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durch die einer ganzen Reihe von Behörden ganz zuerst dem Adelsmarschall, des, betreffenden Bezirks die Befugniß ertheilt wurde, das Gesuch eines Landherrn, seine Bauern freilassen zu dürfen, aus einem oder anderem Grunde als unzweckmäßig zurückzuweisen, Den Kaiser ließ man glauben, diese Formalitäten seien vorgeschrieben, um den Bauern gegen Uebervortheilung zu schützen. Besonders aber wurde dem Bauern der Ankauf eines unmöglichen Landantheils (acht Dessätinen für jeden Kopf) zur Bedingung der Freiheit gemacht.

Eine Nebenbestimmung des Gesetzes, die anfangs ganz unbeachtet blieb, führte endlich auch noch zu einer Entdeckung, die den Anhängern des angestammten Rechts höchst willkommen war. Dem Landherrn - war nämlich auch gestattet, seine leibeigenen Bauern persönlich freizugeben und gegen einen auf ewige Zeiten unwandelbar festgestellten Zins, den er sid vorbehielt, mit Landbesitz auszustatten. Daß ein Landherr versucht sein könnte Einrichtungen zu treffen, die ihn von der Pünktlichkeit seiner bisherigen Leibeigenen abhängig machten und sich dabei, ohne allen Ersay, in Beziehung auf die Beitreihung seines Zinses, des sehr bequemen und sehr wirksamen Rechts der Selbsthülfe zu begeben, das war kaum vorauszusehen!

Auch scheint der Fall nur einmal vorgekommen zu sein. Ein Graf Saltykow, der ohne Kinder, starb, ließ durch Testament seine Bauern fre und gegen einen mäßigen Zins, den sie an verschiedene WohlthätigkeitsAnstalten zahlen sollten, als Eigenthümer im Besiz des Landes, das jie inne hatten. Das Testament wurde von den Seiten-Verwandten ange fochten und die Gerichte aller Wahrscheinlichkeit nach anständig honorirt von den Klägern - entschieden, daß niemand in Rußland befugt sei seine Leibeigenen, zum Schaden der Intestat-Erben, durch Testament freizulassen. Das sei gegen die Geseze. Selbst der Kaiser wurde, wenn auch erst nach langem, zweifelndem Zögern, bewogen, dieses Urtheil zu bestätigen, das seinen Absichten auf das entschiedenste widersprach.

So war denn, während dieser ersten Regierungsjahre Alexanders, in Beziehung auf die wichtigsten und drückendsten der bestehenden Rechtsver= hältnisse, gar nichts bewirkt, nur in den oben genannten Kreisen eine mißtrauende Unzufriedenheit erregt worden. Doch darf nicht übersehen werden, daß diese Unzufriedenheit sich eben auf die genannten Kreise be schränkte. Bei der Masse des Volks, insoweit sie ihn kannte, bei den Soldaten war der leutselige, wohlwollende Kaiser beliebt wie er es vetdiente. Der bei weitem größte Theil der Bevölkerung, die Menge der Leibeigenen in den Provinzen freilich, kannte ihn eben nicht; auf deren Schicksal übte sein- Thun und Wollen kaum irgend einen Einfluß; und sie wußte ich wenig dabei zu denken, 19

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entstehende

Auswärtige Politik; — Zusammenkunft mit dem König von Preußen; — Spannung mit Frankreich; Entschädigungen der deutschen Fürsten; Angelegenbeiten des Malteser-Ordens; Bernègues; Vermittelung zwischen Frankreich und England'; Markows Auftreten in Paris; Ermordung des Herzogs von Enghien; - Czartoryskis Politik; Coalition gegen Frankreich; - Krieg 1805; Czartoryskis Berjuch, einen Krieg mit Preußen herbeizuführen; — Austerliß; → Krieg 1806 und 1807; Czartoryskis Rücktritt; Friede zu Tilsitenos suk 13

