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auf die der Oktober- Revolution vorausgegangenen Zustände vom 13. März bis 5. Oktober.

,,Gleiches Recht für Alle!"

Um den Lauf der Begebenheiten, deren Ursachen, Wirkungen und Folgen leichter beurtheilen und ins Gedächtniß zurückrufen zu können, erscheint es nöthig, einen Blick auf die Geschichte der Ereignisse zu werfen, welche auf den Geist, die Haltung, und die moralische Kraft der Wiener Nationalgarde vor Beginn des Dramas vom 6. October 1848. Einfluß gehabt hatten.

Mit der in Wien Mode gewordenen deutschen Tricolore begann der eigentliche Zwiespalt, wobei der unbedingte Anschluß an Deutschland und die Weigerung dagegen, der Zankapfel zweier mächtigen Parteien auf Kosten der Integrität der Monarchie bildete, und legtere zu zersplittern drohte. Die Folgen dieses Zwiespal tes zwischen Schwarzrothgold und Schwarzgold werden später berührt werden.

Es ist nicht zu läugnen, daß die Regierenden seit dem 13. März es ebenso an eclatanter Offenheit, wie an nöthiger Energie fehlen ließen, die unvermeidlichen zeitgemäßen Reformen bei Bestimmungen in der Justiz, im Militärwesen und andern Zweigen der Staatsverwaltung durchzuführen, daß insbesondere das Ministerium Pillersdorf, ungeachtet seines guten Willens, mit vernünftiger Weise nothwendigen Zugeständnissen zurückhielt, und sich dieselben dann auf revolutionärem Wege abtrogen ließ. Der Antheil, den die Nationalgarde bei derlei Demonstrationen nahm, war nicht geeignet, für die Zukunft zu beruhigen; denn nach dem allgemeinen Rechtsgrundsage, daß mit Gewalt erzwungene Zugeständnisse keine bindende Kraft besigen, mußten die sogenannten Errungenschaften durch Waffengewalt errungen ein Mißtrauen gegen deren Giltigkeit aufkommen lassen und das Vorhandenseyn der Anarchie constatiren. Mit diesen Errungenschaften begann der Körper der Nationalgarde faul zu werden.

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In den Maitagen war die Wiener Nationalgarde ein mächtiger, einiger Körper, berauscht von seiner in den Märztagen entwickelten Kraft und Macht, beseelt von dem Gedanken, den konstitutionellen Thron, und die kaum geborne konstitutionelle Freiheit mit ihrem Leben zu schüßen und zu schirmen, gestärkt von dem Bewußtseyn, daß die verlangte und erhaltene Freiheit nicht durch die Gewalt der Waffen, sondern durch des Kaisers und des Volkes freien Willen erreicht wurde. Doch dies war nur ein kurzer Moment! Rein und unbefleckt hat

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sie sich jedoch in dieser imposanten Gestalt und kompakter Form bis zum 15. Mai 1848. erhalten, an welchem Tage der Spiegel ihrer Reinheit durch bie theilweise auch von ihr unterstüßte Sturmpetition (betreffend den konstituirenden Reichstag mit einer Kammer, statt jenem mit zwei Kammern 2c.) getrübt wurde.

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Welchen Antheil die republikanische Presse, welchen die hergelaufenen deutschen das Aufgehen Oesterreichs in Deutschland predigenden Emissäre, welchen der politische Abenteurer Dr. Schütte, dieser demokratisch-republikanische Emmissär, durch die im April im Odeon-Saale vorbereitete Sturmpetition, welchen Antheil die Aula mit Hilfe des Proletariats in der Hofburg, dann die sich in Wien eingefundenen Massen von Fremden, besonders aber der in allen öffentlichen Lokalitäten perorirenden, und so zu sagen daselbst wohnenden, vordrängenden und aufwiegelnden Söhne Israels, dann Magyaren, Polen, Italiener u. a. an jener Sturmpetition genommen, wissen die ihren eigenen wahren Vortheil verkennenden Wiener Bewohner leider nur zu genau, und beklagten und beklagen es, daß die Wirkungen für Wien so furchtbar geworden sind.

