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unterhandeln, und kein Vermittler konnte ihm erwünschter sein, als der Freund seiner Jugend, der Fürst Czartoryski. Doch lehnte er es ab, ihm die gewünschte Entlassung zu gewähren. Seine Entlassung, meinte der Kaiser, könnte den Verdacht erregen, daß die früheren Pläne in Beziehung auf Bolen aufgegeben seien. Alexander wollte eben den Fürsten als Vertreter seiner Wünsche und Interessen, den Polen gegenüber beauftragen, während Czartoryski im Gegentheil im Interesse der Polen und ihrer Forderungen, in ihrem Auftrage mit dem Kaiser unterhandeln wollte. Ebenso gingen beide, der Kaiser und Czartoryski, in Beziehung auf den Inhalt, den die Unterhandlungen haben sollten, von sehr verschiedenen, ja einander entgegengesetzten Gesichtspunkten aus. Alexander wollte, die Polen sollten sich vor allem mit ihm verbünden und ihre Waffen mit den seinigen vereinigen, wie er es schon ein Jahr früher gehofft hatte; im Uebrigen sollten sie seinem einfachen Wort trauen. Czartoryski wollte im Gegentheil zuerst und vor allem alle Forderungen gewährt wissen, die er im Namen der Polen stellte; er kam stets darauf zurück, der Kaiser müsse vor allen Dingen die Polen durch eine feierliche Proclamation ausdrücklich zur Herstellung ihres Vaterlandes aufrufen, und sich durch öffentliche Versprechen binden, die Leitung der Angelegenheiten sofort den Polen selbst anvertrauen; das Weitere sollte sich dann erst finden. Er wurde besonders dringend, als er in Erfahrung gebracht zu haben glaubte, daß die preußische Regierung nichts gegen eine Herstellung Polens habe. Nebenher war er beflissen, die polnischen Truppen, die unter Poniatowski noch immer in der Nähe von Krakau weilten, vor jedem Angriff von Seiten der Russen zu wahren.

Eigentlich handelte der Fürst Czartoryski in allen diesen Dingen lediglich nach eigenem Ermessen, ohne Vollmacht von seinen Landsleuten. Die im Herzogthum Warschau ansässigen Magnaten verhielten sich im Allgemeinen passiv und äußerten sich so wenig als möglich in irgend einem Sinn. Selbst unzuverlässig, sind die Polen gar sehr zum Mißtrauen geneigt; ein gegebenes Wort gilt ihnen für eine geringe Bürgschaft. Besonders aber werden sie in ihrem Thun und Lassen im Allgemeinen durch leicht erregte Leidenschaften und eine ebenso leicht erregte Phantasie bestimmt; oft auch durch Berechnungen einer, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, leichtsinnigen List und Verschlagenheit, doch selten oder nie durch besonnene Erwägung. In diesem Geist gefielen sich denn die polnischen Edelleute darin, den aller unbestimmtesten Aeußerungen Napoleons zu Gunsten Polens unbedingt zu vertrauen und selbst seinen ablehnenden Worten einen günstigen Sinn unterzuschieben. Selbst wenn sie erfuhren, daß er äußerte, die Polen seien ihm sehr gleichgültig, er verwende sie nur als Material, sie seien ihm nur Mittel, nicht Zweck, ließen sie sich auch dadurch nicht stören in ihrer Verblendung, weil die Art, wie er sie verwendete, ihren Leidenschaften entsprach: der feindseligen Gesinnung, mit der sie auf

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Russen und Deutsche sahen. Dem redlich gemeinten Wort Alexanders bagegen trauten sie nicht! Vor allem aber glaubten sie noch immer überwiegend an einen endlichen Sieg Napoleons, und waren in der Ungewißheit des Erfolges darauf bedacht, sich nicht bloßzustellen, zu „com promittiren."

Troy aller Geschäftigkeit des Fürsten Adam Georg, der den Kaiser in Kalisch aufsuchte und hin und her reiste, kam der beabsichtigte Reichstag nicht zusammen, die Unterhandlungen kamen nicht in Gang. Die Russen begegneten im Herbstfeldzug 1813 den polnischen Truppen unter Poniatowski wieder in den Reihen ihrer Feinde, und das Herzogthum Warschau blieb einfach ein durch die russischen Waffen erobertes Land.

