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Schwester in Twer machte (1811), fand sich die Gelegenheit ihm Karamsin vorzustellen, der von Moskau dorthin beschieden wurde. Der Historiograph durfte dem Kaiser seine Klagen und Bedenken vortragen; er durfte ihm sogar seine Denkschrift: Das alte und das neue Rußland“ theilweise vorlesen. Doch der Kaiser durchschaute sehr bald die Absicht, was in der That nicht schwer war, und da der mit solcher Schärfe ausgesprochene Tadel ihn selbst weit mehr als Speransky traf, zeigte er sich in hohem Grade verlegt. Der Versuch war für diesmal mißlungen, Speransky war gerettet, doch nicht auf lange.

Fünftes Capitel.

Steigende Spannung zwischen Rußland und Frankreich;
Pläne; sein Briefwechsel mit Adam Georg Czartoryski;
Speranskys Sturz.

Preußen;

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Krieg und Frieden mit der Türfei; —

die letzten Unterhandlungen mit Napoleon.

Der Feldzug 1812; der Erfolg; Alexanders beginnender Mysticismus.

Inzwischen wurden die Beziehungen Rußlands zu Napoleons Kaijer reich nach und nach so schwierig und gespannt, daß sich, außer dem Kanzler Rumänzow, in Petersburg niemand über die Unvermeidlichkeit eines neuen, und diesmal entscheidenden Kampfes mit dem nie ruhenden Eroberer täuschen konnte.

Napoleon war natürlich wenig erbaut von der Art und Weise, in welcher Rußland (1809) an dem Krieg gegen Oesterreich Antheil genommen hatte, noch weniger davon, daß Rußland in dem zu Friedrichsham mit Schweden geschlossenen Frieden nicht die Annahme des Continental Systems in seiner ganzen Strenge zur Bedingung gemacht, vielmehr, indem es allerdings den Anschluß Schwedens an dieses System forderte, doch einige Modificationen und Handels-Erleichterungen zugelassen hatte.

Die russische Regierung, die jene Denkschriften Durocs in Händen hatte, deren Kenntniß sie dem Treubruch eines französischen Beamten verdankte, und somit Napoleons Ansichten und möglichen Pläne in Be ziehung auf Rußland und Polen kannte, sah die Vergrößerung des Herzogthums Warschau durch die von Desterreich abgetretenen polnischen Landestheile sehr ungern und fand die beruhigenden Versicherungen, die ihr in der vorhin erwähnten Note Champagnys (vom 20. October 1809) gegeben wurden, nicht genügend. Sie verlangte einen förmlichen Vertrag der nicht, wie die Note eines Ministers, verleugnet werden könne und in dem sich Napoleon in bestimmtester Weise verpflichtet hätte, Polen nie und unter keiner Bedingung wieder herzustellen.

Ein solcher Vertrag wurde denn auch wirklich am 5. Januar 1810 zu Petersburg geschlossen und für Frankreich von Caulaincourt unterschrieben. Der erste Artikel bestimmte in bündigster Weise: „Das Königreich Polen wird nie wieder hergestellt werden"; das Herzogthum Warschau

sollte nicht weiter vergrößert, der Name Polen officiell nie gebraucht und namentlich sollte auch russischen Unterthanen womit die polnischen Edelleute aus Litthauen gemeint waren der Eintritt in die Dienste des Herzogthums, das nicht mehr ein polnisches genannt werden durfte, untersagt sein. Innerhalb einer Frist von fünfzig Tagen sollte dieser Vertrag ratificirt werden.

Das aber geschah nicht. Unmöglich konnte Napoleon sich in einem förmlichen Vertrag zu dergleichen verpflichten, so lange er an den Polen willige Werkzeuge für seine Zwecke haben wollte. Das Tuilerien-Cabinet hüllte sich sechs Monate lang in tiefes Schweigen und endlich wurde, anstatt der erwarteten Bestätigung, ein sehr wesentlich veränderter VertragsEntwurf von Paris aus zur Annahme nach Petersburg gesendet. Da wollte der französische Kaiser sich nur verpflichten, kein Unternehmen zu unterstüßen, das die Wiederherstellung Polens zum Zweck habe. Es ist wohl mindestens zweifelhaft, ob der Vertrag zu Stande gekommen wäre, wenn Rußland sich durch diese zweideutige Versicherung befriedigt erklärte, denn auch eine solche Verpflichtung konnte Napoleon nicht eingehen, ohne sich die Polen zu entfremden. Der Vorschlag mag wohl nur in der Voraussetzung gemacht worden sein, daß Rußland ihn nicht annehmen werde, als Mittel, die Unterhandlungen, unter dem Schein sie fortzuseßen, ohne Ergebniß in nichts verlaufen zu lassen. Auch gelang das vollkommen. Der neue Entwurf genügte der russischen Regierung um so weniger, da zu gleicher Zeit verlangt wurde, der Kaiser Alexander solle auch seinerseits für die Zukunft förmlich darauf verzichten, weitere polnische Landestheile mit seinem Reich zu vereinigen. So blieb denn die Sache in hoffnungslojen Unterhandlungen liegen und Napoleon war und blieb zu nichts verpflichtet, wie das seine Absicht war.

