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Neuntes Capitel.

Die letzten Zeiten der Republik Polen; Umtriebe der angeblich patriotischen Partei;

der Reichstag von 1788;

den fie in

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die Verfassung vom 3. Mai 1791; Polen und Litthauen hervorruft.

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Widerspruch,

Conföderation zu Targowice; Einrücken der Russen in Polen; - ihr Sieg ohne Kampf; der Reichstag zu Grodno und dessen stumme Sizung;

lung Polens. Katherinas weitere Pläne gegen die Türkei; Kosciuszko; die Erstärmung von Praga;

die zweite Thei

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Aufstand der Polen;
lette Theilung und gänzlicher Unter

gang Polens.

Katherinas Krieg mit Persien; die lateinische Kirche und die Jesuiten in Rußland; Plan, den Großfürsten von der Thronfolge auszuschließen;

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In Polen herrschte, wie Friedrich der Große vorhergesehen und ge sagt hatte, unmittelbar nach der ersten Theilung (1772) Rußland eine Reihe von Jahren ziemlich unumschränkt und ohne in diesem wogenden Meer der Unordnung irgend ernstlichen Widerstand zu finden. Dann aber, in dem Maße, wie die Gedanken der Kaiserin Katherina sich übers wiegend dem Traum von einem griechischen Kaiserthum zuwendeten, wurde Polen vom Petersburger Hof einigermaßen vernachlässigt und seine Herrs schaft im Lande blieb weniger fühlbar. Oesterreich benützte den Umstand und suchte größeren Einfluß in Polen zu gewinnen, was ihm dadurc erleichtert wurde, daß mehrere der namhaftesten Familien des Reichs, namentlich die Fürsten Czartoryski, Sanguszko und Lubomirski, viele Zweige der Potockis 2c., ihre bedeutendsten Güter in dem schönsten und fruchtbarsten Theile der polnischen Lande, in dem nunmehr österreichischen Galizien hatten und sich daher abhängig fühlten.

Die polnische Nation aber oder, was dasselbe ist, der polnische Adel wurde auch durch das Mißgeschick, das die Adelsrepublik betroffen hatte, nicht aus seinem herkömmlichen Dasein aufgeschreckt. Er war und blieb unfähig sich zu ermannen und nach wie vor zeigte sich von sittlichem Ernst, von einer redlichen Gesinnung nirgends nirgends eine Spur. Die dreizehn Ruhejahre, die dem Lande gewährt waren, halfen zu gar nichts; alle Geisteskräfte wurden, wie früher so auch jezt, auf einen endlosen inneren Hader verwendet, auf Intriguen, denen stets persönliche

Interessen zum Grunde lagen. Selbst die Anschläge, die gegen das Ende dieser Beriode gemacht wurden eine Veränderung der Verfassung herbeizuführen und das öffentliche Wesen zu verbessern, hatten zum eigentlichen Zwed, einer bestimmten Coterie zur bleibenden Herrschaft im Lande zu verhelfen. Und das war nicht etwa ein Zweck, der nebenher erreicht werden sollte es war im Gegentheil die Hauptsache. Die Partei, die den Namen der patriotischen für sich in Anspruch nahm, war keineswegs besser als die königliche oder irgend eine andere. Der freilich schwache König Stanislaus Poniatowski hatte doch nicht unrecht, als ihm einst gejagt wurde, es sei Zeit, um die Republik zu retten, alle Polen um den Thren zu schaaren, verwundert mit einem Vers aus einer französischen Tragödie, mit den Worten: „connais-tu quelque dieu qui fasse un tel prodige? zu antworten.

Es würde zu weit führen, wenn wir diese Intriguen hier im Einzelnen verfolgen wollten, auch sind das unsaubere Bilder, bei denen niemand gern verweilt. Doch können diejenigen, die in die Zukunft fortgewirkt und den endlichen Untergang Polens unmittelbar herbeigeführt haben, nicht ganz mit Stillschweigen übergangen werden. Das Wesen der Zustände, die hier zu Grunde gingen, spricht sich darin nur zu deut

lich aus.

