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Stelle unter dem geringsten seiner Brüder im Vaterlande zuweist. Nur in gesetzmässiger, gemeinsamer Anerkennung können wir Befriedigung, in unwiderruflicher Gleichstellung das Ende unseres Schmerzes finden. In der Freiheit aber, die der Hand die Fessel abnimmt, um sie der Zunge anzulegen, in einer Toleranz, welcher unser Verfall, nicht aber unser Fortschritt behagt, in dem Staatsbürgerthum, das Schutz ohne Ehre, Lasten ohne Aussichten bietet, vermisse ich Liebe und Gerechtigkeit, und in dem Körper des Staatsverbandes können so schädliche Elemente nur böse Krankheit erzeugen: Nachtheil dem Einzelnen und dem Ganzen. Denn es ist des einzelnen Staatsmitgliedes Wohlergehen und Nützlichkeit lediglich von dem Umfang seiner Befugnisse und dem Grade der ihm für leibliches und geistiges Gut gewährten Sicherheit abhängig. Allein die Summe dieser seiner Glückseligkeit wird verringert, die Wirkung seiner Thätigkeit neutralisirt, wenn er, der Einzelne, als Helot geboren, nicht wegen seiner Individualität, sondern wegen der Gesammtheit, der er angehört, beeinträchtigt wird, weil ihn die Machthaber, nach einem die Individuen moralisch abschätzenden Tarif einer minder berechtigten Classe — einer solchen, der sie natürlich selber nicht angehören - zugewiesen haben. Nicht von dem Juden hängt es ab, ob er dem Ganzen schädlich oder nützlich sein müsse, sondern nur von der allgemeinen Civilisation und der diese bestimmenden Gesetzgebung. Erziehung, Glaubensgemeinschaft und Familienbande sind unantastbares Eigenthum des Einzelnen; sie sind vielleicht des Juden einziger Besitz, höchstes Lebensglück, und weil er sie nicht mit Füssen tritt, wird er bestraft. Wer, der das Organ des Gesetzes, d. i. der allgemeinen göttlichen Gerechtigkeit, sein will, darf sich herausnehmen, seine individuelle menschliche Ansicht als Maassstab der Würdigkeit anzulegen, um danach die Glückseligkeit auszutheilen? Nur die Handlungen des Mündigen verdienen die Gunst oder den Zorn des Gesetzes; dann aber war er durch Geburt und Erziehung längst seinem Glauben und seiner Liebe zugewandt, und es ziemt der Macht der Lehre, die ihn gewinnen möchte, nicht, auch noch des schändenden Gesetzes vielschneidiges Schwert in die Wagschale zu werfen.

Ich wende mich hinweg von diesem Flecken heutiger Gesittung, voll der Zuversicht, dass die Gerechtigkeit deutscher Regierungen, die Biederkeit des deutschen Volkes ihn in kurzer Zeit werden getilgt haben. Schon sind seit 50 Jahren, ungeachtet vielleicht auch, weil 2 bis 3 hundert elende Scribenten die Schädlichkeit oder Unmöglichkeit der Maassregel bewiesen, die Juden nach und nach ganz oder theilweise emancipirt, und die Gesetzgebung in Betreff ihrer überall wesentlich verbessert worden. Die tüchtigeren Schriftsteller, die grösseren Gesetzgeber traten auf die Seite des seit 1400 Jahren in tausendfältiger Art gedrückten und verhöhnten Israel. Lange genug ist an verwesenden Zuständen gestümpert, und die Gleichstellung nunmehr, glaube ich, hinlänglich ,,vorbereitet" worden. „Der neue Geist soll aufgeben das kleinliche Beherrschen und Bevormunden abgesonderter Menschen und Classen, soll alle Macht des Guten und allen Umfang des Bösen zwar anerkennen, aber sich der Gemeinplätze und Vorurtheile einer vergangenen Zeit unumwunden entschlagen. Die Emancipation der Völker hat ihre Zeit, unabhängig von unserm beschränkten Urtheil."*) Diesem Geiste huldigen deutsche Fürsten, wenn sie für jüdische und christliche Unterthanen Ein Herz haben **); von selbigem durchdrungen, wirkten für der Juden Recht und Erhebung Regierungen und Stände in Württemberg Bayern und Baden, vorzüglich im Kurfürstenthum Hessen wo die nicht bevormundete Wahrheit und ein erleuchteter Patriotismus, wo wahre Gesittung und Menschenliebe ihre Macht bewiesen ***). Und die Zeit geht vorwärts: das württembergische unvollständige Emancipationsgesetz ward i. J. 1828 mit 61 gegen 17, das vollständige Hessische in diesem Jahre mit 35 Stimmen gegen 5 angenommen.