Weit Ernsteres, das in der That eine friedliche Lösung der herrschenden Spannung so gut wie unmöglich machte, geschah am Schluß des Jahres. Napoleon hatte sich ganz in die Vorstellung eingelebt, daß sein Wille Gesetz sei und die Quelle alles Rechts. Schon hatte das, im Lauf des Jahres, sein eigener Bruder, der König Ludwig von Holland, empfinden müssen. Zu dem hatte Napoleon, als er sechs Jahre früher die alte Republik der Niederlande in ein Königreich verwandelte und ihn auf dessen Thron erhob, feierlich und amtlich vom Thron herab, mit bewundernswürdiger Offenheit, die denkwürdigen Worte gesprochen: „Vergessen Sie nie, daß die Pflicht mir gegenüber die erste Ihrer Pflichten ist (que le premier de vos devoirs est envers moi); die Pflicht gegen Frankreich die zweite; die Pflicht gegen Holland die dritte." Aber der König Ludwig hatte doch nicht ganz verstanden, wie unermeßlich weit, wie unbedingt diese dritte Verpflichtung namentlich gegen die erste zurückstehen sollte. Er wußte und sah, daß Holland ohne Seehandel nicht bestehen könne, und glaubte sich verpflichtet, das Dasein des ihm anvertrauten Reichs möglich zu machen.

Schon zu Ende des Jahres 1809, als die Engländer, während ihre Truppen die Insel Walcheren besezt hielten, große Massen englischer Waaren an die holländischen Küsten geschafft und die holländischen Kaufleute sie dort in Empfang genommen und weiter verwerthet hatten, war Napoleons Ent schluß gefaßt, das Gebiet des Königreichs Holland als neue Provinz mit dem französischen Reich zu vereinigen. Napoleon war gewöhnt auch die eigenen Brüder und Schwäger lediglich als Werkzeuge seines Willens und seiner Pläne zu verwenden, nach Belieben einzusehen und abzusehen – gleichsam als Spielmarken auszugeben. Vergebens wollte Ludwig Buone parte Schutz und Vermittelung des Kaisers Alexander anrufen, vergebens entsagte er der Krone zu Gunsten seines Sohnes. Das wurde nicht be achtet; Holland wurde eine Provinz Frankreichs.

Ganz unerwartet, ohne daß irgend jemand außerhalb des französischen Cabinets eine Ahnung davon gehabt, ohne daß irgend eine Unterhandlung stattgefunden hätte, ohne daß irgend eine der europäischen Mächte aud nur benachrichtigt worden wäre, wurden dann, kaum sechs Monate später durch ein kaiserliches Decret vom 13. December 1810 einerseits das Con ton Wallis, andererseits nicht weniger als sechshundert Quadratmeilen deutschen Landes, zwischen der holländischen Grenze, dem Nordseestrande und der Elbe mit Frankreich vereinigt fund in französische Departements eingetheilt. Das waren zum Theil Lande die Napoleon selbst, nur wenige Jahre früher, dem carnevalesken Königreich Westphalen zugetheilt hatte; es waren ferner die drei Hansestädte, deren gemeinsame Benennung an eine denkwürdige Zeit städtischer Thätigkeit und Größe erinnerte; es waten endlich die Gebiete mehrerer angeblich souverainer Rheinbund - Fürsten: des Herzogs von Ahremberg, des Fürsten von Salm und des Herzogi von Oldenburg. Die Vereinigung Hamburgs und Lübecks war, von allem anderen abgesehen, auch eine förmliche und ausdrückliche Verlegung der zu Tilsit geschlossenen Verträge, in denen Napoleon sich verpflichtet hatte. die Elbe nicht zu überschreiten.