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Die Aufgabe, welche sich die patriotische Partei gestellt hatte, war eine Zeit lang, den König Poniatowski vom Thron zu stoßen, und an der Spize dieser Partei standen seine jezt mit ihm verfeindeten Verwandten, die Czartoryskis, oder vielmehr die Damen dieses Hauses. Vor allen die Fürstin Czartoryska, geborene Gräfin Flemming, Gemahlin des FamilienHauptes, Fürsten Adam Kasimir. Sie war einst Geliebte des Königs gewesen, ihm aber untreu geworden, um sich in die Arme des russischen Botschafters, Fürsten Repnin, zu werfen, den sie finanziell zu Grunde richtete. Der sächsische Gesandte, v. Essen, entwirft ein wenig schmeichelhaftes Bild von ihr. Sie ist eine von den Damen," meldet er seinem Hof, die ihre Liebhaber bis auf die Knochen abnagen, und der unter anderen auch der Fürst Repnin den Verlust seines Vermögens verdankt, 50,000 Ducaten Schulden ungerechnet, die er nur in Folge seiner Ausgaben mit dieser Dame gemacht hat, und welche die Kaiserin so großmüthig gewesen ist für ihren Botschafter zu bezahlen, als sie ihn abrief" (c'est une de ces dames, qui mange ses amants jusqu'aux os, et à laquelle entre autres le prince Repnin doit la perte de sa fortune, sans compter 50,000 ducats de dettes, que l'Impératrice de Russie eut la générosité de payer pour son ambassadeur, lorsqu'elle le rappela et qu'il n'avait contractées que pour les dépenses avec cette dame). Ihr schloß sich mit noch größerem Eifer die Schwägerin an, die Großmarschallin, Fürstin Lubomirska, geborene Czartoryska Adam Kasimirs Schwester; auch sie war eine Zeit lang Geliebte des Königs

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gewesen, und von ihm verlassen, wurde sie, wie die Zeitgenossen sagen, von dem Verlangen getrieben, ihre verlegte weibliche Eitelkeit an dem Ungetreuen zu rächen. Beide Damen hatten natürlich, außer ihren Verwandten, über die sie verfügen konnten, auch sonst einen zahlreichen Anhang, zu dem vor allen der Kron-Großgeneral oder Hetmann, Graf Branicki, und der Kron-Unterfeldherr, Graf Rzewuski, gehörten — „jener ein früherer, dieser der gegenwärtige Liebhaber der Fürstin_Czartoryska“, berichtet Essen. - Dieser Branici war übrigens, troß der Gleichheit des Namens, in feiner Weise mit dem früheren Großgeneral verwandt, der sich der Wahl Poniatowskis widersezt hatte. Er soll eigentlich Branefi geheißen und sich den bekannteren Namen, unter dem er Hetman wurde, unberechtigt angemaßt haben; seiner Abkunft nach war er Klein - Russe - Kosack im Uebrigen ein roher Gesell und arger Trunkenbold. Ferner gehörten dem Gefolge der zürnenden Damen auch die beiden Schwiegers Söhne der Fürstin Lubomirska, die beiden Grafen Ignaß und Stanislaus Potocki an, von denen der erstere Marschall von Litthauen war. Die Gräfin Stanislaus zog dann wieder ihren erklärten Liebhaber, den Grafen Wielhorski, in die Umtriebe dieser Partei, und so zog sich die Kette vers längert durch die Adelskreise.

Branicis Schwester dagegen, Fürstin Sapieha, nahm wenigstens nicht folgerichtig Antheil an ihren Anschlägen. Von ihr berichtet Essen: „Sie wurde lange Zeit von dem König Poniatowski unterhalten, dem sie immense Summen kostete; endlich schickte er sie fort" doch suchte sie sich nicht zu rächen; sie war vielmehr bemüht, wie früher ihre persönliche Gunst, so jezt den Einfluß, den sie auf ihren Bruder und auf einen Schwarm Landboten vom kleinen Adel übte, dem König zu ver kaufen.

