Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

gefolgt, daß sie zulezt beinahe ganz in die heutigen polizeilichen Zeitschriften aufgegangen ist, aber gerade in der Häufung dieser Zeitschriften und aus ihrem immer massenhafter anschwellenden Inhalt erkennen läßt, daß diese Weise, neben welcher die rationelle Bearbeitung allzu sehr in den Hintergrund getreten ist, für die ganze Aufgabe der Polizei, dem Gaunerthum gegenüber, nicht ausreicht. Wie sehr aber immer dabei die Nothwendigkeit der rationellen Bearbeitung empfunden ist, erhellt daraus, daß in allen Werken, welche im Laufe dieses Jahrhunderts geschrieben sind, mehr oder minder Andeutungen und Versuche dazu, und manche sehr zu beherzigende Vorschläge zur Erkennung und Bekämpfung des Gaunerthums gemacht worden sind. Troßdem sind Darstellungen, wie namentlich Falkenberg und Wenmohs versucht haben, nicht weiter cultivirt worden, und selbst in neuester Zeit sind diese Versuche, wie sie z. B. von Thiele in seinen „Jüdischen Gaunern" unternommen sind, immer nur auf specielle Gruppen beschränkt und dabei lückenhaft geblieben, wenn sie auch den Namen einer allgemeinen Darstellung tragen. Andere Versuche beschränken sich planmäßig auf das Gaunerthum einer bestimmten großen Stadt, wie z. B. auf Wien, Berlin. Erst in neuester Zeit hat Hirt einen rühmlichen Anfang gemacht in seinem Werke,,Der Diebstahl", obschon auch diese kleine treffliche Schrift keineswegs nach allen Seiten hin ausreicht.

Ein schlagender Beweis, aber auch eine nothwendige Folge der Vernachlässigung einer rationellen Darstellung des Gaunerthums ist die unglaubliche Kümmerlichkeit der Gaunerlinguistik, die eigentlich ganz brach daniederliegt, obschon es eine Unzahl Gaunerwörterbücher gibt, von denen aber die meisten unkritische Copien älterer und gerade der mangelhaftesten Wörterbücher sind. Und doch hat die mit Recht von Pott eine conventionelle genannte Sprache des Gaunerthums, obschon das buntscheckigste, von der Hefe fast aller Nationen zusammengetragene Aggregat verwegener Sprachformen, seine weit zurückreichende charakteristische Geschichte, und ist ebenso gut wie die Sprache eines geschichtlichen Volks ein getreues Abbild der Zusammenseßung, des Geistes,

Lebens und Fortschreitens, und somit der magische Schlüssel des Gaunerthums. Diese Vernachlässigung der Linguistik erforderte eine gründlichere und gesonderte Bearbeitung, weshalb denn auch die Anführung und Kritik der vorhandenen linguistischen und lerikographischen Werke von der nachstehenden Literatur ausgeschlossen und in den besondern Abschnitt von der Gaunersprache und Lerikographie verwiesen ist.

Neuntes Kapitel.

B. Das baseler Rathsmandat. Brant's „Narrenschiff“ und Geiler's, Predigten".

Es ist schon der Bekanntmachung des baseler Raths erwähnt worden, mit welcher die eigentliche Gaunerliteratur insofern beginnt, als jene Bekanntmachung die unleugbare Grundlage zu der merkwürdigen Erscheinung des Liber Vagatorum geworden, und jedenfalls auch von Sebastian Brant in seinem „Narrenschiff", Kap. 63, benußt worden ist.

Bei Daniel Brückner 1) wird, nachdem er, wie schon angeführt, des Bündnisses der Stadt Basel gegen die Roten und Schwarzen von 1391 und der Erscheinung der Zigeuner unter dem Herzog Michael 1422 Erwähnung gethan, die Bekanntmachung S. 853 a. a. D. abgedruckt, ohne daß er die Quelle anführt, woher er sie genommen hat. Ehe sie hier mitgetheilt wird, bedarf es einer kurzen kritischen Erläuterung über Alter und Ursprung der Bekanntmachung, zumal da Hoffmann von Fallersleben im Weimarschen Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst", 1856, Bd. 4, Heft 1, S. 65 fg., in seiner Abhandlung Nr. 5, über den Liber Vagatorum offenbar irrige Ansichten ausgesprochen hat.

