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gegnete und ihre Gesellschaft mied, hatten die Gesandten Gelegenheit mit eigenen Augen zu sehen.*)

Katherina Dolgorukh brachte auch ihrerseits keine Freudigkeit zu diesem Bunde. Sie war, wie man ziemlich allgemein wußte, von einer anderen Neigung beherrscht, deren Gegenstand ein Cavalier der österreichischen Gesandtschaft, Graf Milesimo, war. Der Gesandte hatte die eigenthümliche Aufmerksamkeit, diesen jungen Mann zu entfernen, indem er ihn als Eilboten nach Wien entsendete, so wie bekannt wurde, daß die vorläufige nicht kirchliche Verlobung der Fürstin mit dem Kaiser (30. Nov. 1729) stattgefunden habe.

Diese Nachricht erregte übrigens in allen Kreisen eine Unzufriedenheit, bie sehr unzweideutig hervortrat. Wenige Verständige, denen es um das Wohl des Landes zu thun war, beklagten die angekündigte Verbindung aus ernsten Gründen; sie glaubten die Macht der Familie Dolgorukh nun bleibend gesichert und damit den Rückfall Rußlands in die alte Barbarei entschieden. Alle bedeutenden Familien des Adels waren leidenschaftlich unzufrieden und erzürnt aus Eifersucht und Neid.

Die Dolgorukhs wußten, daß sie viele Feinde hatten und waren nicht ohne Sorgen, sahen aber in der drohenden Unzufriedenheit nur einen Grund den Gang der Dinge zu beschleunigen und die schwebenden Verhältnisse so schnell wie möglich in unwiderrufliche zu verwandeln. Und in der That, wie die Dinge in Rußland zu gehen pflegten, blieb ihnen keine Wahl, nachdem sie sich einmal so weit gewagt hatten; sie mußten sich durch die rasch vollzogene Vermählung der jungen Fürstin sicher stellen, wenn sie nicht das Schicksal Menschikows erleben wollten. Schon am 4. December fand dann auch im Lefortschen Palast, den der Kaiser zur Zeit bewohnte, die feierliche kirchliche Verlobung statt, die der vornehmste Kirchenfürst des Reichs, der Erzbischof Feofan vollzog. Wie sehr aber die Familie Dolgorukh bei dieser Gelegenheit Unruhen und Gefahr befürchtete, das zeigte sich in den Anstalten, die getroffen waren.

„Die Familie Dolgorukh ist jezt von Allen die mächtigste," berichtet der Herzog von Liria; dennoch aber fürchtet sie die anderen und ihre Besorgnisse zeigen sich darin, daß an dem Tage der Verlobung die Wache des Palastes aus einem ganzen Garde-Bataillon von 1200 Mann bestand, während zu gewöhnlichen Zeiten dort nur 150 Mann auf Wache ziehen. Der (Garde-)Grenadier-Compagnie, deren Hauptmann der Günstling ist und die aus einhundert Mann besteht, war befohlen in den Saal einzurüden und sich unmittelbar hinter dem Zaren aufzustellen, angeblich größerer Feierlichkeit wegen, in der That aber, damit sie der Versammlung näher wäre und alle Thüren besete; es war ihnen (den Grenadieren)

̧*) Berichte des fächsischen Gesandten Lefort vom 21. Nov., 1., 5., 8., 15., 19. December 1729 bei Herrmann; des Herzogs von Liria vom 19. Dec. 1729.

sogar befohlen, scharf zu laden, damit sie, wenn irgend jemand, wie man befürchtete, Unordnung veranlassen wollte, um die Ceremonie zu verhindern, sofort unter die Unzufriedenen feuern könnten. Das hatte der Günstling angeordnet, ohne Vorwissen seines Oheims, des Feldmarschalls, der sehr überrascht war, die Compagnie im Saal zu sehen. Da dieser Lettere mein Freund ist ..... hat er es mir selbst gesagt und ich glaube, daß auch sonst niemand vorher um die Sache gewußt hat; wenigstens hat selbst Ostermann nicht darum gewußt und er war gleichfalls überrascht.“

,,Das besagte Bataillon befindet sich auch jetzt noch (8. Dec.) in Bereitschaft in der Nähe des Palastes und hält Wache in den Zimmern, die der Günstling bewohnt.“ Aus Allem sei zu ersehen, daß die Dolgoruths,,das Volk" fürchten, das ,,an Verschwörungen und Aufstände gewöhnt" sei.