Mit der bürgerlichen Hintansetzung der Juden steht die Vernachlässigung jüdischer Wissenschaft im Zusammenhange. Durch

*) Kasselsche Allgemeine Zeitung 1832 N. 142, Beilage S. 948. **) Die Dessauer Franzschule erhält von der Regierung jährlich 300 Thaler, der Rabbiner zu Bernburg von dem Herzog 200 Thaler, und für die Gemeindeschule in Strelitz zahlt der Fürst 30 Friedrichsd'or.

***) Vgl. Dr. Riesser, der Jude, N. 1 bis 9.

grössere geistige Cultur und gründlichere Kenntniss ihrer eigenen Angelegenheiten, würden nicht allein die Juden eine höhere Stufe der Anerkennung, also des Rechts errungen haben: auch so manche Missgriffe der Gesetzgebung, so manches Vorurtheil gegen jüdisches Alterthum, so manche Verurtheilung neuer Bestrebungen ist eine unmittelbare Folge des verlassenen Zustandes, in welchem seit etwa 70 Jahren, namentlich in Deutschland, sich jüdische Literatur und Wissenschaft des Judenthums befinden. Und obwohl die Schriften über den Talmud und wider die Juden wie Pilze über Nacht aufschossen und einige Dutzend Solone sich uns zu Reformatoren aufdrangen: so war doch kein Buch von Belang da, aus welchem die Staatsmänner sich hätten Rathes erholen können, kein Professor las über Judentum und jüdische Literatur, keine deutsche Academie setzte Preise darauf aus, kein Menschenfreund machte Reisen zu diesem Behufe. Gesetzgeber und Gelehrte von dem Pöbel unter den Autoren schweige ich mussten den Autoritäten des 17. Säculums: Eisenmenger, Schudt, Buxtorf u. A. bettelhaft nachtreten, oder von der verdächtigen Weisheit moderner Berichterstatter borgen. Ja, die meisten gestanden ihre Unwissenheit in diesem Fache offen ein oder verriethen sie doch bei den ersten Worten. Die reale (vorgebliche) Kenntniss des Judenthums steht noch heute, wo sie vor 135 Jahren Eisenmenger hingestellt hat, und die philologische ist sogar seit 200 Jahren fast nicht von der Stelle gerückt. Daher kommt es, dass selbst schätzbare Schriftsteller, sobald das Judencapitel herankommt, eine ganz andere, man möchte sagen, gespenstige Natur annehmen; dass alle Citate aus den Quellen den Subsidien-Werken des 16. und 17. Jahrhunderts nachgeschrieben werden; dass man längst siegreich widerlegte Einwürfe wie unsterblichen Kohl auftischt *), und verlassen von aller wissenschaftlichen Thätigkeit, von allem zeitgemässen,

*) z. B. dass Talmud und Midrasch an der Vernachlässigung von Sprache und Wissenschaft, an der Abneigung gegen Ackerbau und Gewerbe Schuld seien (vergleiche dagegen 2 p. 127, Rapoport in Biccure haittim Jahrgang 8 S. 8 u. ff., 20 u. ff. [Hartmann, die enge Verbindung S. 401, 411]); dass der Eid des Juden unzuverlässig sei (s. Salomon und Wolf, Charakter des Judenthums S. 65 u. ff.), u. dgl. m.

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gehörigen Apparat, das Orakel der Wichte befragt*). Manche construirten, unwissend oder böswillig, aus einem erträumten Judenthum und ihrem eigenen Christenthum eine Art von BekehrungsSystem oder folgerten die Nothwendigkeit rückschreitender Gesetze **). Und obgleich treffliche Männer bereits für jüdische Wissenschaft ihre Stimme erhoben und thätig gewesen ***), so ist doch im Ganzen noch wenig in dieser Beziehung gebessert. Selbst die unvergleichliche Oppenheimersche Bibliothek musste, trotz allen reichen und frommen Juden und allen gelehrten und mächtigen Christen, nach Oxford auswandern und konnte kein Asyl in Deutschland finden, das gerade in diesem Fache dem Auslande (Parma, Florenz, Rom, Leyden, Paris, Oxford) sehr bedeutend nachsteht.