Die Leerheit dieses Treibens, das am Ende zu gar nichts führte, mußte eigentlich den Kaiser Alexander überzeugen, daß Alles, was unter den gegebenen Bedingungen in Polen geschehen mochte, in einem Kampse von solchen Dimensionen keine große Bedeutung haben und jedenfalls gegen die Wichtigkeit einer Verbindung mit Desterreich und Preußen gar nicht in Betracht kommen konnte.

In Wien wurden freilich zu Anfang die Eröffnungen des Kaisers ven Rußland etwas kühl aufgenommen; der russische Diplomat, Graf Stacel berg, der im Cabinet Metternichs mit Enthusiasmus für Deutschlands und Europas Befreiung auftreten wollte, wurde von Metternich mit Ironie und feinem Spott in solcher Weise abgewiesen, daß er wohl begreifen mußte, wie wenig hier ein Boden für ideale Begeisterung und dithyram bische Stimmungen sei. Zwar suchte Desterreich seine Verbindung mit Frankreich zu lockern und den diplomatischen Verkehr mit Rußland zu ers halten, aber zunächst nur, um freie Hand zu gewinnen, zu einer selbstständigen Stellung zu gelangen, in dieser dann den eigenen Vortheil wahr zunehmen und sich je nach den Umständen für die eine oder die andere Partei zu entscheiden. Die Sympathien des Kaisers von Desterreich und Metternichs waren sogar, allem Anschein nach, eher für Napoleon als für seine Gegner. Wenigstens ist gewiß, daß man zu Wien in Napoleon den Mann anerkannte, der die Revolution besiegt habe, und die gefährlichen Ideen, die sie zur Geltung bringen wollte, daß dagegen der Liberalismus des Kaisers Alexander dort großes Bedenken erregte, und die neuernden Staatsmänner Preußens mit entschiedener Abneigung als Jakobiner ver urtheilt wurden. Das nach dieser Seite gewendete Mißtrauen wurde durch die Unterhandlungen des Kaisers von Rußland mit den Polen, oder vielmehr mit Adam Georg Czartoryski, genährt, um die man zu Wien wußte, sowie durch den Umstand, daß die ostpreußischen Stände ohne Befehl der königlichen Regierung zum Kampfe zu rüsten begannen. Die Stimmung überhaupt wurde dann auch besonders noch dadurch gereizt, daß auch in

Desterreich, unter dem Schuße des Erzherzogs Johann, ein Patriotismus sich regte, der dem etwas langsamen Kaiser Franz,, vorgreifen" und zunächst einen Aufstand in Tyrol hervorrufen wollte: ein Unfug, der den beschränft despotischen Sinn des hohen Herrn auf das Alleräußerste empörte.

So ließ denn Desterreich um sich werben. Es kam darauf an, wer ihm die größeren Vortheile bot, und die größere Sicherheit gegen die Revolution. In dieser letzteren Beziehung war jedenfalls mehr von Napoleon zu erwarten, als von dem Kaiser Alexander, ja es bedurfte von seiner Seite gar keiner besonderen Erklärung. So berichtet denn auch Bignon, der zur Zeit selbst in der französischen Diplomatie thätig war, daß Napoleon damals gar wohl ein Bündniß mit Desterreich schließen und den Beistand der ganzen Macht dieses Reichs gewinnen konnte. Die Furcht, die Napoleon als Feldherr einflößte, die Scheu vor einem neuen Kampf mit ihm, die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs, die eben sein Feldherrn-Talent ihm zu sichern schien, mochten dazu nicht am wenigsten beitragen. Es kam, meint Bignon, der dieses eine Mal sogar seinen Herrn und Meister zu tadeln wagt, nur darauf an, daß Napoleon einen angemessenen Preis für das Bündniß bot, und daß er namentlich auch dem österreichischen Staat und seiner Regierung die Stellung und die Rechte einer, dem französischen Kaiserreich ebenbürtigen, selbstständigen Macht einräumte. Das aber lag für Napoleon ganz außer aller Möglichkeit. Er wollte gebieten und verlangte Unterwürfigkeit, hier wie überall.

