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gestellte oder gar Arbeiterin ist, führt eben zu dem kolossalen statistischen Defizit an Erwerbstätigkeit. Das gilt für das Gewerbe kaum weniger als für den Landbau. Vor allem die Frauen der kleinen Geschäftsleute arbeiten fast überall regelmässig im Geschäft mit, wie man aus der täglichen Erfahrung wohl weifs. Diese Erfahrung wenigstens, die man auch in der Stadt machen kann, müfste dem Statistiker eigentlich bekannt sein, und der Gegensatz der empfangenen Antworten zu diesen Erfahrungen hätte bei einer vorherigen Probeenquête eine andere Fragestellung erzwungen. Überhaupt ist der Tätigkeitstrieb im deutschen Volke so stark, dafs die arbeitskräftigen Frauen in nennenswerter Zahl nirgends müssig gehen, wo Gelegenheit zu standesgemäfser und das Familienleben nicht störender Tätigkeit da ist. Diese Tatsache kommt in der österreichischen Statistik zu deutlichem Ausdruck, eben infolge der anderen Fragestellung1, insbesondere für die Landwirtschaft. Hier wurden fast ebensoviel erwerbstätige Frauen gezählt wie Männer. Es waren hier 1890 von allen dem Landbau zugehörigen Männern erwerbstätig 64,7, von den Frauen 62,3% 2. Diese verschiedene Erfassung des Erwerbs, insbesondere der weiblichen Familienmitglieder, bewirkt überhaupt ein ganz verschiedenes Aussehen der wirtschaftlichen Gliederung, soweit man sie allein nach der Verteilung der Erwerbstätigen betrachtet, das mit den Tatsachen offenbar nicht stimmt. Dies zeigt vor allem die dänische im Vergleich mit der österreichischen Statistik. Während diese von allen Erwerbstätigen dem Landbau 64,3% zuzählt, gibt ihm jene nur 27,1%. Dieser ungeheure Kontrast zwischen zwei doch noch relativ stark agrarischen Ländern wird viel geringer, wenn man die Gesamtheiten der Berufszugehörigeu (Erwerbstätige und Ernährte) des Landbaues vergleicht, worin die als Erwerbstätige nicht gezählten Angehörigen mit enthalten sind. Für diese ergeben sich in Dänemark 42,1%, in Österreich 55,9% 6. Der charakterisierte Fehler ist in den meisten Staaten in noch stärkerem Masse gemacht worden, als im deutschen Reiche.

1 Vgl. § 26.

2 Zf. S 263.

3 Das muss man bei einigen grofsen Staaten, so den Vereinigten Staaten v. A. und Grofsbritannien (vgl. Zf. S. 274 ff.), die nur die Erwerbstätigen, nicht deren Angehörige zählen.

Das St. Jahrbuch f. d. D. Reich 1903 S. 6* gibt diese Zahlen ohne Kommentar.

5 Zf. S. 271. Dafs auch diese Zahl noch zu klein gegenüber den Tatsachen ist, wird durch die Zählung einer Menge ländlicher Tagelöhner als Lohnarbeiter wechselnder Art (9,6% der Gesamtbevölkerung) bewirkt.