1), Versuch einer Beschreibung historischer und natürlicher Merkwürdig keiten der Landschaft Bafel" (1752).

Die baseler Bekanntmachung ist in drei verschiedenen Hauptdrucken vorhanden. Der älteste Druck ist der bei Joh. Heumann in seinen, Exercitationes juris universi praecipue Germanici etc." (Altorff 1749) in der ziemlich dürren und unfruchtbaren Abhandlung,,De lingua occulta", Nr. 13, S. 174-180. Der zweite befindet sich bei Daniel Brückner, a. a. D., Stück 8. Der dritte ist in dem von Dr. Heinr. Schreiber herausgegebenen „Taschenbuch für Geschichte und Alterthum in Süddeutschland' (Freiburg im Breisgau 1839), S. 330-343, enthalten. Dieser Druck bei Schreiber ist der erste Abdruck der Bekanntmachung, wie folche in der auf der Stadt- und Universitätsbibliothek zu Basel aufbewahrten handschriftlichen „Chronik“ des Johannes Knebel, Kaplan am Münster zu Basel, vom Jahre 1475, sich befindet. 1) Brückner hat nicht angegeben, woher er die Bekanntmachung hat. Er scheint sie mit dem Auftreten der Zigeuner in Basel 1422 in Zusammenhang zu sehen2), sodaß man nach ihm die Bekanntmachung mindestens in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts segen darf. Damit stimmt auch Heumann überein, der die Bekanntmachung, S. 173, mit den Worten einleitet:,,Dabimus specimina ex Codice quodam initio Seculi XV manu exarato, nunc Illustr. D. Hieron. Guil. Ebeneri, primarii inclutae reipublicae Noricae moderatoris, toti literatorum choro venerabilis, bibliothecae magnificae addicto, quo inter alia, in primis Argentoratensia, jus feudale Alemannicum continetur, cui subnectuntur sequentia etc." Da der Heumann'sche (von Hoffmann von Fallersleben der Ebener'sche genannte) Abdruck

1) Nach brieflicher Mittheilung des Dr. L. A. Burckhardt zu Basel, welcher den bei Schreiber befindlichen Abdruck mit der Handschrift des Knebel für mich zu vergleichen die Güte-gehabt hat, ist der Abdruck diplomatisch genau und vom Professor Jakob Burckhardt zu Zürich besorgt.

2) Mindestens fügt er, nachdem er S. 853 die obenangeführte Nachricht von der Ankunft des Zigeunerherzogs Michael 'mitgetheilt hat, unmittelbar hinzu: „die Stadt Basel ließ daher denen Ihren folgendes kund machen, darmit weniger Almosen mochte gegeben und dardurch dises Gefind von denen Grenzen abgehalten werde", worauf dann die Bekanntmachung folgt.

nur bis auf kleine schreibartliche Abweichungen völlig mit dem Brückner'schen übereinstimmend ist, so läßt sich annehmen, daß beide aus derselben Quelle geschöpft haben, und daß Brückner, welcher Archivar zu Basel und ein sehr gewissenhafter und zuverlässiger Geschichtsforscher war, das ihm so nahe gegebene Knebel'sche Manuscript als unzuverlässig und incorrect verschmähte und eine zuverlässigere Quelle wählte. Die baseler Rathsprotokolle selbst reichen nicht so weit hinauf. Gewöhnlich pflegten alle Publicationen des bafeler Raths, welche nach der alten Kanzleisprache Mandate genannt wurden und fast niemals ein Datum hatten, den funfzehn Zünften schriftlich mitgetheilt zu werden. Die Zünfte eristiren noch und haben auch noch jegt, wenigstens zum Theil, ihre eigenen Archive. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Brückner aus einem solchen Zunftarchiv die Bekanntmachung abdrucken ließ, und in gleicher Weise mag auch Ebener aus einem solchen Archiv geschöpft haben.