Anders lagen die Dinge in Preußen; von dieser Seite wurde dem Kaiser Alexander das gewünschte Bündniß entgegengebracht. Der Flügeladjutant v. Nazmer, der (5. Januar 1813) von Berlin nach Ostpreußen gesendet war, angeblich um dem General York seine Enthebung vom Heerbefehl anzukündigen und seine Verhaftung zu veranlassen, hatte den wirklichen Auftrag, sich in das russische Hauptquartier zu begeben, und im Namen seines Königs dem Kaiser Alexander ein Schuß- und Truzbündniß anzubieten, vorausgesetzt, daß Rußland entschlossen sei, den Krieg mit ganzer Macht fortzusehen und seine Heere unverweilt über die Weichsel und Oder vorrücken zu lassen.

Nazmer traf in dem Augenblick, wo die russische Armee über den Niemen ging, bei ihr ein. Hocherfreut erklärte der Kaiser Alexander, daß er zum Voraus auf alle Bedingungen eingehe, die der König von Preußen jezt oder später festgestellt haben wollte. Es zeigte sich aber auch sofort, mit welchen widerstrebenden Elementen der Kaiser in seinem eigenen Heere, in seiner eigenen Umgebung zu kämpfen hatte. Kutujow, der sammt seinem zahlreichen Anhang, in kurzsichtiger Befangenheit kein Bündniß mit Preußen wollte, sondern einen unmöglichen Frieden mit Napoleon, und die Weichsel als Grenze Rußlands, veranlaßte den Kaiser zu fordern, daß vor allen Dingen die einzige Festung, die Preußen in der Provinz

gleiches Namens und an der Weichsel hatte, Graudenz nämlich, den Russen überliefert werde. Der Kaiser ließ diese Forderung erst fallen, als Nazmer mit Bestimmtheit erklärte, der König habe sich darüber schon zum Voraus ganz entschieden ablehnend ausgesprochen. Kutusow und sein Anhang mochten wohl gehofft haben, daß Unterhandlung und Bündniß sich darüber zerschlagen würden.

Auch förderten im Laufe der nächsten Wochen, troß des entschiedenen Willens der beiden Monarchen, die Unterhandlungen nicht. Sie wurden von Seiten des preußischen Bevollmächtigten mit einer etwas plan losen Vorsicht geführt, weder mit vollem Vertrauen, wie der König voraussette, noch mit der Entschiedenheit, zu der die allgemeine Lage und der Zustand der russischen Armee berechtigten. Vor allem aber war der widerstrebende Kutusow nicht vorwärts zu bringen, und so kam es denn bald dahin, daß die anfangs zugestandenen Bedingungen geradezu umgekehrt wurden: Rußland machte nun das Vorrücken seiner Heere über die Oder davon abhängig, daß Preußen zuvörderst ein Bündniß mit ihm schließe.

Die Dinge hätten wohl noch lange in dieser unheimlichen Weise in der Schwebe bleiben können, wenn sie nicht der Freiherr von Stein in die Hand genommen hätte. Er eilte nach Breslau, wohin sich der König von Preußen begeben hatte, und brachte es dahin, daß (28. Februar 1813, ein Bündniß unterzeichnet wurde, in dem Preußen ein etwas zu allgemein gehaltenes Versprechen erhielt, daß es in Beziehung auf Umfang und Volks menge seines Gebiets hergestellt werden sollte, wie es vor 1806 gewesen war. Der Entschluß zum Bunde war, wie Stein uns selber sagt, bei dem damaligen Zustand der Streitkräfte Rußlands, von Seiten Preußens ein sehr kühner; aber er war ein nothwendiger, und da Oesterreich nicht in Bewegung zu bringen war, konnte nur solche Kühnheit die Sache Euro pas fördern, oder, was den Kaiser Alexander noch näher berührte, rie Sonder-Interessen Rußlands sicher stellen, und die Ausführung seiner Lieb lings-Pläne in Polen möglich machen.

Bald nach dem geschlossenen Bündniß erging von Kalisch aus (25. März) jener berühmt gewordene Aufruf an die Deutschen, den seltsamer Weise der engherzige Kutusow unterschreiben mußte. Die Deutschen wurden darin zum Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit aufgefordert; der Rheinbund wurde als Werkzeug der Fremdherrschaft für aufgelöst er klärt, den deutschen Rheinbundfürsten, die sich der nationalen Sache Deutsch lands nicht anschließen wollten, mit Abseßung und Vertreibung gedroht.