Von diesen Verbündeten wurde der König Stanislaus Poniatowski so geräuschvoll wie möglich beschuldigt, er habe einen Versuch gemacht, den Fürsten Adam Kasimir Czartoryski durch eine übel berüchtigte Frau, Namens Ugramow, vergiften zu lassen. Diese Frau selbst sollte den beabsichtigten Frevel der Familie Czartoryski warnend verrathen haben. Der Lärm, der in Folge dieser angeblichen Entdeckung gemacht wurde, war von der Art, daß wohl niemand die unredliche Absicht verkennen konnte. Noch ehe irgend etwas erwiesen war, ehe irgend eine Untersuchung stattgefunden hatte, ließ der Fürst Czartoryski in allen Orten, die ihm unter than waren, dem Himmel durch ein feierliches Tedeum für seine wunder bare Rettung danken, und alle auswärtigen Regierungen wurden in aller Form von dem Verbrechen des Königs und der erfreulichen Rettung des Fürsten benachrichtigt. Zugleich offenbarte sich, daß die zu so edlem Zweck Verbündeten auf den Schutz der österreichischen Regierung rechnen durften. Der Fürst Adam Kasimir konnte denjenigen Mitgliedern der richtenden Behörde, die Güter in Galizien hatten, für den Fall, daß das Ergebniß

der Untersuchung nicht den Wünschen entspräche, mit der strafenden Hand Desterreichs drohen.

Indessen, die Czartoryskis fanden wenig Glauben mit ihrem lauten Geschrei; sie hatten Feinde und auch der König hatte eine Partei. So wurde denn bewirkt, was die Gerechtigkeit allein in Polen nicht bewirken fonnte. Die Untersuchung brachte ein unerhörtes Gewebe von Lüge und Meineid zu Tage, wie es die Welt glücklicher Weise doch nur selten erlebt hat; es schien sich zu ergeben, daß die Frau Ugramow die Sache angefangen habe, um dem Fürsten Czartoryski Geld abzunehmen, sie mußte die Lüge eingestehen und ihre früheren Aussagen zurücknehmen, beschuldigte aber nun einen der Richter, vor denen sie stand, den Marschall Grafen Ignaz Potocki, er habe selbst ihre Anklageschrift verfaßt und ihre Ausjagen gefälscht! -Er habe in ihrem Namen Dinge hinein gesetzt, von denen sie nicht wisse! Sie wurde als der Verleumdung überwiesen (1785) zum Branger, zur öffentlichen Brandmarkung und zu lebenslänglichem Zuchthaus verurtheilt — mit den vornehmen Schuldigen aber wurde sehr glimpflich umgegangen. Dem Fürsten Adam Kasimir, der nach polnischem Recht, seiner falschen Anklage wegen, der Ehrlosigkeit und Verbannung verfallen war, wurde freigestellt, diese Strafe durch eine Geldbuße abzulaufen, er aber appellirte an den nächsten Reichstag, auf dem ihm dann auswärtiger Beistand von mehr als einer Seite zu Hülfe kam.

Der Kaiser Joseph II. verwendete sich nämlich bei dem Reichstag dafür, daß das in der Sache der Frau Ugramow erlassene Decret überhaupt cassirt werde, und der Gesandte Rußlands, Graf Stackelberg, erhielt von seinem Hof den Befehl, die Verwendung des Kaisers zu unterStügen.