So sehr aber auch die Sorgfalt Kaiser Alexanders auf das Innere jeines Reichs gewendet war, blieb doch das Verlangen, in die internationalen europäischen Angelegenheiten maßgebend einzugreifen, wie es einer Großmacht ziemt, nicht ausgeschlossen. Um so weniger, da Europa einer Macht bedurfte, die gegen das drückende Uebergewicht Frankreichs einschreiten konnte. Jeder Antheil, den Rußland an der europäischen Politik nehmen wollte, mußte aber doch früher oder später, auf einem oder anderem Wege, zu einem Bruch mit Frankreich führen, da dessen Herr, Napoleon Buonaparte, in der weiten Welt keinen Willen neben dem jeinigen dulden wollte.

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Alexander scheint, sich das auch vom ersten Augenblick angesagt zu haben, denn er verwendete die größte Sorgfalt auf die Vermehrung und, so weit die Einsicht seiner militärischen Umgebung reichte, auch auf die bessere Ausrüstung und Ausbildung seiner Armee.

Als ein weiteres Zeichen, daß er Bruch und Kampf wenigstens für sehr wahrscheinlich, wenn nicht für unbedingt unvermeidlich hielt, läßt sich füglich der Umstand ansehen, daß Alexander (im Jahr 1802) eine persönliche Zusammenkunft mit dem König von Preußen herbeiführte, die zu Memel stattfand. Alexander scheint mit der bestimmten Absicht, in dem König seinen Pylades zu finden, nach Memel gereist zu sein, sonst möchte wohl ein Verkehr von wenigen Tagen nicht genügt haben, die enthusiaitische Freundschaft zu schließen, zu der der Kaiser sich fortan bekannte.

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Was damals das Hauptinteresse der festländischen Politik ausmachte, die Entschädigung der deutschen Fürsten, mit anderen Worten die Vertheilung der bis zur Zeit geistlichen Fürstenthümer, der freien, Reichsstädte und der reichsritterschaftlichen Gebiete in Deutschland unter die Betheilig

ten - das gerade gab am allerwenigsten Veranlassung zum Zwist. Ruß» land glaubte als Bürge des Lüneviller Friedens und der deutschen Reichs verfassung dabei mitsprechen zu dürfen und zu müssen, da sich aber der Kaiser zum Voraus mit Napoleon darüber verständigt hatte, daß Baden, Württemberg und Bayern bei der Vertheilung der Beute ganz besonders begünstigt werden sollten, wurde das Einzelne in der erwünschtesten Einig keit erledigt. Eigentlich war es Napoleon, der seinen Willen dictirte und über Deutschland verfügte; daß sein Wille mit den Absichten Rußlands übereinstimmte, mag ihm ohne Zweifel gats genehm gewesen sein, aber wenn das auch nicht der Fall gewesen wäre, würde er ihn doch gewiß ganz eben so unbedingt durchgeführt haben. Desterreich war unmittelbar nach einem unglücklichen Kriege nicht in der Lage Anspruch auf eine ent scheidende Stimme zu erheben, Preußens Politik hatte sich in eine klein müthige Neutralität verirrt, die Gewinn bringen sollte, und die übrigen deutschen Fürsten bettelten ohnmächtig und habgierig zu Paris um die Gunst Napoleons oder Talleyrands oder irgend eines untergeordneten Intriganten. So war denn niemand in der Lage oder darauf gefaßt, sich gegen den Willen Napoleons aufzulehnen.