Es ist erklärlich, daß die gehobene Stimmung, die durch das gelungene Bündniß, und bei den Preußen insbesondere durch die Rüstungen zu einem lang ersehnten Waffengang hervorgerufen wurde, sich aussprechen wollte, und in diesem Aufruf ihren Ausdruck fand. Doch muß man gestehen, daß er, wie die Dinge wirklich lagen, eher geschadet hat als genügt, und besser

unterblieben wäre, denn er wurde am österreichischen Hofe gar übel vermerkt und steigerte dort Mißfallen und Mißtrauen nicht wenig. So wurde denn die einzige thatsächliche Folge dieses Aufrufs, daß Desterreich, als man sein Bündniß nicht entbehren konnte, seine „conservativen“ Bedingungen viel entschiedener stellte, viel bestimmter forderte, daß die Regelung der Angelegenheiten Deutschlands ausschließlich ihm überlassen bleibe, als vielleicht geschehen wäre, wenn keine solche Veranlassung dazu vorlag.

Die Nothwendigkeit, Desterreich in den Bund gegen Napoleon zu ziehen, wurde aber sehr bald in nachdrücklichster Weise empfunden. Kutusow starb zwar, aber doch erst nachdem auch sein Widerstreben und Zaudern einen schädlichen Einfluß auf die Einleitung zu dem neuen Feldzug geübt hatte. Graf Wittgenstein, der sich an der Düna einen gewissen Ruf erworben hatte, wurde zum Oberfeldherrn ernannt, doch nur dem Namen nach; der Kaiser Alexander versuchte es eigentlich wieder einmal selbst den Befehl zu führen, mit Hülfe eines Kriegsraths, in dem diesmal General Diebitsch die Hauptrolle spielte, aber auch Toll und Knesebeck gelegentlich bedeutenden Einfluß üben konnten.

Auf dem Schlachtfelde von Groß-Görschen (2. Mai) sah sich dann das russisch- preußische Heer einem doppelt überlegenen Feinde gegenüber und vermochte den Sieg nicht zu erkämpfen, und diese Erfahrung wurde entscheidend in Beziehung auf die in den maßgebenden Kreisen herrschenden Ansichten und Stimmungen. Die Staatsmänner und die Feldherren des verbündeten Hauptquartiers waren nun vollends überzeugt, daß Oesterreichs Beistand nicht zu entbehren sei, und die meisten, den Kaiser Alexander nicht ausgenommen, waren nachgerade bereit, ihn fast um jeden Preis zu erkaufen. So offenbarte sich nun die weit reichende, in mancher Beziehung selbst weltgeschichtliche Bedeutung des Umstandes, daß auch das russische Heer im Laufe des schrecklichen Winterfeldzugs großentheils zu Grunde gegangen war; er machte Oesterreich zum Herrn der Lage und seine Politik zur überwiegend maßgebenden im Rathe der Verbündeten. Die Folgen sind nur zu bekannt. Daß der Einfluß der ängstlich lähmenden, rückwärts in eine vergangene Zeit strebenden Politik unter Metternichs Leitung nicht in noch größerem Maße verderblich geworden ist, verdankt die Welt vorzugsweise dem unbezähmbaren Stolze, der übermüthigen Verblendung Napoleons, dessen verwöhnter Geist den Gedanken, daß er gezwungen sein fönnte irgend einer Macht zu weichen, nicht zu ertragen vermochte. Nur seiner Unbeugsamkeit, die zur Unvernunft wurde, verdankt es Europa, daß der Friede, den eine theils zagende, theils klügelnde Halbheit ihm mehr als einmal bot, im Laufe der nächsten Monate nicht auf verderbliche Bedingungen geschlossen, daß er stets von Seiten Frankreichs zurückgewiesen wurde.

Zunächst drehte sich Alles um den Anschluß Desterreichs; die Schlacht bei Baußen (21. und 22. Mai) wurde mit sehr geringer Aussicht auf Bernhardi, Rußland. II. 2.

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