Johannes Knebel ist aber überhaupt eine nicht zuverlässige Quelle. Er war auf alle Stadtgeschichten äußerst erpicht und trug in seinen Annalen alles, was er hörte und sah, bunt durcheinander zusammen, wobei er, wie ja auch der Abdruck bei Schreiber zeigt, sehr incorrect schrieb, und namentlich in jener Bekanntmachung viele Wörter bis zur Unkenntlichkeit verunstaltete. Jenes Mandat mag ihm zufällig unter dem Jahre 1475 bekannt geworden sein. Er leitet es mit den bei Brückner und Heumann fehlenden Worten ein: „Zu den Zeiten giengent vil Buben im Land umb, und mürten vil Lüten. Deren wurden etlich gefangen, die seitend Unterscheid der Buben, und wenn sy zusammen komend wie sy hießent, gabend sy in Rotwelsch für, als hie noch stat." Daraus läßt sich jedoch schwerlich folgern, daß um das Jahr 1475 zu Basel mit eingefangenen Geilern und Blinden, wie Hoffmann, a. a. D., S. 65 sagt, Verhöre angestellt seien. 1) Auch ergibt sich aus den jezigen Nachforschungen in den baseler Archiven, daß

"

1) Vgl. auch Hoffmann von Fallersleben im Weimarschen Jahrbuch“, Bd. 1, Heft 2, 1854, S. 332.

um jene Zeit durchaus keine solche Untersuchung angestellt worden ist. Ebenso wenig findet sich eine Spur bei andern baseler Chronisten oder in den Quellen, welche Dr. L. A. Burckhardt zu Basel. in seiner schäzbaren Abhandlung über den,,Kolenberg bei Basel" in Sträuber's „Baseler Taschenbuch von 1851" ausgebeutet hat. Hoffmann von Fallersleben hat nun den Heumann- Ebener'schen. Tert mit dem Schreiber - Burckhardt'schen (nach Knebel) zusammen verschmolzen und verhochdeutscht „da wie er sagt — in beiden Terten die Schreibung sehr ungleich, mundartlich und verwildert ist, wobei er den Lesarten folgt, welche ihm die bessern zu sein scheinen, und zugleich die bedeutendern unter dem Terte anmerkt, worunter freilich sehr viele Lesefehler sind." Ob und wieviel bei diesem Verfahren gewonnen ist, mag dahingestellt sein. Jedenfalls wird es aber auch schon bei der Vergleichung mit den andern beiden Drucken interessant sein, die Bekanntmachung nach dem seltenern sehr wenig bekannten Brückner'schen Druck, welcher alle Spuren des unmittelbaren Ausflusses aus der ältesten Quelle an sich trägt, hier zu geben:

,,Diß ist die Betrügniffe, damitte die Gilen und die Lamen umbe gand und besunder von allen Nahrungen, wil fie die nennent, damite sie sich begant.

Grautener.

Zu dem ersten die Grautener die mit dem Sprung umbegant, wenne die sehent, das man den Segen in der Kirchen gibt, es sye Abends öder Morgens, so man gesungen hat, so nemmen fie Seyffen in den Mund und stechent sich mit eim Halm in die Naßlöcher das sy bluten, und schumit werdent und vallent den vor den Lüten nider, als ob si den Siechtagen haben.

So sint ein teil, die mit der Letschen und mit der Schwinen umbegand, die nemment ein blutig Tuch und bindent das umbe die Stirnen, als ob si gevallen wären, darnach so walgerent si sich in dem Bache glich als werent sie von den Siechtagen wegen also gevallen.

So nemment ein teil Salb, die machent sy uß meigewunne

« ZurückWeiter »