Die Fürsten von Ahremberg und Salm wurden zu ihrer eigenen Ueberraschung zu französischen Unterthanen erklärt und mußten es sich als Gnade anrechnen, daß sie als solche ihre fürstlichen Titel behalten durften. Was den Herzog von Oldenburg anbetrifft, so war er der nächste Verwandte des Kaisers von Rußland, gleich diesem ein Prinz von Holstein-Gotorp, und Frankreich -oder Napoleon hatte sich im zwölf ten Artikel des Tilsiter Friedens ausdrücklich verpflichtet, diesen Fürsten und sein Gebiet nicht anzutasten. Mit ihm wurde etwas anders verfahren, ohne daß man deshalb sagen könnte, daß er rücksichtsvoller behandelt worden wäre.

Es wurde ihm von Seiten Napoleons der Form nach die Wahl gelassen, ob er seine bisherigen Besitzungen behalten oder sie abtreten und eine Entschädigung dafür annehmen wolle. Im ersteren Fall müsse er

sich einige Unbequemlichkeiten gefallen lassen, unter Anderem französische Zollwächter und französische Truppen in sein Land aufnehmen und auf dessen Kosten erhalten. Als Entschädigung wurde die Stadt Erfurt mit ihrem Gebiet und die Grafschaft Blankenhayn geboten. Mit welchem Recht Napoleon einem Verbündeten, der alle Bundespflichten getreulich erfüllt hatte, überhaupt ein solches Dilemma stellte, darüber erklärte die Urkunde sich nicht weiter; Napoleons Recht verstand sich immer von selbst. Der Wink aber, in welchem Sinn der Herzog wählen sollte, war deutlich genug. Doch, der Herzog, mit Recht geliebt und verehrt in seinem kleinen Lande, wollte ihn, scheint es, nicht verstehen, und erklärte, er wolle unter allen Bedingungen in dem Lande bleiben, in dem seine Vorfahren seit fast eintausend Jahren gewaltet hätten. Zugleich benachrichtigte er den Kaiser Alexander von dem was vorging und von seiner Wahl.

Darauf erschienen französische Beamte in Oldenburg, kündigten ihm an, daß sein Land bereits dem französischen Reich einverleibt sei, versiegelten alle öffentlichen Kassen und richteten eine französische Verwaltung ein.

Selbst die Vasallen Napoleons, die Rheinbund-Fürsten, waren durch diese mehr als durchgreifende Maßregel des französischen Kaisers erschreckt; sie machte ihnen recht anschaulich wie schwach, troß aller Gaben, die sie einem Talleyrand oder Duroc dargebracht, troß aller Bataillone, die sie ausgerüstet und nach Spanien gesendet hatten, um dort für Napoleons Interessen zu kämpfen, der Faden war, an dem ihr Dasein hing. Die Gründe, die für dieje Maßregel angeführt wurden, wenn es ja Napoleon der Mühe werth achtete ein Paar leicht hingeworfene Worte darüber zu sagen, waren von der Art, daß sie so ziemlich auf Alles und Jedes angewendet werden konnten, was ihm belieben mochte zu verfügen. „Die Umstände haben es nothwendig gemacht“; oder: es war durch die allgemeinen politischen Verhältnisse geboten“; ,,la grande politique l'exige"; Napoleon mußte unmittelbarer Herr der Seeküste sein -: das waren die Redensarten, die als Rechtfertigung der getroffenen Anordnungen genügen mußten.

Daß Napoleon geglaubt haben sollte, der Kaiser Alexander werde eine Verletzung der Verträge, die seine nächsten Blutsverwandten betraf, einen solchen Schimpf, wie wir wohl sagen müssen, einen solchen Beweis von Nichtachtung, nicht tief und ernst empfinden, ist wohl nicht anzunehmen. Wir müssen, scheint es, in seinem Verfahren einen Beweis sehen, daß er den Bruch mit Rußland bereits unvermeidlich und nahe glaubte, und es nicht mehr der Mühe werth achtete, Rücksichten zu nehmen.

Zufällig war diese neue Erweiterung des französischen Gebiets fast gleichzeitig mit der Einführung des neuen russischen Zoll - Tarifs verfügt worden. Während Napoleon im Tuilerien Palast dieses Tarifs wegen zürnte, der seine Handels- Politik durchkreuzte, und sich mit Plänen beschäftigte, Preußen, noch ehe es zum Kampf mit Rußland kam, ohne

Bernhardi, Rußland. II. 2.

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