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lichkeit und Käuflichkeit herrschten überall, allüberall wie früher. Nur Shein und doch ein Gewinn; denn es ist immerhin schon etwas, wenn die Unredlichkeit den Schein einer gewissen Ordnung und Correctheit rahren muß.

So weit ging der Gewinn, den diese Regierung in Beziehung auf das innere Leben Rußlands brachte, nicht weiter! Jene erborgte französische Bildung der höheren Stände war allerdings etwas mehr als bloßer Schein, denn sie machte sich in ihrer Lebensweise und ihren Lebensbedürfnissen geltend, aber sie vermochte nicht das sittliche Bewußtsein zu steigern, ohne das es keine wirkliche Bildung giebt, schon weil die französische Literatur, aus der sie geschöpft war, doch nur das Leben eines leichtsinnigen Hofs wiederspiegelte, einer flach verneinenden Philosophie huldigte und keine ernsten oder strengen Forderungen an den Menschen stellte. Diese Art ven Bildung vermochte ebensowenig die innere Rohheit zu bändigen, die den Leuten blieb, die sich für sie fast mit Nothwendigkeit ergab, da sie von Sclaven umgeben aufwuchsen; man könnte sagen, ihr Einfluß beschränkte fi in gewissem Sinn auf das Salonleben und traten in dem gesellschaftlichen Benehmen des Einzelnen nicht mehr die störenden Gegensäge hervor, die früher oft mitten in das glatte, weltmännische Betragen hinein die ungezähmte Rohheit verriethen, so bildete doch auch jetzt noch in dem Wesen eines und desselben Mannes das gesellschaftliche Gebahren und seine Haltung in allen ernsteren Angelegenheiten des Lebens gar oft einen ganz unvermittelten und nur allzu grellen Gegensatz.

Diese fremde, der Nation im Ganzen unzugängliche und unverständliche Bildung erweiterte, wie dessen schon früher erwähnt werden mußte, die Kluft zwischen den höheren Ständen und dem Volk. Zwar fehlten den höheren Ständen, den Hofkreisen, wie wir sie nennen könnten, keines wegs alle Berührungspunkte oder jede Möglichkeit einer Verständigung mit dem Landadel, dem niederen Beamtenthum, dem Officier - Corps des Heeres aber die vermittelnden Elemente lagen nicht in der Bildung der höheren Stände, sondern im Gegentheil in dem, was ihnen wie den anderen fehlte, in dem mangelnden Gefühl für die sittliche Würde des Menschen, in dem Hang zur Unredlichkeit, in dem despotischen und doch auch wieder nur allzu schmiegsamen Sinn, der ihnen geblieben war.

Den mittleren Ständen, vom Landadel abwärts, fehlten alle Bildungsmittel, da die russische Literatur ohne eigentliches Leben unfruchtbar blieb und auch Kirche und Religion nicht bildend zu wirken vermochten. Die Religion, durch eine im Allgemeinen unwissende und ungebildete, nicht selten rohe Geistlichkeit vertreten, war zu einem geistlosen Ritual - Wesen geworden, das nur auf Aeußerlichkeiten, auf Fasten, Wallfahrten, Ceremonien, sich bekreuzigen, Verehrung der Heiligenbilder und dergleichen Werth legte, das sittliche und intellectuelle Leben des Menschen aber eigentlich ganz unberührt ließ. Wirksam in das Leben griff die Kirche nur in

Fällen ein, die keine Beziehungen zu fortschreitender Bildung hatten, etwa wenn eine Kriegerschaar vor einem Gefecht unter den Auspicien eines verehrten Heiligenbildes gesegnet und mit Weihwasser besprengt oder wenn der Geistliche als eine Art von Marterwerkzeug verwendet wurde und einen Mann aus dem Volk, der eines Verbrechens beschuldigt war, indem er ihn den Reinigungseid schwören ließ, mit roh-sinnlichen Beschreibungen der Höllenqualen ängstigte, um ihn zum Geständniß zu bringen.