Seit den Märztagen wimmelte es in Wien von fremden Demagogen, die gleich den Musterreitern des Auslandes — auf Revolutionen reisten, als Revolutionäre von Profession, von Revolutionmachen ihre Existenz fristeten. Diese zerseßten den guten Geist der Nationalgarde, und benüßten deren politische Unmündigkeit zu eigenen, ungeseßlichen Zwecken.

Das faktische Losreißen Ungarns von der österreichischen Monarchie war eine jener Früchte der in Wien regierenden Propaganda und der politischen Unmündigkeit der Wiener.

Die Unterstüßung der Sturmpetition von Seite der Nationalgarde ging jedoch keineswegs aus ihrer Ueberzeugung aus, sie wurde von ihr weder mit Wissen, weniger noch mit ihrer Billigung unterstüßt, sondern ohne Selbstbewußtsein dazu gerufen, ohne Selbstbewußtsein in wirkenden Vordergrund gestellt.

Die akademische Legion enthielt unter so vielen edlen Jünglingen in ihren Reihen Elemente, die in der Nationalgarde als solche, als vaterländisches Institut, unmöglich wohlthätig auf die Gesellschaft wirken konnten. Ihr fortwährendes Haschen nach Volksgunst, nach Sympathien unter den verschiedenen Volksklassen und unter den Garden gewisser Bezirke, ihr Fraternifiren mit den Arbeitern — den „lieben Brüdern und Schwestern“ unzüchtigen Barrikaden-Andenkens ___ machten besonders die Ausländer bemerkbar. Die Juristen, sämmtlich Inländer, als vom Staate, vom Inlande und seinen Institutionen am meisten oder ganz abhängend, waren Jene, die am wenigsten die geseßliche Basis, Umsicht und Anstand außer Acht ließen, obwohl aus der Zahl des Advokaten-Personals und . der Winkelschreiber gerade die frechsten und verworfensten Subjekte ein J am Calabreser trugen. Im Juristen-Corps waren jedenfalls die meisten ausgezeich

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netsten jungen Männer eingereiht. Das Mediziner und Techniker-Corps hatten unter sich die meisten republikanischen Elemente – und Individuen, die in ihrer Zügel- und Rücksichtslosigkeit, Frechheit und Ignoranz in staatlichen Angelegenheiten, dem besseren und besten Theile der Legionäre Schande machten, manche Familie entehrten, überall schmaroßten, Freiheits- und VolksbeglückungsDeklamationen zur Stillung des Hungers förmlich als Profession betrieben, und auf den Gesammtkörper der Nationalgarde— mündlich und schriftlich perorirend— in hohem Grade nachtheilig einwirkten. Die zahllosen Redner auf den Straßen, in den Kneipen und Kaffeehäusern waren unter der größten Geschäftslosigkeit, unter dem Mangel nach allen Seiten die volksbeglückenden, staatskundigen, hochweisen Akademiker. Es mochte was immer geschehen, so sprang ein Student als Redner wie aus der Erde empor, und schleuderte den maulaufreißenden Spießbürgern, Arbeitern, und dem die Calabreser vergötternden Weibsvolke hochtrabende Phrasen voll Bombast entgegen, die, ob verstanden oder nicht verstanden, ob vernünftig oder nicht vernünftig, immer vielfältiges Bravo! erlebten. Ein oder der andere der guten, geselligen und neugierigen Wiener fand sich immer, der um sich selbst interessant zu machen – den interessanten jungen Mann kennen lernen wollte, und die Schmaroßer-Carriere war gemacht. Die Grundsäge der Politik und der Moral, die solche Parafiten, besonders die Fremden und Ausländer, unter der Bürgerschaft, unter der Nationalgarde und der Bewohnerschaft im Allgemeinen fortpflanzten, äußerten sich in der Zerseßung jeder guten Gesinnung, der Treue gegen den Thron, der Achtung vor dem Geseze und in Folgen die der Vater, der Gatte, der gastliche Hausherr später bitter beklagte. Barbiergesellen, Recensenten, Schlosser, haufirende Schacherer, Hufschmiede, Wändeanstreicher, und wie Göthe sagt: Mäusedreck und Coriander — Alles untereinander ging und war bei der akademischen Legion und trug den Calabreser. Dadurch fiel die Achtung eines Körpers, worunter die achtbarsten Capacitäten eingereiht sein sollten mehr und mehr, und ein A. M. P. oder T. war keineswegs ein ehrenvolles Abzeichen geworden. Die Aula sank zu einer Kneipe herab, ihre Bestimmung war verschwunden, es war der Tummelplag von größtentheils kecken und nichtswürdigen Buben und Abenteurern. Professor Füster möge sich den Dank der Eltern einsammeln!