6 Zf. S. 264.

von

2

§ 47. Die Reichsstatistik hat aber nun zwar auch den Nebenerwerb1 festzustellen unternommen, doch ist auch dieser von ihr nicht annähernd erfafst. Sind doch im ganzen in der Landwirtschaft 1882 nur 754 883, 1895 durch die genauere Zählung erheblich mehr, 1323136 und im Gewerbe 1882: 117574, 1895: 352529 Angehörige und Dienende als nebenerwerbstätig genannt. Unter diesen sind natürlich neben den Ehefrauen auch Kinder und erwachsene Töchter etc. und vor allem nicht nur Mitglieder von Selbständigen-, sondern auch von Abhängigen-Familien. Aber auch z. B. alle diese Nebenerwerbenden des Landbaues mit den in Tab. E genannten 329354 Landwirtsfrauen zusammengerechnet, kommen wir für 1895 nur auf 1652490 Personen, was nur 84% aller Landwirtsfrauen ausmacht. Entfällt nun aber die Hälfte aller Nebenerwerbstätigen auf Arbeiterfamilien - die Töchter etc. selbständigen Landwirten sind dann immer noch nicht abgerechnet so kommen wir auf noch nicht eine Million Personen, also etwa die Hälfte aller Landwirtsfrauen. Ähnlich ist es im Gewerbe. Bei diesem Mafs des Verständnisses für die statistischen Fragen erscheint es sogar noch wunderbar, dafs so viele verheiratete Frauen wirklich als hauptberuflich erwerbstätig, z. B. im Landbau rund 329 000, genannt sind. Diese hohe Zahl aber erklärt sich zu einem Teil aus dem oben erwähnten Umstande, dafs mehr Frauen von hauptberuflichen Gewerbetreibenden mit Landbau (Viehzucht) sich beschäftigen, als umgekehrt Landwirtsfrauen mit Gewerbe, da es weit mehr Landwirte als Gewerbetreibende im Nebenberuf gibt. Ausserdem aber ergab sich dem Befragten überall da auch von seiner mifsverständlichen Auffassung aus die Notwendigkeit, die Hausfrau als hauptberuflich erwerbstätig anzugeben, wo er selbst nicht erwerbstätig war, und es gab 1895 rund 142000 erwerbsunfähige Ehemänner, deren vormaligen Beruf selbständiger Landbau bildete. Ebenso liegt natürlich die Sache im Gewerbe. Die Ehefrauen der besitzenden Klassen, deren Männer selbst erwerben, sind also zweifellos mit sehr geringen Ausnahmen der Zählung als Erwerbstätige entgangen.

§ 48. Aus Tab. E ergibt sich bei allen diesen Erwägungen aber auch, dafs die Arbeiter in weit geringerem Umfange ihre Frauen auf Erwerb ausgehen lassen, als die Selbständigen. Bezüglich der statistischen Erfassung des Erwerbs der Arbeiter

1 Bisher handelte es sich selbstverständlich um Erwerb im Sinne eines Hauptberufs.

2 Vgl. Tab. Ca und Da.

3 Vgl. Tab. Ca und Da.
Vgl. Tab. B Sp. 57 Z. 1.

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Vgl. Tab. B Sp. 57 Z. 58.

angehörigen liegen alle die Hemmungsmomente nicht vor, wie bezüglich der Angehörigen der Selbständigen. Daher ist an diesen Zahlen nicht zu zweifeln.

§ 49. Es wäre aber völlig verfehlt, hieraus einen Schlufs à la May auf die soziale Lage zu ziehen. Wir erinnern uns vielmehr der aufser der sozialen Lage vorhandenen oben aufgezählten Momente, die die Zahl der auf Erwerb gehenden schwächeren Familienglieder, hier der Ehefrauen, beeinflussen. Das ist vor allem die Erwerbsgelegenheit. Die Frau des Selbständigen hat eben die Gelegenheit, insbesondere im Landbau und Handel, stets in nächster Nähe, die Arbeiterfrau oft nicht, mag ihre Familie einen Zuschufs auch noch so nötig brauchen.

