme fing mein Herz alsbald ein wie eine Mutter ihr entlaufenes Kind, ich wandte mich glühend um und begrüßte Miß Wells aus Amerika. Anbegreiflich, daß ich sie so ganz hatte vergessen können!

„O Miß Wells," rief ich erfreut, „Miß Annie Wells, find Sie denn auch hier?"

Wollen Sie mir einen Mondstein schenken, Deutscher ?"

Ich griff schnell in die Tasche und 309 den langen gestricten Geldbeutel hervor, den ich als Knabe von meinem Großvater bekommen und als Jüngling auf meiner ersten Italienreise verloren hatte. Es war mir lieb, ihn wiederzuhaben, und ich schüttete eine Menge filberner Ceyloner Rupien heraus; aber mein Reisekamerad, der Maler, von dem ich nicht gewußt hatte, daß er noch da sei und neben mir stehe, sagte lächelnd: „Die können Sie als Hosenknöpfe tragen, sie gelten hier keinen Cent."

Verwundert fragte ich ihn, wo er herkomme und ob er die Malaria wirklich überwunden habe. Er zuckte die Achseln und sagte: „Man sollte die modernen europäischen Maler alle einmal in die Tropen schicken, da könnten sie sich ihre Orangepalette wieder abgewöhnen.

Gerade hier kommt man mit einer dunßeren Palette der Natur víel näher."

Es war Bar, und ich stimmte lebhaft bei. Aber die schöne Miß Annie hatte sich inzwischen im Gedränge verloren. Bellommen ging ich auf dem riesigen Schiffe weiter, wagte jedoch nicht, mich an einer Gruppe von Missionsleuten vorbeizudrängen, die im Kreise sigend die ganze Deckbreite versperrten. Sie fangen ein frommes Lied, in das ich bald einstimmte, da ich es von Hause her kannte:

Darunter das Herze sich naget und plaget

And dennoch kein wahres Vergnügen erfaget...

Ich war damit einverstanden, und die schwermütig pathetische Melodie stimmte mich traurig, ich dachte an die schöne Amerikanerin und an unser Reiseziel Afien und fand so viel Arfache zur Angewißheit und Kümmernis, daß ich einen der Missionare fragte, wie denn das nun sei, ob fein Glauben denn wirklich gut und auch für einen Mann wie mich zu brauchen sei. „Sehen Sie," sagte ich troftbegierig, „ich bin Schriftfteller und Schmetterlingssammler — —."

„Sie irren sich," sagte der Missionar.

Ich wiederholte meine Erklärung. Aber auf alles, was ich sagen mochte, gab er mit einem hellen, kindlichen, bescheiden triumphierenden Lächeln dieselbe Antwort: Sie irren fich."

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