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Bewerber jedoch nach wenigen Reden recht wohl ges fiel, so daß er ihn zum Sitzen einlud und sein Examen mit Vertrauen und Wohlwollen zu Ende führte. Darauf ließ der Herr sich seine Zeugnisse und seinen schriftlichen Lebenslauf übergeben und schellte den Diener herbei, der auf eine knappe Anweisung hin den Theologen stillschweigend hinwegführte und in ein Gaftzimmer brachte, wo unverweilt ein zweiter Diener mit Tee, Wein, Schinken, Butter und Brot erschien Mit diesem Imbiß ward der junge Mann allein ges laffen und tat seinem Hunger und Durst Genüge. Dann blieb er beruhigt in dem schönen blausamtenen Armstuhl sigen, dachte über seine Lage nach und mufterte mit müßigen Augen das Zimmer, wo er nach kurzem Amherschauen zwei weitere Entgegenkömmlinge aus dem fernen heißen Lande entdeckte, nämlich in einer Ece neben dem Kamín einen ausgeftopften rots braunen Affen und über ihm aufgehängt an der blauen Seidentapete das gegerbte Fell einer riesig großen Schlange, deren augenloser Kopf blind und schlaff herabhing. Das waren Dinge, die er schätzte und die er sofort aus der Nähe zu betrachten und zu befühlen eilte. War ihm auch die Vorstellung der lebendigen Boa, die er durch das Zusammenbiegen der glänzend silbrigen Haut zu einem Rohre zu unterstüßen versuchte, einigermaßen grauenvoll und zuwider, so ward doch seine Neugierde auf die geheimnisvolle, an Wun

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dern reiche Ferne durch ihren Anblick noch geschűrt. Er dachte fich weder von Schlangen noch von Affen schrecken zu lassen und malte sich mit Wolluft die fabelhaften Blumen, Bäume, Vögel und Schmetterlinge aus, die in solchen gesegneten Ländern gedeihen mußten. Es ging indeffen schon gegen Abend, und ein stummer Diener trug eine angezündete Lampe herein. Vor dem hohen Fenster, das auf eine tote Hintergasse schaute, stand neblige Dämmerung. Die Stille des vornehmen Hauses, das ferne schwache Wogen der großen Stadt, die Einsamkeit des hohen kühlen Zimmers, in dem er sich wie gefangen fühlte, der Mangel an jeder Beschäftigung und die Angewißheit seiner romanhaften Lage verbanden sich mit der zunehmenden Dunkelheit der Londoner Herbstnacht und stimmten die Seele des jungen Menschen von der Höhe feiner Hoffnungen immer weiter herab, bis er nach zwei Stunden, die er horchend und wartend in seinem Lehnstuhl hingebracht hatte, für heute jede Erwartung aufgab und sich kurzerhand műde in das vortreffliche Gastbett legte, wo er in kurzem einschlief.

Es weckte ihn, wie ihm schien mitten in der Nacht, ein Diener mit der Nachricht, der junge Herr werde zum Abendessen erwartet und möge sich beeilen. Verschlafen troch Aghion in seine Kleider und taumelte mít blöden Augen hinter dem Manne her durch Zimmer und Korridore und eine Treppe hinab

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bis in das große, grell von Kronleuchtern erhellte Speisezimmer, wo ihn die in Sammet geleidete und von Schmuck funkelnde Hausfrau durch ein Augenglas betrachtete und der Herr ihn zwei Geistlichen vorstellte, die ihren jungen Bruder gleich während der Mahlzeit in eine scharfe Prüfung nahmen und vor allem sich über die Echtheit seiner chriftlichen Gesinnung zu unterrichten suchten. Der schlaftrunkene Apostel hatte Mühe, alle Fragen zu verstehen und gar zu beantworten; aber die Schüchternheit leidete ihn gut, und die Männer, die an ganz andere Aspiranten gewöhnt waren, wurden ihm alle wohlgesinnt. Nach Tische wurden im Nebenzimmer Landkarten vorgelegt, und Aghion sah zum ersten Male die Gegend, der er Gottes Wort verkündigen sollte, auf der indischen Karte als einen gelben Fleď südlich von der Stadt Bombay liegen.