Das Alt-Russenthum lebte fort in einer wenig gerechtfertigten Vor liebe für die einheimischen Zustände, in einer unversöhnlichen Abneigung gegen die west-europäische Bildung, die besonders da hervortrat, wo das Fremde entschieden in die realen Lebens-Verhältnisse eingreifen wollte; in einer etwas gemachten Ueberhebung, die sich das Ansehen gab auf alles Fremdländische mit Geringschäzung hinabzusehen endlich in einem Deutschenhaß, der um so erbitterter wurde, je weniger man der Deutschen entbehren konnte. Aber dieses Alt-Russenthum konnte nur verzögernd und lähmend wirken, im Uebrigen war es ohnmächtig, eben weil es sich ganz in Verneinungen bewegte und gar nichts zu schaffen, gar kein bestimmtes Ziel eines positiven Strebens aufzustellen wußte. Es wurde politisch immer ohnmächtiger insofern oligarchische Gelüste der alten BojarenGeschlechter mit dieser altrussischen Gesinnung verbunden waren, denn die alten Magnaten - Familien hatten seit der Vernichtung der Stufenbücher ihre Bedeutung, zum Theil auch ihre Reichthümer verloren, Emporkömmlinge, die nicht dieselben Traditionen hatten, waren die reichsten Magnaten und die bedeutendsten Männer im Staat geworden. Besonders aber hatte das Bojarenthum sein mächtiges Gegengewicht nicht mehr blos in dem kleinen Landadel, sondern auch in dem immer zahlreicher, ja unabsehbar anschwellenden Dienstadel. In allen Behörden herrschte nämlich eine unermüdliche Papier-Thätigkeit; die Verwaltung war in solcher Weise ge ordnet, daß in dem Lande, wo doch nur so wenige Menschen lesen konnta, unermeßlich viel geschrieben werden mußte. Man brauchte immer zahl reichere Schaaren von Kanzlei-Schreibern, und da diese anderweitig nicht aufzutreiben waren, mußten sie großentheils aus den Reihen der schreis benden Unteroffiziere, aus der Zahl der freien Leute, die es in den Städten gab, gewählt werden. Lebte so ein Mann längere Zeit in seiner KanzleiThätigkeit fort, so erdiente er den Offiziers-Rang und damit den persönlichen, endlich den erblichen Adel. Das konnte jetzt um so leichter geschehen, da die Kaiserin Katherina Anordnungen getroffen hatte, die den Rang mehr und mehr unabhängig von dem wirklichen Amt machten und selbst dem einfachen Kanzleischreiber gestatteten zu einem höheren Rang zu ge langen, auch wenn er sein Leben lang in ganz subalternen Stellungen blieb.

Die Kaiserin hatte nämlich verfügt, daß jeder Beamte, wenn er eine bestimmte Anzahl Jahre „tadellos“ in seiner Stellung gedient hatte, durch

Beförderung zu der nächst höheren Rang-Classe belohnt wurde, auch wenn jeine wirkliche Stellung unverändert dieselbe blieb, wenn er auch nicht in ein höheres Amt einrückte; und in derselben Weise erfolgten, nach dem Ablauf einer neuen, festgesetten Reihe von Jahren, weitere Beförderungen zu einem höheren Rang bis zur achten Classe hinauf, die den erblichen Adel verlieh.

Amt und Rang waren nun um so bestimmter geschieden und von einander unabhängig da, wie einerseits Beförderung zu einem höheren Rang ohne Verleihung eines höheren Amts stattfinden konnte, auch umgelehrt die Ernennung zu einem höheren Amt nicht die Beförderung zu einem höheren Rang mit sich brachte. Diese erfolgte für sich, wenn die vorgeschriebene Anzahl Dienstjahre überstanden war.

Die Söhne eines Mannes, der auf diese Weise, durch die Zahl seiner Dienstjahre in subalterner Schreiber-Stellung, zu einem OffiziersRang gelangt war, hatten dann als Söhne eines Offiziers gewisse Vorrechte, die ihnen die Beamten-Laufbahn erleichterten, oder wenn der Vater es bis zur achten Classe gebracht hatte, waren sie von Haus aus Grelleute.

Dieser mit sehr geringer Ausnahme durchaus besißlose, für seine Existenz unbedingt auf die Regierung angewiesene Adel, der sich fort und fort maßlos vermehrte, bildete eine Classe, deren Mitglieder sehr weit davon entfernt waren sich durch Sitten, Kenntnisse und Bildung, oder vollends durch eine ritterliche Gesinnung auszuzeichnen. Sie waren vielmehr ein sittlich verwahrlostes und gar sehr verderbtes Geschlecht, hatten fis nichts angeeignet als eine gewisse Kanzlei-Fertigkeit, eine gewisse Geläufigkeit der Redaction in den herkömmlichen Formeln und eine genaue Kenntniß der herrschenden Routine, des herkömmlichen Geschäftsganges. Da der Landadel nur ein verhältnißmäßig geringes Contingent in die Kanzleien lieferte und dann eben auch keine bessere Bildung mitbrachte; da die höheren Beamten, sofern sie dem vornehmen und reichen Adel angehörten, von dem Mechanismus der Verwaltung selten viel wußten und noch seltener mit gründlichen Fachkenntnissen ausgerüstet waren; da eigentlich niemand in den ungemein verwickelten Formalien des Geschäftsganges Bescheid wußte als eben diese, im Uebrigen durchaus unwissenden adeligen Schreiber, waren Verwaltung und Rechtspflege in der That zu fehr großem Theil, ja wie der Kanzlei-Geschäfte bei zunehmender Bevölferung und steigendem Verkehr immer mehr wurden, in immer größerem Maß in ihren Händen.