Der Formt nach war die Entschädigungs - Angelegenheit dem perma nenten Reichstag, der schon seit fast anderthalb Jahrhunderten zu Regens burg ohnmächtig und unfruchtbar tagte, zur Regelung überwiesen. Dett aber drehte man sich in gewohnter Weise in Schein- Unterhandlungen herum, von denen jedermann wußte, daß sie zu nichts führen könnten und um die sich auch keiner der Betheiligten sonderlich kümmerte, bis die Ge fandten Frankreichs im Namen der eigenen und der russischen Regierung zu Regensburg ihre Befehle gaben und den Reichstag bedeuteten, was für Beschlüsse dieser beiden Mächte in Beziehung auf Deutschland er in bir gehörige Formen zu bringen habe (Juni 1802). Das geschah denn auch ihrem Befehl gemäß, troß aller Gegenbestrebungen Oesterreichs, im Lauf der nächsten Monate.

Aber so leicht es Rußland und Frankreich, oder vielmehr Alexander und Napoleon, auch fanden, sich über diese Angelegenheiten zu verständigen, so wenig wollte das Gleiche in Beziehung auf manchen anderen streitigen Bunkt gelingen.

Selbst die Angelegenheiten des Malteser - Ordens führten Reibungen herbei, die auf den ersten Blick befremden könnten, da der Kaiser Alexander die Abenteuerlichkeit des russischen Großmeisterthums hinlänglich durd schaut hatte und feineswegs geneigt war, ste fortzusehen. Er hatte sic wohl zu sagen gewußt, daß gewichtige Gründe dafür sprachen, dieses entweder kindische oder bedenkliche Spiel fallen zu lassen. Daß England, im Befit der Insel Malta, diese dem Ordén nimmermehr zurückgeben werde. wenn es der Kaiser von Rußland war, der sie als Großmeister in Anspruch nahmt, daß eine friedliche Auseinanderseßung mit England nicht zu

hoffen war, so lange Rußlands Kaiser solchen Anspruch erhob, das war so einleuchtend, daß niemand darüber im Zweifel sein konnte. Wahrscheinlich in Erwägung dieser Umstände hatte Alexander, als er zur Regierung kam, die Großmeister - Würde gar nicht angetreten und dann in den ersten Verträgen, die er schloß, ohne Schwierigkeit auch in aller Form auf diese Würde verzichtet. Dennoch aber traf er in Beziehung auf den Crden und dessen Einrichtungen Verfügungen nach eigenem Ermessen, als ob er ein Recht habe ihm Befehle zu geben.

Er glaubte, wie entschieden ausgesprochen wurde, die Würde der russischen Krone auch in seinen Beziehungen zu dem Orden wahren zu müssen; deshalb sollte unbedingt anerkannt werden, daß der Kaiser Paul wirklich Großmeister dieser Ritter - Verbrüderung gewesen sei und in Folge dessen auch, daß alle Anordnungen, die Paul als Großmeister getroffen hatte, zu Recht bestehend und gültig seien. Das hieß Unmögliches fordern, da Pauls Verfügungen, wie wir gesehen haben, dem Wesen des MaltejerOrdens durchaus widersprachen.

Doch wie unstatthaft diese Forderung auch sein mochte, Rücksicht auf die Würde der russischen Krone konnte in einem gewissen Sinn als Grund dafür angeführt werden: nicht aber für die vollkommen unberechtigte Willkür, mit der Alexander verfügte, in welcher Weise die Wahl eines neuen Großmeisters stattfinden sollte. Für diese müssen wir die Gründe wohl in einer anderen Gedanken-Reihe suchen, und sie scheinen nicht schwer zu finden. Der Malteser-Orden schien von neuem wichtig werden zu können, wichtiger selbst als er mehrere Jahrhunderte über gewesen war, da ihm die Insel Malta wieder überliefert werden sollte und dieser wichtige Punkt in einer Periode weltgeschichtlicher Bewegung eine größere Bedeutung haben konnte, als früher zu ruhigeren Zeiten. Es mußte ohne Zweifel alle Unternehmungen, zu denen Rußland im Mittelländischen Meer veranlaßt werden konnte, ungemein erleichtern, wenn der Großmeister, der auf Malta den Befehl führte, ein diesem Reich befreundeter und verpflichteter Mann war, sehr hinderlich, wenn der Orden und seine Insel unter dem Einfluß einer anderen, einer feindlich gesinnten Großmacht standen. Für einen Rußland ergebenen Großmeister wollte Alexander jorgen.