Am folgenden Tage wurde er zu einem ehrwürdigen alten Herrn gebracht, der des Kaufherrn oberster geists licher Berater war und seit Jahren gichtbrüchig in seinem Studierzimmer vergraben lebte. Dieser Greis fühlte sich sofort von dem harmlosen jungen Menschen angezogen. Er stellte keine Glaubensfragen an ihn, wußte aber Roberts Sinn und Wesen rasch zu ers kennen, und da er wenig geistlichen Unternehmungsgeift in ihm wahrnahm, wollte der Junge ihm leid tun, und er ftellte ihm die Gefahren der Seereise und die

Schreden der füdlichen Zonen eindringlich vor Augen; denn es schien ihm finnlos, daß ein junger frischer Mensch sich da draußen opfere und zugrunde richte, wenn er nicht durch besondere Gaben und Neigungen zu einem solchen Dienst bestimmt schien. So legte er denn dem Kandidaten freundlich die Hand auf die Schulter, sah ihm mit eindringlicher Güte in die Au gen und sagte: „Das alles, was Sie mir sagen, ist gut und mag richtig sein; aber ich kann noch immer nicht ganz verstehen, was Sie nun eigentlich nach Indien zieht. Seien Sie offen, lieber Freund, und sagen Sie mír ohne Hinterhalt: Ist es irgend ein weltlicher Wunsch und Drang, der Sie treibt, oder ist es ledige lich der innige Wunsch, den armen Heiden unser lies bes Evangelium zu bringen?" Auf diese Anrede wurde Robert Aghion so rot wie ein ertappter Schwindler. Er schlug die Augen nieder und schwieg eine Weile, dann aber bekannte er freimütig, mit jenem frommen Willen sei es ihm zwar völlig Ernst, doch wäre er wohl nie auf den Gedanken gekommen, sich für Indien zu melden und überhaupt Missionar zu werden, wenn nicht ein Gelüfte nach den herrlichen feltenen Pflanzen und Tieren der tropischen Lande, zumal nach deren Schmetterlingen, ihn dazu verlockt hätte. Der alte Mann fah wohl, daß der Jüngling ihm nun sein legtes Geheimnis preisgegeben und nichts mehr zu bes kennen habe. Lächelnd nickte er ihm zu und sagte

freundlich: „Nun, mit dieser Sünde müssen Sie selber fertig werden. Sie sollen nach Indien fahren, lieber Junge!" And alsbald ernst werdend, legte er ihm beide Hände aufs Haar und segnete ihn feierlich mit den Worten des biblischen Segens.

Drei Wochen später reiste der junge Missionar, mit Kisten und Koffern wohl ausgerüstet, auf einem schős nen Segelschiff als Passagier hinweg, sah sein Heimatland im grauen Meer versinken und lernte in der ersten Woche, noch ehe Spanien erreicht war, die Launen und Gefahren des Meeres kennen. In jenen Zeiten konnte ein Indienfahrer noch nicht so grün und unerprobt sein Ziel erreichen wie heute, wo man in Europa feinen bequemen Dampfer besteigt, sich auf dem Suezkanal um Afrika drückt und nach kurzer Zeit, vers wundert und träg vom vielen Schlafen und Effen, die indische Küste erblickt. Damals mußten die Segelschiffe fích um das ungeheure Afríka herum monatelang quá len, von Stürmen gefährdet und von toten langen Windstillen gelähmt, und es galt zu schwigen und zu frieren, zu hungern und des Schlafes zu entbehren, und wer die Reise siegreich vollendet hatte, der war nun längst kein Mutterkind und unerprobter Neuling mehr, sondern hatte gelernt, sich einigermaßen auf den Beinen zu halten und selber zu helfen. So ging es auch dem Missionar. Er war zwischen England und Indien hundertsechsundfünfzig Tage unterwegs und

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