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Die Aula ward ein Organ, durch welches Alles durchgesezt werden konnte.— Dieß trug viel dazu bei, daß das Volk sich auf gewaltsame Durchseßung seiner Wünsche gewöhnte. Die Nationalgarde in ihrer mangelhaften Zusammensehung bildete in ihrer Mehrzahl einen Klumpen ohne alle politische Bildung, und bewies sich als solcher dadurch, daß jeder Einzelne — nur seiner oft grassen Unwissenheit oder Einfalt fröhnend so wie ganze Compagnien und große Massen des ganzen Körpers, den Befehlen ihrer Offiziere Hohn sprachen, und blindlings in die Bewegung hinein stürzten.

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Die Abreise des gesammten Hofes nach den Vorfällen des 15. Mai, Folge eben dieser Sturmpetition und der Absicht einer zweiten wegen Aufgeben Italiens und Streichung der Staatsschuld, brachte die Bewohner der Residenz wirklich in große Bestürzung, die Garde hingegen theilweise zu ihrem Erwachen, die Zügellosigkeit der Presse auf einige Tage zum Verstummen. Doch auch dieß dauerte nur einen Moment!- Die Parteien traten mehr hervor, die Umsturzpartei schmähte auf den a. H. Hof, die Gutgesinnten, meist ohne alle politische Bildung und Beurtheilungsgabe, wurden haranguirt, und diejenigen, welche die Ursache der Abreise des Hofes in der Sturmpetition unumwunden aussprachen, waren vor Mißhandlungen nicht sicher, ja sogar mit dem Tode bedroht *).

Am frechsten traten Jene hervor, die in Wien bisher Fremde waren, die von der konstitutionellen Verfassung keineswegs, wohl aber von der republikanischen unbedingte Gleichstellung mit den ackerbautreibenden einheimischen Christen erwarteten. Es war wohl im größten Theile der gutgesinnten Garde der Wille vorherrschend, einig zu wirken, um das ohne Blutvergießen begonnene große Freiheitswerk ruhig und auf legalem Wege zur Reife bringen zu helfen; aber es mangelte alle Bindungskraft eines Gesetzes und die Kraft eines Führers, der ein Gott das Vertrauen der heterogenen Bestandtheile der Volkswehr besessen hätte. Die Volkswehr war in Bezug auf die Quantität groß, aber in Bezug auf die Qualität sehr gering zu nennen. Die in ihre Reihen aufgenommenen Fremden waren die größte Schwäche dieses vaterländischen Institutes. Der größte Theil derselben bestand aus rohen, unwissenden, excessiven oder spekulirenden Elementen, es fehlte der unerläßliche Geist politischer Tugend. Das Kleid und der Schleppsäbel war zur geckenhaften Mode und zur spießbürgerlichen hohlen Bramarbastrerei herabgesunken, und der Offiziersrang meist Eigenthum der Reichen geworden, die wohl die Auszeichnung genossen, aber nicht die damit verbundenen Pflichten zu erfüllen im Stande waren. Wirthshaus-Cotterien dominirten die Compagnien, spekulative Subjekte betrachteten die Nationalgarde im Ganzen, oder deren Compagnien als eine Kuh, die sie zu ihrem Vortheile nach Belieben. abmelkten, Saufgelage übten den größten Einfluß auf einen großen Theil der Offizierswahlen, und brachten Uneinigkeit unter den Cameraden hervor, woraus auch politische Gehässigkeiten Nahrung bekamen.