Er verordnete, ohne zu sagen mit welchem Recht, daß nicht das Ordens-Capitel sich in altherkömmlicher und in seinen Statuten festgesezter Weise versammeln sollte, um aus seiner Mitte einen Großmeister zu erwählen, sondern jedes der Groß- Priorate oder wie sie genannt werden, jede der Zungen des Ordens die italienische, spanische, französische, deutsche und baierische und natürlich auch die zwei russischen, die lateinische und die griechisch-rechtgläubige — eine Anzahl Candidaten

Bernhardi, Rußland. II. 2.

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zu ernennen habe und daß dann der Papst, von den Zeiten der Errichtung an Protector des Ordens, aus den sämmtlichen Candidaten den Großmeister wählen solle.

Zwei dem Orden angehörige Prälaten, Franzosen, Monseigneur de Bernis, Erzbischof von Albh, und ein Abbé Masclét, wurden beauftragt in Alexanders Namen mit Rom über diese Angelegenheit zu unterhandeln und den Papst namentlich dringend darauf aufmerksam zu machen, daß der Commandeur Tomasi, ein Italiener, aus Siena gebürtig, in dem russischen Priorats - Capitel die große Stimmenmehrheit gehabt habe und sich ohne Zweifel am besten zum Großmeister eigne.

Napoleon hatte gegen diese Art der Wahl um so weniger etwas einzuwenden, als er den Papst in seiner Gewalt zu haben glaubte, aber et wollte einen Großmeister ernannt wissen, der seinen Interessen dienstbar wäre und bezeichnete der Wahl des Papstes einen anderen Italiener, den Commandeur Caprara und einen Ordens-Prior Flachslanden, gegen den man in Petersburg ganz besonders eingenommen war, weil man ihn unbedingt den Interessen Napoleons ergeben glaubte.

Pius VII. ließ, die Umstände erwägend, das verfügte Wahlverfahren gelten, aber in solcher Weise, daß er dabei vermied irgend eine Befugniß des Kaisers von Rußland in Sachen des Ordens anzuerkennen. Näm lich er, der Papst, erklärte aus eigener Machtvollkommenheit und eben auch mit etwas zweifelhaftem Recht die Wahl in den erwähnten Formen in diesem Einen Fall ausnahmsweise für eine gesetzmäßige dann aber ernannte er, um glücklich zwischen allen Klippen hindurch zu steuern, einen Ritter, den das italienische Priorat vorgeschlagen, an den aber weder Ru land noch Frankreich gedacht hatten, zum Großmeister. Einen Römer nämlich, den Commandeur Ruspoli, aus dem fürstlichen Hause gleichen Namens.

Dieser Ordensherr weilte seit einer Reihe von Jahren in Amerika, war allen Parteiungen, allem Zwist im Innern des Ordens fremd ge blieben, und schien eben deshalb vorzugsweise geeignet, unparteiisch an die Spite des Ritterstaats zu treten.

Da der Papst zu gleicher Zeit einer förmlichen Anerkennung der Ordenswürde Kaiser Pauls und seiner Verfügungen auszuweichen suchte. mußte er erfahren, wie wenig man am russischen Hof mit dieser Auskunft zufrieden war. Pius VII. hätte gern einen päpstlichen Nuntius nach Petersburg gesendet, um ihn dort als Fürsten der allein seligmachenden Kirche auftreten und im Verein mit den Jesuiten arbeiten zu lassen, und mußte nun in den rücksichtslosesten Formen erfahren, daß Rußland einen apostolischen Nuntius nicht zulassen werde; daß selbst ein gewöhnlicher Ges sandter des Papstes in Petersburg nur als außerordentlicher, nur verübergehend beglaubigter Geschäftsträger erscheinen dürfe.

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