§ 50. Es kommt aber noch hinzu, dafs bei dieser ganzen Betrachtungsweise die allgemein übliche Voraussetzung bisher noch nicht zerstört ist: Hauswirtschaft sei keine Arbeit, d. h. es ist diese Voraussetzung natürlich nicht ausdrücklich als solche ausgesprochen, aber es ist so kalkuliert, als bestände sie zu Recht. Man rechnet nur mit dem Erwerb und zählt die Gesamtlasten der Familie nur nach dessen Mafs. Will man aber das korrekte Mafs der Familienarbeitslast feststellen, so muss man zur Erwerbslast noch die Last der Hauswirtschaft addieren, und diese Last ruht auf den Schultern der Arbeiterfrau allein, die Frau des Selbständigen teilt sie oft mit dem Dienstboten. Wenn also auch die Frau des Selbständigen mehr erwerbend auftritt, als die des Arbeiters, so ist ihre Arbeitslast nur dann gröfser, wenn sie sich in ihrer hauswirtschaftlichen Tätigkeit nicht entlastet. Diese Arbeitsteilung erscheint aber oft genug vorteilhaft. Lieber die Küche, ja auch die Kinder, als das Geschäft oder die Wirtschaft einer fremden Person anvertrauen, denkt der kleine Geschäftsmann, denkt auch der Bauer, dessen Betrieb für seine Arbeitskraft allein zu grofs ist. Ein besseres Mittagessen ist keinen Schaden von vielleicht 1000 Mk. wert, den fremde, ungebildete Personen, sich selbst überlassen, anrichten können. Daher die Neigung zu dieser Arbeitsverschiebung zwischen der Hausfrau und der fremden Angestellten. Möglich ist das nun nicht überall, in der Industrie, im Handwerk viel weniger als im Handel. Daher auch die viel geringere Zahl der Dienstboten bei den industriellen Selbständigen, als bei denen des Handels. Es kommen 1895 auf 1774375 B a-Erwerbstätige nur 265 075 oder 15%, auf 843557 Ca-Erwerbstätige dagegen 244 992 1 oder 29% Dienstboten. Da die nicht im Hause der Herrschaft wohnenden Dienenden nicht nach denen, die sie be

1 St. J. f. d. D. Reich 1898 S. 7.

dienen, also auch nicht nach Berufsklassen, gezählt sind, läfst sich die Zahl dieser es sind 1895: 231 572 Erwerbstätige - 231572 - zur Veranschaulichung der obigen Tatsache nicht mit verwenden. Im Landbau zählt man 1895: 346 693 Dienstboten bei 2568 725 selbständigen Erwerbstätigen, also 13,4%. Dieser Prozentsatz wäre viel höher, wenn der Landwirt nicht aus demselben Motiv, aus dem er seine Frau als erwerbslos angibt, seine Dienstboten, die fast überall neben haus- auch landwirtschaftliche Arbeiten verrichten, eher als erwerbstäig angibt. Der Zählung von 1895 ist es mehr gelungen, die erwerbstätigen Dienenden als die erwerbstätigen Angehörigen zu erfassen, weil der den Dienenden gezahlte Barlohn diese in erster Linie dem Befragten als erwerbstätig zu kennzeichnen schien. Auch im Gewerbe, insbesondere in Handel und Gastwirtschaft, werden viele tatsächlich zumeist hauswirtschaftlich Tätige (1882 weniger, 1895 mehr) als Erwerbstätige gezählt sein, so dass auch da die Zahl der Dienstboten zu gering erscheint. Lieber wird noch der Dienstbote, als die Hausfrau, als unselbständig erwerbstätig aufgefafst, wenn auch jener mehr im Haushalt, diese mehr im Erwerb wirkt.

§ 51. Von Interesse ist noch, dafs 1895: 25,83% aller Landarbeiter-Ehefrauen erwerbstätig waren, von den industriellen Arbeiterfrauen dagegen nur 9,12%. Auch diese Zahlen geben nicht einen Mafsstab für die schlechtere Lage der Landarbeiter. Die Arbeitsgelegenheit ist eben für Arbeiterfrauen auf dem Lande gröfser als in der Stadt, insbesondere bei der heutigen Arbeiternot, wo die jungen unverheirateten Leute vom Lande massenhaft fortziehen. Sie kann hier auch leichter mit Hauswirtschaft und Kindererziehung verbunden werden. Nach 1882 waren nur 15,83% (vgl. Tab. E) erwerbstätig. Im wesentlichen sind wir also bezüglich des Verhältnisses zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen, auch des wirklichen, zu einem negativen Ergebnis gelangt.