Mittlerweile sind jedoch die Juden nicht ganz müssig geblieben. Sie haben seit Mendelssohn für bürgerliche Rechte, für Cultur und Reform und endlich auch für ihr in den Staub getretenes Alterthum gewirkt und geschrieben. Im Leben und in der Wissenschaft, in der Erziehung und dem Glauben, in Ideen, Bedürfnissen und Hoffnungen hat eine neue Zeit ihre Stärke offenbart; guter Samen ist ausgestreut, treffliche Kraft entwickelt worden. Aber es bedarf noch der schützenden Anstalt, die dem Fortschritt und der Wissenschaft eine Grundlage, der Gemeinde. ein religiöser Mittelpunkt werde. Für die physische, die polizeiliche Vegetation jüdischer Gemeinden sorgen Lazarethe und Waisen

*) Dass wegen „Kol nidre" (s. unten S. 389) die Juden von Aemtern müssten ausgeschlossen werden, sagten die Apostaten dem Prälaten v. Abel, der hierauf sein Votum in der Sitzung der württembergischen Kammer vom 22. Februar 1828 begründete; die Berichtigung kam indess schon den folgenden Tag durch den Freiherrn v. Cotta. [Die Beschuldigung stammt von dem Apostaten Dunin A. 1240.]

**) z. B. Rühs, Paulus (die jüdische Nationalabsonderung S. 12, 13, 75, 105, 117, 134, 136, 138 das missverstandene - 144), Chiarini etc. [Zusammenhang des Ankämpfens gegen die Fortschritte der Juden und dem Bekehrungs- und Verfinsterungswerke, Verbot der deutschen Predigten etc. Poppe, Lesefrüchte 1823 S. 96, Friedländer, An die Freunde etc. journal de commerce 1824, 13. März Recension in der Leipz. Lit. Z. 1823 No. 162; No. 211 S. 1685.]

*** Wachler [4 1 Th Hartmann Diefenbach

Hunfold 11 A

häuser, Armenanstalten und Begräbnissplätze: aber Religion und Wissenschaft, bürgerliche Freiheit, intelectuelles Fortschreiten fordern Schulen, Seminarien und Gotteshäuser; sie rufen die Arbeit tüchtiger Gemeindevorstände, fähiger Jugendlehrer, unterrichteter Rabbiner zu Hülfe. Wenn Emancipation und Wissenschaft kein leerer Schall sein sollen, keine feile gleissnerische Modewaare, sondern die Lebensquelle der Sittlichkeit, die wir nach, langer Irrfahrt in den Wüsten wieder gefunden: so muss sie Institutionen befruchten; hochstehende Lehranstalten, allgemeinen Religionsunterricht, würdigen Gottesdienst, zweckmässige Synagogen - Vorträge. Für die Bedürfnisse der durch die Juden gebildeten kirchlichen Gesammtheit sind diese Einrichtungen unerlässlich: aber wir bedürfen zu deren Begründung religiösen Eifers und wissenschaftlicher Thätigkeit begeisterter Theilnahme an dem Allgemeinen, wohlwollender Anerkennung von Aussen.

Unabweisbar ist das freie, belehrende Wort. Alle seine Güter hat sich das Menschengeschlecht durch die mündliche Belehrung, durch die das ganze Lebensalter hindurch währende Erziehung erobert. Zu allen Zeiten ist auch in Israel das Wort der Lehre von Mund zu Mund vernommen worden, und jedes fernere Gedeihen jüdischer Anstalten kann nur dem Einsicht und Erkenntniss ausgiessenden Worte entströmen. Darum regt sich auch so grosses Verlangen nach Wort und Lehre und wird so häufig von Rabbinern und Lehrern gefordert, dass sie den Kindern in der Schule, in der Synagoge den Erwachsenen einen belehrenden, erbauenden Vortrag zu halten fähig seien. An verschiedenen Orten sind bereits regelmässige Predigten oder Erbauungs-Vorträge, theils in den Schulen, theils in den Synagogen eingeführt; hier und da auch sonstige Verbesserungen mit dem öffentlichen Gottesdienste. vorgenommen worden. Diese reformatorische Thätigkeit hat natürlich Streit und Zwiespalt, literarische Fehden, selbst Einschreitungen der Regierungen veranlasst; obwohl aber die Predigt in der Synagoge und sonstige Aenderungen im Gottesdienste fortdauernd mit wirklichen Hemmungen zu kämpfen haben, wobei es nicht an

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