Das war allerdings von übler Vorbedeutung und die bösen Zeichen mehrten sich. Der junge Kaiser schien schwermüthig seit seiner Verlobung. Zweimal entzog er sich in stiller Nacht seiner allzu wachsamen Umgebung, um allein heimlich zu Ostermann zu schleichen und sich mit diesem und noch einem oder zwei anderen Mitgliedern des Hohen Raths zu besprechen. Die Dolgorukys suchten überall als sie ihn vermißten und wußten, scheint es, nicht zu verbergen, wie sehr sie erschreckt waren. Die ganze Familie schien dem Kaiser verhaßt zu werden.

Katherina Dolgoruky, in ihren, Neigungen durchkreuzt, verbarg nicht, daß sie ihren Bruder, den Günstling, haßte und suchte ihn zu verderben. So sahen denn die unbefangenen Beobachter von mehr als einer Seite Unheil nahen. Die Vermählung aber, die so verhängnißvoll zu werden drohte, wurde beschleunigt so viel die Gebräuche der griechischen Kirche irgend gestatteten. Sie sollte unmittelbar nach dem Dreifönigstage (1730) und alten Styls) stattfinden und an demselben Tage sollte auch „der Günstling" mit einer reichen Erbin, einer Scheremétiew vermählt werden. *) Zu eben der Zeit aber (am 6./18. Januar 1730) erkrankte der Kaiser an den Blattern. Einige Tage über suchte man seine Krankheit zu verbergen, dann wurde aber doch bekannt woran er leide. Noch wurde sein Zustand nicht für gefährlich gehalten und schon war man in den maßgebenden Kreisen mit der Thronfolge beschäftigt für den Fall, daß der Kaiser sterben sollte. Und ganz wie früher in ähnlichen Fällen zeigte sich auch jest wieder, daß in diesen Kreisen nicht entfernt ein ernstes Rechtsbewußtsein herrschte. Niemand fragte wer denn ein wirkliches Erbrecht an die Krone habe, niemand bekümmerte sich um das bestehende positive Gesetz, die beschworene Thronfolgeordnung der Kaiserin Katherina - ein Jeder ließ sich einzig und allein durch seine persönlichen Interessen bestimmen.

*) Berichte Leforts vom 2., Liria's vom 2. und 9. Jan. 1730.

Die Krankheit nehme einen günstigen Verlauf, berichtete der Herzog ven Liria (am 26. Januar); für den Fall, daß der Kaiser dennoch wider Erwarten stürbe, sei ein innerer Krieg zu fürchten, denn es träten vier Barteien für eben so viel verschiedene Kron- Prätendenten hervor -: die eine für die Prinzessin Elisabeth, Tochter Peters des Großen, die andere für die Zarin Großmutter Eudoxia Lapuchin; eine dritte für die Braut, Fürstin Dolgoruky; - eine vierte endlich für den Sohn des Herzogs von Holstein-Gotorp (den nachherigen Peter III.).

Obgleich dieser Lettere in der That das beste Recht auf den Thron hat, sind seine Anhänger doch sehr wenig zahlreich und durchaus nicht mächtig. Die Prinzessin Elisabeth hat etwas mehr Anhänger, sie sind aber auch nicht mächtig."

