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einer solchen Nothwendigkeit konnte ich mich nicht überzeugen. Ich unterschätze Ribbecks Leistung nicht, ja ich halte sie seit Heinrich's Commentar für die bedeutendste Erscheinung der Juvenal-Litteratur, aber ihren Werth finde ich weder in der kritischen Methode noch in dem kritischen Resultat, sondern in der Schärfe, mit welcher der Unterschied der früheren und späteren Satiren blosgelegt und die Schwächen des Autors aufgedeckt werden. Freilich ist auch hier die Hyperkritik hinderlich, aber der Kern ist vortrefflich. Die Erklärung musste davon beeinflusst werden und man wird die Spuren überall wiederfinden. Die Gefahr, in eine fortlaufende Polemik zu verfallen und dadurch die Interpretation zu stören, glaubte ich dadurch umgehen zu können, dass ich auf die Behandlung der ästhetischen Kritik fast vollständig verzichtete. Endlich ist Ribbecks Buch leicht zugänglich und für den, der sich ein selbständiges Urtheil bilden will, unentbehrlich.

In der Einleitung glaube ich die Frage über Leben und Verbannung Juvenals um einen Schritt weiter gefördert zu haben. Die bisherigen Behandlungen, die sich an die überlieferten Vitae anschlossen, konnten aus einem gewissen circulus vitiosus nicht herauskommen.

Zu ganz besonderem Danke fühle ich mich Herrn Professor Dr. Cornelissen in Deventer verpflichtet, welcher mit seltener Freundlichkeit mich mit seinem reichen Bücherschatz unterstützt hat. Leider war mein Buch schon im Druck, als diese zuna mich erreichten; doch hoffe ich noch für die Zukunft daraus Nutzen zu ziehen. Zu dem Litteraturbericht der Einleitung, welcher mit Absicht indessen manche Schriften nicht nennt, glaube ich noch hinzufügen zu müssen: Erstens die englischen Ausgaben von A. J. Macleane, London 1857, von G. A. Simcox, London and Cambridge 1867, und von T. H. S. Escott, London 1868; zweitens folgende Einzelschriften: Dr. H. Wirz, Zur Kritik der fünften Satire Juvenals, Aarau 1868, P. Doetsch, Vindiciae Juvenalianae, Münster 1870, E. Epkema, Prosopographia Juve

nalis p. I, Amstelodami 1864, C. Synnerberg, de temporibus vitae carminumque D. Junii Juvenalis rite constituendis, Helsingforsiae 1866, Jan Pol, de Juvenalis satira XIII, Groningae 1851, C. F. L. Arndt, Juv. Satira XIV cum brevibus scholiis tironum usui accommodatis, Hamburg 1825, endlich C. F. Heinrich, Commentatio I in Juvenalis satiras, Kiliae 1806 und Novum specimen Commentationis in Juv. satiras, Kiliae 1810.

Zum Schlusse appellire ich an das Wort des Galenus, das schon Pinzger seiner Abhandlung vorgesetzt hat: xalɛnòv ävθρωπον ὄντα μὴ διαμαρτάνειν ἐν πολλοῖς, τὰ μὲν ὅλως ἀγνοή σαντα, τὰ δὲ κακῶς κρίναντα, τὰ δ ̓ ἀμελέστερον γράψαντα. Magdeburg, 5. Januar 1873.

A. Weidner.

Einleitung.

1. Leben und Schriftstellerei des Juvenalis.

§ 1.

Ueber Juvenalis' äussere Lebensumstände sind wir, wie dies bei den meisten Schriftstellern des Alterthums der Fall ist, nur äusserst mangelhaft unterrichtet1). Alle sichern Nachrichten über sein Leben verdanken wir zum grössten Theil ihm selbst, d. h. zufälligen Aeusserungen der Satiren. Ausserdem ist von Bedeutung eine Weihinschrift des Juvenalis, welche sich bis auf unsere Zeit erhalten hat), dazu Erwähnungen seines Namens bei Martialis) und Sidonius Apollinaris), endlich einige Notizen der vorhandenen Scholiensammlung, deren Glaubwürdigkeit freilich nur eine sehr bedingte sein kann.

In verschiedenen Handschriften der Satiren finden sich ausserdem noch verschiedene Lebensskizzen, welche zwar im Wesentlichen nach Form und Inhalt alle aus einer Quelle geflossen zu sein scheinen, doch aber in Einzelheiten sehr von einander abweichen, besonders in der Nachricht über Ort und Zeit der Verbannung Juvenals 5).

$ 2.

Für unseren Zweck sind diese Skizzen sämmtlich unbrauchbar. Denn mag auch ihre ursprüngliche Quelle noch so rein

§ 1.