Branici, der seinen Namen in den Acten dieses schmachvollen Projefes getilgt haben wollte, bewies seinen Feinden, daß er Mittel habe, sie mit schwerer Hand zu treffen; er war mit einer der zahlreichen Nichten des Fürsten Potemkin (Fräulein Engelhart) vermählt, da fiel es ihm nicht schwer, von diesem gewaltigen Mann zu erlangen, daß ein Paar russische Regimenter nach Wolynien gesendet und dort der Gräfin Branicka zur Verfügung gestellt wurden. Die Gräfin bezeichnete den Anführern dieser Truppen, die ihrem Hause verfeindeten Landherren, deren Güter durch Einquartierung und Unfug zu Grunde gerichtet werden sollten. *)

Auf dem Reichstag von 1786, wo es sehr stürmisch herging und mehrfach zu gezogenen Säbeln kam, wurde wenig zu Stande gebracht, aber vieles für die nächste Folgezeit und einen künftigen Reichstag vorbereitet. Die sehr zweideutige Verbündung, die eben den unsauberen Prozeß gegen den König anhängig gemacht und verloren hatte, nahm den Ramen der patriotischen Partei nach wie vor für sich in Beschlag und gab

*) Herrmann VI. 520.

vor, mit der sittlichen Würde, die ihr eben zu Gebote stand, das öffent liche Wesen verbessern zu wollen. Die Czartoryskis, die nach der Krone strebten, wollten auch wirklich die Macht der Krone in so weit steigern, daß sie des Habens werth sei. Das wollte der König Poniatowski auch, aber zu seinem und seiner Anhänger Vortheil, und da für beide Parteien die Sache an sich nur ein bedingtes Interesse hatte, die Personenfrage aber das war, um was es sich eigentlich handelte, konnten sie sich natürlich über die Sache nie verständigen und steigerten sich in gegenseitigem Haß. Vor allem wollte die patriotische Partei den permanenten Rath abgeschafft wissen nicht etwa um des öffentlichen Wesens willen, sondern weil der Groß-General Branicki es verlangte. Dem war daran gelegen, weil diese Behörde die Befugnisse seiner Würde beschränkt hatte; es schien ihm unerträglich, daß die angeblich „königliche“ Armee den Eid der Treue dem permanenten Rath, nicht mehr, wie früher, dem Groß-General zu leisten hatte. Der alte Glanz der Hetmans-Würde sollte vollständig hergestellt werden, um diesen Preis hatte er sich den Czartoryskis angeschlossen und versprochen, sie in ihrem Streben nach dem bleibenden, erblichen Besit der Krone des Reichs zu unterstützen.

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Dem Wankelmuth der Polen entsprechend, tauchte nun aber neben diesem lange verfolgten Plan auch ein anderer auf, für den man cher glaubte Rußland gewinnen zu können. Es verbreitete sich nun die An sicht, man müsse, wenn Stanislaus Poniatowski in einer oder anderer Weise beseitigt wäre, nicht einen Piasten, sondern einen Prinzen eines auswärtigen regierenden Hauses zum König erwählen. Der werde den Parteien im Innern mehr imponiren und zu hoch stehen für die Eifer sucht der Magnaten - Familien. Auch der fremde Fürst war sofort ge funden; man hatte den römisch-katholischen - Prinzen Ludwig von Württemberg, einen Bruder der mit dem Großfürsten Paul vermählten, in Rußland Maria Feodorowna genannten württembergischen Prinzessin dazu ausersehen. Da er mit Mariane Czartoryska, einer Tochter des Fürsten Adam Kasimir, vermählt war, läßt sich wohl erklären, wie auch dieser Plan von seiner Schwiegermutter, der Fürstin Czartoryska ausgehen konnte. Um dem Gedanken in weiteren Kreisen Eingang zu verschaffen, wurde geflissentlich verbreitet, die Kaiserin Katherina könne höchstens nur noch ein Jahr leben, ihr Nachfolger aber werde natürlich auf das ents schiedenste für seinen Schwager eintreten.

So erwartete, ja forderte Polen immerdar die Entscheidung seines Schicksals von einer fremden Macht, und eine jede der verschiedenen Parteien, die nach dem Besitz der höchsten Gewalt strebten, suchte durch irgend eine fremde Hülfe dazu zu gelangen.

Als nun aber, kaum zwei Jahre später, ein für immer entscheidender Augenblick nahte, hatten sich Absichten und Pläne der patriotischen Partei schon wieder anders gewendet, und niemand dachte mehr an den Prinzen

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