„Die einflußreichsten Leute sind auf Seiten der Zarin-Großmutter und der Braut. Das ist so augenfällig, daß ich beinahe bestimmt versichern kann, daß, im Fall der Schlag des Schicksals erfolgt, nach den Maßregeln zu schließen, die bereits getroffen sind, entweder die ZarinGroßmutter den Thron besteigt oder die Braut Dolgoruky. Ich zweifle nicht, daß es der Letteren eher gelingen wird, vermöge der großen Macht der Dolgorukys, deren Familie sehr zahlreich ist.“ — Für den wahrscheinlicheren Fall seiner Genesung seien die Dolgorukys entschlossen den Kaiser noch vor den großen Fasten mit seiner Braut zu vermählen, selbst wenn die sechs Wochen der Convalescenz noch nicht vorüber sein sollten. Wäh= rend der Fasten ist nämlich in der griechischen Kirche jede Trauung unterjagt und die weiteren sechs Wochen bis zum Ende der Fasten zu warten, mußte wohl bedenklich scheinen. So gespannt war die Lage.

In einer Nachschrift fügt dann der Herzog hinzu: „Nach Schluß meines Briefs habe ich erfahren, daß viele Intriguen in Bewegung sind, wevon ich aber den König, unseren Herrn, als im höchsten Grade wahrscheinlich versichern kann, das ist, daß, im Fall der Zar stirbt, die Krone entweder der Zarin-Großmutter oder der Braut zu Theil wird. Von der Prinzessin Elisabeth und dem Sohn des Herzogs von Holstein spricht man nur im Vorbeigehen. . . . ."

Der französische Geschäftsträger berichtete ganz in demselben Sinn.*) Wie ganz ungeregelt und prinzipienlos mußten die herrschenden Vorstellungen umherirren, wenn man die Großmutter und die Braut des Sterbenden zu den Erbberechtigten zählen konnte!

Beter II. starb in der Nacht vom 29. zum 30. Januar; im Fieberwahn seiner Todesstunde rief er nach der Schwester, die er im Leben vernachlässigt hatte, und nach Ostermann, in dessen Armen er endete. hatte nur vierzehn Jahre und nicht ganz vier Monate gelebt.

*) Tourgeneff, La Russie et les Russes III. 309.

Biertes Capitel.

Die Großfürstin Anna Iwanowna zur Kaiserin erwählt;

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die Wahlcapitulation und die oligarchische Verfassung von der Kaiserin angenommen; -- Spaltungen im russischen Adel, verschiedene Verfassungs-Entwürfe; Staatsstreich, der Anna Iwanowna zur Selbstherrscherin erhebt und den Charakter der russischen Regierung für die Folge

bestimmt.

Sichtbare Unzufriedenheit der Altrussen und der Kirche; Errichtung neuer GardeRegimenter; Rückverlegung der Regierung nach Petersburg; Brände; - Birons Herrschaft; der Türkenkrieg.

Verschwörung und Untergang der Dolgorukys; Wolynskys Verschwörung und Ende. Tod der Kaiserin Anna und ihr Testament; Iwan Antonowitsch Kaiser; Biron Regent und gestürzt; Anna Leopoldowna Regentin; Revolution, die Elisabeth Petrowna auf den Thron erhebt.

Am 30. Januar 1730 wurden die Stadt Moskau und die fremden Gesandten durch die Nachricht überrascht, daß der Kaiser gestorben und die Wittwe Herzogin von Kurland, die Großfürstin Anna Iwanowna, als seine Nachfolgerin, als regierende Kaiserin ausgerufen sei.

Das war in der That die größte aller Ueberraschungen und wurde auch im vollsten Sinn des Worts als solche empfunden. Wie seit vielen Jahren, hatte noch vor wenigen Stunden niemand an diese Prinzessin gedacht und sie hatte nicht den Schatten eines Rechts an die Krone! Sollte von einem Erbrecht nach allgemein gültigen Grundsätzen die Rede sein und glaubte man sich an die Nachkommenschaft Peters des Großen halten zu müssen, dann war der Sohn seiner älteren Tochter, der junge Prinz von Holstein, unzweifelhaft der rechtmäßige Erbe der Krone. Selbst wenn man den Nachkommen des Zaren Iwan Alexeyewitsch, als der älteren Linie, ein besseres Recht zuerkennen wollte, war nicht Anna, sondern ihre ältere Schwester, die Herzogin von Mecklenburg, oder deren Tochter Anna Leopoldowna die Erbin. -- Wollte man, was zunächst und vor allem maßgebend sein mußte, das positive, in Rußland bestehende Recht anerkennen die beschworene Thronfolge-Ordnung der Kaiserin Katherina -: in der war der Herzogin von Kurland so wenig als ihrer Schwester irgend gedacht; der junge Prinz von Holstein war darin als Erbe bezeichnet.