1) Die Hauptwerke sind: Francke, Examen criticum D. Iunii Iuvevenalis Vitae, Altona 1820. C. F. Hermann, de Iuv. satirae VII temporibus, Goettingen 1843. Bart. Borghesi, intorno all' età di Giovenale, Rom 1847, jetzt in den Oeuvres complètes V 49-76. (C. A. Bauer), Kritische Bemerkungen über einige Nachrichten aus dem Leben des Juvenalis, Regensburg 1833. W. Teuffel, Studien und Charakteristiken p. 410 sq., Leipzig 1871, und in Pauly's Realencycl. IV 535 sq. V 1168 sq. C. F. Hermann, Praef. ed. Teubn. 1862. 2) Bei Mommsen, Inscript. Regni Neapol. n. 4312, und bei Henzen n. 5599. 3) VII 24 und 91. XII 18. 4) Carm. IX 270. 5) Bei: D. Iunii Iuvenalis Satur. libri V cum scholiis veteribus rec. et emend. O. Iahn, Berol. 1851, p. 386-390.

Juvenalis.

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und zuverlässig gewesen sein, so ist diese doch im Laufe der Zeit durch willkührliche Combination, durch Hinzufügen und Hinwegnehmen, so sehr getrübt worden, dass wir ihre verstümmelten Nachrichten unmöglich für historische Thatsachen gelten lassen können. Eine Quelle, deren Ursprung und Verlauf unbekannt, deren Darstellung zerrissen und verstümmelt ist, deren Angaben einander völlig widersprechend sind, darf und kann die historische Kritik nicht mehr als Autorität betrachten; solche Notizen erhalten nur dann einen gewissen secundären Werth, wenn sie mit anderweitig beglaubigten Nachrichten zusammenstimmen1).

G. Valla glaubte allerdings in einem seitdem verlorenen Codex die Entdeckung gemacht zu haben, dass Juvenals Leben und die Scholien zu seinen Satiren den Grammatiker Probus zum Verfasser gehabt hätten2). Allein diese Nachricht ist schon an und für sich wenig glaubwürdig, weil im Codex Pithoeanus, welcher dieselben Scholien fast übereinstimmend enthält, sich von einer solchen Angabe nicht die geringste Spur findet; und wenn man auch die Wahrheit der Angabe von G. Valla nicht in Zweifel ziehen will, so scheint es doch wohl unzweifelhaft, dass die von ihm erwähnte Angabe auf einem Irrthum beruht. Da nämlich von dem jüngeren Valerius Probus ein Commentar und ein Leben des Persius vorhanden war, die Satiren des Persius aber schon frühzeitig mit denen des Juvenalis in einem Band vereinigt zu erscheinen pflegten, so konnte es leicht geschehen, dass man die Aufschrift an der Spitze der Scholien zum Persius auf die vorhandene Scholiensammlung zum Juvenalis übertrug3).

§ 3.

Wie dem aber auch sein mag, jedenfalls darf man sich nicht den berühmten Grammatiker M. Valerius Probus aus Berytos, der ja viel früher als Juvenalis lebte, als Verfasser

82.

1) Dass Sueton nicht der Verfasser der ursprünglichen Vita sein kann, ergibt sich nicht nur aus der Unbestimmtheit der Angaben, sondern auch aus der Lebenszeit des Juvenalis. 2) Valla bemerkt darüber: sane comperti mihi sunt nuper Probi grammatici in Iuvenalem commentarii quantum adhuc audiverim nulli alii cogniti, sed mirae brevitatis: alioquin tamen perquam opportunos aliquando se nobis obtulerunt: obtulissent vero sese adhuc magis nisi nobis singula rimantibus codicis nimium cariosa invidisset vetustas: et si in omnes libros comperti habeantur qui vix tertii libri secundam attigere satyram. Invigilavimus vero ipsi si modo id consequi potuimus: ut omnis huius poetae pateret eruditio: Probi interpretamenta cuiusmodi ea fuerunt: quae plane perexigua sunt ne in minima quidem parte subtraximus: aut immutavimus. 3) I. Steup, de Probis grammaticis, Ienae 1871, p. 128, nach O. Jahn, Pers. Prolegg

eines solchen Commentars denken. Aber auch der jüngere
Probus, der Verfasser von Commentarien zu Vergil und Per-
sius, kann nicht leicht der Autor eines Commentars zu Juve-
nalis sein, den er wie es scheint nicht überlebt hat. Der
jüngere Probus überlebte kaum das Ende des Domitian, wäh-
rend Juvenalis im J. 127 sicher noch am Leben war. Es
bleibt also keine Zeit übrig, in welcher Probus ein kritisch-
exegetisches Werk über den litterarischen Nachlass Juvenals
hätte schreiben können1).

Wenn man indessen die überlieferten Vitae des Juvenalis
als Pseudo-Quellen bei Seite lässt oder doch nur als secundär
betrachtet, so verlieren wir darum nichts an Nachrichten über
Juvenal. Es ist in ihnen Nichts enthalten, was sich nicht auf
andere Weise besser und zuverlässiger gewinnen liesse.

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