§ 52. Positive Bedeutung hat es insbesondere innerhalb der gleichen Berufsklassen der gleichen Wirtschaftszweige, so z. B. bezüglich der industriellen Arbeiter und auch hier nur einzelner Kategorien, d. h. überall da, wo die aufser der sozialen Lage die Tatsache des Erwerbs bedingenden Momente gleich sind. Und das ist der Fall z. B. bei den ungelernten und den gelernten Arbeitern. Diese B c3 und Cc3 kann man wohl in ihrer Tragfähigkeit mit den Bc2 und Cc 2, d. h. den gelernten Arbeitern vergleichen. Ungelernte und gelernte Arbeiter sind geographisch überall gleichmässig verteilt, die Erwerbsgelegenheit ist die gleiche,

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2 St. II Tab. 6 Sp. 12 D1 S. 118.

wenn man also das reelle Verhältnis Erwerbstätige: Erwerbslose kennt, so liefse sich daraus ein Mafsstab ihrer sozialen Lage gewinnen.

§ 53. Da das angebliche Mafs- und damit kommen wir zu dem Ausgangspunkt dieses Abschnittes (§ 33) zurück offenbar das Gegenteil der Wirklichkeit aussagt, so ist dies Mafs falsch, und zu unseren direkten Beweisen ist ein noch deutlicherer indirekter Beweis gekommen dafür, dafs die Bevölkerungsgruppierung der amtlichen Statistik falsch ist, und zugleich ist das Mafs angedeutet, in dem sie von der Wirklichkeit abweicht. Denn ist die Relation: Erwerbstätige zu Erwerbslose also das Verhältnis der Teile falsch, so ist auch das Ganze, d. i. erwerbstätige und erwerbslose Bevölkerung Summa falsch, es müfste denn die eine Seite des Verhältnisses genau nur soviel zu grofs sein, wie die andere Seite zu klein ist. Da die amtliche Zahl der erwerbslosen Angehörigen 1 jedoch weit weniger von der Wirklichkeit abweicht, als die der erwerbstätigen, ist dies nicht nur unwahrscheinlich, sondern unmöglich.

§ 54. Um nun zu einem positiven Ergebnis zu kommen, fragen wir, wie hätte die Nahrungsberufsbevölkerung gruppiert werden müssen, um der Wahrheit zu entsprechen? Es müssen korrekterweise die Ernährer überall als Ernährer ihrer Familien auftreten. Nun wird aber fast jede Familie von mehreren ernährt. Im Durchschnitt kommen (1895) auf einen Erwerbstätigen 2,19 Ernährte oder 1,19 Angehörige. Da auf eine Familie ca. 4,4 Personen entfallen, so kommen in jeder Familie durchschnittlich auf 1,9 Tätige 2,5 erwerbslose Angehörige. Man ersieht aus diesem Verhältnis, dafs es nicht möglich ist, durch blofse Auszählung die von jedem Erwerbstätigen wirklich ernährten Erwerbslosen diesem zuzuweisen. Z. B. sind in einer Familie zwei Erwerbstätige und drei Erwerbslose. Wie will man nun die drei Erwerbslosen auf die zwei Erwerbstätigen repartieren, wenn was häufig der Fall ist diese zwei Erwerbstätigen verschiedenen Berufes sind. Man müfste z. B., wenn der Vater ein Zimmermann, der Sohn ein Tischler ist, und diese beiden zusammen eine Frau und zwei Kinder ernähren, dem Zimmerberuf 112, dem Tischlerberuf 11⁄2 Erwerbslose zurechnen. Damit kommt man der Wahrheit vielleicht näher, als wenn man, wie das Amt tut, einfach dem Zimmermannsberuf drei Angehörige und dem Tischlerberuf gar keine Angehörigen aus seiner Familie zuweist, und

1 Vgl. unten § 100.

2 Vgl. oben § 32 S. 27.
3 Vgl. unten Tab. G.

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