Bald aber sollte offenbar werden, daß die Großfürstin Anna gewählt worden war, eben weil sie gar kein Recht auf die Krone hatte.

Biel war geschehen in der kurzen Todesnacht des Kaisers. Was während dieser Stunden verhandelt wurde, hat einen großen, nachhaltigen Einfluß auf die Geschicke Rußlands geübt, wenn auch einen ganz anderen als beabsichtigt war, und eben deshalb ist es zum Verständniß der folgenden Geschichte nothwendig hier im Einzelnen darauf zurückzukommen.

Während der Krankheit des Kaisers hatten die Dolgorukys verzweifelte Versuche gemacht sich im Besig der Macht zu behaupten, die ihren Händen zu entschlüpfen drohte. So wie der Zustand des Kranken be= denklich geworden war, hatten sie, vor allen Alexey Grig., ihn eilig mit seiner Braut vermählen wollen, um dann seine Wittwe als regierende Kaiserin ausrufen zu können. Ostermann hatte sich widersett und den kühnen Anschlag hintertrieben.

Während dann der Kaiser schon mit dem Tode rang, einen oder zwei Tage vor seinem Ende, beschäftigten sich die Dolgorukys, Wassily Lukitsch, die Brüder Alexey, Sergey und Iwan Grig. und der Günstling Iwan Alex., in einem Familienrath in Alexeys Behausung, mit einem noch viel gewagteren Plan: sie entwarfen einen legten Willen des Sterbenden, in welchem er seine Braut, Katherina Dolgoruky, zur Nachfolgerin auf dem Thron ernannte. Der Fürst Sergey schrieb dieses Testament in zwei Exemplaren, deren eines ohne Unterschrift blieb, während der Günstling Iwan Alex. den Namen „Peter" unter das andere sezte. Die Unterschrift Zwans konnte allenfalls für eine Unterschrift des Kaisers ausgegeben werden, denn öfter schon hatte dieser Günstling mit Wissen und Willen seines Herrn dessen Namen unter die Papiere gesetzt, die der kaiserlichen Unterschrift bedurften. Die Verschworenen, wie wir sie wohl nennen müssen, wollten nun, wenn irgend möglich, das erste Exemplar noch von dem sterbenden Knaben unterschreiben lassen; ließ sich das nicht mehr bewerkstelligen, dann wollte man das von dem Fürsten Iwan Alex. unterschriebene Testament vorweisen und zur Geltung bringen.

Der Feldmarschall Dolgorukh aber, der, eilig vom Lande herbeigerufen, mit seinem Bruder Michail Wlad. eintraf, als der Fürst Alexey eben wieder an den Hof geeilt war, verwarf das Unternehmen, die Fürstin Katherina auf den Thron zu erheben, als thöricht und unmöglich, da sie noch nicht mit dem Kaiser vermählt, nicht Kaiserin sei; - und selbst wenn sie ihm vermählt wäre, würde es um ihre Nachfolge mißlich stehen, da sie nicht gekrönt sei, wie Katherina I. war.

Die Vettern wollten die Unmöglichkeit nicht zugeben; er selber, der Feldmarschall, sei Oberster der Preobrashenstischen Garde, da könne man des Kanzlers Golowkin und des Fürsten Dmitry Galizhn mit Gewalt Herr werden. Der Feldmarschall verwarf diese Vorstellungen als findisch; es sei etwas ganz Unerhörtes, das sie vorhätten; die Soldaten

Bernhardi, Rußland. II. 2.

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