Die düstere Stimmung der Bevölkerung der Kaiserstadt währte nach der Abreise des a. h. Hofes fort, es gab sich deutliches Mißtrauen gegen die akade

*) Wollte doch ein erbärmliches Individuum am 18. Mai den Berfasser (weil er im Stierböckschen Kaffeehause in der Leopoldstadt sagte: Die Abreise Sr. Majestät wäre die Folge der Sturmpetition, und weil sich der Kaiser wohl nicht sicher fühlte) gehängt oder ertränkt wissen, und suchte ihn in Begleitung mehrerer ungarischer Juben an mehreren Orten in der ausgesprochenen Absicht auf. Dr.

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mische Legion fund, welche man als Urheberin der Ereignisse des 15. Mai 1. J. und der dadurch erfolgten Abreise des kaiserlichen Hofes beschuldigte, so zwar; daß die akademische Legion Berathungen über ihre zeitweilige Auflösung und Schließung der Aula hielt. Wirklich führte der gediegenere Theil der studirenden Jugend den Beschluß durch; daß die Aula für das Publikum gänzlich, für die Nationalgarden und die Legion aber nur, wenn ein genügender Grund nicht vorlag, geschlossen bleibe, und nur einmal in der Woche zu FakultätsBerathungen geöffnet werde. Das Corps der Juristen und Philosophen zeigte große Neigung, sich auf einige Zeit aufzulösen, ungeachtet das Corps der Mediziner und Techniker sich diesem Beschlusse nicht fügten. Viele der Ersteren legten ihre Waffen freiwillig ab, und andere begannen sich in jene Nationalgarde-Compagnien einreihen zu lassen, in welchessie nach ihrem Domicile gehörten.

Während in dieser düsteren Stimmung noch der beruhigende Hoffnungsstrahl leuchtete, daß das Entwicklungswerk auf gemäßigterer Basis herangebildet werde, kam jener unglückliche 26. Mai 1848 heran, an welchem Tage früh Morgens die Stadtthore vom Militär beseßt, der Ein- und Ausgang verwehrt, die Universität aufgefordert, die Aula zu schließen, und die Legion beauftragt wurde, die Waffen niederzulegen.

An diesem Tage feierte die demokratische Fraktion ihren Sieg durch den Sturz des Ministeriums und die Compromittirung des Militärs; an diesem Tage beging die Jugend so viel Unzucht unter freiem Himmel, daß durch die Syphilitischen bedeutende Lücken in den Reihen der Legion entstanden; an diesem Tage ward es nöthig, an alle Gewölbsthüren :,,Heilig ist das Eigenthum“ mit Kreide zu schreiben. An diesem Tage schritt der anarchische Zustand vorwärts, und war der verhängnißvolle Würfel geworfen, welcher großen Zwiespalt in die Nationalgarde brachte, die Presse neuerdings ermuthigte ihr Medusenhaupt terroristisch zu schütteln, und alle die Ereignisse bis zum 6. October l. I. am Gängelbande nach sich führte. Der 26. Mai endete damit, daß das k. k. Militär den Rückmarsch in die Kasernen antreten mußte, daß sämmtliche Wachposten von Seite der Nationalgarde, die Burgwache aber gemeinschaftlich übernommen wurden. Das kaiserliche Zeughaus, die Kanonengießerei und alle der Armee gehörigen militärischen Gebäude und Depots blieben jedoch fortwährend vom Militär besegt. Mit diesem Tage keimte der gestreute Same des Mißtrauens gegen das k. k. Militär auf.

Die Folge dieses Tages war die Demoralisirung der Arbeiter und Arbeite rinnen. Zum Plündern war kein vernünftiger Grund vorhanden, da jeder und jede aus freien Stücken hergab, was sie besaßen um die Leute im guten Humor zu erhalten. Die,,lieben Brüder und Schwestern" trugen an jenem Barrikadentage Pflastersteine in die Stockwerke, und ließen sich das Stück mit einem Zwan

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