Natürlich hatte diese Beamten-Kaste, wie man sie wohl nennen könnte, gar kein Verständniß für irgend ein anderes leitendes Princip im Leben als unbedingten, kriechenden Gehorsam dem gegenüber, der eben die Macht in Händen hatte - allerdings mit dem stillen Vorbehalt, daß dieser Gehorjam, so oft sich die Gelegenheit dazu zeigte, ein unredlicher sein dürfe.

Die Leute dieses Schlages hatten auf Alles und Jedes, was der höher Gestellte sagte, immer nur die Eine Antwort,,sluschus!" ich gehorde.

In solchem Zustande trat Rußland einer mächtig bewegten Zeit gegenüber, die vorwärts trieb zu neuen Schöpfungen jeder Art. Da bedarj es kaum der Bemerkung, daß das Alt-Russenthum nur vermöge einer Verjüngung, nur indem es neue Elemente in sich aufnahm und sich zu einer schaffenden Thätigkeit, zu dem Streben nach bestimmten Zielen in der Zukunft aufraffte, zu einer Bedeutung gelangen konnte, welche über die eines lähmenden, hindernden, und doch dem Strom der Weltereignisj gegenüber unmächtigen Widerstrebens hinausging. Das aber geschah eri Jahrzehente später.

Das Andenken der großen Kaiserin aber wurde nach ihrem Tode mit einer Liebe gehegt, deren Gegenstand sie selber bei ihrem Leben m gewesen war.

Gerade wie die an sich nichts weniger als lobenswerthe Regierung der Kaiserin Elisabeth in der Erinnerung der Russen vom alten Schlage zum goldenen Zeitalter geworden war, bewirkten der furchtbare Druck, den der Kaiser Paul übte und das finanzielle Unheil, das die unglücklichen Kriege gegen Frankreich unter dem Kaiser Alexander über Rußland brachten und die allgemeine Unzufriedenheit, die sich daraus ergab, daß besonders in der Vorstellung der älteren Herren, die sich so vieler glänzenden Scenen erinnerten, die Regierung der letzten regierenden Selbstherrscherin zu feenhaften Zeit der Kaiserin Katherina“ wurde.

Der Kaiser Paul; Fürsten ernannt ; Auswärtige Politik; Krieg mit Frankreich;

Zehntes Capitel.

Besborodko für die Auslieferung der geheimen Papiere zum die neuen Günstlinge, Kutaisow, Araktscheyew, Rostoptschin. friedliche Absichten; Interesse für den Malteser-Orden; Einfluß der Brüder Litta, des Cardinals und des Maltesers; seine phantastischen Pläne.

Littas Versuche, die Autorität des

der Kaiser Paul Großmeister des Ordens; De Jesuiten in Rußland und ihre Fortschritte; sztlichen Stuhls in Rußland auszudehnen; seine Uebereilungen und seine VerUnglück der russischen Waffen in der Schweiz;

Sarnung;

ubmit England;

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Bruch mit Oesterreich freundschaftliches Verhältniß des Kaisers zu Napoleon Buona

parte; Plan eines Eroberungszuges nach Indien.

Der Jenit Pater Gruber am Hof;

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feste Ansiedelung der Jesuiten in Petersburg; Sterzencewicz beseitigt, die Jesuiten Herren der lateinischen Kirche in Rußland; Thätigkeit in ganz Rußland; der Jesuiten-Orden auf Verwendung des Kaisers von Rußland durch päpstliche Bulle wieder hergestellt.

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Ende des Kaisers.

Sowie der Kaiser Paul Petrowitsch im Besitz der Regierung war, nan jagt am allerersten Tage seiner Herrschaft, überlieferte ihm Graf Besborodko jene geheimnißvollen Papiere, die er von der Kaiserin Katherina zu treuer Hand empfangen hatte und wurde dafür wahrhaft kaiserlich belehnt, so daß wir aus der Belohnung auf den Inhalt dieser Papiere iließen könnten, auch wenn wir sonst nicht darum wüßten.

.. Paul Petrowitsch ernannte den Vice-Kanzler Besborodko zum Fürsten mit dem Titel Durchlaucht und schenkte ihm dazu 6000 Bauern (Seelen, Leibeigene) nach eigener Wahl, d. h. in jeder beliebigen Provinz, die Besborodko selber wählen würde, dazu die Güter im Gubernium Orel, die nach dem Tode des Fürsten Kantemir der Krone anheim gefallen waren, mit 3000 Bauern und endlich 30,000 Dessätinen zwischen fünf und sechs geographische Quadratmeilen in den fruchtbaren unbebauten tändereien, welche die Krone im Gubernium Woronesch besaß.

Es wäre seltsam, wenn die Kaiserin Katherina, die erfahrene Frau, etwa erwartet haben sollte, daß der Mann ihres Vertrauens, Besborodko, nach ihrem Tode anders handeln würde, und es ist seltsam, daß Paul die Auslieferung dieser Papiere in solcher Weise, als eine That der Treue und Hingebung belohnte. Welchen anderen Gebrauch hätte denn Bes

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